Die Bibel als Podcast – oder soll man es lassen?

Die morgendliche Bibellese als Routine der Selbstoptimierung? In einem Jahr durch die Bibel als Podcast? Unser Podcast-Rezensent Frederik Ohlenbusch hat Fragen:

Wer im Jahr 2023 etwas auf sich hält und nach den Sternen greift, hat eine ausgeklügelte, präzise getaktete und ambitionierte morning routine. Ein gelegentlich sogar minutengenau getakteter Ablauf von anregendem Yoga bis zum banalem Zähneputzen. „Gewohnheit“ wäre dafür ein viel zu gemütliches Wort. Wenig überraschend ist wohl auch das Gerangel auf dem Markt rund um diese Routinen der Selbstoptimierung eher ungemütlich voll.

Mit nur 15 Minuten pro Tag Tschechisch flüssig sprechen lernen, das Sixpack in 30 Tagen, sogar Achtsamkeit durch angeleitete Meditation: Das Netz ist voller Angebote, die das bessere, weil breiter aufgestellte Leben für einen geringen Aufwand von Zeit – und in der Regel Geld – versprechen.

So kann man sicher auch besser verstehen, warum „The Bible in a Year“ mit Father Mike Schmitz zwischenzeitlich an die Spitze der englischsprachigen Podcast-Charts aufrückte. Im Titel steht im Grunde das gesamte Angebot: Ein katholischer Priester spricht täglich ca. 15 Minuten die Bibel in ein Mikrofon, schließt ein kurzes Gebet an und bietet anschließend eine kurze Auslegung des Textes an.

Die 365 Folgen und zusätzlichen Einführungen in neue Abschnitte der Schrift wurden schon 2021 aufgenommen. Die „aktuellen“ Folgen unterscheiden sich nach meinem Eindruck nur durch eine andere Jahreszahl im Titel von ihnen. Das Format läuft also bereits in der dritten Schleife, steht aber trotzdem in der Sparte „Christianity“ auch in Deutschland in den Top 10 der Podcast-Hitparade. Abgesehen von einigen Gebetsanliegen – etwa Unterstützung für die schwere Zeit der Pandemie – fällt Neueinsteigenden die Wiederholung wohl also gar nicht auf. In den Kommentaren kann man auch von mehrjährigen Fans lesen.

Woran liegts? Die Idee eines Jahresbibelplans ist keine Weltneuheit. Der zu Beginn einer jeden Folge angepriesene Leseplan stammt vom Theologen Jeff Cavin und ist an die „Great Adventure Bible Timeline“ angelegt. Die sogenannten narrativen Bücher werden in 12 Epochen eingeteilt, an ihnen wird eine durchgängige Erzählung von der Schöpfung bis zur Apostelgeschichte angepeilt, die sich über das Kalenderjahr erstreckt. Die Bibel als Fortsetzungsroman. Gerahmt durch Gebet und eine niedrigschwellige Interpretation der einzelnen Passagen ist „The Bible in a Year“ eine für viele recht erbauliche Angelegenheit.

Welche Theologie wird hier vorausgesetzt?

Dass den sogenannten narrativen Teilen der Bibel alle anderen Bücher mal besser mal schlechter beigeordnet werden, ist eines der Probleme der Produktion. Drei der Evangelien werden als „messianische Knotenpunkten“ zwischendrin eingefügt, das geht noch klar. Insbesondere die Prophetenbücher und Briefe kommen für meinen Geschmack aber ungünstig weg und werden zum Zwecke einer eingleisigen Geschichte in den Hintergrund gerückt. Das vierte und fünfte Buch Mose, Numeri und Deuteronomium, werden über einen Monat nebeneinander gelesen. Psalmen, Sprüche und Hohelied bilden stets eine abschließende zweite bzw. dritte Lesung.

Zu Beginn einer jeden Epoche bekommen wir von Schmitz und Leseplanentwickler Cavin eine Einführung. Diese soll den Texten der kommenden Wochen den Weg bereiten und vermittelt Orientierungswissen, wenn auch nicht immer Orientierendes. Beispiel Markus: Nachdem Schmitz und Cavin die Zweiquellenhypothese erklären, nach der die Evangelien Matthäus und Lukas das Markus-Evangelium als Vorlage nutzen, nennen sie – zu meiner völligen Überraschung – Petrus als Mitarbeiter an diesem Werk. Das sind eigentlich kaum in Vereinbarung zu bringende Einschätzung: Erstere wird in der neutestamentlichen Wissenschaft ernsthaft diskutiert, letztere beruht einzig und allein auf der Notiz des Papias von Hierapolis. Das Knirschen lässt sich in den dann anschließenden regulären Folgen sehr gut hören, wenn Schmitz den Petrus der Apostelgeschichte unmittelbar mit den thematischen Schwerpunkten des kürzesten Evangeliums verbindet.

Die einzelnen Auslegungen schwanken stark. Gerade wenn Texte sich nur schwer in das übergeordnete Schema nach Cavin einordnen lassen, kommt es zu Momenten der Befremdung. Als eine furchtbare Tragödie wird die Geschichte von Juda und Tamar (Genesis 38) gelesen; ich bin mir trotz mehrfachen Hörens nicht ganz sicher, ob die identifizierte Verfehlung des Onan, ohne Absicht auf Fortpflanzung Sex zu haben (Onanie), als Grundidee des Textes oder als Überzeugung des Hosts zu verstehen ist. Mike Schmitz wurde im Zuge seiner schlagartigen Bekanntheit bereits vielfältig unter die Lupe genommen. Ein wenig Erhellung in die Debatten um problematische Haltungen zur Schriftauslegung bringt dieses Interview der New York Times.

Die Bibel vorgelesen – oder soll man es lassen?

Die alte Tradition des Verlesens der Bibel, mit dem Ziel, irgendwann alles mal gehört zu haben und vom Neuen zu beginnen, ist aller Wahrscheinlichkeit nach an die regelmäßige Lesung der Torah angelehnt. Fast 300 Jahre nach Einführung der Herrnhuter Losungen muss die tägliche Bibellese nicht neu erfunden werden. Sogenannte Jahresbibeln sind schon recht lange auf dem Markt. Sollten wir die „Stille Zeit“ mit Bibellektüre und Gebet als morning routine neuentdecken?

Mit einem gerafften Programm von „111 Bibeltexte, die man kennen muss“, ausgewählt und ausgelegt von Andreas Malessa, ging die Deutsche Bibelgesellschaft vor knapp zwei Jahren an den Start. Das Audiobuch ist z.B. hier abrufbar. Viele von Malessas Gedanken sind sehr wertvoll, mir geht es aber vor allem um die Textauswahl: Mit einer klaffenden Lücke zwischen Exodus und Josua, nur vier neutestamentlichen Briefen, und einer offensichtlichen Schwerpunktsetzung auf die Evangelien entspricht diese zwar einem der Tipps der Landeskirche Bayerns zum „Bibellesen für Einsteiger“, nämlich mit Matthäus, Markus, Lukas und Johannes anzufangen. Es geht so aber eben vieles von dem unter, das ich potentiell Bibelinteressierten auf keinen Fall vorenthalten wollen würde.

Es gibt am Ende vielleicht einfach niemanden, der Euch das Lesen abnimmt. Nehmt das Ding halt einfach in die Hand! Es lohnt sich!


Wie liest Du die Bibel – oder lässt Du sie dir vorlesen? Teile Deine biblische Morgenroutine, Tipps, Fragen und Hinweise hier in der Kommentarspalte oder auf unseren Social-Media-Kanälen auf Twitter, Instagram, Facebook & Mastodon.


„The Bible in a Year with Fr. Mike Schmitz – The definitive Catholic Bible in a year podcast“ findet ihr z.B. bei Fireside FM. Die Audioversion von „111 Bibeltexte die man kennen muss“ mit Andreas Malessa findet ihr hier und auf weiteren Podcast-Plattformen.


#abgehört: Podcast-Kritiken bei der Eule

In unserer Serie „#abgehört“ stellen wir seit 2017 Podcasts vor: Podcasts zu klassischen Kirchenthemen und solche, die Neuland betreten. Podcasts, die von Theolog:innen gemacht werden und sich um Bibel und Predigt drehen, und Podcasts zu (Rand-)Themen, die mehr Aufmerksamkeit verdienen. Seit 2022 schreibt Frederik Ohlenbusch für uns frische Podcast-Kritiken.

Die aktuellen Podcasts der Eule findest Du hier und weitere Hintergrund-Artikel zum Medium Podcast sowie Eule-Audiospecials hier.