Die Wissenschafts-Telenovela mit Hanna, Reyhan und Thea

Carlotta Israel träumt sich in eine Wissenschafts-Telenovela: So lassen sich Druck und Hürden für junge Wissenschaftler:innen verstehen – und die Innovationskraft der Wissenschaftspolitik begreifen.

Warum gibt es noch keine Telenovela, die an einer Uni spielt? Das müsste doch ideal sein! Die typischen Orte Hotel oder Krankenhaus bieten quasi die gleichen Voraussetzungen: Hierarchien und Abhängigkeitsverhältnisse, Nebenschauplätze wie WGs. Ein steter Personalwechsel ist angesichts kurzer Vertragslaufzeiten für die meisten Charaktere garantiert! Im „echten Leben“ ist das aber meistens genau das Problem. Unter #IchbinHanna, #IchbinReyhan oder jüngst #IchbinThea berichten Nachwuchswissenschaftler*innen von ihren Arbeitsbedingungen.

Das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung zum Wissenschaftszeitvertragsgesetz (WissZeitVG) produzierte Video (von anderer Quelle noch hier abrufbar) wurde namensgebender Anlass. Darin wird erklärt, dass durch die Befristungen Fluktuation entstehe, die für Innovation sorge. Außerdem würde so verhindert, dass eine einzige Generation das Uni-System verstopfe.

Hanna, die Protagonistin des Videos wurde zur Identifikationsfigur. An ihr sollte zwar eigentlich positiv demonstriert werden, wie das WissZeitVG läuft, doch ließ sich an ihrem Beispiel auch zeigen, dass wegen der Maximalzeit an der Uni und der Kurzfristigkeit der Verträge persönliche Lebensplanungen auf der Strecke bleiben. Amrei Bahr, Kristin Eichhorn und Sebastian Kubon riefen den Hashtag #IchbinHanna aus, viele folgten ihnen (mehr Infos auch zum gleichnamigen Buch und der Initiative sowie Presseecho insgesamt gibt es hier). Mittlerweile gibt es sogar #IchbinHannaInternational.

#IchbinHanna: Nicht zufällig weiblich konnotiert

#IchbinHanna lenkt den Blick auf verschiedene Problemfelder. Anhand des Hashtags können die finanzielle Ausstattung von Universitäten insgesamt, systembedingte Überarbeitung und individuelle Perspektivlosigkeit aber auch die Relevanz von Wissenschaft allgemein in Frage gestellt werden. Im Mai 2022 wurde eine Evaluation des WissZeitVG vorgelegt (hier & kürzerer Überblick).

Nach der Gesetzesnovelle 2016 waren zunächst die Vertragslaufzeiten gestiegen, dann wieder – besonders 2020 – gesunken. Das Ziel der Angemessenheit von Vertragslaufzeiten war für die Personalabteilungen schwer zu verifizieren. Geschlechtsspezifische Unterschiede wurden erkannt, aber waren von meist geringer Signifikanz. Sie betrafen einerseits die sogenannte familienpolitische Komponente, aber auch die Einschätzung, ob das vereinbarte Ziel während der Vertragsdauer erreicht werden würde.

Am deutlichsten haben sich – so in der Auswertung von Antworten – pandemiebedingte Nachteile bei Frauen bemerkbar gemacht. Dies steht in einem größeren gesellschaftlichen Zusammenhang (für weitere Hinweise die „Sektion F“ vom April). Daran erkennbar wird aber auch, dass #IchbinHanna nicht zufällig mit einem weiblich konnotierten Vornamen auf Schieflagen hinweist. Hashtag-Mitinitiatorin Amrei Bahr fasst zusammen: „Alle, die sich diese Unsicherheit nicht leisten können, werden systematisch von der Arbeit in der Wissenschaft ausgeschlossen.“ Wissenschaft muss mensch sich leisten können – gesellschaftlich, aber eben auch individuell-biografisch.

#IchbinReyhan verdeutlicht das nochmal mehr: Auch hier wieder zeigt sich die Intersektionalität, die Überkreuzung von verschiedenen Diskriminierungsformen. Hier verbinden sich rassistische, klassistische (zu Klassismus in der Kirche vgl. auch den Insta-Post von Sarah Vecera oder den Austausch dazu bei „Black & Breakfast“) und wahrscheinlich auch sexistische Exklusionsmechanismen.

Initiativen wie Arbeiterkind vernetzen Studierende aus Nicht-Akademiker*innenhaushalten miteinander. Mit ihren werbenden Sätzen wie „Bourdieu ist keine Stadt in Frankreich“ fühle ich mich gleich als Akademikerinkind entlarvt. Zwar hatte ich vor dem Studium keine Ahnung, wer das sein sollte, aber ich konnte vom Tonfall her einordnen, dass es wohl um irgendeine*n wichtige*n Denker*in gehen musste. Das ist natürlich ein plakatives Beispiel, aber wie viel privilegierter ich studieren konnte, weil ich – in meinem Fall sogar eine Theologie- – studierte Mutter habe, kann ich wahrscheinlich nicht groß genug schätzen.

Das Projekt #IchbinThea von y-nachten.de schließlich zeigt fiktiv, aber erfahrungsbasiert die besondere Lage an Katholischen Theologischen Fakultäten: „Als Theologin unterliege ich nicht nur der österreichischen, schweizerischen, deutschen oder europäischen Gesetzgebung, für mich gelten auch noch die Regelungen des Hl. Stuhls, sprich die Bildungskonstitutionen, die Konkordate, die nihil-obstat Regelungen etc. Einige dieser Regelungen bringen gewisse Vorteile, v.a. die allgemeine Sicherstellung der theologischen Fakultäten und ihres Umfangs an Professuren bzw. Lehrstühlen. Doch es gibt auch eine Reihe von zusätzlichen Herausforderungen auf dem Karriereweg: z.B. Priesterquoten, sogenannte „Fragen der Lebensführung“, die Prüfung des sentire cum ecclesia oder allgemeine Vorurteile gegen die Theologie als akademischer Disziplin an staatlichen Universitäten, sowohl von säkularer als auch von kirchlicher Seite.“

Per Email an die y-nachten.de-Redaktion können „Thea“ eigene Erfahrungen nicht nur aus dem römisch-katholischen Unikontext mitgeteilt werden. Auch die Junge AGENDA bündelt in ihrem Projekt „Leerstellen“ verschiedene Berichte. Alle zeigen: Es gibt systembedingte Grundprobleme und individuelle Lebensentscheidungen oder -prädispositionen, die akademische Theologie insbesondere Frauen verunmöglichen.

Während es in anderen Geisteswissenschaften, wenn ein Fach nicht „auf Lehramt“ studiert wurde, keine ziemlich verlässlichen Karriereweg gibt, bieten die Kirchen das, was die Universität nicht bietet: Zumindest nach dem Vikariat gibt es langfristige Perspektiven, wahrscheinlich eine Lebenszeitverbeamtung und eine Behausung in direkter Nähe zum Arbeitsplatz. Das ist in der u. a. sexistisch diskriminierenden römisch-katholischen Kirche allerdings anders. Natürlich gibt es ganz viele Unterschiede zwischen Uni und Kirche. Aber wie attraktiv im Verhältnis die Kirche als Arbeitgeberin sein kann, ist sonst nicht immer klar.

Eine Umfrage mit 141 Antworten von Personen aus dem Evangelisch-Theologischen Mittelbau (Ergebnisse sind hier abrufbar und – kurzer Disclaimer – daran war ich beteiligt) ergab hinsichtlich eines Wunscharbeitgebers für ein Drittel die Universität, und für ein weiteres Drittel eine Kombination aus Kirche und Universität! Vielleicht nicht nur wegen der unterschiedlichen Arbeitsfelder, sondern auch den äußerst verschiedenen Sicherheiten? Bei Diskriminierungserfahrungen stachen insbesondere sexistische und klassistische Vorgänge hervor – weniger erhebbar waren rassistische. Das hängt aller Wahrscheinlichkeit nach damit zusammen, dass der Mittelbau weiß und zumeist deutsch ist.

Aber gerade in der Theologie kommt aufgrund des kirchlichen Personalmangels zu „Wissenschaft muss mensch sich also leisten können – gesellschaftlich, aber eben auch individuell-biografisch“ noch etwas hinzu: Mensch muss es sich leisten wollen. Das trifft erstmal auf jede*n Nachwuchswissenschaftler*in zu, aber angesichts der Lage der Kirchen mit einem unglaublich sicheren Arbeitsplatz stellt sich wirklich die Frage: Wer will sich das leisten/antun/in diesem System etwas leisten?

Vom „Frauenüberschuss“ zur Marginalisierung

Bis jetzt waren es vor allem männliche Personen, die sich habilitierten und dann auf Lehrstühle berufen wurden. Gibt es noch einen „Frauenüberschuss“ beim Studienabschluss, so wandelt sich das Bild ab der Promotion, aber am eklatantesten bei der Habilitation. Mindestens in der Evangelischen Theologie ist das Geschlechterverhältnis zu Studienbeginn schon seit einigen Jahren nicht annähernd ausgeglichen. Rein statistisch gesehen müsste es demzufolge in 10 bis 20 Jahren sehr viel mehr Professorinnen geben. Ob sich das so bewahrheitet? Ich bin da nicht zu optimistisch. Nichts gegen die sich habilitierenden Kollegen, aber derer sind es einfach mehr als sich habilitierende Kolleginnen.

Ist das Anstreben einer akademischen Karriere, wenn frau es sich leisten kann und will, quasi schon ein feministischer Akt? Irgendwie schon. Durch Vorbildfunktion und weil sich möglicherweise Systemspielregeln dadurch verändern lassen könnten, sodass nicht weiter wie in der Umfrage im Evangelisch-Theologischen Mittelbau solche Erfahrungen gemacht werden: „Belächlung, wenn man als Frau den Wunsch äußert Professorin sein zu wollen.“ (S. 10) Trotzdem ist die persönliche Abwägung natürlich das Entscheidende neben der Grundvoraussetzung, dass sich überhaupt akademische Weiterqualifikationen nach der Promotion ergeben, weil Stellen und Personen da sind, die dabei unterstützen und eine monetäre Grundlage schaffen.

Eine Wissenschafts-Telenovela

Eigentlich bräuchte es aber für den aktuellen Uni-Zustand eine Telenovela, die in bekannter Manier mit Weichzeichner über schlechte Arbeitsbedingungen wie bei Krankenhausserien in der Pflege hinweggeht. Da könnten solche Stellungnahmen wie die der Hochschulrektorenkonferenz aufregend inszeniert werden:

„Der Diskussionsvorschlag plädiert für einen einheitlichen Qualifizierungszeitraum für Promotion und erster Postdoc-Phase von grundsätzlich zehn Jahren, der individuell flexibel und unterschiedlichen Fachkulturen entsprechend ausgestaltet sein kann. Die Vorverlagerung der Entscheidung, ob eine langfristige Beschäftigung in der Wissenschaft – auf einer Professur oder einer anderen unbefristeten Stelle in Forschung, Lehre oder Wissenschaftsmanagement – realistisch ist, soll für die sich Qualifizierenden und die Hochschulen frühzeitiger als bislang Planungssicherheit bieten und zugleich nachhaltig Generationengerechtigkeit sicherstellen. Zudem wird ein Wechsel in andere attraktive Karrierewege außerhalb der Wissenschaft erleichtert und die Innovationskraft von Wirtschaft und Gesellschaft gestärkt.“

Dann könnte sich im Mittelbau eine coole Oppositionsgruppe bilden, die gegen eine Verkürzung von 12 auf zehn Jahre aufbegehrt. Und klassisch hierarchisch-telenovela-ig würde sich ein junger frischgebackener Hochschulrektor in eine Mittelbauerin aus dieser Gruppe verlieben. Und dann würde er dagegen stimmen und vielleicht geächtet werden, aber hätte für seine Liebe gekämpft. Und nach einem Jahr wären sie glücklich verheiratet und würden auswandern. So zumindest läuft es immer bei „Sturm der Liebe“.

Wahrscheinlich wäre es für die Hannas, Reyhans und Theas besser, in der Serie als in der realen Welt zu leben: Wo solche Stellungnahmen für Angst und Schrecken sorgen und sich alles nochmal mehr wie David gegen Goliath anfühlt. Wo einem Gebet um wissenschaftliche Fruchtbarkeit (1. Samuel 1) noch seltener ein entsprechendes Loblied der Hanna (1. Samuel 2) folgt. Wo buchstäbliche Fruchtbarkeit von Nachwuchswissenschaftler*innen nicht unbedingt begrüßt wird („Gespräche über die Zukunft im wissenschaftlichen Arbeiten laufen immer auf die Frage hinaus, ob denn Kinder geplant seien und wenn ja, dass man sich das dann WIRKLICH gut überlegen sollte.“ (S. 9))

Wahrscheinlich wäre das Hierarchische gar nicht so viel anders als gewohnt und dass mittels Vitamin B immer noch ganz andere Dinge möglich sind, ließe sich auch gut zeigen. Vor allem bietet eine Telenovela das passende Setting, um dem Publikation immer wieder neu zu präsentieren, welche Innovationskraft durch Fluktuation entsteht: Das Schema F der Telenovela lebt ja schließlich von immer wieder neuen Casts.