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Kirche

Rücktritt von Kardinal Marx: Franziskus sagt „Nein, danke“

Papst Franziskus lehnt das Rücktrittsgesuch von Kardinal Reinhard Marx ab. Was denkt sich der Papst dabei? Und welche Konsequenzen hat seine Entscheidung für die katholische Kirche? Eine Analyse.

Im blumigen Duktus seiner Muttersprache hat Papst Franziskus heute Kardinal Marx „Nein, danke“ gesagt und dessen Rücktrittsgesuch abgelehnt. Die Antwort des Papstes kommt überraschend: Erst vor einer Woche hatte Marx nach persönlicher Rücksprache mit Franziskus sein auf den 21. Mai 2021 datiertes Rücktrittsschreiben veröffentlicht. Warum er vom Amt des Erzbischofs von München und Freising zurücktreten wolle, erklärte Marx am vergangenen Freitag in mehreren ausführlichen Statements (wir berichteten).

Der Rücktrittswunsch des Kardinals hatte in den vergangenen Tagen Schockwellen in der römisch-katholischen Kirche ausgelöst, er wurde als Zeichen der persönlichen Verantwortungsübernahme und als Schuldeingeständnis verstanden – so wie Marx es beabsichtigte. Auch wenn der Kardinal auf Nachfrage erklärte, dass es sich um seine „persönliche Entscheidung“ handele, hatte er damit den Druck auf die anderen Bischöfe – insbesondere seinen Kardinalskollegen in Köln, Erzbischof Rainer Maria Woelki – erhöht, ihrerseits persönlich Verantwortung für den sexuellen Missbrauch und dessen Vertuschung in der Kirche zu übernehmen.

Nun hat der Papst das Rücktrittsgesuch sehr schnell zurückgewiesen. Papst Franziskus hatte seit dem 21. Mai Zeit, sich den Wunsch des Kardinals durch den Kopf gehen zu lassen. Noch letzte Woche wurde bekanntgegeben, der Papst würde auf das Schreiben von Kardinal Marx zu gegebener Zeit antworten. Dass dies nun nur eine Woche nach Bekanntgabe des Rücktrittsgesuches und vor der Veröffentlichung des Münchener Missbrauchsgutachtens geschieht, muss überraschen.

Der „Panzerkardinal“ ist unverzichtbar

Offenbar ist es Papst Franziskus daran gelegen, deutlich zu machen, dass er auf Marx nicht verzichten will. Nicht im Amt des Erzbischofs von München und Freising und nicht in seinen Funktionen für die katholische Weltkirche. Dort, insbesondere bei den reaktionären US-Bischöfen, muss Franziskus‘ Antwort als deutliches Zeichen der Unterstützung für Marx wahrgenommen werden. Doch was meint das?

Der Präsident des Zentralkommitees der deutschen Katholiken (ZdK), Thomas Sternberg, beeilte sich heute, die Ablehnung des Rücktrittsgesuches als Zustimmung des Pontifex zum sogenannten Synodalen Weg zu interpretieren. Der Snyodale Weg, der aktuelle Reformprozess innerhalb der römisch-katholischen Kirche in Deutschland, wurde maßgeblich von Sternberg und Marx auf den Weg gebracht.

Doch griffe man zu kurz, wenn man die Vorliebe des Bischofs von Rom für „Synodalität“, die sich in der Durchführung eines „Synodalen Prozesses“ im Vorfeld der Bischofssynode 2023 ausdrückt, mit einem Einverständnis zu den Forderungen verwechselte, die auf dem Synodalen Weg formuliert werden. Im „Synodalen Prozess“ soll über die Synodalität als „die angemessene Ausdrucksform von Kirche im 21. Jahrhundert“ debattiert werden, bevor im Herbst 2023 die Bischöfe der Weltkirche dazu in Rom Entscheidungen treffen werden.

Der Synodale Weg in Deutschland widmet sich hingegen in vier Synodalforen den großen Reformfragen des Katholizismus (Macht und Gewaltenteilung, Priesteramt, Frauen sowie Sex und Partnerschaft). Am Ende sollen die Laienvertreter:innen zumindest über die Ergebnisse der Beratungen abstimmen, bevor die Entscheidung über deren Umsetzung in die Hände der Bischöfe bzw. des Papstes gelegt wird. Zu allen auf dem Synodalen Weg bereits formulierten Reformvorhaben hat es in den vergangenen Monaten Absagen aus Rom gegeben.

Ist der Papst doch ein Reformer?

Doch eines unterscheidet diese vatikanischen Stöckchen, die den Katholiken in Deutschland auf ihrem Synodalen Weg zwischen die Beine geworfen werden, vom Antwortschreiben des Papstes an Marx: Dieses wurde ganz offenbar von Franziskus persönlich verfasst, jedenfalls deuten die Sprache der ursprünglichen Abfassung (Spanisch) sowie Ton und Inhalt des Schreibens darauf hin.

Bisher beeilten sich die Reformer unter den deutschen Bischöfen immer wieder, den Invektiven aus Rom irgendetwas Positives abzugewinnen. In der süßlich-verquasteten Sprache des Katholizismus lobten sie die Weisheit der vatikanischen Sendschreiben über den Klee, zwischen den Zeilen wurde nach Übereinstimmungen mit dem Pontifex und gut versteckten Zugeständnissen der Kurie gesucht. Die Ablehnung des Rücktritts durch Franziskus ist demgegenüber mehr als deutlich: Marx soll als Reformer weitermachen, er wird als Vorbild für andere Bischöfe installiert.

In seinem Schreiben rekurriert Franziskus auf Petrus, der dem Neuen Testament zufolge gegenüber Jesus bekannte: „Geh weg von mir, denn ich bin ein Sünder“ (Lukas 5,8) und dem Jesus Christus nach seiner Auferstehung den Auftrag gegeben hat: „Weide meine Schafe!“ (Johannes 21, 15-19) Marx habe, so Franziskus, wie der Apostel Petrus seine Sünden bekannt. Zum Schluss seines Schreibens spricht er Marx daher zu:

„Und wenn Du versucht bist, zu denken dass dieser Bischof von Rom (Dein Bruder, der Dich liebt), indem er Deine Sendung bestätigt und Deinen Rücktritt nicht annimmt, Dich nicht versteht, dann denk an das, was Petrus im Angesicht des Herrn hörte, als er ihm auf seine Weise seinen Verzicht anbot: „Geh weg von mir, denn ich bin ein Sünder“ – und die Antwort hörte „Weide meine Schafe“.“

Für kirchenferne oder protestantische Ohren (wie meine) ist in dieser Passage eine unheimliche Anmaßung verpackt. Marx gleiche durch seine persönliche Verantwortungsübernahme (Sündenbekenntnis) dem Apostel Petrus, meint der Papst, dem Jesus Christus nach katholischem Verständnis trotzdem die Leitung seiner Kirche anvertraut habe. Wie Jesus Christus Petrus sagt nun Franziskus Kardinal Marx auf sein Sündenbekenntnis hin: „Weide meine Schafe“.

Klerikalismus durch die Hintertür

Man kann sich fragen, wie diese zutiefst klerikalen, je nach konfessioneller Perspektive auch übergriffigen Worte aus der Feder des Papstes zu seinem Feldzug gegen Klerikalismus in seiner Kirche passen. Gegenüber Machtdemonstrationen des Klerus führt Franziskus immer wieder ins Feld, dass alle Gläubigen das Volk Gottes bilden, in dem niemand herrschen dürfe, sondern Bischöfe und Priester allein dienende Funktion haben, so wie es das 2. Vatikanische Konzil festgehalten hat. Doch die „Schafe“, über die Franziskus hier bestimmt, hat auch diesmal niemand nach ihrer Meinung gefragt.

Grundlage des „Synodalen Prozesses“ des Papstes ist das altkirchliche Diktum „Was alle angeht, muss von allen besprochen werden“. Selbst wenn damit keine Mitentscheidung der Laien (der nicht-geweihten katholischen Christ:innen) gemeint ist, sondern lediglich deren Anhörung, müsste die von Franziskus und Marx so beharrlich vertretene „Unterscheidung der Geister“ doch beinhalten, die Konsequenzen klerikaler Entscheidungen für das ganze Volk Gottes abzuwägen und sich dabei Rat auch bei diesen und insbesondere Betroffenen des Missbrauchs zu holen.

Letztere kommen im Antwortschreiben des Papstes nicht einmal vor. Franziskus verlässt sich bei der Ablehnung des Rücktrittsgesuches auf seine eigene Perspektive und die Stimmen derjenigen, die wie Thomas Sternberg meinen, mit Marx trete „der falsche Mann“ zurück, und lässt jene Stimmen außer Acht, die den Rücktritt des Kardinals für notwendig und angemessen halten.

Der Papst sagt „Nein, aber danke“

Kirchenpolitisch braucht der Papst seinen Bruder im Geiste. Die Demutsgeste seines Rücktrittsgesuches nimmt er gerne mit, aber trotz aller schönen Worte für die Beweggründe des Kardinals setzt er sie nicht ins Recht, sondern zumindest teilweise außer Kraft. Damit konnte der Papst offensichtlich nicht länger als eine Woche oder gar bis zur Veröffentlichung des Münchener Missbrauchsgutachtens warten.

Im Angesicht einer störrischen Kurie und im Kampf mit den reaktionären Kräften seiner Kirche kann der Papst auf seinen „Panzerkardinal“ nicht verzichten, doch hebt er mit seinem „Nein, danke“ die „revolutionäre Kraft“ auf, die dem Rücktrittswunsch des Kardinals zugeschrieben wurde. Der Papst macht sich die Aussagen des Kardinals zu eigen, ohne die Konsequenzen aus ihnen zu ziehen.

Es sei daran erinnert, dass Franziskus auch den geschlossenen Rücktritt aller chilenischen Bischöfe wegen der Missbrauchsverbrechen im Jahr 2018 nicht angenommen hat. Nun lässt er mit dem möglichen Rücktritt des Münchener Erzbischofs erneut die Gelegenheit für ein deutliches Zeichen der bischöflichen Verantwortungsübernahme verstreichen. Bisher beschränkt sich Franziskus darauf, nur jene Bischöfe dauerhaft aus dem Amt zu entfernen, die von weltlichen Gerichten (bleibend) verurteilt wurden. Aufgrund der jahrelangen Vertuschung der Missbrauchsverbrechen und der Untätigkeit staatlicher Ermittlungsbehörden ist das für viele derzeitige Amtsträger nahezu ausgeschlossen.

Mit seinem Rücktritt wollte Marx ausdrücklich auch Verantwortung für Missbrauch und Vertuschung in der Vergangenheit übernehmen. Es helfe nicht, „die Vergangenheit zu begraben“, meint auch Franziskus. Jedoch wären es „nicht die Untersuchungen, die uns retten werden, und auch nicht die Macht der Institutionen“, sondern eine „heilsame Scham“, die „Türen öffnen wird“ und die katholische Kirche aus der Missbrauchskrise führen werde. „Als Kirche müssen wir um die Gnade der Scham bitten“, schreibt Franziskus.

Doch was ist, wenn aus der Scham keine Konsequenzen gezogen werden?


Kardinal Reinhard Marx hat die Entscheidung des Papstes inzwischen akzeptiert. Seine Stellungnahme und weitere Reaktionen lesen Sie hier in der Eule.