Newsletter #LaTdH

Falsche Ausgewogenheit? – Die #LaTdH vom 13. Oktober

Stehen die Kirchen einseitig auf Seiten Israels und vergessen darüber die Perspektive der Palästinenser? Außerdem: Die römische Frauenfrage, eine Vagina und ein Antisemit als EKD-Ratsvorsitzender.

Herzlich Willkommen!

In der Eule erscheint in diesen Tagen das „Social-Media-Trends-Update 2024“: Ein (hoffentlich) umfassender Blick auf die aktuellen Herausforderung für christliche Social-Media-Nutzer:innen und -Produzent:innen. Fünf Megatrends und mögliche Konsequenzen für Medienkonsument:innen und -Schaffende habe ich in einem ausführlichen Essay beschrieben. Mit rage bait und virtue signalling als Herausforderung insbesondere für liberale und progressive Christ:innen habe ich mich in einer eigenen Analyse auseinandergesetzt. Das Social-Media-Trends-Update wird in den kommenden Tagen noch fortgesetzt.

Social Media sollte man nicht mit der Realität verwechseln. Auf den Social-Media-Plattformen spielt sich medial vermittelt ein Ausschnitt unserer – häufig nicht mehr geteilten – Wirklichkeit ab. Mit „Ge|teilte[r] Wirklichkeit“ befasst sich die (noch) aktuelle Ausgabe der Ökumenischen Zeitschrift für Sozialethik „ethik und gesellschaft“ (Redaktion:Manuela Wannenmacher). In den online frei zugänglichen Beiträgen geht es um die (gemeinschaftliche) Konstruktion einer (gemeinsamen) Wirklichkeit:

„[In] deliberativen Prozessen setzen die jeweils Beteiligten voraus, dass sie eine gemeinsame Wirklichkeit teilen. Stellen sie in den politischen Auseinandersetzungen fest, dass dies nicht der Fall ist, endet Politik – es sei denn, sie können sich (wieder) auf eine gemeinsame Sicht ihrer Wirklichkeit verständigen. Politik braucht geteilte Wirklichkeit in einem zweiten Sinn: geteilte gemeinsame Wirklichkeit.“

Auf meiner Reise in die Social-Media-Teilwelten ist eines offensichtlich: Wir alle sehen, geprägt durch unsere Erziehung, Erfahrungen und je disparaten Wissensstände, nur Ausschnitte einer immer noch komplexeren Wirklichkeit. Das aktuell Gegenwärtige und das Aufregende oder Empörende stehen so sehr im Vordergrund, dass historische Entwicklungen (gerade auch die guten) und wichtige, tiefergehende Fragen nach den Gründen für Konflikte ganz aus dem Blick geraten.

Beim Blick auf die Kriege in Nahost wird dies in diesen Tagen besonders deutlich: Die Diskussion ist geprägt von den je eigenen Erfahrungen mit Antisemitismus, Gewalt und Identität. Wie wir uns im Konflikt zwischen Israel und seinen Nachbarn positionieren und wie wir auf Antisemitismus in Deutschland reagieren, ist eine Frage des Standpunkts. Der Blick auf die Erfahrungen und damit häufig auf das Leid der anderen, fällt schwer. Nicht zuletzt, weil es deutlich wahrnehmbar eine Opferkonkurrenz zwischen Israelis und Palästinensern gibt, in der die historischen und gegenwärtigen Erfahrungen von Jüdinnen und Juden auch in anderen Ländern mit hinein spielen. Wer vom Nahost-Konflikt spricht, kann über den Antisemitismus in Deutschland nicht schweigen.

Eine gute Woche wünscht
Philipp Greifenstein

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Debatte

Die Stellungnahmen und Fürbittgebete zum Jahrestag des 7. Oktober und zu den Kriegen im Nahen Osten, die von den Kirchen herausgegeben und zur Verwendung in Gedenk-Andachten und Gottesdiensten empfohlen werden (s. #LaTdH von vergangener Woche), sind geprägt vom Versuch einer Beidhändigkeit. Der Begriff Ambidextrie ist inzwischen in den Zukunftsdiskursen der Kirche(n) etabliert und meint dort die Gleichzeitigkeit von Weiternutzung bzw. Ausnutzung von Bestehendem (engl. exploitation) und der Erkundung von Neuem (engl. exploration).

Die Israel-Statements und -Gebete der Kirchen versuchen sich daran, zugleich das Leid der israelischen Bevölkerung und das der Palästinenser:innen und jüngst auch der libanesischen Zivilbevölkerung zu bedenken. Das Schicksal der Christ:innen in der Region bleibt nicht selten vollständig unerwähnt. Zugleich wird an die Bedrohungen für Jüdinnen und Juden auch in Deutschland erinnert und gegen Antisemitismus angetreten. Dadurch geraten die Kirchen in den gleichen Verdacht, unter dem auch die Berichterstattung deutscher Medien über den Nahost-Konflikt steht:

Wird hier nicht ein bothsidesism, eine falsche Ausgewogenheit praktiziert, die das Leid der einen immer in einem Atemzug mit dem Leid der anderen verrechnen muss? Gerät über der historisch informierten und theologisch gebotenen Solidarität mit Israel und Jüdinnen und Juden eine notwendige Kritik am Kriegshandeln des Staates Israel ins Hintertreffen, die angesichts der hohen Opferzahlen des Gaza-Krieges dringend geboten wäre? Gelten Maßstäbe des Völkerrechts und der Friedensethik im Nahost-Konflikt nicht, die von den Kirchen bei anderen Konflikten engagiert in die Debatte eingebracht werden?

Wie ausgewogen berichten deutsche Medien über Israel? – Kai Hafez im Gespräch bei Holger Klein („Holger ruft an“-Podcast, Übermedien, 26 Minuten)

Mit diesen Fragen, bezogen auf den Journalismus, befasst sich die aktuelle Episode des Übermedien-Podcast mit Holger Klein. Zu Gast ist Kai Hafez, der an der Universität Erfurt internationale Kommunikation lehrt und in vielen weiteren Funktionen unterwegs ist. Unter anderem war er bis vor kurzem Mitglied im Unabhängigen Expertenkreis Muslimfeindlichkeit des Bundesministeriums des Innern. Den Abschlussbericht der Expert:innen „Muslimfeindlichkeit – Eine deutsche Bilanz“ (PDF) hat zwar zu Kontroversen geführt, wurde in der weiteren Öffentlichkeit aber kaum rezipiert. Hafez hält die Berichterstattung in deutschen Medien für unausgewogen – und zwar zugunsten Israels.

„Immer wenn Israel in einem gewaltsamen Konflikt ist, tendieren deutsche Medien dazu, stärker auf der israelischen Seite zu stehen“, kritisiert er. Er beobachtet in der journalistischen Kultur einen Reflex, Israel gerade in Krisenzeiten zu schützen. Die palästinensische und arabische Seite würde grundsätzlich zu schlecht dargestellt.

Ähnliches wird man wohl auch vom Diskurs in den Kirchen sagen können, der ja mit den öffentlichen und medialen Debatten verschränkt ist. Jedenfalls beklagen Christ:innen aus der Region einen solchen bias zugunsten des Staates Israel. Sally Azar, lutherische Pfarrerin in Jerusalem, hat bereits im vergangenen Herbst im Eule-Interview kritisiert, dass das Schicksal und die Positionalität der Christ:innen im Heiligen Land in Deutschland kaum zur Sprache kommen – und angesichts des 7. Oktober auch als illegitim kritisiert wurden.

Trotz einer Reise des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) im vergangenen Herbst (vor dem 7. Oktober), spielt die Ökumene mit den Kirchen des Heiligen Landes in den evangelischen Kirchen nur eine kleine Nebenrolle. Die römisch-katholische Bischofskonferenz (DBK) hat hier zuletzt etwas gegengesteuert und den Lateinischen Patriarchen von Jerusalem, Kardinal Pierbattista Pizzaballa, zu ihrer Herbstvollversammlung eingeladen (s. #LaTdH von vergangener Woche). Wohl nicht zuletzt, weil den Bischöfen ihre Isolation in der Weltkirche bei der Friedensethik und der Befassung mit dem Nahost-Konflikt selbst aufgefallen ist.

Das Medienversagen – Maria Ossowski (Jüdische Allgemeine)

Eine völlig konträre Position zu Kai Hafez nimmt Maria Ossowski in der Jüdischen Allgemeinen ein. Ossowski ist freie Journalistin und war viele Jahre als Redakteurin für die ARD tätig. Sie ist überzeugt, dass die deutschen Medien in der Berichterstattung völlig versagen, weil sie „Täter-Opfer-Umkehr“ und „Ja, aber“ (also bothsidesism) betrieben. Ihr geht es um eine „überall herrschende antiisraelische und mithin auch antijüdische Stimmung, die viele Medien transportieren, mit Beispielen unterstreichen und weitergeben“. In ihrem Kommentar diskutiert sie mehrere Pressebeiträge der vergangenen Tage rund um den ersten Jahrestag des 7. Oktober:

Subtext der [ARD]-Doku über den 7. Oktober: Die Israelis sind Täter, nicht Opfer. Und Netanjahu ist schuld, dass die Geiseln nicht nach Hause kommen. Damit bewegt sich diese Dokumentation im Mainstream der Wahrnehmungen einer zunehmend israelfeindlichen Gesellschaft. Sie ist nur ein Beispiel von vielen. »Israel droht mit Selbstverteidigung«, diese »Focus«-Schlagzeile bringt alle Doppelzüngigkeit in der Nahost-Berichterstattung auf den Punkt. Es grenzt an Desinformation – bewusste oder unbewusste.

Verteidigen? Mit Stärke? Das geht zu weit. […] Zum Holocaustgedenktag am 27. Januar wird der toten Juden gedacht in staatstragenden Reden. Und die Solidarität mit den Lebenden? Das mantraartige »Nie wieder« verkommt in Anbetracht der »Israelkritik« zur hohlen Phrase. Da tröstet nur ein Bonmot von Michael Wuliger, dem einstigen Feuilletonredakteur dieser Zeitung: »Lieber schlechte Presse als schöne Nachrufe«.

Bothsidesism oder Ambidextrie?

Wer hat nun recht? Hafez oder Ossowski? Können nicht bitte irgendwie beide recht haben? Und nein, es geht nicht nur um „die Medien“. Es geht auch um die Debatten in Kirchen, im Schulunterricht, an den Universitäten. Wenn zwei sich streiten, liegt die Wahrheit nicht einfach in der Mitte. Mit dieser Feststellung im Übermedien-Podcast hat Kai Hafez recht. Wie weit kann legitime Selbstverteidigung eines Staates gehen? Wie genau sieht der „Existenzkampf Israels“ (Ossowski) aus? Wie führt Israel gegenwärtig Krieg und was ließe sich dazu aus der Perspektive christlicher Friedensethik – ja sogar mit den Maßstäben des gerechten Krieges – sagen?

Die Kirchen sind keine besseren Außen- und Sicherheitspolitik-Agenturen. Die Solidarität mit Jüdinnen und Juden in Deutschland darf ihnen auch darum und natürlich auf Grund ihrer historischen Schuld und Verantwortung vorgehen. Aber ich beobachte – bei mir und bei anderen – eine Scheu davor, sich auch im Nahost-Konflikt mit den sicherheitspolitischen, kriegstechnischen, historischen, medialen und theologischen Fragen zu befassen, die anlässlich anderer Kriege und Konflikte gerne bearbeitet werden. Ambidextrie hieße auch im Israel-Palästina-Diskurs Neues zu wagen: Zum Beispiel könnte man die Expertise der Mitarbeiter:innen kirchlicher Hilfswerke in der Region stärker zur Geltung bringen. In den christlichen Medien und auch in den Gemeinden und in der Bildungsarbeit.

nachgefasst I: Missbrauch in den Kirchen

Osnabrücker Studie: Einblicke ins Dunkel und entlarvte Narrative – Roland Juchem (KNA, katholisch.de)

Über die neue Studie zum Missbrauch im Bistum Osnabrück hatte ich bereits in den #LaTdH von vergangener Woche informiert, bei katholisch.de befasst sich Roland Juchem für die KNA mit den Inhalten der Studie, die ähnliche Begründungsmuster des Missbrauchs und der Vertuschung nachzeichnet, wie es die „ForuM-Studie“ für die Evangelische Kirche getan hat. Auch an der Osnabrücker Studie haben Betroffene mitgearbeitet. Stichwörter sind: Pathologisierung von Tätern und Betroffenen, „Klische[s] von Liebesbeziehungen“, die Rolle der Sexualaufklärung in der Kirche und nicht zuletzt der Umgang mit Homosexualität.

„Die Pathologisierung und Kriminalisierung von Homosexualität sowie die damit zusammenhängende Verknüpfung mit Pädophilie spiegelt sich in den untersuchten Fällen deutlich wider. (…) Nicht selten reichte in Gemeindekreisen das Gerücht, der Priester sei ’schwul‘ (ein ‚175er‘) völlig aus, um die Gerüchte um dessen sexuelle Übergriffe an Minderjährigen zu umreißen“, heißt es in der Studie. Bis in die 1970er Jahre seien Taten „häufig ausschließlich unter dem Stichwort ‚Homosexualität‘ diskutiert worden, während der Begriff Pädophilie noch gar nicht auftrat oder vehement verneint wurde“.

Gelegentlich wird ja von Kritiker:innen der synodalen Wege der römisch-katholischen Kirche bestritten, dass Themen wie die Diskriminierung von LGBTQI+ und Frauen mit dem Missbrauch in einem Zusammenhang stehen. Missbrauchsstudien und weitere Forschungsarbeiten zeigen das Gegenteil: Anbahnung und Vertuschung sexualisierter Gewalt und geistlichen Missbrauchs sind fundamental mit frauen- und schwulenfeindlichen Überzeugungen verbunden, wie sie in den Kirchen bis in die jüngste Vergangenheit weit verbreitet waren.

Dieser Film geht alle an – Benjamin Lassiwe (Herder Korrespondenz)

Der Film „Die Kinder aus Korntal“ dokumentiert Missbrauchsfälle von Kindern und Jugendlichen, die in den Heimen der Evangelischen Brüdergemeinde und ihrer Diakonie in Korntal und Wilhelmsdorf jahrzehntelang Gewalt jeglicher Art erfuhren. Ein Film, der alle angeht, meint Benjamin Lassiwe in seinem „Einwurf“ in der Herder Korrespondenz. Leider wird der Film nur in ausgewählten Kinos gezeigt, dafür häufig begleitet durch Podiumsdiskussionen mit der Regisseurin Julia Charakter und am Film beteiligten Betroffenen, wie z.B. Detlev Zander, der auch im Beteiligungsforum (BeFo) der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) als einer der BetroffenensprecherInnen aktiv ist.

[Sexueller Missbrauch] geht die ganze Gesellschaft an, längst nicht nur die kirchlich Engagierten. Umso wichtiger wäre es da, dass Filme wie „Die Kinder aus Korntal“ flächendeckend in den Kinos liefen. Umso wichtiger wäre es, dass angehende Lehrer und Erzieher solche Filme in ihrer Ausbildung verpflichtend sehen. Und umso wichtiger wäre es, dass alle Ehrenamtlichen, die irgendetwas mit Kinder- und Jugendarbeit zu tun haben, eine Chance hätten, so einen Film im Kino zu sehen.

Und so paradox es klingt – gerade die Kirchen könnten das ermöglichen: Wenn sich nämlich Gemeinden und Kirchenkreise mit den örtlichen Kinobetreibern zusammentun und für eine Mindestabnahme von Kinokarten sorgen, sollte es möglich sein, dass ein Film wie „Die Kinder aus Korntal“ in noch deutlich mehr deutschen Kinos gezeigt werden kann.

nachgefasst II: Die „Frauenfrage“ auf der „Weltsynode“

Im Vatikan wurde in dieser Woche die Bischofssynode weitergeführt, die letzte Etappe des weltweiten synodalen Prozesses von Papst Franziskus. Wie bereits in den #LaTdH von vergangener Woche empfohlen, gibt es bei katholisch.de u.a. einen „Synoden-Blog“ von Thomas Schwartz, Chef des Osteuropa-Hilfswerks Renovabis. In dieser Woche schreibt er zum Beispiel:

Es braucht auch Übersetzungsarbeit für das, was auf dieser Synode geschieht. Es ist nicht allen einsichtig, ob und wie die Kirche sich bewegt, verändert. Viele verstehen nicht mehr, was in der Kirche passiert. Manche fühlen sich gerade vom Schweigen der Kirche zu Fragen, die ihr Leben als Christ und Christin betreffen, nicht angenommen, fühlen sich ausgegrenzt und wenden sich ab.

Kirchen-Weltsynode: Wenn’s um Frauen geht, hört die Harmonie auf – Martin Jarde und Elisabeth Pongratz (BR)

Für den Bayerischen Rundfunk berichten Elisabeth Pongratz und Martin Jarde über „die Frauenfrage“, also den Konfliktpunkt des Diakonats für Frauen. Damit würde erstmals das Weiheamt in der römisch-katholischen Kirche (der Neuzeit) für Frauen geöffnet und die Exklusivität männlicher geistlicher Führungsmacht zumindest ein wenig geschleift.

Gisela Forster aus Starnberg hat „keine Hoffnung mehr“, dass bei der Weltsynode positive Fortschritte beim Thema Frauenweihe erzielt werden. Schon bei der ersten Sitzungsperiode hätte es eigentlich eine Mehrheit von rund 80 Prozent der Teilnehmenden gegeben, die sich für das Diakonat der Frau ausgesprochen hätten, erzählt sie BR24. Darum hätte es der Papst dann „schnell in eine Arbeitsgruppe ausgeklammert“.

Machen statt Reden ist das Motto der 78-Jährigen. Deshalb hatte sie sich bereits 2002 zur römisch-katholischen Priesterin und 2003 zur Bischöfin weihen lassen – entgegen dem Kirchenrecht. Seitdem weiht sie selbst immer wieder Frauen zu Priesterinnen, was die Kirche natürlich nicht anerkennt. Auch am kommenden Donnerstag soll es wieder eine Weihe geben, in Rom auf einem Schiff auf dem Tiber. Drei Frauen aus Spanien, Frankreich und Portugal werden geweiht. Der Vatikan solle nicht glauben, „dass er mit seiner Position so weitermachen kann“, beschreibt Forster das Ziel der Aktion.

Das Bischofssynode dauert noch bis zum 27. Oktober. Ihre Beschlüsse benötigen eine Zweidrittelmehrheit und werden dann Papst Franziskus zur weiteren Arbeit vorgelegt. Franziskus wird dann entscheiden müssen, ob und wie er dann die „Ergebnissicherung“ des Synodalen Prozess in einem Apostolischen Schreiben oder Ähnlichem tatsächlich vornimmt.

Von der Amazonas-Synode haben wir gelernt, dass Franziskus selbst hinter den offiziellen Synodenberatungen noch zurückbleiben kann – vom „Machen“ mutiger Frauen ganz zu schweigen. Was ist von einem Papst zu erwarten, der selbst frauenfeindliche Aussagen im Anti-Gender-Diskurs macht? Das fragt sich nicht nur Joachim Frank in einem aktuellen Kommentar in der Kirche + Leben:

Was der Papst unter „Genderfragen“ versteht, das ist so schlicht, so klischeebehaftet, vorurteilsbeladen und so erkennbar von einem scheinbar überlegenen (männlichen) Standort aus gedacht, dass es sogar am sprichwörtlichen Stammtisch nur mehr zum Fremdschämen reicht. Die „schlimmste Gefahr“ kann Gleichberechtigung der Frauen doch nur für diejenigen sein, die partout nicht von ihrer Übermacht und ihren Privilegien lassen wollen.

Buntes

Neue Kardinäle: Eine Namensliste mit klaren Botschaften – Ludwig Ring-Eifel (KNA, katholisch.de)

Der ehemalige Chef und heutige Vatikankorrespondent der Katholischen Nachrichten-Agentur, Ludwig Ring-Eifel, erklärt, welche Männer Papst Franziskus Anfang Dezember in den Kardinalsrang erheben will – und warum. Deutschland geht wieder einmal leer aus und auch sonst sind die Berufungen höchst politisch. Papst Franziskus verfolgt seine Internationalisierungsagenda ebenso hartnäckig wie er nachtragend ist.

Wie stehts um Social Media? mit Philipp Greifenstein – Tobias Sauer („Windhauch“-Podcast, 55 Minuten)

Im „Windhauch“-Podcast von ruach.jetzt kommen bei Podcast-Host Tobias Sauer Kirchenreformer:innen zu Wort. Schwerpunkte des inzwischen langjährigen Podcasts liegen auf den neuen Ausdrucksformen von Kirche, den „Erprobungsräumen“, #freshX, und der Kirche im digitalen Wandel. Bis Anfang 2024 wurde der Podcast von ruach.jetzt gemeinsam mit midi, „der Zukunftswerkstatt von Kirche und Diakonie“, herausgegeben.

In der aktuellen Episode bin ich bei Tobias Sauer zu Gast und wir diskutieren über die aktuelle Lage (christlicher Bubbles) auf den Social-Media-Plattformen. Zur Sprache kommen Fragen, die hier in der Eule in den Artikeln des Social-Media-Trends-Update ausführlich behandelt werden. Das flotte Gespräch ist eine angenehme Ergänzung zur Lektüre, geeignet für Herbstspaziergänge und zur Begleitung des Budenschwungs.

Theologie

Neuer Forschungsband zu Otto Dibelius erschienen – Thomas Klatt (evangelisch.de)

Ein neuer Band im Verlag Mohr Siebeck fasst den aktuellen Forschungsstand zur Gestalt Otto Dibelius zusammen. Herausgegeben wird das Kompendium vom Marburger Neutestamentler Lukas Bormann und dem Historiker und Experten für die Kirchengeschichte im Nationalsozialismus Manfred Gailus. Bei evangelisch.de führt Thomas Klatt in die große Linien des Buches / der Biografie Dibelius‘ ein. Dibelius prägte als Generalsuperintendent und später Bischof sowie als EKD-Ratsvorsitzender die Kirche von den 1920er bis in die 1960er Jahre.

Politisch aber blieb Otto Dibelius letztlich stramm rechts. So wie er den italienischen Faschismus und Benito Mussolini begrüßte, weil dieser die Kirche stärkte, so war er für den Nationalsozialismus, der das Christliche im Staat stärken sollte. Die Machtergreifung Adolf Hitlers begrüßte Otto Dibelius nicht nur, sondern er hielt auch beim Tag von Potsdam am 21. März 1933 die Festpredigt. „Es war ein großes Ja zum politischen Umschwung und ein kleines verstecktes Nein zu Begleiterscheinungen. Das ist kurz zusammengefasst der Tenor seiner Predigt in der Nikolaikirche. Also das war keine distanzierende Predigt, das war schon gar nicht eine Widerstandspredigt“, sagt Manfred Gailus heute.

Vor allem begrüßte Otto Dibelius das Dritte Reich, weil die Nazis nun etwas gegen das Judentum und die Juden in Deutschland unternahmen. Lukas Bormann: „Das hat er auch nach 1945 bestätigt, dass er sich immer dafür eingesetzt hat, dass jüdische Menschen im öffentlichen Leben keine tragende Rolle spielen sollen in Presse, Kultur und Politik, in den Institutionen des Staates, in der Justiz, an den Universitäten.“

Viele der Fragen, mit denen Dibelius in vierzig Jahren Kirchenleitung befasst war, sind heute brandaktuell: Die Stellung der Kirche zu Rechtsextremismus und Antisemitismus, das Verhältnis von Staat und Kirche(n), die Frage nach Frieden und „Kriegstüchtigkeit“ und nicht zuletzt die Ökumene und Fragen der Selbstorganisation des Protestantismus. Schade, dass der Band vom Verlag offenbar vor allem für Bibliotheken gedacht ist. Andere Publikationen (auch bei Mohr Siebeck) werden längst als Open Access veröffentlicht, während man für dieses Buch 99 Euro (gedruckt und als eBook PDF) hinlegen muss.

Die Herrnhuter und die „Vagina“ Jesu – Anna Diagileva (evangelisch.de)

Auf der Suche nach einer authentischen Spiritualität entwickelten Mitglieder der Herrnhuter Brüdergemeine einen besonderen Kult, der uns heute „mysteriös, seltsam und sogar abschreckend“ vorkommen mag: Die „Seitenhöhlchen“-Frömmigkeit. In deren Zentrum steht die Seitenwunde Jesus als „sicherer Ort“. Bei evangelisch.de klärt Anna Diagileva, die in Halle (Saale) unterstützt durch ein Stipendium der EKD die Geschichte des Pietismus studiert, worum es geht:

Das Seitenhöhlchen war für die Herrnhuter der Ursprung des christlichen Lebens. Man kann es auch buchstäblich verstehen – als Vagina und Gebärmutter, durch die man als Christ auf die Welt kommt. Die Herrnhuter selbst haben offen über diese Assoziationen in Liedern und Predigten gesprochen. Man wurde aus der Seitenwunde geboren, man wollte aber auch in sie eindringen, sie küssen und streicheln, durch sie sich körperlich mit Jesus verbinden.

Es bleibt festzuhalten, dass unsere christlichen Vorfahren nicht so patriarchal, binär und körperfeindlich waren, wie es häufig behauptet wird. Sie konnten erstaunlich offen über komplexe Genderidentitäten und Sexualität sprechen – und das im religiösen Kontext. Sie suchten eine emotionale, persönliche Verbindung zu Gott, die alle üblichen Rahmen sprengen sollte.

Diagileva war bereits im Dezember 2023 im „Bibliotalk“-Podcast der Deutschen Bibelgesellschaft bei Moderator Frank Muchlinsky zu Gast. In der Episode geht es um das Totenfeld beim alttestamentlichen Propheten Hesekiel und Auferstehungsphantasien.

Als Randnotiz: Ich finde es großartig, dass evangelisch.de als größtes evangelisches „Nachrichten“-Online-Portal des Landes, mal wieder einen schönen, bisschen abseitigen und gerade darum für Leser:innen interessanten Artikel bringt. Das liegt nicht nur daran, dass wir hier in der Eule mit der Kolumne „mind_the_gap“ eine Vorliebe für mysteriöse, seltsame und (fast) vergessene Kirchengeschichte(n) haben. Nein, ich glaube, dass die Kirchen in ihrem Gepäck eine Menge Geschichte(n) herumtragen, die Menschen auch heute (kritisch) beheimaten können – wenn man sie denn richtig aufbereitet.

Mir fällt – um am Großthema Social Media dranzubleiben – immer wieder auf, wie geschichtsvergessen und ignorant gegenüber schönen analogen Traditionen kirchliche Kommunikation im Netz sein kann. Als ob man sich für sich selbst schämen würde. Dabei zeigt sich immer wieder, dass gerade unsere historischen Unterschiede und konfessionellen Profile noch immer sexy sein können.

Ein guter Satz

„Erfahrungen sind mit Vorsicht zu genießen.“

Philipp Rhein in seinem Aufsatz „Erfahrung (in) geteilter Wirklichkeit. Drei kritische Anmerkungen zum Erfahrungsbegriff in unserer Gegenwart“ in der Ökumenischen Zeitschrift für Sozialethik ethik und gesellschaft


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