„Der Globale Süden hat die Führungsrolle“
VertreterInnen von „Christians for Future“ haben an der „Raising Hope for Climate Justice“-Konferenz mit Papst Leo XIV. teilgenommen. Wie können sich Christ:innen und Kirchen für Klimagerechtigkeit einsetzen?
Eule: Mit „Raising Hope“ war die Konferenz im Vatikan überschrieben, an der Sie Anfang des Monats teilgenommen haben. Wachsende Hoffnung statt ansteigender Meeresspiegel – hat Ihre Hoffnung zugenommen?
Miriam Strake: Der Titel der Konferenz lässt sich ganz gut mit „die Hoffnung aufrichten“ übersetzen. Hoffnung ist für mich stark damit verbunden, gemeinsam mit anderen ins Handeln zu kommen. Das ist auf der „Raising Hope“-Konferenz definitiv geschehen. Wichtig war für mich vor allem der Austausch mit Akteur*innen aus vielen Ländern. Es macht Mut zu sehen, was an vielen Orten der Welt unternommen wird. Ausgerichtet wurde die Konferenz von der „Laudato si‘“-Bewegung, die sich im Anschluss an die gleichnamige Enzyklika von Papst Franziskus von 2015 entwickelt hat.
Georg Sauerwein: Wir kennen es ja aus den Reformdebatten der Kirche in Deutschland, dass Gegner von Reformen immer wieder auf die Weltkirche verweisen. Bei der Konferenz haben wir diese Weltkirche aber wirklich kennenlernen können, also die Menschen aus sehr unterschiedlichen Weltregionen mit ihren Sorgen und Ängsten. Es ist der Globale Süden, der im Moment die Führungsrolle hat – und Hoffnung stiftet.
Eule: Um welche Themen geht es dabei?
Sauerwein: Vor allem denke ich da an den Fossil Fuel Non-Proliferation Treaty, der die Entwicklungen rund um die Weltklimakonferenzen (COPs) ergänzen soll, und an die Forderung nach einer Schuldenstreichung für Länder, die heute schon von der Klimakrise unmittelbar und schwerwiegend betroffen sind. Es wird entscheidend sein, sich mit diesen Akteur*innen stärker zu vernetzen. Wenn Menschen, die heute unter der Klimakrise leiden, trotz vieler Hindernisse weiterkämpfen, dann sehe ich für mich gar keine Möglichkeit, die Hoffnung aufzugeben.
Strake: Ich hatte auf der Konferenz Gelegenheit für ein Gespräch mit einem Aktivisten von den pazifischen Inseln. Er sagte sinngemäß: „Wir haben gar keine Wahl: Entweder wir kämpfen oder unsere Inseln versinken im Meer.“
Eule: Vernetzung ist sicher wichtig, auf Weltklima- oder eben Graswurzelkonferenzen. Aber was kommt dabei wirklich rum?
Strake: Im Frühjahr 2026 soll zum Beispiel der erwähnte Fossil Fuel Non-Proliferation Treaty, also ein Vertrag zur Nicht-Weiterverbreitung fossiler Rohstoffe, druckreif werden. Dann können sich viele weitere Länder diesem Anliegen anschließen. Die Führungsrolle des Globalen Südens bemerkt man übrigens auch daran, dass bisher vor allem Länder von dort unter den Unterstützern des Vertragsprozesses sind.
Eule: Nicht-Weiterverbreitung, Non-Profileration, da denke ich an Atomwaffen.
Sauerwein: Genau, von diesen Kontroll- und Abrüstungsprozessen ist der Vertragsprozess inspiriert. Es geht darum, eine Lücke der Weltklimakonferenzen (COPs) zu schließen, in deren Abkommen fossile Rohstoffe kaum vorkommen. Der Fossil Fuel Non-Proliferation Treaty fußt auf drei Säulen: Einer Verpflichtung der unterzeichnenden Länder, selbst keine fossile Infrastruktur zu bauen, einem gerechten Abschied von fossiler Energie (fair phase-out) und einem Wechsel zu nicht-fossiler Energie (just transition). Der gesamte Prozess fokussiert sich sehr eng auf die Frage der fossilen Rohstoffe als dem entscheidenden Problem der Klimakrise.
Eule: Hierzulande sollen ja im großen Stil neue Gaskraftwerke gebaut werden, die Erdgas verbrennen. Wird sich Deutschland denn dem Vertrag anschließen?
Sauerwein: Im Moment sieht es nicht danach aus. Es gibt aber sehr wohl große Länder mit entsprechender Industrie, die sich bereits zum Vertrag bekennen, zum Beispiel Pakistan. Dabei ist aber anzumerken, dass der Fossil Fuel Non-Proliferation Treaty nur neue Förderinfrastruktur verbietet, nicht neue Kraftwerke. Das wäre in Deutschland einfach umzusetzen. Auch wir in Europa und Deutschland spüren bereits die Folgen der Klimakrise, vor allem marginalisierte Menschen in unseren Gesellschaften. Die Weiternutzung fossiler Energiequellen schadet auch uns massiv, nicht nur den Menschen auf den pazifischen Inseln. Ein zügiger Ausstieg ergibt auch als Industriestrategie Sinn, wenn wir uns zum Beispiel China anschauen. Das haben Deutschland und Europa ziemlich verschlafen bzw. werden überholt.
Die Gas-Pläne der Bundesregierung sind obendrein ein geo-strategischer Fehler. Wir machen uns mit einer Weiternutzung von Erdgas von sehr problematischen Ländern weiterhin abhängig, sei es Russland, seien es die USA oder die Golf-Emirate. Die Pläne der Bundesregierung gehen auch weit über eine Netzreserve hinaus. Im Moment betreibt die Wirtschaftsministerin eine Rückkehr zum fossilen Wachstum. Das sind Fehlinvestitionen, die aus systemischer Trägheit heraus und wegen massiven Lobbyismus geschehen. Und die uns alle viel Geld kosten werden. Das passiert, wenn man eine Gas-Lobbyistin wie Katherina Reiche (CDU) zur Ministerin macht.
Eule: Die zweite große Initiative, die Sie angesprochen hatten, betrifft Schuldenstreichungen für den Globalen Süden. Schuldenschnitte für Entwicklungsländer gehören seit langem zum Forderungskatalog christlicher Eine-Welt-Gruppen und der Entwicklungszusammenarbeit. Was hat das überhaupt mit dem Klima zu tun?
Strake: Der offensichtlichste Zusammenhang sind natürlich die Kosten der Anpassung an die Klimakrise. Ein hochverschuldeter Staat kann sich die notwendigen Schutzmaßnahmen schlicht nicht leisten, von der ebenfalls dringend gebotenen Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft einmal ganz abgesehen.
Ein Zusammenhang, der vielleicht vielen Menschen nicht so unmittelbar vor Augen steht, ist der Umstand, dass viele diese Länder noch über Rohstoffe verfügen, die gefördert werden müssen, um Schuldendienst zu leisten. Hochverschuldete Länder sind dazu gezwungen, die Weltmärkte zu bedienen, um vor allem an US-Dollar heranzukommen, der dafür notwendig ist. Selbst einige Kredite des Internationalen Währungsfonds oder der Weltbank sind daran gekoppelt, dass neue Fördergebiete für fossile Rohstoffe erschlossen werden. Es ist unglaublich zynisch, Länder, die heute schon unter der Klimakrise leiden, dazu zu zwingen, auf diese Weise an ihrem eigenen Untergang mitzuarbeiten.
Eule: Verbraucht werden die Rohstoffe dann aber in den reichen Industrieländern, auch in Deutschland.
Strake: Richtig, pro Kopf stoßen wir in Deutschland doppelt so viel CO2 aus wie der*die durchschnittliche Weltbürger*in. Bei der „Raising Hope“-Konferenz hat Kardinal Jaime Spengler, Erzbischof von Porto Alegre und Präsident der brasilianischen Bischofskonferenz, in seiner Rede auch deutlich angesprochen, dass der Globale Norden eine „ökologische Schuld“ gegenüber dem Globalen Süden hat. Deshalb ist das Thema Schuldenstreichung ein wichtiger Teil des Kampfes für Klimagerechtigkeit. Spengler fordert, Klimaschutzfinanzierung dürfe auf keinen Fall durch neue Kredite erfolgen. Es geht also auch darum, weitere Verschuldung zu verhindern.
Schuldenstreichungen spielen in christlichen Initiativen immer wieder eine Rolle, weil sie als Mittel für die Herstellung von Gerechtigkeit schon in der Bibel vorkommen. In diesem Jahr hat die Katholische Kirche ein Heiliges Jahr. Damit ist die Idee einer Entschuldung schon immer stark verbunden. Natürlich gibt es auch eine kolonialgeschichtliche Komponente bei diesem Thema, die man nicht außer Acht lassen sollte: Es geht am Ende nicht nur um die Klimakrise, sondern um weitere ökologische und ökonomische Fragen. Die Länder des Globalen Nordens haben ihren Reichtum der Ausbeutung des Globalen Südens zu verdanken. Erst haben sie Gold, Silber und andere Reichtümer abgeführt und dann die fossilen Rohstoffe extrahiert. Diese Mechanismen wirken bis heute weiter. Expert*innen sprechen daher von Neo-Extraktivismus.
Eule: Christians for Future kritisiert derzeit vor allem die römisch-katholischen (Erz-)Bistümer in Deutschland, weil deren Klimaziele zu wenig ambitioniert sind. Was sollten die Kirchen tun?
Sauerwein: In der Tat ist die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) mit ihren Klimazielen, die jetzt zu Klimaschutzgesetzen in den einzelnen Landeskirchen werden, da ein Stück voraus. Diese Gesetze haben eine hohe rechtliche Verbindlichkeit. Natürlich wird dieser Prozess durch heftige Diskussionen über die Kosten begleitet. Das ist aber auch verständlich, wenn es an die Umsetzung geht. Wichtig wird sein, einer Aufweichung der Regeln entgegenzuwirken.
Deutlich kritischer sehen wir im Moment die Katholische Kirche. Die Deutsche Bischofskonferenz hat es bisher nicht geschafft, für die Kirche in Deutschland einheitliche Klimaziele zu setzen. Wenn man sich die einzelnen (Erz-)Bistümer anschaut, wie sie in den zehn Jahren seit Erscheinen von „Laudato si‘“ agieren, sieht man große Unterschiede: Köln, Freiburg, Hildesheim und Augsburg zum Beispiel haben gute, ambitionierte Ziele formuliert.
In der Fläche sehen wir aber eine Mehrzahl der (Erz-)Bistümer, die immer noch überhaupt keine Klimaziele festgelegt oder sich sehr lasche Vorgaben gegeben haben. Unsere Ortsgruppe in Münster hat gerade sehr intensiv und detailliert zum Konzept des dortigen Bistums gearbeitet, das erst bis zum Jahr 2045 klimaneutral sein will. Das ist die Vorgabe, die sich die gesamte Bundesrepublik gegeben hat. Und das Konzept des Bistums nimmt zum Beispiel die Schulen noch von dieser Zielvorgabe aus.
Eule: In den Kirchen ist die vordringlichste Frage diejenige nach den Gebäuden, also vor allem nach dem Heizen.
Sauerwein: Ja, das stimmt. Im Vergleich dazu fallen andere Felder wie Ernährung und Verkehr nicht so sehr ins Gewicht, auch wenn es bei der Verwendung von Flügen für Pilgerreisen nach Rom deutlichen Verbesserungsbedarf gibt, wie wir kürzlich kritisiert haben. Es ist nun mal leider so, dass viele Gebäude der Kirchen, natürlich vor allem die Kirchgebäude selbst, ziemlich alt sind und auch die Heizungsanlagen nicht alle oder nur sehr kostspielig umgerüstet werden können.
Eule: Die Klimabilanz der Kirchen wird in den kommenden Jahren durch die Aufgabe zahlreicher Gebäude günstiger ausfallen. In der Evangelischen Kirche wird mit bis zu 50 % Rückgang bei den Liegenschaften gerechnet. Die größeren Landeskirchen haben sich schon auf den Weg gemacht und die Problematik ist bei jeder Bauangelegenheit im Blick.
Sauerwein: Die Kirchen, das betrifft Landeskirchen wie Bistümer gleichermaßen, müssen auf diesem Weg natürlich die Gemeinden vor Ort mitnehmen. Das bedeutet, sie brauchen Fachpersonal, das diese Prozesse vor Ort gestalten hilft, denn auch der Gebäudebestand, der bleibt, muss umgerüstet werden. Es genügt sicher nicht, wie es bisher vor allem gemacht wurde, durch Fördermittel zu steuern, was gebaut werden soll oder nicht.
Eule: Einen Vorteil hat die katholische Kirche gegenüber der evangelischen ganz sicher, nämlich mit Papst Leo XIV. einen Klimaschützer auf dem obersten Posten. Ist Papst Leo der Klimaschützer-Papst?
Strake: Seit seinem Amtsantritt im Frühjahr hatte Leo noch nicht genügend Zeit, sich in Richtung Klimaschutz wirklich zu profilieren. Der Ehrentitel „Klimaschützer-Papst“ steht also aktuell noch Franziskus zu. Aber der Papst hat in seiner Ansprache auf der „Raising Hope“-Konferenz deutlich gemacht, dass er gedenkt, dieses Erbe seines Vorgängers fortzuführen. Er hat erklärt, die Botschaft von „Laudato si‘“ sei heute noch drängender als vor 10 Jahren, als die Enzyklika von Papst Franziskus veröffentlicht wurde.
Viele der Anliegen, die Leo in den vergangenen Wochen ins Zentrum gerückt hat, gehören unbedingt dazu, wenn wir von Klimagerechtigkeit sprechen: Die Bekämpfung der Armut, das Eintreten für eine gerechte Weltwirtschaft und die Kritik an den Folgen der „Künstlichen Intelligenz“. Auf der Konferenz habe ich aber auch gespürt, wie sich die Anliegen von „Laudato si‘“ nun von den jeweiligen Päpsten emanzipieren und zu Themen der ganzen Kirche und der Welt werden. Die notwendige Arbeit wird schon an vielen Orten von vielen Menschen geleistet. Ich glaube, das wäre auch unter einem anderen Papst nicht wieder weggegangen.
Sauerwein: Für die Kirchen insgesamt bedeutet Engagement in der Klimakrise nicht nur, die eigenen Klimaziele zu erreichen, sondern die Stimmen von besonders von der Klimakrise betroffenen Menschen und Gemeinschaften zu verstärken – sei es aus dem Globalen Süden oder in Deutschland. Da stehen mit Entschuldung und Non-Proliferation auch politische Fragen auf der Tagesordnung, die der Fürsprache durch die Kirchen bedürfen. Mir ist wichtig, dass wir damit nicht auf die Bischöfe warten, sondern als Christ*innen selbst ins Handeln kommen. Das tun wir als Christians for Future und mit dem neu gegründeten Verein Christliche Initiative Klimagerechtigkeit.
Mehr:
- Alle Eule-Beiträge zum Themenschwerpunkt „Klimakrise“.
- Alle Eule-Beiträge zu den Entwicklungen im Anschluss an die Enzyklika „Laudato si'“.
- Alle Eule-Artikel von Georg Sauerwein. Im September 2023 war Georg Sauerwein außerdem im „Eule-Podcast“ zu Gast.
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