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Die Kirchen und Corona: Gottes-Dienst am Menschen

Während das Land sich im November auf die Kontaktbeschränkung konzentriert, finden weiter Gottesdienste statt. Andere kirchliche Handlungsfelder sind jedoch wichtiger.

Im November sollen wir uns alle am Riemen reißen, damit die Zahl der Covid-19-Erkrankten das Gesundheitssystem nicht erdrückt. Für viele Menschen bedeutet das, ihre Kontakte erneut und verstärkt einzugrenzen. Damit Kindergärten und Schulen offen bleiben, werden Gastronomie und Kulturveranstaltungen heruntergefahren, doch Gottesdienste finden weiter statt.

Geschickter Lobbyismus der Kirchen

Das ist auch dem Einspruch der beiden großen Kirchen zu verdanken, die stellvertretend für alle Religionsgemeinschaften des Landes ihr Gewicht bei der Politik in die Waagschale geworfen haben. Sowohl die katholischen Bistümer als auch die evangelischen Landeskirchen unterhalten bei ihren jeweiligen Landesregierungen Büros mit Beauftragten, die genau dafür zuständig sind. Auf Bundesebene agieren Beauftragte der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) und Deutschen Bischofskonferenz (DBK) in die gleiche Richtung.

Seit dem Frühjahr wurde diese Arbeit stärker koordiniert, so dass die Kirchen mit einhelliger Stimme operieren. Diesen Vorsprung an Lobbymacht und -Kompetenz merkt man nun, da Theater und Opern schließen, Kirchen aber weiterhin geöffnet bleiben. Das Beharren der Kirchen auf ihren grundgesetzlich verankerten Rechten ist eine Lehre aus dem Frühjahr, als insbesondere konservative Teile der Kirchen Beschwerde gegen das „Einknicken“ der Kirchenleitungen einlegten. Inzwischen rudern einige Kritiker:innen wieder zurück.

Denn so wie es in Deutschland keinen „Lockdown“ gegeben hat und es darum auch keinen zweiten geben kann (und wird), so sind die Kirchen vor dem staatlichen Gesundheitsschutz nicht „eingeknickt“, sondern waren vielmehr durch Gesetze und Verordnungen der Länder gebunden bzw. agierten aus eigenen Beschlüssen, die dem Schutz der Gesundheit auch der eigenen Klientel Vorrang vor der ungehinderten Ausübung des Rechtes auf freie religiöse Betätigung einräumten.

Dass der Präsenz-Gottesdienstbetrieb nun aufrecht erhalten werden kann, ist ein Lobbyerfolg der Kirchen, verpflichtet aber zur verantwortungsvollen Durchführung mit Augenmaß. Gleichwohl haben sich Gottesdienste – entgegen mancher Anwürfe aus dem religionskritischem Lager der vergangenen Tage – ganz und gar nicht als problematische Ansteckungsherde erwiesen, solange in ihnen die vorgeschriebenen Hygienekonzepte ordentlich durchgeführt werden. Die großen „Amtskirchen“ erweisen sich hierbei als besonders im Vorteil, weil in ihnen sowieso häufig „nach Vorschrift“ operiert wird.

Schlupfloch Gottesdienst?

Anlässlich einer „Corona-Demo“ in München am Sonntag wird derzeit diskutiert, ob Gottesdienste ein Schlupfloch darstellen, um Großveranstaltungen durchzuführen. In München hatten die Veranstalter, so die Polizei, ihre Demonstration kurzfristig zu einem Gottesdienst umgewidmet.

Doch auch für Gottesdienste gelten – regional unterschiedliche – Sicherheitsvorkehrungen, wie z.B. Teilnehmer:innen-Beschränkungen, Abstandsgebote und Maskenpflicht. Dass nun also landauf, landab „Corona-Demos“ zu sakralen Feiern umgestaltet werden, ist eher weniger zu erwarten. Vielmehr werden derzeit überall eindeutig als kirchliche Veranstaltungen wahrnehmbare Aktionen abgesagt wie z.B. die im ganzen Land und über Konfessionsgrenzen hinweg verbreiteten St.-Martins-Umzüge.

Weil sich die Kirchgemeinden mit ihren Laternenumzügen, an denen sonst viele Kinder mit ihren Eltern teilnehmen, auf öffentlichen Straßen und Plätzen bewegen, haben die Gesundheitsämter hier mitzusprechen. In vielen Gemeinden ist man sich bewusst, dass große Veranstaltungen im öffentlichen Raum derzeit ein falsches Signal senden. Leidtragende der neuerlichen Einschränkungen auch in der Kirchen sind wieder einmal die Alten sowie Kinder und Jugendliche, die in besonderem Maße in Kreisen und Gruppen in den Kirchen aktiv sind – und nicht im Sonntagsgottesdienst.

Zwar werden nach Informationen der Eule manchenorts Umgehungen der geltenden Regeln erprobt, z.B. indem der Konfirmandenunterricht als Gottesdienst geltend gemacht wird, aber die Einschränkungen sind erneut massiv. Jugendstunden, Jugendreisen und Kinderfreizeiten, Seniorencafés und andere Kreise fallen erneut aus. Und dass, obwohl die Hygienekonzepte z.B. bei den Freizeiten der Evangelischen Jugend im Sommer sehr gut griffen. Kein einziges größeres Ausbruchsgeschehen ist aus den Sommerferien bekannt.

Derzeit gehen Forscher:innen davon aus, dass bis zu 75 % des Infektionsgeschehens nicht mehr einzelnen Veranstaltungen oder Kontexten (Familie, Schule, etc.) zuzuordnen ist. Insofern stellen selbstverständlich alle kirchlichen Zusammenkünfte ein Risiko dar.

Was passiert in den Heimen?

Ein anderes kirchliches Handlungsfeld sind die vielen Pflege- und Altenheime von Diakonie und Caritas. Dort macht man sich große Sorgen. Bereits im Frühjahr wurden die Akteur:innen von der Corona-Welle überrascht, wie zuletzt eine ARD-Dokumentation über das stark betroffene Hanns-Lilje-Heim der Diakonie in Wolfsburg zeigte.

Anders als in anderen Ländern wie Schweden und Großbritannien hat es in Deutschland bisher jedoch keine Welle von Sterbefällen in Pflegeheimen gegeben. Auch konnten Angehörige und Seelsorger:innen recht bald und bei einigem Engagement durchgehend zu den Bewohner:innen. In Schweden wurde der Angehörigenbesuch erst zum 1. Oktober wieder flächendeckend erlaubt. Das sollten die „Schweden-Fans“ auch in den Kirchen im Gedächtnis behalten.

Die Pflegeheime in Deutschland sind bisher glimpflich durch die Krise gekommen und haben gleichwohl die vergangenen Monate genutzt, um bei der Politik für ein stärkeres Engagement zu werben. Gegenüber der Eule bestätigt Kathrin Klinkusch von der Diakonie Deutschland, dass die Pflegeeinrichtungen „im Vergleich zum Frühjahr heute besser mit Schutzkleidung und Materialien ausgestattet“ sind. Die meisten Pflegeheime hätten „im Sommer Schutzkonzepte erarbeitet, die nun zum Einsatz kommen“.

„Problematisch bleibt die Ausrüstung der Pflegeheime und auch der ambulanten Dienste mit Schutzkleidung dennoch. Diese Materialien müssen ja permanent nachgeliefert werden, weil sie ständig verbraucht werden“, so Klinkusch weiter. „Hier entstehen immer wieder Engpässe und Schwierigkeiten“. Die gute Ausrüstung mit Schutzmaterialien ist zentral für die Aufrechterhaltung der gesetzlich – auch im Infektionsschutzgesetz – verankerten Seelsorge sowie für die Ermöglichung des Besuchs von Angehörigen. Kein:e Akteur:in aus Politik und Wohlfahrtsverbänden bestreitet diese Rechte, gleichwohl bestehen Zweifel, ob die Bedingungen vor Ort ihre Durchsetzung zu jedem Zeitpunkt überhaupt möglich machen.

In den Wohlfahrtsverbänden sorgt man sich auch um die eigenen Mitarbeiter:innen, insbesondere in Pflegeheimen und Kindertageseinrichtungen. „Vielen Frage zur Testverordnung, die am 14.10. erlassen wurde, sind noch unklar“, erklärt Diakonie-Sprecherin Klinkusch. „Das stellt die Einrichtungen vor große Schwierigkeiten, weil noch immer unklar ist, wer testen darf, wer das bezahlt und wie wirksame Teststrategien umgesetzt werden können. An dieser Stelle wirkt sich der Fachkräftemangel in der Pflege noch einmal besonders dramatisch aus.“

Lehren aus dem Frühjahr?

Eine Teststrategie und die Beschaffung von Schutzmaterialien liegen schlussendlich in der Verantwortung der Politik, von der mehr als freundliche Worte erwartet werden können. Vor einigen Tagen trat Bundesgesundheitsminister Jens Spahn mit einer Mahnung an die Kirchen hervor (wir berichteten). Es wird sich in den kommenden Wochen erweisen, ob Spahn und sein Ministerium die Lektionen aus dem chaotischen Frühjahr gelernt haben.

Die Diakonie Deutschland ist zuversichtlich: „Die Einrichtungen haben genauso wie die Politik aus den Einschränkungen des ersten Lockdown gelernt und versuchen, Besuchsverbote weitestgehend zu vermeiden. Eine vollständige Isolation der schutzbedürftigen Menschen ist weder für die Menschen selbst noch für ihre Familien hilfreich.“