Kolumne Sektion F

Danke, aber nein, danke: Generationenfehden im Feminismus

Feminist*innen streiten: Was ist der richtige Weg und für wen kämpfen wir eigentlichen? Carlotta Israel schlägt eine Schneise durch das Debatten-Dickicht und fragt nach der Rolle, die Generationenzugehörigkeit spielt.

Generationenkonflikte kennen wir aus unterschiedlichen Bereichen. Zum Beispiel lenken die Fridays-for-Future-Bewegung oder die Initiative Last Generation den Blick darauf, ob wirklich ausreichend Klimaschutz betrieben wurde (Nein!) und versuchen auf die Ausweglosigkeit der drohenden Klimakatastrophe, wenn denn alles wie bisher weiter geht, hinzuweisen. Sozial-ökonomisch gibt es den sogenannten „Generationenvertrag“ im Steuer- und Rentensystem. Es spielen sich Generationenkonflikte zwischen „Boomer*innen“ und Generation Y oder Generation Z oder mittlerweile Generation Alpha ab: Wie ist das Verhältnis von gutem Leben, Status, Entlohnung, Care-Arbeit, Freizeit oder kurz die Work-Life-Balance?

Diese Frage beantworten wir natürlich je individuell, aber oft auch in Einklang mit Personen aus der gleichen Alterskohorte. Generationen sind klassischerweise durch Geburtenfolge und Intervalle zwischen Geburten bestimmt, also hier aktuell etwa 25-30 Jahre: Die „Boomer*innen“ – Geburtenjahrgänge um 1960 – haben oft Kinder Anfang der 1990er Jahre bekommen. Aber auch verbindende Themen wie die der „68er“, die mit Linkssein, Auflehnung gegen Staat und Elternhäuser mit unreflektierten oder undiskutierten Familiengeschichten während der NS-Zeit verbunden werden, können in der Selbstbeschreibung die Zugehörigkeit zu einer Generation prägen bzw. die Abgrenzung von ihnen ermöglichen.

Innerhalb des Feminismus wird oft von verschiedenen Wellen gesprochen, um sowohl zeitliche als auch thematische Schwerpunkte der feministischen Bewegung zu beschreiben. Selbstverständlich gab es aber auch Feminist*innen zwischen den Wellen. Während Fragen nach Frauenbildung und Frauenrechten die „erste Welle“ im 19. Jahrhundert prägte, werden mit der „zweiten Welle“ die „68erinnen“ verbunden – jedenfalls in der sehr weißen eurozentristischen oder westlichen Wellen-Einteilung. Ging es in der Studierendenbewegung zwar um Befreiung, galt diese Forderung nicht auch per se gleichermaßen für Frauen. Diese Erkenntnis war Auslöser einer neuen Frauenöffentlichkeit in eigenen Gruppen, mit eigener Presse, in der auch die Frage des Schwangerschaftsabbruchs diskutiert wurde.

Eine sogenannte „dritte Welle“, evtl. ab den 1990er Jahren, schloss – so die rückblickende Konstruktion – mehr Themen ein: Sowohl der Begriff der Intersektionalität als auch der Gender-Begriff wurden nun zunehmend aufgenommen. Möglicherweise befinden „wir“ uns aktuell in einer „vierten Welle“, dem Queer-Feminismus. Wahrscheinlich erleben wir aber einfach die Fortsetzung und Aufnahme der vorigen Theorien. Die Befreiung von Geschlechternormen bzgl. der Geschlechteridentität, die ja z. B. auch Männer oder Nichtbinäre betrifft, wird gemeinsam mit der sexuellen Orientierung im Kontext von Intersektionalität bedacht, sodass Unterdrückungsmechanismen in verschiedenen Lebens- bzw. Identitätsbereichen angegangen werden können.

So viel zu einer quasi Master*innenerzählung von Frauenbewegungen, die klingt wie eine logische Folge, als ob das eine aus dem anderen gewachsen wäre. Teilweise stimmt das natürlich, aber es handelt sich trotzdem immer um Kämpfe – nach außen wie auch nach innen. Zwei „typische“ Konflikte, die aber deswegen nicht minder verbissen und bitterlich geführt werden, sind der Streit Gleichheits- oder Differenzfeminismus und die aktuelle Debatte, ob der Befreiungskampf nur cis Frauen gilt oder nicht. Diese beiden Konflikte möchte ich ein bisschen genauer anschauen:

Gleichheit vs. Differenz

Mit Gleichheits- und Differenzfeminismus werden zwei grundsätzlich voneinander verschiedene Wege zum Ziel der Gleichberechtigung verstanden. Differenzfeminismus verfolgt die Logik, dass im Kontext der Unterdrückung von Frauen eine Aufwertung des Weiblichen nötig und zentral ist: Wenn Weiblichkeit patriarchal-gesellschaftlich als minderwertig verstanden wird, kann dies nur dadurch überwunden werden, dass Weiblichkeit aufgewertet wird. So wurden beispielsweise die Mütterlichkeit, Kommunikationsfähigkeit und Natürlichkeit von Frauen positiv hervorgehoben. Ohne diese Aspekte würde in einer technisch(-männlich) entfremdeten Welt die Menschlichkeit verloren gehen.

Diese Bilder nahmen jedoch genau jene Stilisierungen auf, die vor allem im 19. Jahrhundert über Weiblichkeit entworfen wurden. Und – das ist der Hauptkritikpunkt auch aus der Sicht der Gleichheitsfeminist*innen – dadurch wird weiterhin der Unterschied unter Geschlechtern festgeschrieben: Es komme eben nicht zu einer tatsächlichen Gleichberechtigung, sondern es werde weiterhin daran festgehalten, dass Frauen anders sind. Damit würde zu einer Selbstmarginalisierung beigetragen.

Gleichheitsfeminismus hingegen betont – wie der Name schon sagt – die Gleichheit. Nicht die Betonung des Unterschieds, sondern der Gleichheit soll zur Gleichberechtigung helfen. Hier wird zum Beispiel auch das Konzept von undoing gender vorgeschlagen. Doing gender geht davon aus, dass es unmöglich ist, Geschlechterbilder nicht permanent zu reproduzieren, weil das Geschlechts meist die erste Wahrnehmungs- und Einteilungskategorie ist, in der wir einander begegnen. Mit einem bewussten undoing gender soll versucht werden, dass auf dieses wahrgenommene soziale Geschlecht weniger fokussiert wird.

Wenn nicht darauf, worauf sollen wir stattdessen schauen? In der Pastoraltheologie, als der Disziplin der Praktischen Theologie, die sich mit dem Bild und der Rolle von Pfarrpersonen befasst, hat Isolde Karle dafür den Professionsbegriff vorgeschlagen. Demgegenüber kritisieren z. B. Differenzfeminist*innen, dass das so verstandene Konzept von einer Gleichheit der Geschlechter darauf beruht, dass z. B. Frauen männlich werden müssten; sich an die männliche Norm anpassen, statt diese zu verändern und zu diversifizieren.

Die beiden Konzepte sind grundsätzlich nicht miteinander zu vereinbaren. Müssten sie das sein? Oder gibt es eine zeitliche Notwendigkeit, die Andersartigkeit zu betonen, um dann eine wirkliche transformierte Gleichberechtigung zu erreichen? In Generationen oder „Wellen“ aufgeteilt, ist diese Diskussion, die Feminist*innen schon immer geführt haben, oft einerseits mit der „zweiten Welle“, die differenzfeministisch eingeordnet wird, und andererseits mit der „dritten Welle“, die gleichheitsfeministisch verstanden wird, verbunden. Damit sind Tendenzen wahrscheinlich korrekt erfasst – dennoch gab es immer Angehörige der „gegenteiligen“ Position, sowie es auch heute weiterhin Differenzfeminist*innen gibt.

Für wessen Freiheit streiten wir?

Die Kritik Schwarzer Frauen und Women of Color, dass Feminismus vor allem weiße Frauen betrifft oder führende Feminist*innen vor allem die Befreiung weißer Frauen zum Ziel hätten, wurde prominent im deutschsprachigen Kontext vor allem in den 1980er Jahren eingebracht. Hier ist vor allem an May Ayim zu erinnern. (mehr dazu + eine Literaturliste schwarzer Autor*innen hier in der Eule, Anm. d. Red.)

Im US-amerikanischen Kontext entstanden in diesem Kontext die Konzepte Womanism oder Womanist Theology oder auch die Mujerista Theology, die die Perspektive von Latinas in den USA einbringt. Die lateinamerikanischen feministischen Theologien werden dann auch noch stärker binnendifferenziert zwischen der teología negra, der teología ecofiminista und der teología indígena bzw. india. Allen ist gemein, dass die weiße westliche Prägung den Begriff „Feminismus“ ergänzungsbedürftig macht.

Aktuell wird im deutschsprachigen Raum die Frage diskutiert, ob feministische Befreiung auch den Kampf für die Rechte von trans Frauen miteinschließt bzw. pointierter: Ob trans Frauen Frauen sind. Dass die Bekämpfung von Transfeindlichkeit auch Aufgabe der Kirche(n) ist, hielten zuletzt die Evangelischen Frauen in Deutschland e.V. fest, die damit auch ganz bewusst auf den innerfeministischen Konflikt eingingen.

Demagog*innen sehen in Zusammenhang mit trans Personen nebulöse Einfalltore dafür, dass sexuelle Gewalt in eigentlichen Schutzräumen passieren könnte, weil Männer diese irgendwie ausnutzen könnten. Warum Menschen, die sich als Frauen identifizieren, nicht einfach als Frauen von diesen Feminist*innen akzeptiert werden können, weiß ich nicht. Das passiert sowohl in sich als links verstehenden Kontexen eben dieser Feminist*innen, aber auch bei Rechten bis Rechtsextremen.

Im Hintergrund stehen vermeintliche Natürlichkeitsargumente, die dann auch religiöse Menschen auf den Plan rufen: „G*tt hat doch XY (ha ha …) als Mann geschaffen. Er hat ja einen Penis! Der ist keine Frau!“ In der Medizin wird demgegenüber aus vielen Perspektiven über den Geschlechterbegriff nachgedacht, nicht nur auf die äußeren Geschlechtsmerkmale geschaut – auch wenn das Berliner Biologinnen oder Lüneburger Wirtschaftsjuristinnen nicht verstehen (wollen). Deswegen der XY-„Gag“, weil auch der Chromosomensatz eben nur einer von verschiedenen Parametern ist. Dass von einem einzelnen Körperteil die geschlechtliche Identität abhängig gemacht wird, welches wir zudem in den meisten Fällen nicht sehen, weil sich die wenigsten von uns permanent am FKK-Strand aufhalten, passt einfach nicht. Warum sollten nicht auch Frauen einen Penis haben?

Die Schein-Argumentation Natürlichkeit = Schöpfung G*ttes ist eine typische rechts-christliche Aufladung des Themas. Aber auch auf der „anderen Seite“ werden Sorgen geschürt, obwohl sich dort dagegen gewehrt wird, mit rechten Gruppen in einem Topf geworfen zu werden: „Was, wenn ein als trans Frau „verkleideter“ Mann übergriffig wird in Umkleiden, Toiletten etc.?“ Was für eine seltsame Frage?! Denn es handelte sich ja dann immer noch um einen Mann, der Frauen malträtiert und nicht um eine trans Frau. Eigentlich stehen dabei immer noch und weiterhin Vorstellungen einer besonderen Natürlichkeit der Frau im Raum. Drückt sich darin neben einem grundsätzlichen Unverständnis für trans Personen nicht auch aus, dass solche Feminist*innen (TERFS, trans exclusionary radical feminists) es am Ende einfach für unmöglich halten, dass eine männlich gelesene Person Privilegien aufgeben möchte, die sie vorher hatte? Es geht am Ende nicht darum, Frau oder Mann sein zu wollen, sondern es zu sein – auch wenn andere es nicht checken.

Gibt es einen Generationenkonflikt?

Zu alldem kommt wahrscheinlich noch eine generationell auftretende Irritation hinzu: Warum integrieren viele jüngere Feminist*innen Anliegen von trans Frauen in ihren Kampf gegen das Patriarchat? Diese Frage wird von älteren Feminist*innen häufig gestellt, wenn sie denn den Feminismus der jüngeren Generation überhaupt wahrnehmen. Mir es auch schon passiert, dass ältere Feminist*innen mir direkt ins Gesicht gesagt haben: „Die jungen Frauen machen ja gar nichts!“

Warum wir uns gegenseitig nicht wahrnehmen, hängt sicherlich auch mit veränderten und sich verändernden medialen und sprachlichen Gewohnheiten zusammen. Doch nicht selten werden sogenannte Frauenorte mittlerweile von der nächsten Generation geführt oder der Frauenstreik von jüngeren Personen organisiert. Ein zweiter Aspekt der Nicht-Wahrnehmung liegt, so vermute ich, darin, dass gegenüber feministischen Vorkämpfer*innen zu wenig Dankbarkeit ausformuliert wird. Deswegen: Danke! Danke für viele Möglichkeiten, die ich in meinem Leben als cis Frau deswegen habe, weil Frauen sie vor mir gemeinsam mit Menschen anderer Geschlechter erkämpft haben.

Aber andersherum: Bitte versteht, dass der Kampf aus unserer Sicht trotzdem noch lange weitergehen muss! Die sogenannte Gläserne Decke gibt es immer noch, auch wenn einzelne Frauen auf Leitungspositionen wirken. Nur weil Familie und Beruf heute möglicherweise besser miteinander vereinbar sein sollen – typisch westdeutsche Perspektive – heißt das nicht, dass Arbeiten ohne Punkt und Komma das höchste Ziel ist. Work-Life-Balance ist womöglich das Generationenthema schlechthin.

Danke, dass ihr euch in Kirchenleitung und auf Lehrstühle gekämpft habt und uns so buchstäblich mehr Vorbilder seid, als ihr sie vor euch hattet! Aber bitte versteht, dass wir den Kampf gegen das heteronormative Patriarchat noch nicht als beendet sehen. Wir nehmen ja Blickrichtungen von euch auf: Wir verknüpfen weiterhin feministische Gerechtigkeitsfragen zum Beispiel mit dem Kampf für Klimagerechtigkeit. Aber: Warum sollten wir diesen Kampf nicht mit mehr Personen kämpfen und auch für alle?

Geschwisterlichkeit für Generationen- und Lagergrenzen hinweg

Die Befreiung von einem unterdrückerischen Patriarchat gilt Nicht-binären und Männern doch genau so! Ein Ende von Heteronormativität ist doch für alle erstrebenswert, jedenfalls aus meiner Perspektive. Warum sollten trans Frauen dabei nicht inkludiert werden? Oder Non-binary? Das verstehe ich nicht. Und ich verstehe einfach nicht, warum Menschen, die von sich sagen, dass sie Frauen sind, nicht einfach als Frauen angesehen werden. Aber da bin ich vielleicht auch einfach Angehörige meiner Generation, oder?!

Aber aber aber. Ja aber, nein aber. Der Kampf als weiße cis Frau in Deutschland für Gleichheit ist kein Quatsch, aber sehr privilegiert. Schauen wir in den Iran oder auch nach Polen! Und diese Liste könnte noch sehr lange fortgesetzt werden. Möge Geschwisterlichkeit unsere Kräfte bündeln und feinfühliges Verständnis füreinander über Generationen- und Lagergrenzen hinweg stärken, so dass Fehden innerhalb der feministischen Bewegungen uns das Ziel nicht aus dem Blick geraten lassen. Und ihr erinnert euch doch auch: Ihr wolltet es doch auch anders machen als die vor euch, oder?