Kolumne Gotteskind und Satansbraten

Mit Angst fängt man Eltern

Populisten schüren die Ängste von Eltern um die Zukunft ihrer Kinder. In den USA hat Daniela Albert gesehen, wohin diese Radikalisierung führt. Das sollte uns eine Warnung sein.

Ich habe sechs Tage hinter mir, die wahnsinniger und gegensätzlicher nicht hätten sein können. Sechs Tage in der Weltmetropole New York. Sechs Tage, in denen ich mich im wilden Bling-Bling des Times Squares verloren und die Atmosphäre zwischen den Wolkenkratzern in Manhattan aufgesogen habe. Ich war zwischen South Mannhatten und Harlem unterwegs, wo die Vielfalt auf den Straßen fast greifbar ist. Es waren sechs Tage voller Offenheit und Multikulturalität, die mich fasziniert haben – und doch stand dem eine andere Seite gegenüber: angstschürende Wahlwerbespots, die genau vor dieser Vielfalt warnen und das Fremde als Bedrohung darstellen. Ihre Hauptzielgruppe? Eltern und Familien!

Am Ende dieser sechs Tage saß ich müde, reizüberflutet und überglücklich in der Abflughalle in New Jersey und wartet darauf, zum Boarden des Flugzeugs aufgerufen zu werden. Das Paar mir gegenüber wartet auch – und das noch ziemlich lange, denn ihr Ziel war Berlin und genau dieses Flugzeug verspätete sich um mehrere Stunden.

Wir kamen ins Gespräch. Über Berlin und die deutsche Bahn. Über Ost und West und wie wir alle – sie in den USA und wir als Kinder in Deutschland, die Wende erlebt haben. Und 9/11. Und die Präsidentschaftswahlen 2020. Unweigerlich kamen wir auch auf das Thema des aktuellen Wahlkampfs, auf Donald Trump und Kamala Harris. Auf die Wahnwerbespots in Fernsehen, die uns Deutsche mit unserer gepflegten politischen Langweilerkultur eher irritiert haben. Die Stimme unserer Gesprächspartnerin wurde nun leiser und sie sah sich mehrmals um, als sie sprach. Sie fürchtete, gehört zu werden. Sie fürchtete Ärger in einem Land, das aufgeheizt ist, wie nie.

So schlimm wie jetzt sei es nicht immer gewesen, erzählte sie uns. Auch in den USA waren Wahlwerbespots mal langweilig. Jetzt nicht mehr. Nun spielen sie mit den Urängsten der Menschen. Hauptsächlich passiert das über die bereits von Carlotta in ihrer letzten „Sektion F“-Kolumne beschriebenen Themen: Anti-Gender bzw. Wokeness und Migration.

Sie werden als „Grundübel“ für alles verantwortlich gemacht: Wohlstandsverlust und Kriminalität, steigende Preise und Drogenhandel, Werteverfall und Verlust von Sicherheit. Es gibt kaum einen Werbespot, der nicht mit den stärksten Emotionen spielt, die Menschen haben – mit der Liebe zu ihren Partner:innen, Kindern, Angehörigen. Und der Angst davor, dass genau ihnen etwas passiert. Die Schuldigen sind klar benannt: Demokratische Kongressabgeordnete, die zu viele Migrant:innen ins Land lassen und christliche Werte vernachlässigen, auf der einen Seite. Auf der anderen, steinreiche Republikaner:innen, die nur in ihre eigene Tasche wirtschaften.

Das Ergebnis ist immer ähnlich: Traurig dreinschauende Mütter und Väter. Alte Menschen, die Angst haben, dass ihre Gesundheitsvorsorge wegbricht und sie ihren Kindern zur Last fallen. Kriminelle, die sich aus den Schatten erheben und unsere Kinder bedrohen. Kein Wunder, dass dieses Land einmal mehr vor einer Zerreissprobe steht. Doch auch wenn die politische Kultur bei uns noch nicht solche extremen Ausmaße angenommen hat, kann ich Parallelen erkennen – besonders was das Spiel mit der Angst um die Liebsten angeht.

Von „Genderwahnsinn“ und Bildungsplänen

Auch in unserem Land nehme ich krasse Gegensätze war, je nachdem, wo ich bin und mit wem ich rede. Ich stelle immer wieder fest, wie unterschiedlich Sichtweisen auf ein und dieselbe Angelegenheit sein können, je nachdem, wo man lebt, in welcher Lebenssituation man sich befindet und welches Umfeld einen prägt. Und auch in unseren politischen Diskussionen geht es um Furcht. Auch deutsche Populist:innen suchen sich besonders gern Eltern als Zielgruppe für ihre Horrorszenarien. Ihre Botschaften verfangen immer wieder.

Manche erinnern sich vielleicht noch an die emotional hochkochenden Diskussionen um die Frage, wie im Schulunterricht mit sexueller Vielfalt umgegangen werden soll. Epizentrum der Aufregung vor genau zehn Jahren war eine Reform des Bildungsplans in Baden-Württemberg. Schon damals hat der rechte Rand es geschafft, bis weit in die Mitte hinein zu mobilisieren („Demo für alle“). Und das passiert seither immer wieder:

Wenn vom „Genderwahnsinn“ die Rede ist, behauptet man gern, dies sei vor allem eine Zumutung für unsere Kinder, die sich im Dschungel der Vielfalt gar nicht mehr selbst- und zurechtfinden könnten. Vereinbarkeit von Beruf und Familie und Feminismus im Allgemeinen gehen angeblich zu Lasten der Kinder, denen durch die Berufstätigkeit ihrer Mütter die Hauptbezugsperson genommen wird. In der Migrationskrise wird behauptet, dass das Bildungsniveau unserer Schüler:innen leidet, wenn immer mehr Kinder aus anderen Ländern an die Schulen kommen.

Eltern sorgen sich um ihre Kinder – so viel sollte allen klar sein und wenn es um die Liebe innerhalb einer Familie geht, sind alle Beteiligten manchmal irrational. Wir können zu Löwinnen und Löwen werden, wenn wir das Gefühl haben, unsere wichtigsten Menschen könnten einer existenziellen Bedrohung ausgesetzt sein. Nicht immer funktioniert das Gehirn dann logisch. Genau das ist der Grund, warum Populisten hier Boden gut machen.

Eule-Podcast Q & R mit Daniela Albert

Wie können Kinder und Erwachsene gut miteinander Gottesdienst feiern? Wieviel Medienzeit ist für Kinder angemessen? Was sind Tradwifes – und geraten Familien mit konservativen Werten wirklich ins Hintertreffen? Im „Eule-Podcast Q & R“ vom September 2024 beantwortet Eule-Kolumnistin Daniela Albert Fragen aus der Leser:innen- und Hörer:innenschaft.

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Die Ängstlichen mitnehmen

Doch was können wir dagegen tun? Eins ist klar: Es ist keine Lösung, sich über die Ängste von Menschen lustig zu machen. Das hat noch nie in der Geschichte von Angststeuerung und Populismus irgendetwas genützt. Stattdessen sollten wir die Schnappatmung, die uns gern befällt, wenn wir feststellen, dass jemand in unserem Umfeld für rechte Angstträume anfällig ist, durch tiefes Ein- und Ausatmen ersetzen und einen Raum bereitstellen, in dem genau diese Ängste gehört werden. Und wir sollten uns gut aufstellen, mit Zahlen, Daten und Fakten bewaffnen, um den Horroszenarien einfühlsam, aber klar die Realität entgegenzusetzen.

Gerade in Kirchen und Gemeinden können wir in diesen Tage darauf achten, was für Themen wir setzen wollen. Wir sollten auch darauf achten, wie genau wir uns politisch gegen Rechtsradikalismus positionieren. Dass wir das machen, ist Nächstenliebe, Schöpfungsliebe und Nachfolge, keine Frage. Aber lasst uns schauen, dass wir tatsächlich möglichst viele mitnehmen, auch die, die Angst haben. Auch die, die sich nicht so intensiv mit all den Themen und Diskursen befassen. Meine Erfahrung in New York hat mir gezeigt, dass wir es uns nicht leisten können, sie an die Populisten dieser Welt zu verlieren.

Es kommt auf uns Eltern an!

Wir sollten  auch im Kopf behalten, wie gut das Schüren von Ängsten um die Liebsten in den USA schon seit Jahren funktioniert und wie es im derzeitigen Wahlkampf einen neuen Höhepunkt findet, wenn wir in drei Wochen einmal mehr kopfschüttelnd CNN bingewatchen, in der Hoffnung, dass die Katastrophe ausbleibt. Aber wir sollten uns die Über-Emotionalisierung und Radikalisierung von Familien(-politik) in den USA schon jetzt, und egal wie es ausgeht, eine Warnung sein lassen.

Nichts bringt Menschen so gut gegeneinander auf, wie die Sorge darum, dass „die Anderen“ den eigenen Kindern schaden wollen. Lasst uns miteinander darauf hinarbeiten, dass sich solche Ängste nicht ausbreiten können, dass sie nicht weiter an Boden gewinnen. Sonst müssen wir in ein paar Jahren nicht mehr kopfschüttelnd in die USA schauen. Die Welt wird dann auf uns gucken.


Alle Ausgaben der Familienkolumne „Gotteskind und Satansbraten“ von Daniela Albert in der Eule.


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