Ad fontes – Die #LaTdH vom 1. August
Wird Benedikt XVI. altersmilde oder bleibt er sich treu? Außerdem: Gelingende Zoom-Gottesdienste, (selbst-)getäuschte Katholik:innen und Fundis auf Insta.
Herzlich Willkommen!
Der emeritierte Papst Benedikt der XVI. zeigt sich liberal. So kann man sein Interview von dieser Woche interpretieren. Warum das nicht alle so sehen und welche Kritik es an den Antworten Benedikts gibt, lesen Sie hier.
Außerdem in dieser Ausgabe: Geistliche, die mit Londoner Luxusimmobilien handeln, ein Besuch auf einem von der Flut verwüsteten Friedhof in der Eifel, gelingende Zoom-Gottesdienste und christliche Fundamentalisten, die sich auf Instagram vernetzen.
Übrigens: An den nächsten beiden Sonntagen legen die #LaTdH eine Sommerpause ein. Wir sind am 22. August mit einer neuen Ausgabe frisch am Start. Um die Arbeit der Eule-Redaktion fortzusetzen und die Eule-Autor:innen fair zu entlohnen, benötigen wir die Unterstützung unserer Leser:innen: Am besten durch ein Eule-Abo!
Eine gute Woche wünscht
Jacqueline Bohrmann
Debatte
Der ehemalige Papst Benedikt XVI. hat erneut ein viel beachtetes Interview gegeben: In der Herder Korrespondenz antwortet er auf viele Fragen so, dass man meinen könnte, die Antworten stammten nicht von ihm, sondern von seinem Nachfolger Papst Franziskus. Benedikt zeigt sich in dem Interview ungewohnt bodenständig und liberal. Einige Beobachter:innen freuen sich über diesen vermeintlichen Sinneswandel, andere kritisieren ihn scharf.
Erstaunliches Interview: Joseph Ratzinger (er)findet sich neu – Friederike Weede (BR)
Im Alter von 24 Jahren war Joseph Ratzinger Kaplan in der Gemeinde Heilig Blut in München-Bogenhausen. In seinem jetzt erschienenen Interview blickt er auf diese Zeit zurück. Sein Alltag bestand, wie bei Kaplänen üblich, aus Kommunionsvorbereitungskursen, Kindergottesdiensten und Religionsunterricht. Was dabei überrascht, sind die doch sehr liberalen Aussagen, die der emeritierte Papst trifft. So zum Beispiel diese hier:
Solange bei kirchenamtlichen Texten nur das Amt, aber nicht das Herz und der Geist sprechen, so lange wird der Auszug aus der Welt des Glaubens anhalten. Deswegen schien es mir damals wie heute wichtig, die Person aus der Deckung des Amts herauszuholen und ein wirkliches persönliches Glaubenszeugnis von den Sprechern der Kirche zu erwarten.
Und das, obwohl Joseph Ratzinger ja eher für eine traditionalistisch orientierte Theologie bekannt war, so Autorin Friederike Weede (@FriederikeWeede) beim Bayerischen Rundfunk. Die Kirchenvolksbewegung Wir sind Kirche (@WirSindKirche_) hingegen kritisiert das Interview scharf und vermutet, dass Ratzinger seine eigene Geschichte gerade rücken will:
„Angesichts des in Kürze zu erwartenden neuen Missbrauchsberichts für die Erzdiözese München und Freising, deren Erzbischof er zwischen 1977 und 1981 war“, schreibt die Laienvereinigung in einer Pressemitteilung, könne die Gesprächsaussage „zum Bischofsamt sollten nur Leute zugelassen werden, die ohne Flecken aus der Verfolgungszeit sich den Gläubigen als Glaubende darstellten“ als Entschuldungsversuch gedeutet werden.
Noch in diesem Jahr soll ein juristisches Gutachten veröffentlicht werden, in dem untersucht wird, wie das Erzbistum München und Freising mit Missbrauchsfällen umging (wir berichteten).
„Worte, die von Papst Franziskus stammen könnten“ – Michelle Olion (Domradio)
Ganz anders bewertet das Interview der Chefredakteur der Herder Korrespondenz Volker Resing. Seiner Zeitschrift hat Joseph Ratzinger die Antworten gegeben. Im Interview mit Michelle Olion sieht Resing Ratzingers Interview als einen kritischen Rückblick auf sein Handeln und Wirken innerhalb der Kirche.
Der emeritierte Papst Benedikt kritisiert eine Kirche, die sich wie ein Naturschutzpark verhalten würde und den Glauben einzäunen und nur bewahren und nicht nach vorne gehen würde. Und auch das passt in das Pontifikat von Franziskus und hört sich für mich durchaus nach einer gewissen Selbstkritik am eigenen Stil und an einer eigenen Verengung an, unter der sein Pontifikat manchmal vielleicht gelitten hat.
Resing deutet die veränderte Einstellung Ratzingers nicht als liberal, sondern eher als altersmilde. Er hätte gesehen, dass die Haltung von Papst Franziskus kein Gegensatz zu seiner eigenen Amtszeit sei. Auch kritisiere er die Sprache der Amtskirche, worin sich der emeritierte Papst, laut Resing, selbst mit einschließe.
„War ich ein guter Seelsorger?“ – Tobias Winstel (Herder Korrespondenz)
Hier nun finden Sie das Original-Interview, das Joseph Ratzinger der Herder Korrespondenz schriftlich gegeben hat. Allerdings befindet es sich hinter einer Paywall, ein Einzelkauf ist aber möglich.
nachgefasst
„Frontex hat den Auftrag, Grenzen zu schützen, nicht Menschen“ – Matthias Lehnert im Interview bei Elisa Rheinheimer (Welt-Sichten)
Immer wieder berichten wir in der Eule über das EU-Grenzregime und die damit verbundenen Menschenrechtsverletzungen vor allem auf dem Mittelmeer (zuletzt hier). Der EU-Grenzschutzagentur Frontex werden häufig Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen. Ein Untersuchungsausschuss des Europäischen Parlaments hat das geprüft und nun seinen Abschlussbericht vorgelegt. Der Rechtsanwalt Matthias Lehnert (@RA_MLehnert) bewertet die Ergebnisse im Interview bei Elisa Rheinheimer im Magazin für globale Entwicklung und ökumenische Zusammenarbeit Welt-Sichten, das vom Verein zur Förderung der entwicklungspolitischen Publizistik e.V (u.a. Brot für die Welt, Misereor) herausgegeben wird:
Allein in diesem Jahr sind bis zum 22. Juli schon 993 Menschen bei der Flucht über das Mittelmeer umgekommen. Trägt Frontex daran eine Mitschuld?
Ja und nein. Frontex trägt die Politik des effektiven Grenzschutzes mit, die einer effektiven Seenotrettung entgegensteht. Dafür ist die repressive Migrationspolitik der EU insgesamt verantwortlich, bei der es vor allem darum geht, einseitig Grenzen zu schützen. Aber auf die EU zu schimpfen, hilft hier auch nicht weiter, denn in erster Linie wollen die nationalen Regierungen in Berlin, Athen, Budapest und so weiter einen „effektiven Grenzschutz“ – und das bedeutet dann eben auch die Zurückweisung von Migranten. Das Problem sind vor allem die Mitgliedstaaten. In der gesamten Migrationspolitik beobachten wir einen Rechtsruck.
Gräber weggespült, Grabsteine zerborsten: Hochwasser verwüstet Friedhöfe – Franziska Hein (Kirche und Leben)
In der Eifel wurden durch das Hochwasser Häuser, Dörfer und Geschäfte zerstört (s. #LaTdH der vergangenen beiden Wochen: „Aufräumarbeiten“ vom 25. Juli & „Pegelstand“ vom 18. Juli). Aber nicht nur die Lebenden hat die Flut hart getroffen. Franziska Hein (@franzi_hein) beschreibt in ihrer Reportage eindringlich die Verwüstung auf einem Friedhof in der Eifel. Zusammen mit Oksana Langlitz geht sie vorsichtig über den Friedhof zum Grab des verstorbenen Sohns. Langlitz hat es nach der Flut wieder hergerichtet.
Die Mutter hat das Grab des Sohnes wieder mit angespülten Steinen aus dem Fluss eingefasst, hat sogar schon wieder Blumen gepflanzt. Das Holzkreuz mit dem Namen ihres Sohnes hat sie irgendwo in den Trümmern gefunden.
Es gibt auch offene Gräber, was mit den menschlichen Überresten passiert ist – unklar. Die Bundeswehr hat bei den Aufräumarbeiten auf dem Friedhof geholfen, um die kaputten Gräber muss sich jetzt aber die Stadtverwaltung kümmern. Und auch die mehr als 170 Menschen, die durch das Hochwasser in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz gestorben sind, können in dem Gebiet noch nicht bestattet werden. Die Friedhöfe sollen nun nacheinander wieder hergestellt werden, damit dort wieder Ruhe zum Trauern einkehren kann.
Buntes
Kardinal steht wegen Luxusimmobiliendeal vor Gericht – Lisa Duhm (DER SPIEGEL)
Kardinal Angelo Becciu steht zusammen mit acht Männern und einer Frau vor dem vatikanischen Gericht. Ihnen wird Amtsmissbrauch, Geldwäsche, Betrug, Unterschlagung und Korruption vorgeworfen. Konkret geht es um den Kauf einer Luxusimmobilie in London im stattlichen Wert von 350 Millionen Euro.
Im Sommer 2019 war die Vatikanbank IOR bei finanziellen Aktivitäten misstrauisch geworden, die Behörden ermittelten. Papst Franziskus enthob Kardinal Becciu nach einem Verdacht auf finanzielle Unregelmäßigkeiten im Herbst aus seinen Ämtern.
Becciu beteuert seine Unschuld. Der Strafprozess zählt zu den bislang größten im Vatikan und wurde nun nach dem ersten Verhandlungstag auf Anfang Oktober verschoben.
„Weil es geschrieben steht“: Über Fundamentalismus auf Instagram – Lisa Quarch (feinschwarz.net)
Die katholische Theologin und Pastoralassistentin im Bistum Limburg Lisa Quarch (@Lisa_Q_) hat sich mit christlichem Fundamentalismus auf Instagram beschäftigt. Auf reichweitenstarken Accounts werden dort täglich anti-feministische Aussagen und ein reaktionäres Weltbild geteilt. Ein paar Beispiele gefällig?
Frauen dürfen sich nicht in kurzen Kleidern zeigen. Menschen, die sich als nicht binär definieren, tun dies aufgrund einer unfertigen Persönlichkeit, der eine Begegnung mit Gott fehlt. Menschen, die anders Glauben und die Bibel anders lesen, sind keine echten Christ*innen. Bald werden Christen (sic!) in Deutschland verfolgt, eigentlich werden sie heute schon verfolgt, weil fundamentalistische Christ*innen LGTBQ nicht unterstützen, nur wer die Bibel in allen Aspekten wortwörtlich nimmt liebt Jesus wirklich, alles was auch an Schlechtem in deinem Leben passiert, hat Gott geplant, um dich zu formen oder näher zu ihm zu bringen …
Quarch hat sich für dieses umfangreiche Thema Unterstützung geholt und mit dem Lehrer Jason Liesendhal (@heavendownthere) und der Pastorin und Autorin Mira Ungewitter (@miraungewitter) gesprochen, die sich seit Jahren mit dem Thema auseinandersetzen. Sie machen klar, dass es Fundamentalisten in jeder Glaubensrichtung gibt und sie sich mittlerweile untereinander und voranging über Social Media vernetzen.
Jason beschreibt deswegen die ganze fundamentalistische Szene als „War-Zone“ und Mira fasst es mit den Worten zusammen: „Im Glauben und besonders im Fundamentalismus ist es ähnlich wie beim Autofahren – alle, die langsamer fahren, sind Idioten; alle, die schneller fahren, sind verrückt“. Die eigene Wahrnehmung wird als Normativ gesetzt. Alles was “liberaler” aber auch “konservativer” daherkommt, wirkt verdächtig. Von überall und in alle Richtungen kommt die “Christenpolizei”.
Die Expert:innen weisen darauf hin, dass es außerdem schwierig ist, mit der Szene in Kontakt zu kommen. Viele der fundamentalistischen Influencer:innen betreiben ihren Account auf Instagram auch hauptberuflich. Trotzdem: Unkommentiert alles so stehen zu lassen, sei auch keine Lösung. Als Lösung schlagen die Expert:innen und die Autorin vor, auf dem eigenen Profil seine Meinung zu verbreiten und auf Postings zu reagieren.
Willkommen in Gottes Zoomraum – Yvonne Witschi-Minder (reformiert.info)
Yvonne Witschi-Minder (@YvonneWitschi) schreibt auf reformiert.info über einen digitalen Workshop beim Michaeliskloster Hildesheim, dem Evangelischen Zentrum für Gottesdienst und Kirchenmusik, zur Gestaltung von Zoom-Gottesdiensten. Witschi-Minder fasst einige „Übungen“ und „Spielereien“ kurz zusammen, die man bei der Gestaltung einsetzen kann.
Besonders berührend können auch kleine «Übungen» im Gottesdienstablauf sein, welche das momentane Umfeld der Teilnehmenden aufnimmt. Wenn plötzlich alle in die Stille lauschen sollen, um anschliessend in die Kommentare zu schreiben, was sie gerade gehört haben (z. B. Schnurren der Katze, Rauschen des Laptops, Klopfen der Heizung). Oder wenn sich jede/jeder einen Gegenstand, der gerade griffbereit ist, aussuchen soll, um ihn dann während der Lesung in die Kamera zu halten. Solche «Übungen» lassen die Mitfeiernden plötzlich sichtbar werden. Man erfährt etwas voneinander und fühlt sich dadurch verbunden […].
Witschi-Minder ist sich sicher, dass Zoom-Gottesdienst „zu einem weiteren Angebot der Kirchgemeinden avancieren“ könnten, „das beispielsweise einmal im Monat anstelle eines traditionellen Sonntagmorgengottesdienstes zur Verfügung steht“. Eine Liste von Zoom-Gottesdienstreihen, aus der Schweiz und Deutschland rundet ihre Erkundung zum Thema ab.
[D]a Distanzen über Zoom keine Rolle spielen, könnten sich problemlos mehrere Gemeinden für ein derartiges Projekt zusammenschliessen. Ich bin überzeugt, dass diese Mischung von analogen und digitalen Feiern durchaus gewinnbringend sein könnte. Und tatsächlich sehen das einige Kirchgemeinden auch so.
Muslimischer Judenhass muss endlich klar benannt werden – Anna Staroselski (Jüdische Allgemeine)
Die Präsidentin der Jüdischen Studierendenunion Deutschland, Anna Staroselski (@AStaroselski), will keine No-go-Areas für Juden in Deutschland. Nach antisemitischen Vorfällen am Rande der Kundgebung „Jüdisches Leben ist keine Provokation“ im Berliner Stadtteil Neukölln schreibt sie:
Wir wollen uns nicht verstecken, sondern selbstbewusst unsere jüdische Identität ausleben. In Neukölln, dem Zentrum der Multikulturalität, sind sämtliche Fahnen und Symbole willkommen, nur der Davidstern wird als Provokation gesehen. Während Antisemitismus von rechts immer deutlicher benannt wird, gestaltet sich das beim Judenhass von links oder aus Teilen der muslimischen Community schwieriger. Islamistischen Gruppen, die schamlos ihren Antisemitismus in die Öffentlichkeit tragen, muss ein Riegel vorgeschoben werden.
Auch fordert Staroselski, dass die Sorgen von Betroffenen ernster genommen werden müssen und die Grenze zwischen Meinungsfreiheit und Strafbarkeit bei der Strafverfolgung klarer werden müssen. Sie hofft nicht nur auf warme Worte vor den anstehenden Wahlen, die die Solidarität mit der jüdischen Community ausdrücken: „Worte reichen nicht mehr, es wird Zeit, zu handeln!“
Theologie
Römisch-katholische Kirche „nicht reformierbar“ – Norbert Lüdecke im Interview bei Christiane Florin (DLF)
In „Die Täuschung. Haben Katholiken die Kirche, die sie verdienen?“ kritisiert der katholische Kirchenrechtler Norbert Lüdecke den Synodalen Weg als eine „Partizipationsattrappe“. In zahlreichen Interviews und Artikeln befassen sich die Medien in diesen Tagen mit den Thesen Lüdeckes, ein ausführliches Gespräch mit ihm hat auch Thomas Wystrach (@wystrach) mit Lüdecke hier in der Eule geführt („Gerontokraten mit Deutungsmonopol“).
Christiane Florin (@ChristianeFlori) hat ebenfalls mit ihm über sein neues Buch gesprochen: Was ist mit „Partizipationsattrappe“ nun gemeint?
Die Laien wiederum lassen sich gern locken mit „Weichzeichner“-Wörtern wie „gemeinsam“, „unterwegs“ und „miteinander auf dem Weg sein“. Das lenke davon ab, dass die römisch-katholische Kirche eine ständische Instituion ist, in der Kleriker und Laien nicht gleichberechtigt sind. Wenn ein König mit seinem Gärtner durch den Park geht, dann sind die sicher auf einem gemeinsamen Weg. Aber die sind ja nicht gleich, geschweige denn gleichberechtigt“, so Lüdecke.
Lüdecke unterstreicht diese Ansicht mit seiner Aussage das Zentralkomitee der Deutschen Katholiken (ZdK) sei nur zum Schein der Beteiligung gegründet worden. Die katholischen Laien sollen so das Gefühl bekommen, mitzubestimmen und gehört zu werden, während die Geistlichen eine Demokratie- und Parlaments-Phobie hätten, so Lüdecke.
Der Titel seines Buches „Die Täuschung“ sei absichtlich zweideutig. Zum einen täuschten gewisse Leute die Laien und stellten die Kirche anders dar, als sie wirklich sei. Zum anderen attestiert Lüdecke den Laien aber auch eine Selbsttäuschung, damit sie sich nicht mit ihrer Beziehung zur Kirche auseinander setzen müssten. Sein Buch sieht der Professor für Kirchenrecht als Plädoyer für einen erwachsenen, aufgeklärten Blick auf die katholische Kirche: „Aufklärung ist die Voraussetzung für Emanzipation“.
Ein guter Satz
“Ich lese die Bibel, wie ich meinen Apfelbaum ernte: Ich schüttle ihn, und was runterkommt und reif ist, das nehme ich.“
– Martin Luther, gefunden hier auf Twitter bei @weiterglauben