Bekennerschreiben – Die #LaTdH vom 9. Oktober

Seelsorgliches Gaslighting in erzbischöflichen Worten zur Missbrauchskrise der katholischen Kirche. Außerdem: Verschämte Professoren, ausgezeichnete Theolog:innen und Heilung unterwegs.

Herzlich Willkommen!

Bei der 63. Ordentlichen Synode des Katholischen Bistums der Alt-Katholiken in Deutschland (@Altkatholisch), die vom 29. September bis 2. Oktober in Mainz tagte, wurde in einer teils leidenschaftlich geführten Debatte darum gerungen, ob sich die etwa 15.000 Mitglieder zählende Gemeinschaft nicht einen „sprechenderen“ Namen geben solle, um das Profil einer eigenständigen, reformorientierten bzw. synodalen katholischen Kirche auch für die Öffentlichkeit klarer zum Ausdruck bringen zu können.

Denn auch wenn in den letzten Monaten die mediale Aufmerksamkeit nach prominenten Beitritten wie dem des früheren Benediktinermönches Anselm Bilgri (@AnselmBilgri) oder des ehemaligen Generalvikars des Bistums Speyer, Andreas Sturm (@PfrSturm), erfreulich groß gewesen sei, begegne man immer wieder auch Missverständnissen und Vorurteilen – etwa, „alt-katholisch“ bedeute „rückwärts gewandt“.

In Wirklichkeit sind in der etwa 60 Gemeinden in Deutschland umfassenden Kirche bekannte Reformforderungen wie die Frauenordination seit über 25 Jahren umgesetzt oder die Ehe heterosexueller und die Partnerschaftssegnung gleichgeschlechtlicher Paare liturgisch und rechtlich gleichgestellt. Eine deutliche Mehrheit der Synodalen plädierte dafür, bei der nächsten Synode in zwei Jahren über die tieferliegenden programmatischen und inhaltlichen Fragen zu diskutieren.

Neben der Arbeit zum thematischen Schwerpunkt „Zukunft der Kirchenfinanzen“ nach einem möglichen Wegfall der Staatsleistungen wurden auch verschiedene Gremien des Bistums neu gewählt. Ich freue mich, in den nächsten vier Jahren wieder Mitglied der Synodalvertretung zu sein; dem Gremium, in dem unser Bischof zusammen mit zwei Geistlichen und vier Laien das Bistum zwischen den Synoden leitet.

Einen guten Start in die neue Woche wünscht
Ihr Thomas Wystrach

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Debatte

„Ich bekenne mich ausdrücklich zu meiner Schuld“ – Robert Zollitsch

In einer Erklärung, die auf seiner privaten Website veröffentlicht wurde, hat der emeritierte Freiburger Erzbischof Robert Zollitsch, 2008 bis 2014 auch Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz (DBK), Fehler und persönliche Schuld bei der Aufarbeitung von sexualisierter Gewalt und Missbrauch in der Kirche eingeräumt. In einem neuneinhalb Minuten dauernden Video liest der 84-jährige Zollitsch mit monotoner Stimme den vorbereiteten Text vom Teleprompter ab.

Die Erzdiözese (@BistumFreiburg) arbeitet seit mehreren Jahren an einer Studie, die Missbrauch und dessen Vertuschung dokumentieren und aufarbeiten soll. Zuletzt war die für Oktober geplante Veröffentlichung auf April verschoben worden, da es „notwendige, weitere rechtliche Klärungen und Absicherungen in den Bereichen Datenschutz, Persönlichkeits- und Presserecht“ gebe. Die Studie umfasst auch die Jahre, in denen Zollitsch in verschiedenen Funktionen Verantwortung im Erzbistum Freiburg trug. Der jetzige Erzbischof Stephan Burger hat eine Veröffentlichung der Studie zugesagt. Bis zuletzt war unklar, wie sich sein Vorgänger Zollitsch zu der Untersuchung verhält.

Missbrauch in der Kirche: Betroffene fühlt sich von ehemaligem Erzbischof Zollitsch „verhöhnt“ – Interview mit Lia Sand (SWR 1)

Jahrzehnte lang hätten die Opfer auf diese Stellungnahme gewartet, erzählt die Freiburgerin Lia Sand (so das Pseudonym, das sie in der Öffentlichkeit nutzt), selbst eine Betroffene des Missbrauchs in der Erzdiözese Freiburg im Interview mit Katrin Kleinbrahm und Patrick Neelmeier (@pneelmeier) von SWR 1. Jetzt sei diese Erklärung von Zollitsch ganz plötzlich gekommen – wie aus dem Nichts.

An der Stellungnahme stört mich, dass er (Zollitsch) sich an Betroffene richtet. Aber er müsste sich in gleichem Maße an die jetzt amtierenden Bischöfe richten. Ich sehe keinen Appell an die Personen, die gerade handeln und etwas ändern könnten. (…)

Es macht mich extrem wütend, so etwas zu hören, weil Betroffene keine Anteilnahme brauchen, sondern Betroffene brauchen Hilfe. Und: Betroffene brauchen, dass jemand ihre Situation ernst nimmt. Er hat in seiner Stellungnahme gesagt, er wollte den Tätern eine zweite Chance geben. Aber er hat nichts unternommen, um Betroffenen eine erste Chance zu geben. Und deshalb fühle ich mich wirklich verhöhnt, wenn ich so etwas höre.

Zollitsch hätte besser geschwiegen – Christoph Ebner (SWR)

In seinem Kommentar vermisst Christoph Ebner (@Ebner_Christoph) ein klares Schuldeingeständnis. Nicht einmal ein Hauch von Empathie, von Betroffenheit, von trauriger Anteilnahme sei zu spüren, weder im Text noch im Video. Zollitsch strahle eine „eisige Kälte“ aus:

Es ist eine Entschuldigung im Duktus einer Predigt – und das macht für mich den Auftritt von Zollitsch vor der Kamera so gespenstisch, so merkwürdig und so unglaubwürdig. (…)

Zollitsch räumt ein, dass er als Personalreferent der Erzdiözese Freiburg und später als Erzbischof Fehler gemacht hat und verstrickt sich dann aber sofort in Widersprüche. Er sagt, er habe das Wohl der katholischen Kirche über alles gestellt und er sei naiv gewesen. Das passt nicht zusammen. Wer so berechnend ist, dass er die Institution Kirche über alles stellt, auch über das Leid der Missbrauchsopfer, der ist nicht naiv – der ist berechnend. Knall hart berechnend. Punkt.

In ihrem Kommentar im Deutschlandfunk (@DLF) sieht Christiane Florin (@ChristianeFlori) die Veröffentlichung weniger durch ein „schlechtes Gewissen“ motiviert, sondern nicht zuletzt auch dadurch, dass für das Erzbistum Freiburg die Veröffentlichung eines Missbrauchsgutachtens geplant war, das aus rechtlichen Gründen verschoben wurde: „Dieser rechtliche Grund heißt Robert Zollitsch“. Florin vermisst „ein Wort über Macht und seinen laxen Umgang mit der Wahrheit“ – er gebe exakt nur soviel zu, wie er zugeben wolle.

nachgefasst

Warum Kreuzverweise auf die Protestanten eine Zerreißprobe sind – Hans-Joachim Sander (katholisch.de)

Kardinal Koch hatte sich in seiner Kritik am Synodalen Weg auf die „Deutschen Christen“ während der Nazi-Zeit bezogen – und damit einen Eklat verursacht (vgl. die #LaTdH vom 2. Oktober). In seinem Gastbeitrag bei @katholisch_de erläutert der Salzburger Theologe Hans-Joachim Sander, warum Kreuzverweise auf die Protestanten dem Katholischen schaden:

Finger weg vom binären Codieren „katholisch oder protestantisch“. Vielmehr löst das, was Protestant:innen kirchlich sehr gut machen (Papst Franziskus) und was die Bekennende Kirche so vorbildlich machte (Kardinal Koch), etwas anderes aus. Beides macht die eigenen, also katholischen Defizite unweigerlich sichtbar. Denn konfrontiert mit Stärken von anderen, werden stets die eigenen Schwächen freigelegt.

„Die Krise kann kaum größer sein“ – Interview mit Norbert Lüdecke (Fresh-Magazin)

Reformen in der römisch-katholischen Kirche? Fehlanzeige! So könnte man die Bemühungen des Synodalen Weges zusammenfassen. Mit der bischöflichen Ablehnung des zentralen Grundtextes zur Sexualmoral ist einmal mehr Vertrauen in die Reformfähigkeit der Institution verloren gegangen. Im Interview mit Fresh, dem Queer-Magazin für NRW, erläutert der Bonner Kirchenrechtler Norbert Lüdecke (@norbertluedecke) die Hintergründe:

Die deutschen Bischöfe versuchen, dem enormen Druck durch den Missbrauchsskandal auf zwei Wegen Herr zu werden: Nach außen haben sie von Anfang an das Heft in der Hand behalten. Bis heute lässt man ihnen durchgehen, dass sie Aufklärung und Aufarbeitung einfach zu ihrer ureigenen Aufgabe erklären. Da machen dann 27 Diözesanbischöfe jeweils ihr Ding, wenn sie denn etwas machen.

Beliebt ist, bei selbstgewählten Anwaltsfirmen private Gutachten mit je eigenen Fragestellungen in Auftrag zu geben. In denen kommen die amtierenden Bischöfe dann – welche Überraschung – im Vergleich zu ihren Amtsvorgängern jeweils ganz gut weg. Und dann stellen sie sich hin und nennen das „unabhängige“ Aufarbeitung. Warum man diese eigentlich durchtriebene Selbstzuschreibung duldet und medial übernimmt, habe ich nie verstanden. (…)

An den Synodalen Weg hängt Lüdecke, wie bekannt, kaum Hoffnungen:

Nach innen (…) verlagern die Bischöfe den Fokus mit dem Synodalen Weg. Mit ihm haben die Bischöfe, unterstützt von willigen Laienhelfern, nach einem mehrfach bewährten Handlungsskript aus der Krise ihrer Autorität eine Kirchenkrise gemacht. Der Missbrauch wird zum Anlass, um den Katholiken als Dialog auf Augenhöhe mit Entscheidungsbefugnis zu suggerieren, was tatsächlich ein für die Bischöfe komplett unverbindlicher Meinungsaustausch ist. (…)

Die Bischöfe können sich so ein Partizipationsmäntelchen umhängen statt sich als das zeigen zu müssen, was sie sind: Repräsentanten eines monarchischen Religionssystems, das u. a. mit einem heteronormativen Menschenbild eine Männerherrschaft stützt und zugleich ein Legitimationsreservoir für die weltweite Diskriminierung nicht heterosexueller Menschen bereithält. Auch damit sollte Schluss sein. Jedenfalls wird der Synodale Weg die zu erwartende Versektung der katholischen Kirche in Deutschland nicht verhindern.

Zum Buch von Norbert Lüdecke, „Die Täuschung. Haben Katholiken die Kirche, die sie verdienen?“, empfehle ich auch die Beiträge hier und hier in der Eule.

Eingeschränkte Begeisterung: Kardinal Woelki trifft in Rom auf kritische Ministranten (Domradio)

Bei der Messdiener-Wallfahrt in Rom traf der Kölner Erzbischof Kardinal Woelki auf kritische Ministrant:innen aus dem Erzbistum Köln. Bereits im Vorfeld des Eröffnungsgottesdienstes soll es zu Missstimmigkeiten innerhalb der Jugendgruppen gekommen, berichtet das @domradio:

Es kursierten Aufkleber mit Kritik an Woelki, die wohl viele der jungen Romreisenden als unangemessen empfanden. Beim Gottesdienst kam es dann zu aufsehenerregenden Szenen: Während einige Regenbogen-Flaggen zu sehen waren und einzelne Jugendliche FFP2-Masken in den Farben der LSBTQI-Bewegung trugen, um sich für Geschlechtervielfalt auszusprechen, richteten andere Teilnehmenden ihre Kritik direkt an den Erzbischof, wenn auch stumm.

Während dessen Predigt kehrten 150-200 der fast 2.000 Jugendlichen dem Kardinal demonstrativ den Rücken zu – augenscheinlich als Ausdruck des Protestes gegen das Agieren der Bistumsleitung bei der Aufarbeitung sexueller Gewalt durch Priester im Erzbistum Köln.

Kardinal Woelki unterbrach seine Predigt und wies darauf hin, Jesus habe niemals einem Menschen den Rücken zugekehrt, er habe stets den Menschen offen sein Gesicht gezeigt, das „Gesicht des Vaters, der jeden Menschen annimmt und liebt“. In einem Thread auf Twitter kritisiert die Theologin Doris Reisinger (@ReisingerWagner) diese Reaktion als …

… Muster seelsorglichen Gaslightings, das sich permanent in Fällen von Missbrauch, Vertuschung und Leitungsversagen beobachten lässt. Meistens läuft das aber subtiler ab. Woelki hat es hier sehr anschaulich vorgeführt. Insofern muss man ihm dankbar sein. (…)

Auch Missbrauchstäter benutzen diese Masche: Sie fordern Mitleid von ihren Opfern ein, inszenieren sich als die eigentlichen Opfer, während sie kein Mitleid mit ihren Opfern haben, sondern gegen die alle zur Verfügung stehenden Rechtsmittel einlegen.

In seinem Kommentar in der FAZ sieht Daniel Deckers wenig Hoffnung, dass Papst Franziskus endlich ein Einsehen haben und das im vergangenen Februar „unter dubiosen Umständen formulierte Rücktrittsangebot“ Woelkis doch noch annehmen könnte. Der Protest der Ministranten spreche für sich:

Sollte es noch eines symbolischen Aktes bedurft haben, um bildmächtig zu zeigen, wie es um das Verhältnis zwischen dem Kardinal und den Katholiken im Rheinland bestellt ist, so ist diese Leerstelle gefüllt.

Buntes

Das Funkeln sehen – Video von Samuel Richner (ref.ch)

Woher kommt die Evangelisch-reformierte Kirche der Schweiz (@EKS_EERS) und wohin soll sie gehen? Mit dem vergangenen und dem zukünftigen Rollenverständnis der Reformierten hat sich Samuel Richner, amtierender Schweizer Meister in Slampoetry, in einem künstlerischen Beitrag auf dem Portal ref.ch (@refpunktch) auseinandergesetzt:

Und das wird Eure Aufgabe sein: Das Funkeln in allen Menschen zu sehen, nicht nur das glänzen zu lassen, was sich durch seine Form perfekt in das Muster einfügt.

Wir beten auch für den Papst – Johannes Arens im Gespräch mit Renardo Schlegelmilch (Himmelklar – der katholische Podcast)

Nach dem Tod der Queen ist King Charles nun auch Oberhaupt der Church of England (@churchofengland). Die sieht sich eigentlich in der Tradition der Katholiken. Im Interview mit dem römisch-katholischen Podcast Himmelklar (@himmelklar_pod) spricht der Priester Johannes Arens (von Hause aus altkatholischer Geistlicher und vor 20 Jahren nach England gezogen) über große Spannungen innerhalb der anglikanischen Gemeinschaft und Parallelen zu den Reformdebatten in der römisch-katholischen Kirche:

Auf der einen Seite gibt es sehr katholische Anglikaner, die in jeder Messe für den Papst beten, die exakt das gleiche Sakramentenverständnis und auch das Glaubensverständnis haben und den Katechismus ohne Probleme unterschreiben könnten. Und es gibt sehr evangelikale Anglikaner, die das etwas anders sehen, und die auch in ihren Gottesdiensten und in ihrem Glaubensleben das sehr anders leben.

Da ist eine riesige Spannung. Anglikaner haben es in den letzten paar Hundert Jahren gut verstanden, diese Spannung auszuhalten – mit Schmerzen. Unsere offiziellen Texte sind aber häufig so formuliert, dass man da verschiedene Dinge reinlesen kann und dass man diese ökumenische Bandbreite aushält, die wir in einer Kirche haben, die es de facto natürlich auch in allen anderen Kirchen gibt.

Theologie

Theologie über die Kirche hinaus – Andreas Faessler (Christ+Welt / Luzerner Zeitung)

Der Herbert Haag Preis 2023 geht zum einen an Julia Enxing (@JuliaEnxing), Professorin für Systematische Theologie an der TU Dresden und Sprecherin des „Wort zum Sonntag“ in der ARD, zum anderen an das theologische Feuilleton Feinschwarz (@feinschwarz_net), ein österreichisch-schweizerisch-deutsches Gemeinschaftsprojekt, dessen Website sich seit diesem Monat „im neuen Gewand“ präsentiert. Mit der Vergabe werde das Bemühen der Preisträgerinnen und Preisträger gewürdigt, den innenkirchlichen Bereich zu überwinden und Theologie in säkularen Kontexten zu betreiben, teilte die Herbert Haag Stiftung für Freiheit in der Kirche mit.

Keine Berufung – Raphael Rauch im Gespräch mit dem Rektorat der KHKT (kath.ch)

Manche sehen die Kölner Hochschule für Katholische Theologie als „Woelki-Hochschule“ und als Bollwerk gegen die liberale Katholisch-Theologische Fakultät der Universität Bonn. Raphael Rauch (@raphael_rauch), Redaktionsleiter von kath.ch (@kathch), dem Portal der römisch-katholischen Kirche in der Schweiz, hat mit dem Rektorat über die gestoppte Berufung des umstrittenen Franziskaners Dominikus Kraschl, mögliche Verbindungen zum Opus Dei und die Debatte über Frauenordination in der römisch-katholischen Kirche gesprochen.

Zu den offenen Fragen der Finanzierung oder dem jüngsten „Paukenschlag“, der Entlassung von Martina Köppen, Geschäftsführerin der Hochschulstiftung sowie der gemeinnützigen Betreibergesellschaft KHKT und bisherige Kanzlerin der Hochschule, bleiben Rektor Christoph Ohly und seine beiden Prorektoren Elmar Nass und Tobias Häner, auffallend wortkarg.

Der Jesuit Godehard Brüntrup findet die Aussagen von Kirchenrechtler Ohly, Priester des Erzbistums Köln, Sozialethiker Nass (Bistum Aachen) sowie Bibelwissenschaftler Häner (Bistum Basel), befremdlich:

Jede heikle Frage wird unbeantwortet gelassen. Es gibt ein peinliches Versteckspiel hinter den Zuständigkeiten, Fachgrenzen und ähnlichen anonymen Strukturen. Der Einzelne wagt nicht, als Individuum mit einem eigenverantworteten Urteil hervorzutreten. Das ist normalerweise ein Charakteristikum totalitärer Machtstrukturen. (…)

Von daher verstärkt sich der Verdacht bei mir, dass es sich doch im Grunde um ein ekklesiologisch restauratives Projekt handelt, auch wenn es daneben das Anliegen gab, eine Hochschule mit Tradition nicht untergehen zu lassen. Wenn dem so ist, dann sollte man es offen zugeben und dann argumentativ in den Ring steigen. Dieses ständige Ausweichen erinnert an Bischöfe, die sich nicht in die Diskussion einbringen, weil sie angeblich einen „safe space“ brauchen.

60 Jahre Zweites Vatikanisches Konzil. Einige Fragen zur kritischen Selbstreflexion – Regina Polak (theocare.network)

Am 11. Oktober 1962 eröffnete Papst Johannes XXIII. das Zweite Vatikanische Konzil mit dem Ziel, „das heilige Überlieferungsgut (depositum) der christlichen Lehre mit wirksameren Methoden zu bewahren und zu erklären“. Getragen vom Glauben, dass „die Kirche an geistlichen Gütern zunehmen und, mit neuen Kräften von daher gestärkt, unerschrocken in die Zukunft schauen“ wird, war er überzeugt, die römisch-katholische Kirche werde „durch eine angemessene Erneuerung und durch eine weise Organisation wechselseitiger Zusammenarbeit erreichen, dass die Menschen, Familien und Völker sich mehr um die himmlischen Dinge sorgen“.

In ihrem Beitrag auf theocare.network (@TheocareNetwork), dem Blog des Instituts für Praktische Theologie der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien, fordert die Pastoraltheologin Regina Polak angesichts der aktuellen Kirchenkrise zur kritischen Selbstreflexion der Umsetzung des Konzils auf.

Geht man davon aus, dass diese Widersprüchlichkeit vieler Texte nicht nur eine Schwäche oder gar Ignoranz darstellt, sondern dem Wunsch nach Einmütigkeit geschuldet ist, müssen sie möglicherweise performativ gelesen werden, d.h. sie verpflichten dazu, die am Konzil und offenbar auch bei dessen Rezeption nicht ausreichend in die Tiefe gehenden und seit den 1980er-Jahren auch unterbundenen Konflikte endlich offen und im Geist der Synodalität auszutragen.

Predigt

Die heimatlos gewordene Tugend der Dankbarkeit – Józef Niewiadomski (Innsbrucker Theologischer Leseraum)

Sowohl die heutige erste Lesung (2 Kön 5,14-17) als auch das Tagesevangelium (Lk 17,11-19) berichten von unspektakulären Heilungen. Ist es einerseits der an „Aussatz“ erkrankte aramäische Feldherr Naaman, der mit viel Geld nach Israel reist und dann einfach nur im Jordan baden soll, sind es bei Lukas zehn Aussätzige, die von Jesus „aus der Ferne“ geheilt werden, von denen sich jedoch nur einer, ein „Fremder“ aus Samarien, dankbar zeigt. In seiner Predigt weist der Innsbrucker Theologe Józef Niewiadomski auf den „Clou“ des heutigen Evangeliums hin:

Die Heilung geschieht unterwegs, ohne Ach und Krach, ohne das spektakuläre Wunder. Die Heilung geschieht unterwegs an einem Ort und zu einem Zeitpunkt, wo man sie leicht übersehen kann, wo man die Heilung als selbstverständlich in den Gang der Dinge einordnen kann, genauso selbstverständlich, wie man die Müdigkeit wahrnimmt, die da während einer Bergtour kommt und geht. (…)

Nur einer staunte. Er nahm die Veränderung, die unterwegs geschah wahr, brach deswegen aus dem Gewohnten aus, kehrte auf dem eingeschlagenen Weg um, veränderte die Richtung seines Weges, ging also ausdrücklich gegen die scheinbare Selbstverständlichkeit dessen vor, was geschah. Deswegen war er auch zu Dankbarkeit fähig. (…)

Nur wer sich wundert wird die Tugend der Dankbarkeit in seinem Leben beheimaten. Gehen wir also bewusst gegen die Selbstverständlichkeiten unseres Alltags vor, lernen wir die Tugend der Dankbarkeit neu.

Ein guter Satz