Foto: Nik (Unsplash)
Kolumne Gotteskind und Satansbraten

Gewalt an Kindern: Wenn es Dir wehtut, lass es bleiben

Der Papst entschuldigt Gewalt in der Erziehung: Ein Kind zu schlagen, füge den Eltern größere Schmerzen zu als dem Kind. Es gibt keine Pflicht zur Züchtigung, erklärt Daniela Albert. Hören wir auf unsere Gefühle!

Er hat es schon wieder getan: Papst Franziskus hat es einmal mehr durch zweifelhafte Aussagen zum Thema Gewalt gegen Kinder in die Schlagzeilen geschafft. Ein Klaps auf den Po, so der Papst sinngemäß, sei nichts Schlimmes. Eltern gäben ihren Kindern so etwas – was? – mit auf den Weg, hätten aber hinterher in der Hand mehr Schmerzen als das Kind selbst.

Nun ist Franziskus mit seiner Meinung im frommen Milieu ja nicht allein, wir haben uns in der Eule und auch in dieser Kolumne schon öfter damit befasst, warum es nicht in Ordnung, nicht biblisch, nicht Gottes Wille ist, dass Kinder Gewalt erfahren. Trotzdem scheint sich die Idee hartnäckig zu halten, dass man Liebe auch durch Züchtigung zeigen kann – und, dass das vielleicht sogar das ist, was Gott von uns als Eltern erwartet. Zumindest in einem kleinen Teil der christlichen Welt.

Bemerkenswert finde ich, dass Franziskus hier eine Beschwichtigung ins Feld führt, die man oft beim Thema Gewalt gegen Kinder vernehmen kann: Dass die Ausübung von Gewalt, das Schlagen oder anderweitige Bestrafen von Kindern täte den Erwachsenen ja am Ende mehr weh als den Kindern selbst. Auch diese Aussage habe ich schon oft gehört.

Ich höre sie, wenn erwachsene Menschen mir heute ihre Geschichten davon erzählen, wie sie als Kind von ihren Eltern geschlagen wurden. Nicht selten, weil diese glaubten, es sei ihre elterliche, biblisch vorgeschriebene Verpflichtung. „Mein Vater weinte einmal, als er mir den Hintern versohlte, weil er das selbst so schlimm fand“, berichtete mir eine Person.

Durch solche Aussagen wird für mich deutlich, dass jede Generation der nächsten wieder erfolgreich abtrainiert, auf das eigene Herz, die eigenen Gefühle, das eigene Gewissen zu hören. Denn es ist nun einmal so: Die meisten Menschen wollen denen, die sie lieben und die sie beschützen sollen, gar keinen Schaden zufügen. Sie möchten ihren Kindern nicht absichtlich wehtun. Und doch wurde ihnen anerzogen, dass genau das ihre Aufgabe sei.

Eine Pflicht zur Züchtigung?

„Wer seine Rute schont, der hasst seinen Sohn; wer ihn lieb hat, der züchtigt ihn beizeiten“, Sprüche 13,24. Ein Bibelvers, der so viel Leid in die Welt gebracht hat, so viel Unglück, so viele Narben. Die Tatsache, dass dieser Vers über Jahrhunderte als Empfehlung zur guten Erziehung missverstanden wurde, hat Beziehungen zerstört, sichere Bindungen unmöglich gemacht und ist ein Grund dafür, warum viele Familiengeschichten bis heute von Traumata bestimmt werden. Der Vers hat mit Gottes Liebe und seiner Vision für die Menschen, wie er sie in Jesus‘ Leben der Welt gezeigt hat, nichts gemein.

Und dennoch ist sie hartnäckig.

Diese Vorstellung von elterlicher Liebe hält sich bis heute in den Köpfen. Viele von uns sind mit der Idee aufgewachsen, dass es okay ist, von Menschen, die uns lieben, verletzt zu werden, dass Liebe wehtun darf, dass geliebte Menschen unsere Grenzen in einer Art überschreiten dürfen, die eigentlich gar nicht geht. Und viele Menschen glauben, dass sie selbst ebenso ein Recht – ja sogar die Pflicht – haben, auf diese Weise zu handeln.

Heute treffe ich zum Glück immer seltener auf Eltern, die glauben, dass es ihre Pflicht ist, ihren Kindern körperlich wehzutun, auch wenn sie das selbst gar nicht wollen. Eltern, die gegen ihre Instinkte handeln, weil man ihnen gesagt hat, dass sie konsequent bleiben müssen, allerdings schon.

„Ich finde Medienverbot ja eigentlich blöd, ich schaue ja selbst so gern Serien, aber irgendwie muss ich mich ja durchsetzen.“

„Ich weiß, dass es für meine Teenagertochter furchtbar ist, dass ich ihr verboten habe, auf diese Party zu gehen, wo alle sind, aber irgendwie muss sie doch merken, dass sie ihr Verhalten ändern muss.“

„Ich streiche meinem Kind das Vorlesen am Abend, wenn es beim Umziehen nicht gut mitmacht, auch wenn mir das dann selbst so leidtut, weil ich diese Zeit so genieße.“

Merkt ihr was?

Solche Sätze bewegen sich weiterhin in der Logik des „Das-tut-den-Eltern-mehr-weh“-Arguments von Papst Franziskus. Sie mögen auf den ersten Blick eine Verbesserung darstellen, weniger gewaltvoll, mehr als logische Konsequenz daherkommend. Doch auf den zweiten Blick zeigt sich hier weiterhin ein ungesundes Muster: Größere, ältere Menschen nutzen ihre Macht, um kleinen Menschen wehzutun, nicht mehr körperlich, sondern seelisch. Das Unwohlsein, das Erwachsene dabei empfinden, wird mit dem Argument beiseitegeschoben, dass es ja auf lange Sicht gesehen gut für die Kinder sei Grenzen kennenzulernen.

Miteinander einen anderen Weg finden

Nun soll kein Missverständnis aufkommen: Natürlich ist es unsere Aufgabe als Eltern, unseren Kindern zu helfen, auf dieser Welt gut zurechtzukommen. Dazu gehört es auch, Grenzen anderer Menschen und die der eigenen Möglichkeiten zu respektieren. Medienbegrenzungen machen Sinn. Nicht jede Party ist ein guter Ort für unsere Teenager. Und manchmal ist vom Abend einfach nicht mehr genug übrig, um noch eine Geschichte vorzulesen.

Das hier ist kein Plädoyer dafür, alles in Liebe und Großmütigkeit laufen zu lassen, ohne als erwachsener, weiser, weitsichtigerer Menschen einzugreifen. Es geht aber durchaus um die Art des Eingreifens. Und da würde ich den Grundsatz empfehlen: Wenn es sich für dich falsch und schmerzhaft anfühlt, dann tu es nicht. Finde einen anderen Weg.

Dabei geht es mir wenig um „Kuschelpädagogik“, es geht mir nicht um grenzenlose Selbstentfaltung und auch nicht darum, immer nur weich und „lieb“ zu sein. Es geht mir um einen authentischen Umgang mit den eigenen Gefühlen, der eigenen Wahrnehmung von richtig und falsch. Es geht um ein Wahrnehmen und Schützen der eigenen Grenzen.

Es gibt viele gute Gründe, niemanden zu verletzten oder schmerzhaft zu bestrafen, wenn man das nicht möchte. Einer davon ist, dass wir unseren Kindern unbedingt vorleben sollten, in dieser Hinsicht auf ihre Gefühle zu hören. Als jemand, der immer wieder auch mit Gruppendynamiken in Schulklassen zutun hat, in denen viele Schüler:innen sich anderen gegenüber ungünstig verhalten, obwohl sie das eigentlich nicht möchten, weiß ich, wie wichtig es ist, sich selbst gesunde Grenzen im Umgang mit anderen zu bewahren, über die man nicht drüber geht.

Wenn es sich nicht gut anfühlt, gemein zu anderen Kindern zu sein, dann tu es nicht.

Wenn es sich nicht gut anfühlt, deinem Kind das Handy abzunehmen, dann tu es nicht.

Wenn es sich nicht gut anfühlt, jemanden auszuschließen, dann tu es nicht.

Wenn es sich nicht gut anfühlt, die Gute-Nacht-Geschichte zu streichen, dann tu es nicht.

Wenn es sich nicht gut anfühlt, über jemanden zu lästern, dann tu es nicht.

Wenn es sich nicht gut anfühlt, Hausarrest zu erteilen, dann tu es nicht.

Wir haben uns über viele Generationen lang gegenseitig beigebracht, dass unser Unwohlsein, wenn es ums Ausüben von Macht geht, fehl am Platz ist. Wie wäre es, wenn wir der nächsten Generation beibringen, dass genau dieses Unwohlsein ein wichtiges Signal sein kann – und ein Weg zum friedlicheren Umgang miteinander?


Unterstütze uns!

Die Eule bietet Nachrichten und Meinungen zu Kirche, Politik und Kultur, immer mit einem kritischen Blick aufgeschrieben für eine neue Generation. Der unabhängige Journalismus und die Stimmenvielfalt der Eule werden von unseren Abonnent:innen ermöglicht. Mit einem Eule-Abo unterstützst Du die Arbeit der Redaktion, die faire Entlohnung unserer Autor:innen und die Weiterentwicklung der Eule.

Jetzt informieren und Eule-Abo abschließen!


Mehr: