Anders schön – Die #LaTdH vom 29. November

Advent, Advent, die Kirche brummt vor Ideen für die Corona-Weihnacht. Außerdem: Köln eskaliert weiter, Pastor wegen Volksverhetzung verurteilt und Neues vom ÖKT.

„Die Zweiglein der Gotttseligkeit
steckt auf mit Andacht, Lust und Freud;
so kommt der König auch zu euch,
ja, Heil und Leben mit zugleich.“

Mit dem 1. Advent beginnt das neue Kirchenjahr. In vielen Fenstern leuchtet es nun adventlich, Schwibbögen und Herrnhuter Sterne leuchten in der Nacht, Advents- und Weihnachtslieder werden gesungen: Wie dieses hier, oder das hier, auch das, und dies erst Recht.

Debatte

Weihnachten und Corona: Kirchen werden kreativ – Christoph Strack (Deutsche Welle)

Christoph Strack (@Strack_C) unternimmt einen Streifzug durch die deutsche Kirchenlandschaft auf der Suche nach dem etwas anderen Corona-Weihnachten. Und er wird fündig. An allen Orten überlegt man sich was, auch wenn die ganz großen Träume vom Gottesdienst im Stadion schon wieder platzen. Das gibt die Lage nicht her.

Wohl aber, dass in und an den Kirchen zu Weihnachten Menschen zusammenkommen, und die alte Geschichte hören, so ungefähr wie sie sich zugetragen hat. Ohne den Verweis darauf, dass die Corona-Weihnachten der Originalausgabe näher kommen als manche Bobast-Weihnacht, kommt auch dieser Artikel nicht aus. Strack hat allerdings viele schöne Ideen gesammelt, die keineswegs besondere Kargheit versprechen:

Draußen – dieses Motiv bestimmt viele Ideen. In Leipzig laden evangelische Kirche und katholische Kirche dazu ein, dass um 18 Uhr an Heiligabend alle Glocken der Stadt läuten. Dann sollen um 18:08 Uhr alle – egal, wo sie gerade sind – das weihnachtliche „Stille Nacht“ singen. Motto: „18 Uhr 08 singt Leipzig Stille Nacht“.

Und einen richtigen Schmunzler hat Strack in seinem Artikel für die Deutsche Welle auch noch untergebracht, wenn er meint, dass „der Berliner Dom vielfach als evangelische Hauptkirche Deutschlands gilt“. Das wäre mir neu, jedenfalls ist mir außerhalb West-Berlins noch niemand begegnet, der das so stehen lassen würde.

Frauenkirchen-Vesper wohl nur drinnen – Interview mit Tobias Bilz von Thilo Alexe (Sächsische Zeitung, €)

Von einem protestantischen „Nationalheiligtum“ zum nächsten: Der Sächsischen Zeitung hat der Landesbischof der Evangelisch-lutherischen Landeskirche Sachsen (EVLKS), Tobias Bilz (@BischofBilz), Fragen zum Fest beantwortet, u.a. zur traditionellen „Christvesper“ am Vorabend des Heiligen Abends, die sonst 15 000-20 000 Menschen auf den Dresdner Neumarkt in den Schatten der Frauenkirche lockt. Die fällt dieses Jahr aus.

Aber Bilz hat eine schöne Idee im Gepäck, die man überall durchführen kann – auch wenn kein Hygienekonzept für einen Outdoor-Gottesdienst zur Hand ist:

Derzeit planen alle mit A-, B- und C-Varianten, je nachdem wie Ende Dezember die Lage sein wird. Eine Idee, die wir in der Landeskirche umsetzen werden, möchte ich dabei hervorheben: Die, dass man in der Christnacht die Kirche einfach offen hält. Dass man nicht sagt, wir machen viele Veranstaltungen, wo dann sowieso nicht alle kommen können, sondern: Die Kirche ist geöffnet, es gibt Kerzen, es gibt womöglich einzelne Stationen, an denen man vorbeigeht und beten kann. Vielleicht gibt es in Abständen Musik.
Und das geht bis in die Nacht hinein und wird mit Familienfeiern zu verbinden sein. Ich könnte mir vorstellen, dass das viele Menschen tröstet und ihnen das Fest erhält.

Fixpunkt Weihnachten – Klaus Hillenbrand (taz)

Die rhetorische Fixierung der Corona-Maßnahmen-Erklärer:innen auf das Weihnachtsfest wurde in den vergangenen Tagen reichlich kritisiert. Gelegentlich stimmen auch Christ:innen in die Polemik gegen das Fest ein. Weihnachten sei ja gar nicht das wichtigste christliche Fest. Na und?! Und habe nicht auch der Heiland gerade so Unterschlupf gefunden? Ja, und Vorsicht, dass man so das „Corona-Exil“ nicht mit tatsächlicher Obdachlosigkeit verwechselt!

Der Einlassungen zum (Un-)Wert der Weihnachten ist kein Ende. In der Eule hat es Niklas Schleicher (@megadakka) unternommen, Weihnachten gegen seine Verächter in Schutz zu nehmen. Richtig so! Weihnachten als Fixpunkt ist laut Klaus Hillenbrand, Leiter der taz.eins, deshalb wichtig, weil es uns die Illusion der Planbarkeit vermittelt. Doch was ist ein Kalender, was ein Kirchenjahr mit seinen Pfosten anderes als eine Illusion, die hilft die Zeit zu verstehen?

Hillenbrands Fazit jedenfalls kann ich gut als Schlusswort unter der leidigen Debatte stehen lassen, die in diesem Pestjahr 2020 vielleicht auch den Ausfall anderer religionskritischer Debatten (man erinnere sich an die halbe Woche Diskussion über den Religionsunterricht) kompensiert hat.

[Die] Bundesbürger sind in ihrer Mehrheit keine Kleinkinder. Deshalb sind Drohungen wie Versprechungen fehl am Platz. Deshalb sollte die Kommunikation zwischen Regierenden und Regierten so ehrlich wir möglich ausfallen. Das heißt: Die Politik weiß so wenig wie die Wissenschaft exakt, wie das Pandemiegeschehen Mitte Februar 2021 ausfallen wird. Und deshalb, so schmerzhaft es auch sein mag, kann der einzige Plan nur darin bestehen, keinen langfristigen Plan zu besitzen, sondern flexibel auf das weitere Infektionsgeschehen zu reagieren.

Allen, die – ziemlich lutherisch-liturgisch, aber natürlich „dieses Jahr ganz anders“ – mit A-, B- und C-Varianten jonglieren, legt Andreas G. Weiß (@A_G_White) (siehe Theologie) ans Herz, dass es Leute gibt, die keine Optionen bei der Gestaltung des Advents und des Weihnachtsfestes haben.

„Wenn sich alle als Opfer fühlen, werden die stillen Opfer gerne übersehen.“

Corona-Fälle in Pflegeheimen häufen sich – Arnd Henze, Lena Kampf, Sonja Kättner-Neumann und Teresa Roelcke (WDR/NDR, tagesschau.de)

In den Alten- und Pflegeheimen des Landes leben Menschen, die dem Corona-Virus in besonderer Weise ausgeliefert sind, wenn es einmal in die Einrichtungen eingedrungen ist. Davon legt insbesondere das Schicksal des Wolfsburger Hanns-Lilje-Heims der Diakonie mit 47 Corona-Toten im Frühjahr Zeugnis ab, über das die Autor:innen des Beitrags eine Dokumentation gedreht haben. Wie sieht es jetzt in den Heimen aus?

Vor ein paar Wochen sorgte man sich bei der Diakonie Deutschland um die Versorgung mit Schutzmaterialien und kritisierte u.a. die Teststrategie (wir berichteten). An den Sorgen der Mitarbeiter:innen und Angehörigen hat sich nur wenig geändert, auch weil die Lage immer noch nicht gut untersucht wird.

Dennoch gibt es bis heute keine ständig aktualisierte Übersicht über das Infektionsgeschehen in Alten- und Pflegeheimen. Auch das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) und der Pflegebevollmächtigte der Bundesregierung verfügen nicht über ein genaues Lagebild. Die schlechte Datenlage wird von Pflegeverbänden kritisiert.

„Zwar reden die Regierungschefs viel von den vulnerablen Gruppen, aber die Fakten werden nicht zusammengetragen“, sagte der Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz, Eugen Brysch, auf Anfrage. „Im neunten Monat der Pandemie ist für Bund und Länder die Situation der dort lebenden und arbeitenden Menschen eine Blackbox.“

Die „stillen Opfer“ der Pandemie werden in den Heimen am Rande unserer Gesellschaft erbracht. Die Autor:innen (u.a. @LenaKampf, @arndhenze) führen in die Situation ein, erklären, wie man an unterschiedlichen Orten auf die Herausforderungen reagiert, informieren sachlich. Hinschauen müssen wir selbst!

nachgefasst

Kölner Missbrauchsskandalaufklärungsaffäre

Das Drama um die Nicht-Veröffentlichung des Missbrauchs-Berichts im Erzbistum Köln wächst sich zu einer Never-Ending-Story aus. In der Christ & Welt stellt Christina Zühlke (@ChristinaZue) noch einmal die Betroffenen-Vertreter in den Mittelpunkt, die sich von der Kirche abermals missbraucht fühlen.

Derweil hat der Kölner Stadtanzeiger ein gewichtiges Sondergutachten aus der gleichen Kanzlei geleaked (zum Text hier), das Namen nennt, und Erzbischof Rainer Maria Woelki überlegt, das ganze ursprüngliche Gutachten „für interessierte Einzelpersonen, insbesondere Betroffene oder Journalisten“ öffentlich zu machen. Das liegt wohl nicht mehr in seiner Hand.

Ein wichtiger Fernsehtipp: In der RTL II-Dokumentation „Der Heilige Schein“ kommen Missbrauchsbetroffene aus beiden großen Kirchen zu Wort. Wer verstehen will, woran die Aufklärung bisher so häufig scheitert (wir berichteten), der sollte sich diesen sehr guten Film anschauen (hier bei TVnow)

Ökumenischer Kirchentag plant um

Auf der Synode der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN) informierte die Generalsekretärin des Evangelischen Kirchentages, Julia Helmke (@GenSek_DEKT), über den Stand der Planungen zum Ökumenischen Kirchentag, der im kommenden Jahr in Frankfurt (Main) stattfinden soll. Die Absage des Großereignisses wurde bereits kolportiert (s. #LaTdH vom 15. November), nun wird er angesichts der andauernden Corona-Pandemie ein deutlich anderes Gesicht haben, als zunächst geplant. Das Domradio aus Köln fasst zusammen:

Das Gesundheitsamt der Stadt Frankfurt habe Anfang November „erhebliche Anfragen an das Gesamtveranstaltungskonzept“ formuliert. Es sei deutlich, dass analoge Großveranstaltungen im kommenden Jahr in Frankfurt zunächst nicht möglich sein werden.

Kirchenpräsident Volker Jung, kündigte ein drittes Konzept für den ÖKT an, das nach der zunächst vorgesehenen Reduktion der Planungen für mehr als 100.000 Gäste auf 30.000 Teilnehmende entwickelt werde. Er sei sicher, dass es auch mit digitalen, partizipatorischen und dezentralen Formaten möglich sei, den Themen der Zeit ein öffentliches Forum zu geben.

Ob ein „Kirchentag“ ohne Abend der Begegnung, ohne Feiern und Singen und Andachten, ohne Markt der Möglichkeiten, ein „richtiger“ Kirchentag ist, darf bezweifelt werden. Allerdings stellt sich auch die Frage, wohin mit der Arbeit, die ja schon längst Früchte trägt.

Buntes

Pastor Latzel wegen Volksverhetzung zu 8.100 Euro Geldstrafe verurteilt (queer.de)

Der evangelikale Pastor der Bremeischen Evangelischen Kirche (BEK) Olaf Latzel wurde (erstinstanzlich) wegen Volksverhetzug verurteilt. Er hat bereits angekündigt, Rechtsmittel gegen das Urteil einlegen zu wollen. Der Drobs ist also noch nicht gelutscht.

Solange die weltliche Gerichtsbarkeit am Drücker ist, ruht das kirchliche Disziplinarverfahren. Sollte es beim Urteil bleiben, droht Latzel von dort aus aber wohl kein großes Ungemach – auch, weil das Amtsgericht bei der Strafzumessung darauf achtete, dass Latzel durch das Urteil keine Vorbestrafung ins Führungszeugnis eingetragen wird.

Die Sinnfluencer – Johanna Dürrholz (FAZ)

In der Frankfurter Allgemeinen porträtiert Johanna Dürrholz (@Duerrholz) die Pfarrerinnen Stefanie und Ellen Radtke (@medycki), die mit ihrem YouTube-Kanal „anders amen“ vom Leben als lesbisches Paar in Amt und Würden erzählen. Insbesondere das Porträtfoto der drei Radtkes hat unter der Woche für Debatten in der Theobubble zu den Themen Sichtbarkeit von LGBTQI+ in der Kirche, Amtsverständnis und Modefragen geführt. Das Porträt ist aber auch ohne Debattenkenntnis lesenswert!

Chaostage in Chur: Das heillos zerstrittene Bistum findet keinen Chef – Felix Neumann (katholisch.de)

Was ist da eigentlich los im schweizerischen Bistum Chur? Die Posse um die Wahl eines neuen Bischofs ist nur der letzte einer Reihe von Streitfällen, wie Felix Neumann (@fxneumann) auf katholisch.de all denen erklärt, die bisher wenig Anteil am Schicksal des Alpenbistums genommen haben. Das Protokoll der entscheidenden „Skandal-Sitzung“ des Domkapitels hat derweil kath.ch geleaked. Es ist – unabhängig davon, wo man kirchenpolitisch steht – ein Dokument der Inkompetenz.

Erzählen als Widerstand – Barbara Haslbeck (feinschwarz.net)

Einige, sehr eindrückliche persönliche Berichte über spirituellen und sexuellen Missbrauch an erwachsenen Frauen in der Kirche liegen erstmals als Sammlung vor. Barbara Haslbeck gibt auf feinschwarz.net Einblicke in wichtige Erkenntnisse aus der Lektüre der Berichte.

Die Berichte machen deutlich: Missbrauch in der Kirche betrifft nicht nur Jungen und Jugendliche. Er kann jede Frau treffen. Neun von 23 Autorinnen waren zum Zeitpunkt des Missbrauchs Ordensfrauen. Andere sind Singles, Familienfrauen, Frauen in jedem Lebensalter und mit unterschiedlichen Berufen und Bildungshintergründen. Sie arbeiten bei der Kirche oder sind ehrenamtlich hoch engagiert. Es ist diesen Frauen nicht anzusehen, welche verstörenden Erfahrungen sie mit sich schleppen.

Wer heute von den Verbrechen berichten kann, die sie in der Kirche erleiden musste, gehört nicht zu den vielen stillen oder verstummten Opfern. Für diese sprechen die Frauen mit, wenn sie ihre Erfahrungen schildern. Auch hier gilt: Hinhören müssen wir alle.

Was wächst auf Beton? – Erica Zingher (taz)

Ein sehr feiner, persönlicher Text über die Situation der „jüdischen Kontingentflüchtlinge“, auf die das frisch geeinte Deutschland in den 1990er-Jahren so stolz war. Erica Zingher (@erizing) schreibt über ihre Familie und damit gleichzeitig über mehrere Generationen, über Scheitern, Ankommen und das Immer-Fremd-Bleiben.

So wie meine Familie und ich kamen zwischen 1995 und 2005 mehr als 200.000 Jüdinnen und Juden aus der ehemaligen Sowjetunion nach Deutschland. Menschen, die man später als „jüdische Kontingentflüchtlinge“ bezeichnete. Lange galt ihre Einwanderung als Erfolgsgeschichte. Sie, wir, waren die guten Migrant:innen. An unsere Ankunft war Hoffnung geknüpft: Wir sollten das jüdische Leben in Deutschland wieder aufblühen lassen.

Bald darauf, Mitte der 1990er Jahre, wurden Migrant:innen aus dem ehemaligen Ostblock als Problem wahrgenommen – und dann gar nicht mehr. Man hat diese Menschen, uns, ­vergessen.

Theologie

Die lästige Last der Anderen – Andreas G. Weiß (kontakt, S. 8)

Von der Corona-Pandemie sind wir alle betroffen, aber unterschiedlich schwer, argumentiert Andreas G. Weiß (@A_G_White). Er weist in seinem Artikel über die Nächstenliebe als christliche Berufung auf die Bevölkerungsgruppen hin, „die schon vor der Corona-Krise als verletzlich und gefährdet galten“ und jetzt noch leichter vergessen werden: „Das gebetsmühlenartigen Wiederholen von Rücksichtnahme bewirkt da wenig.“

[W]ir [sollten] uns nichts vormachen: Es gibt eklatante Differenzen in der Krisenerfahrung! Möglicherweise nicht auf der biologischen Ebene – sehr wohl aber auf der sozialen und menschlichen Ebene. […] Gruppen werden an den Rand, ja aus dem kollektiven Gedächtnis gedrängt. […] Wenn sich alle als Opfer fühlen, werden die stillen Opfer gerne übersehen.

Ein guter Satz

„Mein Vorschlag wäre, einfach mal verbal – und sonstwie auch – abzurüsten. Legen Sie langsam Tranchiermesser und Feuerzange auf den Boden, atmen Sie tief durch. Weihnachten wird ok. Die Oma darf dazu, die Sippe bleibt zu Hause, das Krippenspiel gibts online, Besinnlichkeit ist DIY.“

@Thomas_Renkert mit einer finalen Einordung zur Corona-Weihnacht