EKD-Synode: Gegen den Wind
Die Synode der EKD hat in Beschlüsse gefasst, wie sie sich eine menschenwürdige Flüchtlings- und Migrationspolitik vorstellt. Findet die Kirche für diese Anliegen noch Partner in der Politik?
Nach Friedrich Schleiermacher ist der Gottesdienst „darstellende Mittheilung und mittheilende Darstellung des gemeinsamen christlichen Sinnes“. Gut reformatorisch „verklingt der christliche Gottesdienst nicht an der Kirchentür“, sondern prägt, in seiner doppelten Charakteristik als „Gottes gütige Zuwendung“ gegenüber dem Menschen und als dessen dankbare Antwort im Glauben, das gesamte Leben von Christenmenschen. Der „vernünftige Gottesdienst“ ist damit die „Hingabe der Person für Gott und den Nächsten“: Diakonie und Cultus gehören zusammen, das ganze christliche Dasein ist „gottesdienstliches Dasein“.*
Die diesjährige Tagung der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) stand unter dem Schwerpunktthema „Migration, Flucht und Menschenrechte“. An vier Terminen der verbundenen Tagung der EKD-Synode, der Generalsynode der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands (VELKD) und der Versammlung der Union Evangelischer Kirchen (UEK) wurden die gegenwärtigen politischen und diakonischen Herausforderungen bedacht:
Bereits am Samstagvormittag bearbeitete die VELKD-Generalsynode das Schwerpunktthema. Im Fokus standen internationale lutherische und ökumenische Partnerinnen (wir berichteten). Am Sonntag verteidigte die (damals noch amtierende) EKD-Ratsvorsitzende, Bischöfin Kirsten Fehrs, die humanitäre Orientierung der Kirche in der Migrationspolitik und ausdrücklich das Kirchenasyl in ihrem Bericht vor der Synode (s. hier). Beim „UEK-Treff“ am Montagvormittag gab es einen Vortrag nebst Gruppenarbeit des Siegener Alttestamentlers Thomas Naumann (s. zeitzeichen-Artikel von Reinhard Mawick). Und schließlich widmete sich die EKD-Synode am Dienstag intensiv dem Schwerpunktthema.
Nachvollzug aktueller Migrationsdebatten
Dabei kamen Akteur:innen aus der Flüchtlingshilfe und von Kommunen ebenso zu Wort wie auch die gegenwärtigen Probleme zur Sprache. Über diese „darstellende Mittheilung“ in Form mehrerer Vorträge und einer Podiumsdiskussion berichten Kathrin Jütte bei den zeitzeichen und Konstantin Sacher bei der Chrismon. Auf eine eigene Schilderung verzichte ich auch deshalb an dieser Stelle, weil die öffentliche Befassung am Dienstag – die man auf dem YouTube-Kanal der EKD auch nachschauen kann – in erheblichen Teilen ein vergegenwärtigender Nachvollzug der aktuellen Migrationsdebatten war, die Eule-Leser:innen ja vertraut sind (s. Schwerpunkthema „Flucht & Migration“).
Auch die in beiden Artikeln notierte Vielstimmigkeit der Synode ist keineswegs neu. Erneut fiel es dem EKD-Synodalen und ehemaligen Bundesminister für Gesundheit Hermann Gröhe (CDU, MdB) zu, in – wie üblich – engagierter Rede, konservative Positionen in die Beratung der Synode einzubringen (s. auch Live-Blog von der Tagung 2022), die aber keineswegs nur von ihm geteilt werden. Einen mangelnden Realitätssinn für die Schwierigkeiten bei der Integration von Migrant:innen und bei der Hilfe für Geflüchtete in den Kommunen kann man der Synode nicht unterstellen.
Was aber hat die EKD-Synode nun zum selbstgewählten Schwerpunktthema beschlossen? Fünfeinhalb Beschlüsse der Synode vom Mittwoch enhalten Bitten an den Rat der EKD und weitere EKD-Institutionen für die Weiterarbeit. Weder der Rat noch seine Beauftragten und erst recht nicht die 20 EKD-Gliedkirchen sind Weisungsempfängerinnen der EKD-Synode. Viele der (abermals) in Beschlüsse gefassten Forderungen sind bereits handlungsleitend, werden von der Evangelischen Kirche stets und kräftig bei den Partnerinnen in Staat, Politik, Ökumene und Gesellschaft vorgetragen.
Die Synodenbeschlüsse haben daher eher den Charakter einer demokratischen Rückkopplung des Engagements von EKD und Landeskirchen, als dass sie dieses erst auslösen würden. Gleichwohl können natürlich bisherige Leerstellen adressiert und weitergehende Wünsche formuliert werden. Eine kritische Nachfrage an die Arbeitsweise der EKD bleibt dennoch, ob es tatsächlich immer neue – häufig sehr ähnliche – inhaltliche Synodenbeschlüsse braucht oder nicht stattdessen vielmehr eine deutlich bessere finanzielle Ausstattung jener Arbeitstellen in Kirchenamt und Werken der EKD, die mit der tatsächlichen Arbeit des anwaltschaftlichen Handelns der Kirchen, zum Beispiel auf dem Handlungsfeld Flucht und Migration, befasst sind.
Maß, Mitte und Vernunft
Zu den Forderungen der EKD-Synode zum Themenschwerpunkt „Migration, Flucht und Menschenrechte“ gehören:
- Die Bewahrung und weitere Ermöglichung des Familiennachzugs, insbesondere auch des Geschwisternachzugs bei subsidiärem Schutzstatus, und das Festhalten am Familienasyl.
- Die Rückkehr zur Kirchenasyl-Regelung von 2015, d.h. die direkte Kontaktsuche durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) zu den kirchlichen Ansprechpersonen und eine gründliche Prüfung der Einzelfalldossiers. Diese unterbleibt derzeit fast vollständig, wie Benedikt Kern im Eule-Interview erläutert.
- Keine Auslagerung von Asylverfahren in „sog. sichere Drittstaaten“ nach dem „Ruanda“- oder „Albanien-Modell“, wie es von der konservativen britischen Regierung 2023/2024 erprobt wurde und von Italien derzeit angestrebt wird (obwohl – auch noch während der Synodentagung – ein italienisches Gericht dieses Verfahren erneut untersagt hat).
- Die Forsetzung des Bundesaufnahmeprogramms (BAP) Afghanistan, bis wenigstens alle Menschen, denen Deutschland bereits eine Zusage für eine Aufnahme gegeben hat, sicher angekommen sind. Zugleich soll das BAP als gutes Vorbild für weitere „sichere Zugangswege und Resettlementprogramme“ dienen (s. Ortskräftekongresse der Evangelischen Akademie zu Berlin).
- Die finanzielle Stärkung der Kommunen, insbesondere bei der Flüchtlingsberatung und den Integrationshilfen in den Arbeitsmarkt.
- Kritisiert wird, die bisherige Bundesregierung habe die Spielräume bei der Gestaltung des neuen Europäischen Asylsystems GEAS für eine sehr restriktive Gangart ausgereizt. Das Grundrechtemonitoring in Grenz- und Screeningverfahren soll nach dem Wunsch der EKD-Synode vom Deutschen Institut für Menschenrechte oder der Nationalen Stelle zur Verhütung von Folter durchgeführt werden. Über sichere Dritt- und Herkunftsländer soll der Deutsche Bundestag entscheiden und nicht die EU oder die Bundesregierung. Es solle keine Grenzverfahren an den EU-Binnengrenzen geben und keine Haft bei der Stellung eines Asylantrags. Der Zugang von Asylverfahrensberatung, Rechtsanwälten und NGOs zu den Unterbringungen muss gewährleistet werden.
- Humanitärer Einsatz für Geflüchtete dürfe nicht kriminalisiert werden, legale und sichere Wege für Migrant:innen und Geflüchtete in die EU sollen geschaffen werden, es dürfe keine „Return-Hubs“ geben, und das unabhängige Abschiebemonitoring sowie die „freiwillige Rückkehr“ von Geflüchteten sollen gefördert werden.
- Leistungseinschränkungen für Geflüchtete sollen auch wieder zurückgenommen werden, wenn sich die Betroffenen wieder regelkonform verhalten. Von der Meldepflicht für Ausländer ohne Aufenthaltstitel sollen für Schulen, Bildungseinrichtungen und Krankenhäuser Ausnahmen möglich werden.
- Die EKD-Synode bittet außerdem darum, die Evangelische Kirche möge sich bei der Bundesregierung und EU-Kommission dafür einsetzen, Vertragsverletzngsverfahren gegen EU-Mitgliedsstaaten zu eröffnen, „wenn [sie] sich weigern, EU-Recht menschenrechtskonform anzuwenden“.
- Schlussendlich bittet die Synode darum, die politische „Debatte um notwendige innere Sicherheit nicht mit den Themen Flucht und Migration zu vermischen“ und Landeskirchen und Gemeinden darum, interkulturelle Formate zu fördern.
Insgesamt geht es der Synode also um ein Festhalten an einer menschenrechtsbasierten und an humanitären Gesichtspunkten orientierten Migrationspolitik. Deshalb zähle ich an dieser Stelle auch die Forderung nach einem Festhalten an und Ausbau der Entwicklungszusammenarbeit Deutschlands (eben halb) dazu, die ebenfalls von der Synode beschlossen wurde. Gerade jetzt, da die Mittel für Entwicklungszusammenarbeit von der bisherigen Bundesregierung radikal gekürzt wurden und die USA unter Präsident Donald Trump eine radikale Streichung angekündigt haben. Irgendwie muss man ja den tatsächlichen Fluchtursachen Herr werden.
Der Elefant im Raum
Was die Kirchen zu Flucht und Migration meinen, das hat sich in den vergangenen Jahren nicht geändert. Es steht zum Beispiel in „Migration menschenwürdig gestalten“ (PDF), dem „Gemeinsamen Wort der Deutschen Bischofskonferenz und des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland in Zusammenarbeit mit der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen in Deutschland“ von 2021 (wir berichteten). Vielleicht habe ich es überhört, aber dieser Meilenstein spielte auf der Synodentagung, die doch auch so dringend ökumenisch sein wollte, keine Rolle. Das Dokument ist ja nun auch schon drei Jahre alt. Zeit genug, um noch einmal neu zu formulieren?
In seiner theologischen Reaktion (YouTube) auf den Impulsvortrag von Petra Bendel erklärte der Kulturbeauftragte des Rates der EKD, Johann Hinrich Claussen, heutzutage treffe das kirchliche „Engagement für eine menschenwürdige Gestaltung von Migration auf scharfen Gegenwind“. Auch das stimmt und rechtfertigt sicher, dass die EKD das Thema in Form einer „mittheilenden Darstellung“ auf einer der ihr noch verbliebenen öffentlichen Bühnen inszeniert. Ob dazu zwingend die kräftezehrende, pseudo-parlamentarische Fabrikation von Beschlüssen ohne bindende Kraft und im inhaltlichen Nachvollzug zu bereits bestehendem kirchlichen Engagement gehört, bedürfte dringend einer Klärung.
Die Präses der Synode, Anna-Nicole Heinrich, erklärte, man wisse wohl, dass beim Generationenthema Flucht und Migration „der Wind eindeutig von vorn kommt“. Das bedeute aber nicht, dass man „die Segel eindrehen“ werde. Ein selbstgewisses Festhalten an diesen Überzeugungen – siehe Claussen – wird auch dann nicht weniger richtig oder wichtig, wenn man als Ursache des Gegenwinds nicht allein oder vornehmlich den Rechtsruck, sondern auch (wenigstens in Teilen) die Eskalation von Migrationsdynamiken benennt, so wie es Hermann Gröhe erneut getan hat. Vielmehr stellen sich im Blick auf die Rückschritte auf dem Feld der Friedenswahrung und internationalen Entwicklungszusammenarbeit dann erst recht kritische Fragen: Wie sollen Krieg und Elend als Triebfedern von Flucht und Migration ein Ende finden?
Als Elefant im Raum bei all diesen gut christlichen Debatten stand immer wieder Friedrich Merz, der Kanzlerkandidat der Union (wir berichteten). Denn sowohl bei der Migrationspolitik als auch bei der Unterstützung der Entwicklungszusammenarbeit ist die Merz-Union als Partnerin der Kirchen ein Totalausfall. Das gilt nicht für alle CDU-Politiker:innen, wie auf der Synodentagung der Würzburger Oberbürgermeister Christian Schuchardt und die Landrätin Sabine Sitter bewiesen. Aber im Bund weht ein anderer Wind. Wie sich die Kirchen für den wahrscheinlichen Regierungswechsel in Berlin wappnen, kann man im aktuellen Eule-Interview mit Anne Gidion, der EKD-Bevollmächtigten bei der Bundesrepublik Deutschland und EU, nachlesen. Wie gut, dass evangelischen Kirchenleuten ein Faible für Multifunktionsjacken nachgesagt wird.
Vom 8. bis 13. November berichtet Eule-Redakteur Philipp Greifenstein wieder von der Tagung der EKD-Synode. Alle Eule-Beiträge zur EKD-Synode 2024 in Würzburg finden sich hier.
Randbemerkung zur Arbeitsweise der Synode
Eine Randbemerkung, die gerne überlesen kann, wer die Hoffnung auf effiziente Synodenarbeit eh aufgegeben hat: Die Anträge wurden in den Ausschüssen Kirche, Gesellschaft und Bewahrung der Schöpfung (KGBS) und Ökumene, Mission und Europa (ÖME) häufig mit wechselseitiger Mitberatung und Mitberatung durch andere Ausschüsse bearbeitet. Sie enthalten auch Doppelungen und lassen danach fragen, ob die Synode der an anderer Stelle von ihr erhobenen Forderung nach Effizienzsteigerungen und der Hebung von Synergien bei der kirchlichen Arbeit in der eigenen Arbeit entspricht.
Eine Aufteilung wichtiger Anliegen in verschiedene Anträge, wie auf dieser Synodentagung erneut geschehen, ergäbe dann Sinn, wenn kontroverse Inhalte einem einhelligen Votum der Synode gegebenenfalls im Wege stünden und dadurch einer getrennten Abstimmung zugeführt würden. Alle Anträge zum Schwerpunktthema wurden jedoch bei nur extrem wenigen Enthaltungen und Nein-Stimmen angenommen. Warum wurden sie also nicht zusammengeführt und Redundanzen bereinigt? Steht sich die Synode selbst im Weg? Steht auf der dichten, jährlichen Präsenztagung womoglich nicht ausreichend Zeit für eine angemessene Befassung mit Anträgen zur Verfügung? Der Ausschuss KGBS, dem rund 50 Synodale angehören, jedenfalls wurde der Eule gegenüber von mehreren Mitgliedern als „eigentlich arbeitsunfähig“ beschrieben.
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* zitiert aus: Der Gottesdienst. Eine Orientierungshilfe zu Verständnis und Praxis des Gottesdienstes in der evangelischen Kirche, im Auftrag des Rates der EKD, 2009, PDF
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