Die rechte Ecke: Alte Bekannte bei den „Christen im Widerstand“

Auf Demos und im Netz tummeln sich auch Christen zwischen Rechtsradikalen und Verschwörungsschwurblern, die gegen die Corona-Maßnahmen protestieren. Wer sind die „Christen im Widerstand“?

Seit Beginn der Pandemie in Deutschland sammeln sich in Chatgruppen und auf den Marktplätzen christliche „Corona-Skeptiker“. Was häufig als Kritik an den Schutzverordnungen beginnt, kippt schnell in die Leugnung der Gefahr durch das Virus. Aus dem christlichen Bekenntnis, man müsse Gott mehr gehorchen als den Menschen, wird ein magischer Glaube, der meint, allein durch den Glauben vor dem Virus geschützt zu sein.

Wer sind die „Christen im Widerstand“? Wie ticken sie? Wo finden sie sich? Es gibt in der kleinen Bewegung eindeutig regionale Zentren, bekannte Akteure und vermeintliche Neueinsteiger. Nach einer gründlichen Analyse wird deutlich: Die „Christen im Widerstand“ sind alles andere als neu, ihre Anführer haben sich lange vor der Corona-Krise radikalisiert.

„Biblebelt“ in Sachsen?

In den vergangenen Wochen haben sich auch große Medien wie DER SPIEGEL oder Focus die „Christen im Widerstand“ angeschaut. Schnell hat sich der Blick auf zwei Regionen verengt, aus denen besonders laut „Widerstand!“ gebrüllt wird. Im sächsischen Vogtland und Erzgebirge und im Schwabenland gibt es die letzten größeren Inseln eines pietistisch geprägten evangelischen Glaubens, der seit den 1970er- bzw. 1990er-Jahren verstärkt evangelikal geprägt ist.

Zwar gibt es zum Beispiel im Erzgebirgskreis mit 40 % eine für Ostdeutschland erstaunlich hohe Kirchenmitgliedschaft und die Mehrzahl der Gemeinden der Sächsischen Landeskirche in der Gegend ist evangelikal geprägt, aber der Vergleich mit dem „Biblebelt“ in den südlichen Bundesstaaten der USA hinkt:

Dort bilden evangelikale Christen mit 30 – 50 % der Bevölkerung nicht nur die größte religiöse Formation, sondern sind auch kulturell und politisch dominant. In Deutschland zählen sich ca. 1,9 Millionen Menschen zur evangelikalen Bewegung. Nicht mehr als 300 000 Menschen gehören zu bibeltreuen Gemeinden in den Landes- und Freikirchen in Sachsen. Das entspricht einem Bevölkerungsanteil von ca. 7,5 %. Die kulturelle und politische Wirksamkeit der Bibeltreuen beschränkt sich fast gänzlich auf das eigene Gemeindeumfeld.

Ein weiterer Schwerpunkt der „Corona-Proteste“ in Sachsen liegt denn auch in der Lausitz, wo evangelikale Prägung und Kirchenmitgliedschaft deutlich geringer ausfallen. Hier wie dort dominieren andere Gruppen die Protestbewegung. „Nach Berlin fahren die gleichen Busse, die sonst nach Dresden fahren“, berichtet ein junger Pfarrer aus der Region der Eule.

Der Historiker Michael Lühmann weist anhand zweier Grafiken darauf hin, dass es in Sachsen eine lange Tradition rechten Denkens gibt, die weit über pietistische Kreise hinaus geht. Dort wo die AfD stark ist, sind die Corona-Ansteckungen besonders hoch, und regt sich paradoxer Weise der stärkste Widerstand gegen die Schutzverordnungen. Es handelt sich um die gleichen Regionen, in denen zum Ende der DDR die „rechtskonservative“ DSU stark war und in den 2000er-Jahren die NPD. Ähnliches lässt sich von Baden-Württemberg sagen, wo die Republikaner in den 1990er-Jahren Erfolge feierten.

Die PEGIDA-Demonstrationen in Dresden sind seit jeher Ziel von „Reisegruppen“ aus den umliegenden Landkreisen . Seitdem die AfD im sächsischen Landtag sitzt, stehen für diese Mobilisierung erhebliche finanzielle Mittel zur Verfügung. Dabei greifen die Organisatoren auf Strukturen zurück, die bereits in den 2000er-Jahren von der NPD genutzt wurden. Die Proteste haben vor allem dort Erfolg, wo man sich ihnen – anders als z.B. in Leipzig – nicht konsequent entgegenstellt.

„Corona-Demos“ oder „PEGIDA 2020“?

Es gehört zur Taktik der Rechtsradikalen sich auf Kleinstädte wie Bautzen, Annaberg oder Plauen zu konzentrieren, weil dort der demokratische Bürgersinn der Mehrheitsgesellschaft weniger stark ausgeprägt ist. Dabei verwischen immer wieder die Grenzen zwischen Neonazis („Dritter Weg“ in Plauen), Reichsbürgerszene und Verschwörungsideologen (Bautzen), völkischen Rechtsradikalen (PEGIDA, AfD) und evangelikalen Christen („Schweigemarsch für das Leben“ in Annaberg). Die AfD spielt dabei als Organisatorin dieser gemeinsamen Mobilisierung eine entscheidende Rolle.

Genau dasselbe passiert gegenwärtig auf den „Corona-Demos“. Sie sind in Ostdeutschland fest in der Hand rechtsextremer Kader. Ehemalige und aktive Politiker von AfD, NPD und anderen rechten Splittergruppen bis hin zu gewaltbereiten Neonazis aus Freien Kameradschaften treten nicht allein am Rande der Demos in Erscheinung, sondern melden diese sogar an und stellen ihre Infrastruktur zur Verfügung.

Angesichts dieses Befundes kann man von den „Corona-Demos“ als einer Verlängerung der Protestbewegung sprechen, die seit dem Herbst 2014 in der Region am Werk ist. Die Pandemie kommt für die Rechtsradikalen gerade zur rechten Zeit, da sich die Mobilisierungskraft der sogenannten „Flüchtlingskrise“ merklich erschöpft hat.

Bei allen rechtsradikalen Protestbewegungen seit den 1990er-Jahren machen auch Christen mit. Doch sie stehen nicht im Zentrum der Bewegung. Wie man den Video-Aufnahmen von den „Gottesdiensten“, die zu Beginn der „Corona-Demos“ von unterschiedlichen Akteur:innen der „Christen im Widerstand“ durchgeführt werden, entnehmen kann, feiern die anderen Demonstrant:innen diese nicht andächtig mit. Geklatscht und gejubelt wird dann, wenn in PEGIDA-Manier Parolen verkündet werden.

„Corona-Protestler“ in den Gemeinden

Die Anhänger:innenschaft der „Christen im Widerstand“ gibt den Verantwortlichen in den Kirchen und langjährigen Beobachter:innen Rätsel auf. Zunächst hat es den Anschein, dass es sich dabei um Personenkreise handelt, die sich erst mit der Corona-Pandemie auf den „Pfad des Widerstands“ begeben haben. Tatsächlich handelt es sich vor allem um Personen, die in den Gemeinden bisher kaum aufgetaucht sind.

Aus mehreren Gemeinden erreichen die Eule Rückmeldungen, man wüsste auch nicht, wer das auf den Demos eigentlich sei. In den Kleinstädten und Dörfern erlebe man Proteste gegen die Maßnahmen vor allem von einzelnen Gemeindemitgliedern, die ihren Frust über die Corona-Maßnahmen bei der örtlichen Pfarrer:in ablassen. Gelegentlich aber handelt es sich auch um ganze Hauskreise und vor allem Familien, die durch entsprechende Äußerungen aufgefallen sind. Ihr politisches Engagement trifft in den Herkunftsgemeinden häufig auf Unverständnis, doch nur selten auf offenen Widerspruch.

Die Zurückhaltung gegenüber den „Corona-Skeptikern“ und den Unwillen sich klar in der Öffentlichkeit gegenüber diesen Akteur:innen zu positionieren, begründet man u.a. damit, dass man ihnen „den Weg zurück in die Gemeinde“ nicht verbauen wolle. Deshalb will man sich auch in den Medien nicht namentlich zitieren lassen.

Das Bild in den sächsischen Gemeinden unterscheidet sich darin nur marginal von dem in anderen evangelischen Kirchgemeinden des Landes. Der Landesbischof der Ev.-luth. Landeskirche in Braunschweig, Christoph Meyns, sprach im Oktober von „10 % unserer Pfarrer:innen in der Fläche, die wir von den Maßnahmen nicht wirklich überzeugt bekommen“. Murren gegen die Sicherheitsvorkehrungen und gelegentliche „Anpassungen“ der Regeln gibt es in allen Kirchen.

Bekannte Großsprecher

Gut bekannt sind hingegen jene Akteure, die im gesellschaftlichen Vorfeld der Proteste agieren und ihnen durch „geistliche Zurüstung“ das Feld bereiten. Hier treffen wir auf alte Bekannte wie Stephan Zeibig (Lengefeld, Sachsen), Alexander Bierhals (Berlin) und Jakob Tscharntke von der Evangelischen Freikirche Riedlingen.

Erstaunlich verdruckst kommen die wenigen öffentlichen Stellungnahmen gegen die Corona-Politik aus der Pfarrer:innenschaft daher, wie die des Pfarrers der Kirchgemeinden Geyer und Tannenberg (EVLKS), Thomas Stiehl, in der Freien Presse. Zwar bedient auch er sich eindeutig der Erzählungen der „Corona-Proteste“, sein „Geistliches Wort“ aber bleibt erstaunlich ungefähr. Stiehl versteckt sich hinter vielen widersprüchlichen Fragen. Offensichtlich ist hingegen der Versuch, die „Corona-Proteste“ in die Nähe des kirchlichen Engagements in der DDR zu stellen.

In ähnlicher Fa­çon schreibt Theo Lehmann auf der Website des Gemeindenetzwerkes, einem Projekt des evangelikalen Gemeindehilfsbundes. Theo Lehmann ist der Ulrich Parzany des Ostens, seine Predigten zogen schon zu DDR-Zeiten viele Menschen an. Bereits früh sympathisierte er mit PEGIDA und besuchte Demonstrationen in Chemnitz. Der Pfarrer im Ruhestand der Ev.-luth. Landeskirche Sachsens (EVLKS) engagiert sich vor allem im Umfeld des „Evangelisationsteams“ um Lutz Scheufler.

Scheufler musste als Jugendevangelist der Landeskirche gehen, nachdem er dem damaligen Landesbischof, Jochen Bohl, im Kontext des Streits um die Anerkennung von Homosexuellen im Pfarramt die Spaltung der Kirche vorgeworfen hatte. Mit der Sächsischen Bekenntnisinitiative (SBI) gründete sich damals eine Plattform für bibeltreue Gemeinden, die ihren Protest gegen die Modernisierung der Landeskirche lautstark einbrachte und in Person des zeitweiligen Landesbischofs Carsten Rentzing auch kirchenpolitisch große Bedeutung hatte (wir berichteten).

Theo Lehmann traut sich nicht

Anders als damals agieren die bibeltreuen Kulturkämpfer während der Corona-Krise bisher ohne großen Widerhall in den Gemeinden. In seiner „Andacht“ setzt Lehmann die Polizeimaßnahmen auf „Corona-Demos“ mit dem Unterdrückungsapparat der DDR gleich. Seine Gedankenführung gipfelt in einer Predigtkritik:

„Paar Tage später saß ich wieder vorm Fernseher, es war Bußtag. Der MDR übertrug einen Gottesdienst aus der Dresdener Frauenkirche, und ich sah, wie der Prediger sich dankbar glücklich pries, in einer Demokratie zu leben. Hab ich das auch nur geträumt? Ich weiß es nicht. Ich weiß nur: Damals stand nicht nur ich, sondern die ganze Kirche auf der Seite von denen, die mit Wasserwerfern bearbeitet wurden.“

Der Bußtagsprediger, den Lehmann im MDR gesehen haben will, ist niemand anderes als Tobias Bilz, der aktuelle Sächsische Landesbischof. Er rief in seiner Predigt in der Dresdner Kreuzkirche die Christ:innen zu einem verantwortlichen Umgang mit den Freiheiten der Demokratie auf. In der MDR-Nachrichtensendung „Sachsenspiegel“ wurde am Buß- und Bettag ein Ausschnitt aus seiner Predigt und ein kurzes Interview mit dem Landesbischof gesendet.

Die Traute, seinen Landesbischof direkt anzugehen, aber hat Lehmann nicht. Wie zu DDR-Zeiten darf sein Publikum zwischen den Zeilen lesen und sich diebisch der eigenen Schläue freuen. Darin spiegelt sich nicht nur eine eigentümliche Selbstbezogenheit – Lehmanns Problem war und ist, dass er von sich selbst Gänsehaut bekommt -, sondern auch eine erstaunliche Verdruckstheit.

Deutlicher auf die Seite der Verschwörungsideologen und Rechtsradikalen ist hingegen Hartmut Steeb gekippt, der noch bis 2019 Generalsekretär der Deutschen Evangelischen Allianz (DEA) war. In seinen Corona-Newslettern (ebenfalls beim Gemeindenetzwerk) arbeitet er sich an der Corona-Politik der Bundesregierung ab, weist seine Leser:innen auf verschwörungsideologische sowie rechtsradikale Medien und Akteur:innen hin, und ruft zur Unterzeichnung einer Petition auf, die die Novelle des Infektionsschutzgesetzes ein „Ermächtigungsgesetz“ nennt.

Im Zentrum des Schwurbels

Ganz im Zentrum der Bewegung der „Christen im Widerstand“ wähnt sich der Berliner Pastor und Gründer der gleichnamigen Gruppe Christian Stockmann. Er führt eine kleine Schar von ungefähr 20 Gläubigen an, die sich „Mandelzweig-Gemeinde“ nennt.

Bis zum Frühjahr 2020 war Stockmann Pastor im Bund Freikirchlicher Pfingstgemeinden (BFP). Der BFP beschäftigt als Verband nur einige wenige Mitarbeiter:innen, die meisten Gemeinden finanzieren sich ausschließlich über die Beiträge ihrer Mitglieder. Als Gemeindebund hat die BFP auch deshalb wenig Handhabe, in die Leitung ihrer Mitgliedsgemeinden einzugreifen. Trotzdem erfolgte Stockmanns Rückzug aus dem Verband wohl nicht freiwillig. Wie die Eule von einem Vertreter der BFP erfahren hat, ist Stockmann seinem Ausschluss aus dem Gemeindebund damit nur zuvorgekommen.

Die Mandelzweig-Gemeinde ist als Verein organisiert, mit dem Stockmann zunächst klassische Quartiersarbeit betreiben wollte. „Seit einiger Zeit aber finden in den Räumlichkeiten vor allem Lobpreis-Gottesdienste statt“, berichtet ein BFP-Vertreter. Von der ursprünglichen Mission des Vereins, für die Stockmann von anderen Pastoren des Verbandes viel Unterstützung erhalten habe, sei wenig geblieben. „Seit 2016 nähert sich Stockmann immer mehr den Positionen der AfD an“, das habe innerhalb des Verbandes zu Streit geführt. „Herr Stockmann ist sehr von seiner Meinung eingenommen, er agiert da sehr fanatisch und verbohrt“, die Corona-Pandemie sei für Stockmann eine zweite – vielleicht die letzte Chance – sich selbst als „Widerstandspastor“ zu inszenieren.

Weil er im Verband mit seiner politischen Positionierung nicht durchgedrungen sei, versuche er nun das Wachstum seiner Gemeinde und der Spendeneinnahmen durch die „Christen im Widerstand“ zu befördern, erklärt ein BFP-Vertreter Stockmanns Wirken gegenüber der Eule. Bei anderen Organisatoren der „Corona-Proteste“, die in Telegram-Gruppen und auf Demos zu Spenden aufrufen, bleibt die Verwendung von Spenden häufig im Dunkeln.

Welchem Zweck dienen die „Christen im Widerstand“?

Stockmanns Geschäfte waren bereits im Jahr 2017 Thema, als die Lokalausgabe der Märkischen Allgemeinen über die Finanzierung seines Vereins in Hohen Neuendorf berichtete. In dem kleinen Ort zwischen Oranienburg und Berlin bezog Stockmann mit seiner neunköpfigen Familie ein Haus und beantragte Wohngeld, das ihm das zuständige Landratsamt zunächst nicht auszahlte. Stockmann erstritt die Zuwendung vor Gericht.

„Christian Stockmann zahlt sich als Vereinsvorsitzender sein Gehalt als Pastor selbst aus“, berichtete die Zeitung damals. „Was für die Wohngeldstelle erschwerend hinzu kommt: Er vermietet einen Raum in seinem Haus an sich selbst – als Pastorenbüro. […] Miete für das Haus in Hohen Neuendorf zahlt er an einen guten Freund, Holger Theobald. Er ist zweiter Vorsitzender des Vereins Mandelzweig. Für die Wohngeldstelle ist das etwas viel.“

Die Intransparenz und mangelnde Kontrolle von Mandelzweig ist auch innerhalb der BFP aufgefallen. Es sei nicht üblich, dass angestellte Pastoren gleichzeitig die uneingeschränkte Kontrolle über den Gemeinde-Verein haben, stellt ein führender BFP-Vertreter gegenüber der Eule klar. Doch hört man in Stockmanns ehemaligen Gemeinde-Verband neben leiser Kritik vor allem enttäuschte Stimmen. Ein ehemaliger Kollege spricht von Stockmanns großer charismatischer und musikalischer Begabung, die viele Menschen für ihn eingenommen habe: „Es ist sehr bedauerlich, dass er diese Talente nun in dieser Weise nutzt.“

Die „Christen im Widerstand“ stellt Stockmann in den Sozialen Medien und auf YouTube als wachsende und dynamische Bewegung dar, tatsächlich gehören nur wenige Dutzend Personen der Gruppe an. Stockmann preist in seinen zahlreichen Videos unter anderem die ökumenische Breite der Bewegung, doch hat sich bisher noch kein freikirchlicher Bund, keine katholische oder evangelische Gemeinde seinem Projekt angeschlossen. Wo die Schwurbelchristen sind, ist die Gebetshausbewegung allerdings nicht weit. So wird in einem Video der Lehrer Jonathan Salomon prominent gefeatured. Er soll an einer Berliner Gesamtschule unterrichten und gehört zur Jerusalem Gemeinde des Berliner Gebetshauses Bethel.

In der Verkündigung Stockmanns finden sich die bekannten Versatzstücke der charismatisch-evangelikalen Verkündigung, die in Pandemie-Zeiten so trefflich zu passen scheinen (wir berichteten). Allerdings vermengt er sie mit den gängigen verschwörungsideologischen Inhalten der „Corona-Proteste“. So schwadroniert er von einem „Plan, den Angela Merkel verfolgt“ und behauptete im Sommer, in Deutschland gäbe es überhaupt keine Covid19-Erkrankten mehr.

„Christen im Widerstand“ – Ein Grund zur Beunruhigung?

Umso näher man den Akteuren kommt, die besonders für den christlichen „Widerstand“ in der Corona-Krise engagiert sind, desto weiter entfernt man sich nicht nur von den Strukturen der großen Kirchen, sondern auch von den Organisationen der Evangelikalen in Deutschland.

Michael Diener, Mitglied im Rat der EKD und ehemaliger Präses des Gnadauer Gemeinschaftsverbandes sowie Vorsitzender der Deutschen Evangelischen Allianz, spricht zutreffend von einer „Überschneidung zwischen den Querdenkern und einer Gruppe von evangelikalen Christen und Pietisten“. Diese kann sich natürlich auch nur dort finden, wo Evangelikale überhaupt in größerer Zahl leben. Die Rede von deutschen „Biblebelts“ erscheint angesichts der eng begrenzten Bedeutung der Evangelikalen in der Mehrheitsgesellschaft allerdings übertrieben.

Richtig ist vielmehr, dass jene evangelikalen Kreise, die sich seit der Mitte der 2010er-Jahre entlang Fragen der Gender-, Familien- und Flüchtlingspolitik radikalisieren, in der Corona-Pandemie eine weitere Chance zur Mobilisierung sehen. Dabei greifen sie regional unterschiedlich auf ideologische Versatzstücke zurück. In Südwestdeutschland knüpfen sie an Impfgegnerschaft und Wissenschaftszweifel an, die im Bürgertum weit verbreitet sind, auch durch die Wirksamkeit der Anthroposophie (wir berichteten). In Ostdeutschland bedienen sie den Widerstands-Narrativ der Rechten gegen „Überfremdung“ sowie die „Merkel-Diktatur“ und verbinden diesen mit dem kirchlichen Widerstand in der DDR.

Verteter:innen der etablierten evangelikalen Organisationen wie Hartmut Steeb und Theo Lehmann drücken in ihren Texten die vermeintlichen Sorgen ihres Publikums aus. Außerhalb ihrer traditionellen Wirkungskreise finden sie kaum Resonanz – und die sind nicht sonderlich groß. Demgegenüber agieren Akteur:innen wie Christian Stockmann bisher losgelöst von den etablierten Strukturen der evangelikalen Bewegung, erreichen aber insbesondere mit ihren Videos im Netz ein großes Publikum.

Dass auf den Demos und vor den Bildschirmen auch die „geistliche Dimension“ (Stockmann) durchdringt, die sie den „Corona-Protesten“ abringen wollen, darf bezweifelt werden. Vielmehr sind ihre Kreuze und Lieder auf den Demos nichts anderes als Feigenblätter einer zunehmend gewaltbereiten und rechtsextremen Bewegung.


Update 8. Dezember: Stellungnahme der EVLKS

Die Eule hat bei der Ev.-Luth. Landeskirche Sachsens (EVLKS) zu den in diesem Artikel erwähnten Pfarrern nachgefragt. Zu dienstrechtlichen Fragen konkrete Personen betreffend gebe man keine Auskunft, erklärte die Pressesprecherin der Landeskirche, Tabea Köbsch. Nach weiteren Informationen der Eule haben mit Pfarrer Thomas Stiehl (Geyer und Tannenberg) „geschwisterliche Gespräche“ stattgefunden.

Köbsch erklärte weiter, dass Landesbischof Tobias Bilz sich zum Text von Theo Lehmann nicht äußern wolle. „Im Sachsenspiegel wurden nur zwei Sätze aus der Predigt zitiert. Ich meine, es ist immer empfehlenswert, die gesamte Predigt zu kennen, bevor man Sätze daraus kritisiert“, so Köbsch gegenüber der Eule. Der Evangelist und Pfarrer i.R. Theo Lehmann hatte die polizeilichen Maßnahmen am Rande von „Corona-Protesten“ mit dem Unterdrückungsapparat der DDR gleichgesetzt. Allein die Tatsache, dass auch diese Meinung frei und ungehindert geäußert und im Internet verbreitet werden könne, sei ein Beleg dafür, so Köbsch weiter, „dass wir in einer Demokratie leben, in der die freie Meinungsäußerung möglich ist.“