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Mit Ernst, Menschenskinder! – Die #LaTdH vom 28. April

Relevanzvakanzschmerzen der Kirche, diskutiert anhand eines mindestens missverständlichen Meinungsbeitrags. Außerdem: 1 braun-roter Antisemit aus Thüringen & Bomben.

Debatte

Das Ernsthaftigkeitsdefizit – Benjamin Hasselhorn (Der Tagesspiegel)

Benjamin Hasselhorn (@b_hasselhorn) schreibt sich im Tagesspiegel den Frust über die evangelische Kirche von der Seele. Hasselhorn hat in den vergangenen Jahren vor allem zur Reformation gearbeitet (s. Interview und Podcast in der Eule von Dezember). Nun wehrt er sich gegen die Infantilisierung der Kirche und fordert von den Christ*innen, dass sie sich und ihren Glauben wieder ernst zu nehmen.

In der Bergpredigt fragt Jesus rhetorisch: „Oder ist ein Mensch unter euch, der seinem Sohn, wenn er ihn bittet um Brot, einen Stein biete?“ […] Allzu oft hatte ich den Eindruck, dass ich meine Lehrer, Erzieher, Pfarrer um Brot bat und stattdessen Steine bekam. Es gibt durchaus Heranwachsende, die mit lauter ernsthaften Fragen in den Konfirmandenunterricht kommen. Wenn die nicht beantwortet werden, sondern das Programm stattdessen im Wesentlichen aus Kekse backen, Mandalas ausmalen und Beatles-Lieder singen besteht und das höchste der religiösen Gefühle Stuhlkreis und „Herr deine Liebe“ zur Gitarre ist, dann hat man Steine bekommen, wo man Brot gebraucht hätte. […] Ich halte eine grassierende Unernsthaftigkeit für ein Kernproblem der Kirche.

Hasselhorns Artikel wurde die Woche über intensiv diskutiert, Fragen der (Außen-)Darstellung der Kirche vor allem. Und es setzte geharnischte Kritik, wie in diesem Twitter-Thread von Sebastian Kuehl (@KuehlSeb). Wie üblich fühlten sich einige auch auf den Schlips getreten von Hasselhorns Milieuschilderungen.

Weil wir dank Hasselhorn gerade so lustig mit Jordan Peterson am Psychologisieren sind, empfehle ich folgenden Umgang mit Dingen, die ernst genommen werden sollen: Alles was das eigene Ego betrifft (auch das der Kirche), kann durch Unernsthaftigkeit, Spott und Schmunzeln relativiert werden. Sonst wird das irgendwann krankhaft. Was das Evangelium angeht, so soll man es nicht einfach ernst, sondern sehr ernst nehmen: heulen, zürnen, kämpfen inklusive. Für stumpfe Ernsthaftigkeit bleibt da nichts mehr über. In Kirchenbänken naserümpfend die Umwelt betrachten – dafür hat’s die Kirche nie gebraucht.

„Eine Kirche, die ihre Stimme nicht für Gerechtigkeit erhebt, hat ihre Relevanz in der Welt verloren.“ (Martin Luther King)

Mythos Tabubrecher – Hella Dietz (ZEITonline, 10 nach 8)

Hasselhorn zieht als Beispiel für seine neue Ernsthaftigkeit ausgerechnet Jordan Peterson heran, dessen Orthodoxie zahlreich bestritten wird. Zugleich gibt es immer wieder auch Fanboys in Kirchengewändern. Ist Peterson ein geldgeiler (Selbst-)Marketingexperte, der sich ohne Tiefenkenntnisse Themen widmet, die grad im Weg rumstehen? Muss man den ernst nehmen? Wenn schon, dann sicher auch seine latente Verachtung von Frauen, LGBTQ und Linken.

Sie kennen Jordan Peterson (noch) nicht? Bevor Sie durch die Weiten des Netzes ziehen, sich YouTube-Diskussionen und Presseartikel reinziehen, lesen Sie diesen Artikel von Hella Dietz aus der Reihe „10 nach 8“ bei ZEITonline – und vielleicht werden Sie weder zum Fanboy des Kanadiers, noch zu eine*r wutschäumenden Kritiker*in.

Müssen wir glauben, Petra Bahr? – Sternstunde Philosophie (SRF Kultur, YouTube)

Kommen wir zurück zur sicher spannendsten Frage, die im Anschluss an Hasselhorns Text formuliert werden kann: Den Blogtitel von Sebastian Baer-Henney (@luthersoehnchen) aufnehmend kann man das ganze Relevanzvakanz nennen. Menschen glauben heute nicht weniger, nur anders und weniger kirchengebunden. Es stellt sich die Frage nach der Relevanz kirchlichen Handelns.

Damit korrespondiert die Frage, die Petra Bahr (@bellabahr) in der Sendung Sternstunde Philosophie gestellt war. Eine sehr hörens- bzw. sehenswerte Sendung, in der nahezu alle Fragen der Diskussion an der ein oder anderen Stelle auftauchen, ganz ohne Peterson. Was Bahr zu sagen hat, trifft wohl auf Hasselhorn selbst wie auf seine Kritiker*innen zu:

„Menschen wollen, dass etwas genauso ist, wie sie es gerne hätten. Deswegen wollen sie eigentlich, dass die Kirche ihren religiösen Geschmack, ihre Fragen, ihren Stil, ihre Art zu feiern genau wiedergibt. Nun ist aber die Kirche ja ein Ort, der ganz viele Menschen versammelt – mit sehr unterschiedlichen Hintergründen, Biographien, auch Bildungsbiographien, auch Verletzungen, auch Fragen. Und lange war das so, dass die Anwältin dann eben neben dem LKW-Fahrer saß. Mittlerweile sind wir in Großstädten so segmentiert in unserer Lebensform, unseren Stadtteilen, unseren Geschmäckern, dass das auch für die Kirche gilt.“

Deswegen müsse in der Kirche beides geübt werden: Übersetzung der alten Glaubensgeschichten und zugleich Achtsamkeit dafür, dass die Kirche nicht zu einem weiteren personalisierten Event-Ort wird.

In diesem Sinne sei das Tagesspiegel-Osterinterview mit Pfarrer Alexander Höner empfohlen, der fordert „Gottesdienste müssen langweilig sein“ und sich zum Stempeln ins Pfarramt setzt, wenn er sich wieder einmal wünscht „nicht so religiös zu sein“.

Der Pharisäer und der Zöllner (Lukas 18, 9-14)

Er sagte aber zu einigen, die überzeugt waren, fromm und gerecht zu sein, und verachteten die andern, dies Gleichnis: Es gingen zwei Menschen hinauf in den Tempel, um zu beten, der eine ein Pharisäer, der andere ein Zöllner. Der Pharisäer stand und betete bei sich selbst so: Ich danke dir, Gott, dass ich nicht bin wie die andern Leute, Räuber, Ungerechte, Ehebrecher, oder auch wie dieser Zöllner. Ich faste zweimal in der Woche und gebe den Zehnten von allem, was ich einnehme. Der Zöllner aber stand ferne, wollte auch die Augen nicht aufheben zum Himmel, sondern schlug an seine Brust und sprach: Gott, sei mir Sünder gnädig! Ich sage euch: Dieser ging gerechtfertigt hinab in sein Haus, nicht jener. Denn wer sich selbst erhöht, der wird erniedrigt werden; und wer sich selbst erniedrigt, der wird erhöht werden.

nachgefasst

Online kennenlernen – in echt treffen – Barcamp Kirche in Berlin – Theresa Brückner (theresaliebt, YouTube)

Die Influencer-Pfarrerin der EKBO, Theresa Brückner (@theresaliebt, Instagram), teilt ihre Eindrücke vom Barcamp Kirche online in Berlin (s. #LaTdH vom 14. April) in einer neuen Ausgabe ihres YouTube-Vlogs. Neben einigen bewegten und bewegenden Bildern vom Barcamp spricht sie mit Ingo Dachwitz (@roofjoke), der sagt:

„Mir gefällt gut an diesem und den anderen kirchlichen Barcamps, dass sehr viele Praktikerinnen und Praktiker zusammenkommen. Und die Leute, die tatsächlich Digitalisierung in der Kirche leben und gestalten, sich hier austauschen, zusammenarbeiten können – eigentlich in der besten Tradition sowohl des Netzes als auch der evangelischen Kirche – nämlich dem Priestertum aller Gläubigen – gemeinsam zusammenarbeiten.

Europäische Richtertheologie – Hans Michael Heinig (Einspruch, FAZ)

Im Jurisprudenz-Blättchen der FAZ („Alles was Recht ist“) schreibt der Kirchenrechtler der Stunde, Hans Michael Heinig (@hmheinig), über die „Säkularität des Rechts“. Auslöser sind das EuGH-Urteil zum kirchlichen Arbeitsrecht und die Verfassungsbeschwerde der Diakonie (s. „Diakonie zieht vor das Bundesverfassungsgericht“ vom 19. März). Was Heinig hier vorträgt, kann man getrost als Begründung der Beschwerde lesen.

Am Ende droht so eine eigenwillige Form von Richtertheologie in einem vermeintlich ganz säkularen Gewande: Theologische Eigenarten der Kirchen der Reformation bleiben in der jüngsten Rechtsprechung jedenfalls unberücksichtigt. Nur das Verkündigungsamt und die ethosbestimmende Hierarchie (Leitung) werden zu legitimen Anknüpfungspunkten geforderter Religionszugehörigkeit. Solche Merkmale mögen (mit Abstrichen) zur römisch-katholischen Kirche passen, sind in dieser einsinnigen Form aber der protestantischen Lehre von der Kirche, ihrem Wesen und Auftrag fremd.

Buntes

Der Theologe des Judenhasses und seine Nachkriegskarriere – Wolfram Nagel (MDR)

Vor 80 Jahren gründeten 11 evangelische Kirchen das sog. Entjudungsinstitut in Eisenach. Aus diesem Grund wird in diesem Jahr an Geschichte und Nachwirkung des Instituts mit einer Ausstellung und Veranstaltungen erinnert. Für den MDR hat Wolfram Nagel die Geschichte des sicher prominentesten Mitarbeiters des Instituts aufgeschrieben: Walter Grundmann (s. #LaTdH vom 15. Juli 2018).

Bei seiner Nachkriegskarriere habe ihm auch geholfen, sich als Opfer darzustellen, so Arnold. Grundmann und auch andere ehemalige „Deutsche Christen“ behaupteten, dass sie die Kirche vor dem völkischen Geist der Nazis hätten schützen wollten. […] Vor seiner Emeritierung 1975 verlieh ihm die Thüringer Kirchenleitung den Titel Kirchenrat, was zu einer erhöhten Pension führte. Dass er sich der Stasi andiente und sogar Berichte über Kirchenkollegen in Ost und West verfasste, wundert den pensionierten Pfarrer Hanno Schmidt nicht. „Nach dem Motto, die SED der große Freund der kleinen Nazis. Dass man auf diese Weise eine Entnazifizierung macht, indem man sich bei den neuen Machthabern anbietet. Ist ihm ja auch gelungen.“

Was passiert, wenn ein Linker und ein Rechter zusammen Bomben bauen – Matern Boeselager (VICE)

Bleiben wir in Thüringen: Ich bin mir sicher, wenn Sie nicht gerade aus dem grünen Herzen Deutschlands stammen oder regelmäßig die rechtsextreme Szene in Ostdeutschland beobachten, dann haben Sie von dieser Wahnsinnsgeschichte noch nicht gehört.

Oder aber, Sie gehören zu den vielen Menschen, die durch selektive Berichterstattung und das Geschrei von konservativen und rechtsextremen Politikern beeinflusst der Überzeugung sind, dass es dort ein Problem mit bombenlegenden Linksextremisten gibt. Matern Boeselager (@m_boeselager) schreibt bei VICE über eine irre Geschichte, die viel über die Lage in Deutschland erzählt:

Am 13. März 2018 fand die Thüringer Polizei bei der Durchsuchung von vier Objekten im Landkreis Saalfeld-Rudolstadt Chemikalien, aus denen man insgesamt 100 Kilo Sprengstoff hätte herstellen können. Weil einer der beiden Tatverdächtigen in einem linken Bündnis aktiv war, löste der Fund in kürzester Zeit eine heftige Debatte um linksextremen Terror aus. Das hier ist die Geschichte, die dahintersteckt.

Predigt

Bombe – Die Prinzen (YouTube)

Mein Kommentar zur Diskussion ums Heulen (s. #LaTdH vom 21. April): Ein Lied der Prinzen von 1992. So viel hat sich leider nicht getan:

Bild: Screenshot YouTube

Schmierst du an die Wand, eine hohle Naziparole, dann möchte ich …

Wenn du einen „Kanacke“ nennst, weil du seine Sprache nicht kennst, dann möchte ich …

Willst du allen in die Fresse hau’n und bist im Kopf schon ganz braun, dann möchte ich …

Wenn du dir den Schädel rasierst und im Gleichschritt marschierst, dann möchte ich …

Dann möchte ich ’ne Bombe sein.

Ein guter Satz

Nachtrag, 28. April, 10:00 Uhr

Jana bleibt

Auf seiner Sitzung am 26. & 27. April hat der Rat der EKD beschlossen, dass der YouTube-Kanal „Jana glaubt“ (s. hier & hier in der Eule) fortgeführt werden soll. Doch soll Jana in Zukunft nicht alleine für die EKD auf YouTube tätig sein, berichtet Ratsmitglied Michael Diener auf Facebook:

Zudem soll das GEP [Gemeinschaftswerk der Evangelischen Publizistik, Anm. d. Red.] ein Konzept entwickeln, wie die YouTube-Präsenz ab dem Jahr 2020 inhaltlich und personell verbreitert werden kann. Ein entsprechendes Konzept soll dem Rat der EKD in der zweiten Jahreshälfte zur Beratung vorgelegt werden.

Das heißt allerdings, dass Jana ein weiteres Jahr alleine im Auftrag der EKD senden wird. Wir dürfen gespannt sein, womit das GEP aufwarten wird. Und, in wie weit externe Expertise eingebunden werden soll – der Kanal „Jana glaubt“ wurde ja unter Zuhilfenahme einer großen Medienagentur realisiert -, oder ob das GEP nun eigene Bewegtbildkompetenz für das Netz aufbauen wird. Von einem Medienhaus mit jahrelanger Erfahrung im Fernsehen könnte man da durchaus etwas erwarten, immerhin sind mind. 10 der 57 aufgeführten Marken des GEP mit Film in irgendeiner Weise betraut.