Foto: Gaelle Marcel (Unsplash)

Der Schrecken der Welt und unsere Kinder

Wie können Eltern und Kinder mit den Schreckensbildern von Terror und Gewalt in den Nachrichten umgehen? Ist es erlaubt, sich ein behütetes Bullerbü zu bauen?

Ich weiß nicht, wie es Dir geht, aber ich habe mal wieder genug gesehen. Selten hat mich ein Wochenende so aufgewühlt, wie das vorletzte. Da waren zum einen ekelerregend große blaue Balken bei der Bekanntgabe der Wahlergebnisse aus meinem Hessen und aus Bayern. Und dann die Bilder, die wohl keine:r von uns bisher ausreichend verarbeiten konnte: Die Fotos und Videos aus Israel. Terror! Grauen! Unbeschreibliches!

Ich, sonst nie um einen Kommentar verlegen, bin verstummt angesichts dessen, was ich gesehen und gelesen habe. Ich würde ja gern etwas schreiben, auch in den Sozialen Medien, aber ich weiß gar nicht was.

Als Elternteil hat man leider nicht den Luxus, zu dem zu schweigen, das auf der Welt vor sich geht. Es gibt einen Ort, an dem wir Worte finden müssen. Und das ist der heimische Esstisch oder das Sofa, der Rand des Kinderbettes oder wo auch immer ihr zusammenkommt. Denn so gern ich mit meinen Kinder gerade in J.R.R. Tolkiens Auenland verschwinden möchte, so sehr muss ich doch akzeptieren, dass wir Teil dieser Welt sind und bleiben, und dass ich meine Kinder nicht davor beschützen kann, vom Grauen zu erfahren, das auf unserer Erde nun einmal passiert.

Ich habe die Chance des Verschweigens schon lange nicht mehr und meine Kinder sind früh der Gnade des Nichtwissens entwachsen. Neben ihrer Grundschule liegt ein Zeitungskiosk und seit sie lesen können, erzählen sie mir täglich, welche neuen Schlagzeilen sie aufgeschnappt haben. Wenn ich nicht will, dass sie von schwerwiegenden Ereignissen durch die BILD-Titelseite erfahren, muss ich selbst die passenden Worte finden.

Aufwachen in der Realität

Noch dringlicher gilt dies für meine Teenager, die mit ihren Smartphones natürlich bereits auf allen möglichen Plattformen unterwegs sind. Ich möchte nicht, dass sie ihr Wissen über aktuelle Weltereignisse von TikTok oder YouTube beziehen. Schon Erwachsene sind heute kognitiv mehrheitlich nicht mehr in der Lage, die Flut an Informationen zu filtern, gezeigtes Material in „glaubwürdig“ und „fake news“ zu sortieren und sich selbst durch einen achtsamen Umgang mit dem Netz vor allzu grauenhaften Bildern zu schützen. Junge Menschen, die gerade erst in diese digitalisierte Welt hineinwachsen, können dadurch erst recht überfordert werden.

Doch ich merke immer wieder, dass viele Eltern sich mit solchen Gesprächen schwertun. Zum einen ist da der große Wunsch, der uns wohl alle eint: Wir möchten so gern, dass unsere Kinder und Jugendlichen ihr Heranwachsen unbeschwert genießen können. Wir wollen ihnen Angst und Grauen ersparen. Wünschen uns, dass sie sich um Dinge wie Krieg und Terror noch keine Gedanken machen müssen. Doch wie schon erwähnt, ist das ab einem gewissen Alter ein ziemlich sinnloses Unterfangen.

Und tatsächlich – so sehr ich solche Gespräche am liebsten nicht führen möchte – so sehr bin ich auch davon überzeugt, dass wir unseren Kindern mit dem Versuch, sie von schlimmen Ereignissen fernzuhalten, keinen Gefallen tun. Denn selbst, wenn wir es einige Jahre schaffen, sie in einer Bullerbü-Blase zu halten – und bevor das jemand falsch versteht: Ich liebe Bullerbü-Blasen! – werden unsere Kinder irgendwann in der Realität aufwachen. In dieser Realität gibt es Kriege, Terror, Gewalt, Katastrophen, Ungerechtigkeit und wirklich verstörende Bilder. Kinder sind für all das besser gerüstet, wenn sie zu Hause, in ihrem sicheren Umfeld, und von uns einen guten Umgang damit erlernt haben.

Dies bedeutet natürlich nicht, dass wir ihnen ungefiltert Schrecken zumuten sollten. Im Gegenteil: Wir sollten uns sehr gut überlegen, was wir erzählen, welche Medien-Formate wir gemeinsam anschauen und welche Apps wir eventuell doch vorübergehend selbst für unsere Jugendlichen sperren.

Mit gutem Vorbild voran

Am besten bringen wir unseren Kindern einen guten Umgang mit Medien in schrecklichen Zeiten bei, in dem wir selbst einen solchen pflegen. Mein Credo ist in schweren Zeiten, dass die langweiligsten, nüchternsten und sachlichsten Medien oder Expert:innen die besten sind. Ich selbst verfüge über genügend Einfühlungsvermögen, dass mir Krieg in der Ukraine oder grauenvollster Terror in Israel auch dann den Schlaf rauben, wenn ich nicht alles gesehen haben, was es anzuschauen gibt.

Sachliche Langeweile bringt mich durch solche Tage und hilft mir, stabil zu bleiben. Kinder und Jugendliche brauchen stabile Erwachsene. Immer, aber gerade in solchen Zeiten. Mütter und Väter, die sich auf X eine gehörige Portion Weltuntergangsangst gespickt mit Hass oder Verschwörungsfantasien geholt haben, sind denkbar schlechte Ansprechpartner:innen für verunsicherte Heranwachsende.

Das bedeutet natürlich nicht, dass wir nicht authentisch sein dürfen. Eigene Ratlosigkeit und auch Trauer, die wir angesichts solcher Katastrophen empfinden, dürfen wir auch zeigen. Allerdings nicht völlig ungefiltert. Es ist an uns, gut für uns zu sorgen, wenn die Welt einmal wieder meilenweit aus den Fugen zu fliegen droht, damit wir danach unseren Kindern Halt geben können. Vielleicht bedeutet das für Dich, das Handy dieser Tage wieder einmal öfter auszuschalten und deine Infos wieder langweilig klassisch aus der „Tagesschau“ zu beziehen – da kannst du dann gut auch schon deine Teenager danebensetzen. Für kleine Kinder finde ich Formate wie „Logo“ gut – denn es ist völlig in Ordnung, Menschen das Wort zu erteilen, die sich vorher überlegt haben, was sie Kindern wie zumuten können, weil sie Expert:innen auf diesem Gebiet sind. Du musst nicht alles selbst können.

Zur Stabilität in solchen Zeiten gehört für mich dann aber tatsächlich auch – neben all der Offenheit – doch wieder ein bisschen Bullerbü zu schaffen. Ich halte es da mit Reinhard Mey: „Je kaputter die Welt da draußen, desto heiler muss sie Hause sein.“ Sich selbst Geborgenheit und Schönes zugestehen und bewusst immer wieder kleine Räume zu suchen, in denen man die Welt da draußen aussperrt, trägt nämlich ebenfalls dazu bei, dass unsere Kinder einen guten Umgang mit Katastrophen mitbekommen. Sie haben so auch die Chance zu lernen, was ihnen in aufwühlenden Situationen guttut und wie sie für sich sorgen können.

Vergesst nur nicht den Dank

Wir können unseren Kindern das Wissen darüber, dass auf dieser Welt grauenhafte Dinge vor sich gehen, nicht ersparen und sollten es auch nicht. Was wir aber können, ist ihnen nicht nur ein Bewusstsein für das Schreckliche zu geben, was vor sich geht, sondern auch, dass es darüber hinaus jede Menge Gutes gibt. Wir können einen Fokus auf alles richten, was in solchen Zeiten Frieden stiftet, Hilfe bringt, was sich auf der Welt in den letzten Monaten zum Guten gewendet hat und wie sie selbst zu positiven Entwicklungen beitragen können.

Auch die Gebete, die wir in solchen Zeiten sprechen, geben uns Hoffnung und Mut. Wir lenken unseren Blick zum Beispiel durch kleine Dankgebete vor dem Essen immer wieder auf das, was uns geschenkt wird, das trotz allem schön ist und auf die Dinge, die uns helfen. Und wir geben die schlimmen Entwicklungen der Welt, die sowieso zu groß für uns sind, in Gottes Hände. „Schenke du Frieden, überall da, wo er so dringend gebraucht wird.“ Das ist ein Satz, den wir Gott im Moment sehr häufig hinhalten. Er macht deutlich, dass vieles, was gerade auf dieser Erde passiert, menschliche Macht übersteigt – aber niemals die Macht Gottes.

Gerade Kinder und Jugendliche fühlen sich in Zeiten wie diesen oft hilflos. Mir ist es ein wichtiges Anliegen, ihnen zu zeigen, dass es da jemanden anderes gibt, der die Dinge in der Hand hält – sodass sie sie auch wieder loslassen dürfen. Gerade, wenn sie so schwer, so komplex, so scheinbar unlösbar erscheinen, wie die Krisen dieser Welt. Das gibt Hoffnung und Kraft, das eigene Leben im Kleinen weiterhin zu gestalten – und beides hat gerade die junge Generation sehr nötig! Abgesehen davon tut es auch uns gut, immer mal wieder aus dem Apokalypse-Modus auszusteigen, in den man durch die Dauerpräsenz von schlechten Nachrichten in der eigenen Hosentasche allzu schnell geraten kann.


Alle Ausgaben von „Gotteskind und Satansbraten“ hier in der Eule.


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