Anthropozän und Ökozentrik: Du sollst töten?!
Wohin führt die Kritik am Anthropozän? Wie kann ein „grünes Christentum“ aussehen? Über die rote Seite der grünen Religionen schreibt „Tipping Point“-Gastautorin Simone Horstmann.
Kaum etwas ist heute selbstverständlicher als das Bekenntnis der Theologien zum Kampf gegen die ökologische Katastrophe. Zu beängstigend und drängend sind die Probleme, die der menschengemachte Klimawandel schon jetzt mit sich bringt. Die desaströsen Dürren und Überschwemmungen der letzten Jahre und Tage (!), die Wälder verbrannt und viele Leben davongespült haben, sind uns allen noch bleibend im Gedächtnis. Sie dürften nur ein bitterer Vorgeschmack auf das gewesen sein, was erst noch auf uns zukommt.
Dass sich viele moderne Theologien heute als „grün“ verstehen und einem ökologischen Selbstverständnis folgen, ist augenscheinlich also nur konsequent. Als jemand, die sich seit längerer Zeit mit tierethischen und tiertheologischen Fragen befasst hat, habe ich diese Entwicklung anfangs begrüßt. Für mich stand lange außer Frage, dass alles, was einem ökologischen Anspruch folgt, auch für die Tiere nur von Vorteil sein konnte.
Und in der Tat ist nicht zu leugnen, dass es einige wichtige Schnittmengen zwischen den Forderungen aus beiden Bereichen gibt: Wir wissen, dass die Tierindustrie massiv zur Verschärfung der Klimakrise beiträgt, weil allein der Anbau von Futtermitteln die Vernichtung u.a. der Regenwälder zur Folge hat und die „Tierproduktion“ den Ausstoß von Treibhausgasen in rauen Mengen verantwortet.
Und trotzdem: Die Nähe zwischen ökologischen und tierethischen Forderungen sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass es auch gravierende Unterschiede gibt. Sie sind der Grund dafür, dass ich mittlerweile anders auf die „grünen Religionen“ blicke: ein wenig desillusioniert, und auch ein Stück weit entsetzt. Von dieser Irritation handelt dieser Text.
Meist geht die Transformation zu einer „grünen Religion“ damit einher, dass der Kern der ökologischen Krise in jenem anthropozentrischen Weltbild ausgemacht wird, das bis vor Kurzem maßgeblich für die Verfasstheit der monotheistischen Religionen war. Die Überzeugung, dass die gesamte Welt lediglich die Kulisse für das große Heilsdrama zwischen Gott und Mensch darstellt und alles auf den Menschen hingeordnet sei, gehört(e) ebenso zum Kernbestand der (nicht nur) christlichen Tradition wie jene Begriffe, die die Zumutungsschwere dieser Überzeugung rhetorisch kaschieren sollen – allen voran die Rede von der „Mitgeschöpflichkeit“: Bis in neuere kirchliche Dokumente hinein – z.B. das EKD-Papier „Nutztier und Mitgeschöpf!“ (PDF) – ist dieser Begriff probates Mittel, um die Vernutzbarkeit von Tieren in gefällige, der Sache nach aber ungebrochen anthropozentrische Begriffe zu kleiden.
Nun wird man kaum in Abrede stellen können, dass der Anthropozentrismus in der Tat ein massives Problem für die heutigen Herausforderungen darstellt – dies zumindest ist Konsens, auch über die wissenschaftlichen Disziplinen hinweg. Sich heute auf eine „Vorrangstellung des Menschen“ zu berufen, provoziert (mindestens) eine ganze Menge an irritierten Nachfragen. Dies gilt mittlerweile selbst für die Theologien. Was einstmals unstrittige Plausibilität beanspruchen konnte, erscheint mittlerweile prekär und begründungsbedürftig.
Das quasi-religiöse Versprechen der Ökozentrik
Aus diesem Grund hat man in den theologischen Debatten der letzten Jahre rege Umbauarbeiten beobachten können: Die anthropozentrische Tradition sollte möglichst rasch überwunden werden. Ein Ergebnis dieses Transformationsprozesses waren fast immer „biozentrische“ oder „ökozentrische“ Theologien. Sie sollen der – so spät, aber vielleicht noch rechtzeitig – getroffenen Einsicht Ausdruck verleihen, dass nicht nur der Mensch, sondern alles Lebendige oder gar alles Vorhandene gleichermaßen von Bedeutung ist.
Häufig ist mit dieser Wende zur Öko-/Biozentrik auch eine historische Rückversicherung verbunden: Denn diese Weltbilder gelten nicht nur als willkommenes Gegenteil zum bösen Anthropozentrismus, sondern können sich zudem darauf berufen, Teil indigener Epistemologien wie etwa dem Animismus zu sein. Während der Anthropozentrismus (fälschlicherweise) als ein ausschließlich westliches Phänomen wahrgenommen und oft allein deswegen verteufelt wird, scheint das Heil in den vermeintlich natürlicheren und ideologieunverdächtigen nicht-westlichen Denksystemen zu liegen. Das mag zunächst sympathisch wirken, allerdings fällt auch auf: Angesichts einer bis dato nie dagewesenen Krise wird bezeichnenderweise nicht nach neuen Beziehungsmodellen gesucht – vielmehr werden historisch oder geografisch entfernte Modelle reaktiviert, ganz so, als läge das Heil in der Vergangenheit.
Das große, an sich bereits quasi-religiöse Versprechen dieser Ansätze verdichtet sich im Begriff der „Verbundenheit“: Alles Lebendige oder gar alles Vorhandene ist miteinander verbunden, so die (an sich recht banale) Kernaussage. Mit einer noch etwas treffenderen Übersetzung der englischen Vokabel „Entanglement“, die die Wissenschaftshistorikerin Donna Haraway mitgeprägt hat, könnte man auch von „Verstrickungen“ oder „Verstricktheiten“ sprechen – sie werden als Ausdruck eines ökologischen Ideals beschworen. Ausgerechnet jene Vokabel, die über Jahrhunderte hinweg theologische Chiffre für Sünde und Schuld war, dient heute als ideelles Reservoir für den biozentrischen Traum von der Naturverbundenheit.
Unabhängig von dieser theologischen Vergangenheit des Begriffs wird dennoch jede:r die Verheißungen nachvollziehen können, die eine solche Naturverbundenheit in Aussicht stellt: Wir denken an wilde Gärten, faszinierende Tierbegegnungen, geheimnisvolle Urwälder oder laue Sommernächte unterm Sternenzelt. An juckende Insektenstiche, gefährliche Virusinfektionen, Parasitenbefall oder tödliche Raubtiere denkt hingegen niemand, obwohl auch sie doch in die Naturemphase der Allverbundenheit einbezogen werden müssten. Die grünen Diskurse funktionieren ausgesprochen selektiv. Sie verlassen sich bei dem, was nun genau „verbunden“ sein soll, auf eine vage Intuition, die einige Phänomene automatisch ein-, andere hingegen ausschließt. Mir jedenfalls ist noch kein Biozentriker begegnet, der seine Naturverbundenheit durch eine herzliche Umarmung mit afrikanischen Löwen oder den gezielten Sprung ins Piranha-Becken zu verwirklichen suchte.
Hinzu kommt, dass diese Diskurse die Rede von der (Natur-)Verbundenheit stets nur positiv verwenden: Die Möglichkeit, dass es gute Gründe für zumindest eine gewisse Distanz „zur Natur“ geben könnte, steht nicht zur Disposition. Stets wird die Diagnose gestellt, dass die ökologische Krise darauf zurückgehe, dass der Mensch sich von der übrigen Natur abgekoppelt und entfremdet habe. Die Antwort, die diese Neuansätze dementsprechend geben, besteht darin, Wege zu einer wiederentdeckten Naturverbundenheit aufzuzeigen.
Gaia, Flüsse, Farne und Berge: Wer hat Rechte?
Dieses Ideal hat heute den Status einer unhinterfragbaren Setzung: Alle wollen naturverbunden sein – je mehr, desto besser. Warum diese Annahme ein enormes Problem darstellt, lässt sich erahnen, wenn man jenseits der romantischen Beschwörungsformeln einmal etwas genauer darauf achtet, welche normativen Konsequenzen von den Naturverbundenheits-Vertreter:innen gefordert werden.
So sprechen nicht wenige Theolog:innen heute von Rechten, die wir der Natur zugestehen müssen. Oft gewinnt man dabei den Eindruck, die Vertreter:innen dieser Forderung müssten ihre eigene anthropozentrische Geschichte dadurch kompensieren, dass sie die „Rechte der Natur“ nun mit umso größerer Inbrunst verkünden. Wer heute als „Biozentriker:in“ auftritt, kann sich als Anwalt der gesamten Wirklichkeit in Szene setzen und profilieren. Kein unbescheidener Anspruch, aber ein Selbstverständnis, das vorgibt, es allen recht machen zu können – endlich einmal! Die Metamorphose des Theologen vom Anthropozentrismus-verdorbenen Buhmann hin zu „Everybody‘s Darling“ funktioniert am besten, wenn die Radikalität der Anthropozentrik in eine ebenso radikale Biozentrik überführt wird.
Inhaltlich ist die Forderung nach Rechten für die Natur nämlich bemerkenswert freigiebig und scheint nichts und niemanden auszulassen: Mit grenzenloser Großzügigkeit werden Rechte für Flüsse, Farne, Berge, Bäume und ganze Planeten gefordert. Vom professoralen Lehnstuhl aus (ver-)schüttet man Rechte wie mit der undichten Gießkanne über alles Vorhandene. Kollisionen dieser Rechte und dilemmatische Situationen, die aus diesen grenzenlosen Forderungen resultieren, werden ebenso großzügig ignoriert – mit den Feinheiten mögen sich doch die Bioethiker auseinandersetzen.
Die weitreichenden Rechteforderungen gehen häufig damit einher, dass Berge, Flüsse und Pflanzen unterschiedslos personifiziert werden: Selbst die Erde wird in der biozentrischen Rhetorik als „Gaia“ und damit als ein Subjekt adressiert. Autoren wie Peter Wohlleben haben die Debatten mit einem Slang versorgt, in dem Pflanzen und bevorzugt Bäume zu Subjekten erklärt werden, die geheime unterirdische Nachrichten miteinander austauschen, fühlen und leiden wie tatsächliche Subjekte es tun. Was wie im Fall von Wohlleben seitens der Naturwissenschaften längst als unwissenschaftliche und entsprechend gefährliche Esoterik entlarvt ist, prägt in den Geisteswissenschaften immer noch einige Diskurse.
Es sind aber nicht nur diese wissenschaftsfernen Irrläufer, die besorgniserregend sind. Als Tierethikerin und -theologin fällt mir vor allem auf, dass die großzügigen Biozentrismen eine entscheidende Sollbruch-Stelle haben: Für die moralischen Ansprüche von Tieren sind sie nahezu blind. So laut Bio- und Ökozentriker Rechte für „die Natur“ fordern, tatsächliche Tierrechte sind damit nie gemeint.
Die Folge: Gleichgültigkeit gegenüber Tieren
Ausgerechnet jene Wesen, deren Status als Subjekte heute so viel klarer ist als es die angebliche Subjektivität von Steinen, Flüssen und Farnen je sein dürfte, werden von den Biozentriker:innen mit Missachtung gestraft. Das gilt unmittelbar auch für theologische Kontexte: Die so häufig als tierfreundlich missverstandene päpstliche Enzyklika „Laudato Si‘“ spricht zwar vom Schreien der Mutter Erde, das ganz reale Schreien wirklicher (Tier-)Subjekte wird hingegen ignoriert. Öko- und Biozentrismus führen offenbar zu einer verqueren Wahrnehmung: Man sieht Subjekte, wo keine sind – in Steinen, Gräsern und Planeten. Aber gerade dort, wo man es mit tatsächlichen Subjekten zu tun bekommt, geraten diese entweder ganz aus dem Blick, oder sie werden unkritisch mit allen anderen Wesen gleichgesetzt.
Dieser Übergang von der Forderung nach gleichen Rechten für alles Lebendige bzw. Vorhandene und der Gleichgültigkeit gegenüber Tieren ist ein entscheidender Kipppunkt: Wer alles als gleichermaßen gültig anerkennen will, wer keinen Unterschied zwischen einem Stein und einem Steinkauz erkennen kann, produziert Gleichgültigkeit gegenüber dem Töten von Tieren. Das zeigt sich nicht zuletzt daran, dass auch die glühendste Pflanzenrechtlerin die eigenen Forderungen kaum umzusetzen gewillt sein dürfte und fortan jegliche Nahrungsaufnahme einstellt. Man kann Forderungen nach Rechten für „die Natur“ oder für Pflanzen auch deswegen so wunderbar öffentlichkeitswirksam deklamieren, weil sie die sie verkündende Person generös wirken lassen und dennoch angenehm unverbindlich bleiben – zumindest sofern der Begriff des Rechts hier analog zu den elementaren Schutzrechten gebraucht wird, wie sie im Kontext von Menschen- oder Tierrechten gedacht sind.
Unsere so wichtige Intuition, dass Rechte individuelle Schutzrechte von (tatsächlichen) Subjekten bezeichnen, wird von den biozentrisch-inspirierten grünen Religionen aber noch in einer weiteren Weise unterspült. Fast ausnahmslos dient ihnen der Bezug auf „die Natur“ dazu, den vielbeschworenen Kreislauf des Lebens und insbesondere dessen unschöne Kehrseite, die Notwendigkeit des Sterbens, zur ultima ratio dieser Wirklichkeit zu verklären. Der entscheidende Schachzug, der durch die „grünen Religionen“ möglich wird, ist ihr Pakt mit dem Tod. Sie schwören sich ein auf die Notwendigkeit des Sterbens und die Natürlichkeit des Todes. Er ist das grundlegendste, verlässlichste und unanfechtbare ökologische Faktum. Wer das Leben derart ins Zentrum rückt wie biozentrischen Ansätze dies tun, kauft den Tod gleich mit ein.
Nun kann man sich womöglich mit dem eigenen Tod und Sterben arrangieren: Was in den „grünen Religionen“ passiert, geht aber weit darüber hinaus. Die (blut-)rote Seite der „grünen Religionen“ zeigt sich immer dann, wenn ihr blumig-buntes Weltbild dafür herzuhalten hat, Gewalt an Tieren zu naturalisieren. Man lehnt dann zwar die sogenannte „Massentierhaltung“ ab, kann sich aber nicht dazu durchringen, Gewalt an Tiere grundlegend zu kritisieren.
Der unbemerkte Skandal
Stattdessen wird das Sterben von Tieren, gerade dort, wo es menschengewirkt ist, naturalisiert. Eben diese Funktionsstelle nimmt der Rekurs auf „die Natur“ in den grünen Religionen ein: Gerade der Naturbegriff, der in der europäischen Tradition stets den Gegenbegriff zum Subjekt bildete, wird von den grünen Religionen dafür in Anspruch genommen, die legitimatorische Basis dafür zu liefern, nichtmenschliche Subjekte zu töten.
Selbst angesichts der Tatsache, dass die Gewalt an Tieren, die moderne Gesellschaften und die Religionen bis heute produzieren, jeglicher Notwendigkeit entbehrt, beharren die Religionen darauf, Tiere weiterhin zu töten. Aus dem ökologischen Faktum des Todes produzieren die Religionen einen moralischen Herstellungsauftrag: „Du sollst töten!“ Dieser Tötungsakt soll zwar nicht kalt, mechanisch und technisch passieren, sondern möglichst „natürlich“, persönlich zugewandt und fast schon romantisch, damit die strukturelle Gewaltförmigkeit von Judentum, Islam und Christentum möglichst unsichtbar bleibt und die Religionen sich auch weiterhin gegenseitig einflüstern können, dass sie so viel besser seien als die böse „Massentierhaltung“.
Dass auch christliche Theolog:innen heute derart irritationsfrei in den grünen Gesang vom notwendigen Sterben Anderer einstimmen, ist ein unbemerkter Skandal. Der Glutkern christlicher Theologie, der Widerspruch gegen eine Haltung, die den Tod der Anderen im Namen des eigenen Überlebens oder eines höheren Prinzips dekretiert, wird in den ökologischen Theologien systematisch in sein Gegenteil verkehrt.
Diese Diagnose ist schmerzhaft, aber entscheidend. Sie erklärt letztlich auch, warum der Übergang vom Anthropozentrismus zum Öko-/Biozentrismus in den monotheistischen Religionen derart schnell und nahezu reibungslos von statten gehen konnte. Ginge es hier tatsächlich um den so oft herbeizitierten „Paradigmenwechsel“, dann hätte man doch erwarten müssen, dass eine derart massive Umstellung Zeit und intensive Debatten gebraucht hätte. Das Gegenteil war der Fall: Wie bei der Enzyklika „Laudato Si‘“ schien der Übergang vom Anthropozentrismus hin zum neuen ökologischen Denken auffallend schnell zu gehen. Das mag daran liegen, dass wir es hier mit gar keinem realen Gegensatz zu tun haben. Die Kontinuitäten zwischen Anthropozentrismus und Biozentrismus sind auffällig genug, um anzunehmen, dass gerade der Biozentrismus die moderne Ausdrucksgestalt des Anthropozentrismus bildet, was wiederum seine (theologische) Beliebtheit erklären dürfte.
„Unwriting Nature“: Zur Kritik der ökologischen Gewalt
In ihrem Buch „Unwriting Nature“ zeigt Simone Horstmann, wie ökologische Argumente in den Theologien zum neuen Einwand gegen die moralischen Ansprüche von Tieren wurden – und wie dadurch das Risiko steigt, Gewalt an Tieren zu legitimieren. Auf der Website des transcript Verlags finden sich eine Leseprobe (PDF) und weitere Informationen.
Wie kann ein „grünes“ Christentum aussehen?
Ist eine „ökologische Wende“ in den Theologien damit hinfällig? Das ist weder wünschenswert noch möglich. Was aber dringend geboten ist, wäre ein neuer Anlauf, der den Anthropozentrismus nicht rundheraus verteufelt, sondern der verstehen will, was den Anthropozentrismus so wirkmächtig hat werden lassen. Eine solche genealogische Rekonstruktion des anthropozentrischen Denkens könnte wichtige Einsichten befördern.
Was den Anthropozentrismus bis heute attraktiv macht, ist sein Exklusivitätsversprechen. Dies betrifft vor allem die Distinktionsgewinne, die Menschen aus der Abwertung anderer Tiere ziehen. Ein religiöses Selbstverständnis, das die Gewalt an Tieren nicht nur als historisch tradierten Nebeneffekt, sondern als Kern des menschlichen Selbstverständnis aktualisiert, ist auch heute noch maßgeblich für die monotheistischen Religionen. Es gibt keinen Grund, Judentum, Islam und Christentum nicht als Akteure ungeheurer und rückständigster Gewalt an Tieren zu adressieren. Sie eint der vielleicht einzige interreligiös verbindliche Satz: Du darfst und sollst Tiere töten, weil sie Tiere sind und du ein Mensch bist.
So heillos verloren der Anthropozentrismus daher wirkt – er enthält dennoch eine unaufgebbare Erkenntnis. Der Anthropozentrismus schützt Subjektivität: Er ist ein Widerspruch gegen eine vergleichgültigende Natur und zeugt von der Selbstbehauptung entstehender Subjektivität. Er widerspricht naturalistischen Weltbildern, in denen alles eins ist, und verteidigt die Einsicht, dass Subjekte bedeutsam sind, weil sie überhaupt erst der Ort sind, an dem Bedeutung entsteht. Steinen, Flüssen, Pflanzen und Planeten ist es gleichgültig, was mit ihnen geschieht – einem Tier nicht, auch nicht einem menschlichen Tier.
Auf diesen anti-naturalistische Impuls kommt es an. Er sollte Kern einer christlichen Ökologie sein. Wäre dies der Fall, dann könnte auch ein „grünes Christentum“ klarer erkennen, dass die enormen Schwierigkeiten christlicher Theologie gegenüber der Ökologie ihren Grund darin haben, dass das Christentum einer Ökologisierung von Subjekten zu widersprechen suchte. Fatalerweise hat es aber zugleich den folgenschweren Fehler gemacht, Subjektivität einzig und allein in der biologischen Spezies des homo sapiens zu verorten, obwohl wir doch spätestens heute wissen, dass auch andere Tiere Subjekte sind. Das Christentum war damit anti-naturalistisch und naturalistisch zugleich: Man wollte der Vergleichgültigung von Subjekten durch die Natur entkommen und konnte diesen Appell doch nur einer zutiefst naturalistischen, biologistischen Kategorie ausdrücken.
Diese fatale Blockade prägt ökologische Diskurse bis heute. Sie kann nur aufgelöst werden, wenn der Anthropozentrismus gerade nicht in sein (vermeintliches!) Gegenteil transformiert wird, sondern indem er konsequent weitergedacht wird – zu einem Subjektozentrismus, der andere tierliche Subjekte miteinschließt.
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Kolumne „Tipping Point“
In unserer Kolumne „Tipping Point“ schreiben Tobias Foß und Gastautor:innen über die sozial-ökologische Transformation. Welchen Beitrag können Christ:innen und Kirchen leisten? Welche Probleme müssen bewältigt werden? Welche Kipppunkte gilt es in Theologie und Glaubensleben wahrzunehmen?
Mit „Tipping Point“ wollen wir in der Eule an Fragestellungen im Licht der Klimakrise dranbleiben. Dabei stehen nicht allein Klima- und Umweltschutz im Zentrum, sondern auch die Auswirkungen von Klimawandel und Umweltzerstörung auf unser Zusammenleben. Die Klimakrise verändert schon jetzt unsere Gesellschaft(en). In „Tipping Point“ gehen wir diesen Veränderungen auf den Grund und beschreibt Ressourcen und neue Wege.