Kolumne Gotteskind und Satansbraten

Gebt uns Hoffnung und Lebkuchen!

Wie können wir in der Dunkelheit dieser Tage Hoffnung finden? Kann der Glaube ein Booster für unser seelisches Immunsystem sein, uns sprach- und handlungsfähig machen?

Ich weiß nicht, wie es Dir geht, aber mir ist dieses Jahr mehr denn je nach Flucht vor dem November. Ich brauche keine Tage, die mich daran erinnern, dass diese Welt in einer fürchterlichen Schieflage ist – und schon immer war. Ihre Zebrochenheit wird mir täglich bewusst: Bei jedem Blick in die Nachrichten, mit jedem Besuch auf Social Media lade ich sie neu in mein Wohnzimmer ein. Und selbst wenn ich sie aussperre und stattdessen nur noch Serien streame, werde ich das beklommene Gefühl nicht los. Die Dunkelheit des Novembers fühlt sich dieses Jahr besonders nah an.

Vor wenigen Tagen haben wir den Novemberprogromen von 1938 gedacht – mit trauriger und bedrückender Aktualität. Am kommenden Sonntag ist Volkstrauertag – mit trauriger und bedrückender Aktualität. Am Sonntag darauf begehen wir den Ewigkeitssonntag – und der hat jedes Jahr für viele Menschen eine traurige und bedrückende Aktualität. Besonders natürlich für all jene, für deren Angehörige in diesem Jahr eine Kerze in einer Kirche entzündet wird.

Früh einsetzende Dunkelheit, die Zeitumstellung, aber auch der übliche Druck am Jahresende, der in Schulen und an Arbeitsplätzen herrscht, machen vielen Familien gerade sowieso sehr zu schaffen und strapazieren sowohl das körperliche als auch das psychische Immunsystem von Kindern und Erwachsenen Kein Wunder, dass sich manche diese schwere Phase ein bisschen erleichtern wollen und sich schon vor dem Ewigkeitssonntag adventliche Freude ins Haus holen. Die Lebkuchen stehen immerhin schon seit Monaten in den Supermarktregalen, in Baumärkten wimmelt es von Lichterketten und überall findet man bereits Adventsgestecke und Weihnachtssterne.

Christ:innen neigen dazu, einen Menschen kritisch von der Seite anzuschauen, die die Adventszeit einfach ein paar Wochen früher beginnen. Ich bin übrigens die Schlimmste unter ihnen! Meine Familie hat strenge Auflagen, was den Lebkuchenkauf angeht (und umgeht sie Jahr für Jahr). Hier leuchtet vor dem Montag nach dem Ewigkeitssonntag kein einziger Weihnachtsstern und auch die restliche Deko bleibt auf dem Dachboden.

#bewusstnovembern ist ein eigens von mir erfundener Hashtag, mit dem ich auch in Social Media normalerweise dafür werbe, alles zu seiner Zeit zu gedenken und zu feiern. Ich denke, wir Menschen sind nicht für dauerhafte Glückszustände geschaffen und müssen auch mal durch die Dunkelheit spazieren. Der November ist die perfekte Gelegenheit dafür. Allerdings stehen manche Psycholog:innen bei diesem Thema nicht auf meiner Seite. So gibt es wohl gute Gründe dafür, die Weihnachtsdeko früh aus dem Keller zu holen – frühes Dekorieren soll glücklich machen.

Und ehrlich gesagt glaube ich das sofort.

Nicht alles ist shiny und happy

Mir würde es bestimmt auch ein bisschen besser gehen, wenn ich meine trashige Weihnachtsplaylist nicht nur anschmachten, sondern laufen lassen würde. Lebkuchenduft und ein bisschen Blinkblink würden mich ablenken von all dem, was da draußen in der Welt passiert, und ein Gegengewicht bilden zu all dem Stress, der unseren Alltag dominiert. Schließlich lernt es sich selbst für Französischarbeiten leichter, wenn man dabei stark zimthaltiges Gebäck konsumiert.

Gleichzeitig wäre es ja doch nur ein kurzfristiges Aussperren der Realität. Eine Verleugnung der Tatsache, dass vieles auf dieser Welt eben gerade nicht gut und nicht shiny und happy ist, sondern ganz schön kaputt, beängstigend und anstrengend.

Unser Alltag besteht dieser Tage – wie der vieler Familien – aus einer Überdosis an Klassenarbeiten, schlechten Nachrichten und Erkältungsviren. Das kann auch Frank Sinatra nicht schön singen. Gerade ist die Zeit, der Gefallenen und Verwundeten in Kriegen und durch Terror zu gedenken, sich auf Gottes Größe und unseren eigenen Kleinmut und die eigene Schuld zurückzubesinnen und die Verstorbenen zu betrauern. Und noch nicht die Zeit, all das mit einem Glühwein in der Hand für eine Weile aus dem Hirn zu verbannen. Die Vorweihnachtszeit muss noch ein bisschen warten.

Oder?

Anderseits sitzt unser seelisches Immunsystem nicht gern einfach nur in dunklen Löchern herum. Und vielleicht ist ja doch schon Zeit, um ein bisschen für Weihnachten zu dekorieren, allerdings nicht so sehr unsere Häuser, sondern eher unser Reden und Handeln?

Die ganze Geschichte erzählen

Mit Weihnachten beginnt nämlich die einzige mir bekannte Geschichte, die in der Lage ist, einen fetten Unterschied in all diesem schwer erträglichen Zeug zu machen, mit dem wir es gerade zu tun haben. Allerdings nur, wenn wir die ganze Geschichte erzählen. Denn mal ehrlich: Die Story, die wir alljährlich am 24. Dezember in den Kirchen aufführen, ist ja echt niedlich und ich würde auch nicht auf sie verzichten wollen. Aber sie ist für sich allein genommen auch ziemlich irrelevant und für die meisten Menschen kaum vom Weihnachtsmärchen im städtischen Theater zu unterscheiden.

Die ganze Geschichte hingegen verändert alles. Wenn wir nicht nur von Weihnachten erzählen, sondern auch von Ostern und vor allem von der Zeit dazwischen, bekommen Menschen eine Idee davon, was sie der Dunkelheit entgegensetzen können.

Viele von uns haben dieser Tage die Gelegenheit mit Menschen zu sprechen, die – wenn überhaupt – milde am Glauben interessiert sind, aber sich im Großen und Ganzen nicht viele Gedanken um ihn machen. Sei es im Religionsunterricht in der Schule, im Planungskomitee des örtlichen Weihnachtsbasars, in der Kinder- und Jugendarbeit oder in besonderen Gottesdiensten. Vielleicht haben wir am Ewigkeitssonntag die Chance, zu ein paar Menschen zu sprechen, die sonst nicht kommen und dieses Jahr da sind, weil ihrer Verstorbenen gedacht wird. Oder wir begegnen am Volkstrauertag dem/der örtlichen Beigeordneten und Vertreter:innen von Vereinen und Verbänden beim Kranz niederlegen.

Es kann also gut sein, dass wir die Geschichte von Jesus für Menschen aufbereiten können, die sie nicht mehr wirklich oft hören – und die gerade genauso in der dunklen Suppe schwimmen, wie wir alle.

Fünf Brote und zwei Fische

Nur zu: Berichtet von unseren Traditionen, die Trauer, Schmerz und Zerbruch einen Raum im Jahreskreis einräumen. Und berichtet bitte auch, was wir darüber hinaus im Gepäck haben. Erzählt von Jesu‘ Geburt, von dem, was er in den letzten Jahren seines Lebens getan hat – und von Ostern. Macht all das so konkret wie möglich. Entwerft klare, greifbare Hoffnungsbilder und ebenso klare und greifbare Handlungsmöglichkeiten für das Hier und Jetzt.

Denn die Geschichte von Jesus lehrt uns auch, dass es sich immer lohnt, aktiv zu werden, sich irgendwo zu engagieren – oder zumindest ein bisschen Geld zu spenden, Weihnachten in Schuhkartons zu verpacken, Wohnungslosen Tee zu bringen, jemandem zuzuhören – und zu beten. Und sie lehrt uns, dass es am Ende des Tages relativ unwichtig ist, welche Zahl unter der Französischarbeit steht. Wir haben die einzige mir bekannte Nachricht im Gepäck, die das seelische Immunsystem dieser Tage stark machen kann. Das Problem: Wir verstecken sie oft schüchtern hinter Floskeln oder in Geschichten, die kirchenferne Menschen gar nicht mehr richtig greifen können.

Wie wäre es, wenn wir das verändern? Wie wäre es, wenn wir durch die Geburt, das Leben, das Sterben und das Auferstehen von Jesus klarstellen könnten, dass wir weiterhin auf mindestens zwei Ebenen handlungsfähig sind, egal wie bedrückend die Zeiten sich gerade anfühlen mögen. Wir sind handlungsfähig durch Glauben und Gebet, weil uns die Hoffnung auf einen neuen Himmel und eine neue Erde geschenkt wurde und auf den Einen, der alles in der Hand hat. Wir sind aber auch handlungsfähig im Hier und Jetzt, weil das Evangelium uns einlädt, einfach mit einer kleinen Tat zu beginnen zu tun, an einem Ort anzufangen, unsere fünf Brote und zwei Fische zur Verfügung zu stellen.

Diese Mischung aus Hoffnung, die über alles hinausgeht und konkreter Motivation, ins Tun zu kommen, kann gerade in Phasen, die uns runterziehen, einen riesigen Unterschied machen. Auf geht’s Kirche, booster mal das seelische Immunsystem! Du kannst das besser als alle anderen!


Alle Ausgaben von „Gotteskind und Satansbraten“ hier in der Eule.


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