Herzensgründe – Die #LaTdH vom 19. Januar

Beef rund um die zwei Päpste: Was hat Joseph Ratzinger nun wirklich gesagt und zu sagen? Außerdem: Sinnfluencer, Sinniges zum Kirchenaustritt und Seenotrettungs-News.

Bevor wir uns den Kirchenthemen der Woche widmen ein Lesehinweis außer der Reihe: Im Interview mit Anja Reich spricht die Holocaust-Überlebende Regina Steinitz in der Berliner Zeitung über das Überleben in der NS-Diktatur, über die Jahre nach dem Krieg in Berlin und das Leben in Israel: „Mein Liebling, auch du hättest dein Maul gehalten“.

Debatte

Manchmal genügen ein paar wenige Tage Abstand, um selbst ein kirchenpolitisches Aufregerthema wie das Zölibatsbuch von Kardinal Sarah und Papst Benedikt XVI. em. / Joseph Ratzinger entspannter einzuordnen. In etwa so, wie es der aktuelle Papst anscheinend hält.

Trotz einiger Kolportagen gibt es von Franziskus nichts Offizielles zum Fall zu hören, so dass das Editorial seines Kommunikationschefs Andrea Tornielli von Montag bzgl. Franziskus‘ Haltung immer noch maßgeblich ist: Gehen Sie weiter, hier gibt es nichts zu sehen! Und: Unterhalten wir uns lieber über die sozialen und umweltpolitischen Implikationen der Amazonien-Synode!

Der „emeritierte Papst“: Eine Tradition wird gemacht – Felix Neumann (katholisch.de)

Gleichwohl wurde die ganze Woche vor allem über Benedikt / Ratzinger diskutiert. Einen schon etwas betagten, wegen der aktuellen Ereignisse aufgepeppten, Artikel von Felix Neumann (@fxneumann) hat katholisch.de wieder herausgeholt: Darin erklärt Neumann, was es mit dem Amt des „Emeritus“ auf sich hat, und wie es damit sinnvoller Weise weiter gehen kann.

Trotz historischer Präzedenzfälle und Analogien im Kirchenrecht ist also vor allem die normative Kraft des faktischen Verhaltens von Benedikt XVI. prägend für die Institution „emeritierter Papst“: Es gibt noch keine Tradition – Benedikt XVI. schafft sie, und es wird sich zeigen, ob Papst Franziskus sie gutheißen wird oder, wohl erst in pietätvollem Abstand zu Benedikt XVI., sie ändern wird – durch Regeln oder eigenes Beispiel.

Nicht nur der Ärger um das Sarah-Buch mit Ratzinger-Text wird also vergehen, auch die Verwirrungen um das Miteinander zweier Päpste (unter der Woche hier in der Eule) enden dereinst. Und zwar zunächst mit dem Ableben Ratzingers, das jetzt auch nicht mehr Ewigkeiten auf sich warten lassen wird. Danach, so sind sich die Kommentator*innen einig, wird sich Franziskus mit einer rechtlichen Neufassung des „Emeritus“-Amtes befassen können, ohne den Anschein zu erwecken, er funke seinem Vorgänger rein.

In wechselseitiger Solidarität solle sich doch auch Ratzinger deshalb nun endlich zurückhalten. Ob von Benedikt beabsichtigt oder nicht, seine Äußerungen werden von reaktionären Kreisen gegen den Papst verwendet. Ob das Instrumentalisierung ist oder Absicht, wer weiß? Stephan Baier in der Tagespost jedenfalls warnt davor, dass der Papst – hier: Franziskus – „Projektionsfläche“ für eine kirchenpolitische – hier: liberale – Agenda wird:

Ist Papst Franziskus zur Projektionsfläche für eine kirchenpolitische Agenda geworden, die gar nicht seine ist? Soll er nur abarbeiten, was auf theologischen Lehrstühlen und in Redaktionsstuben längst zur reformatorischen Pflicht erklärt worden ist? Der Zank um den Zölibat könnte Franziskus‘ Chance sein, einer solchen Vereinnahmung klar zu widersprechen.

Man braucht die theologischen Unterschiede zwischen den beiden Päpsten nicht überbetonen, und allzu große Hoffnungen auf Franziskus setzen (hier & hier in der Eule), um sich doch begründete Hoffnung darauf zu machen, dass mit dem richtigen nachsynodalen Schreiben des richtigen Papstes etwas Bewegung in die Frage des Zölibats kommt:

Franziskus nimmt, das haben die vorausgegangenen „synodalen“ Beratungen seines Pontifikats gezeigt, die Ergebnisse dieser ernst und affirmativ in seinen Ratschluss auf. Mit Franziskus wird der Zölibat nicht fallen. Aber es wird wohl tatsächlich für langgediente ständige Diakone in pastoralen Krisenregionen Ausnahmen geben. Gehören da Bayern und das Rheinland schon dazu?

Mehr:

Kluge Gedanken zum Amt des „Emeritus“ gemixt mit etwas Vatikan-Tratsch finden sich auf dem Blog des langjährigen FAZ-Korrespondenten aus Jerusalem und Rom, Jörg Bremer (@HeinzBremer):

Franziskus ist ein geduldiger und zielstrebig denkenden Jesuit; und er wird sich – dem Vernehmen nach – durch diese Gegner nicht von seiner prophetischen Aufgabe abbringen lassen. Beliebt beim Kirchenvolk und längst von der Mehrheit im Kardinalskollegium getragen, kann er seinen Kurs gehen und bei dem angekündigten nachsynodalen Schreiben auch die Lockerungen bei der Eucharistievergabe umsetzen, die die Amazonas-Synode beschloss. Aber Papst Franziskus will keine Kirchenspaltung, und darum muss er vorsichtig und langmütig operieren. Ein General darf seine Truppen nicht aus dem Blick verlieren; Franziskus muss sie weitmöglichst mitnehmen, auch wenn es sich bei den Schismatikern um eine „kleine Elite“ der Privilegierten handle, wie er einmal andeutete; mit der anschließenden Bitte an die Mehrheit: „Betet für mich!“

Bemerkenswert ist auch das Editorial der aktuellen Christ in der Gegenwart:

Selbst wenn Ratzinger/Benedikt schweigen und seine weiße Gewandung ablegen würde – die ihm durch die auratische Aufladung zugemessene Ausstrahlung verschwindet nicht. Das bedeutet nicht, dass seine in Meinungsfreiheit geäußerte Argumentation schlüssig ist und nicht kritisiert werden darf. Aber die reale Psychologie der Wahrnehmung spricht eine eigene Sprache, auch wenn das Theologen und Laienvertreter ärgert. In den Gesetzmäßigkeiten des Zusammenspiels eines außergewöhnlichen Amts mit dem Unbewussten der menschlichen Psyche liegt allerdings tatsächlich ein Problem, wenn ein Papst nicht erst mit seinem Tod und den dabei inszenierten außergewöhnlichen sakralen Ritualen wirklich aus dem Amt scheidet und der tote Körper die mit ihm zuvor verbundene Aura real verliert. Es bleibt aber dabei: Der Papst ist Franziskus I.

Das katholische Priestertum – Benedikt XVI. / Joseph Ratzinger (Die Tagespost)

Zum Schluss der Wirren um das Zölibatsbuch ein Blick auf den Text, den Joseph Ratzinger / Benedikt XVI. tatsächlich zum Sarah-Buch beigesteuert hat. Die Tagespost hat diesen auf ihrer Website veröffentlicht. Er ist wirklich nicht sonderlich aufregend. Es finden sich darin vor allem keine kirchenpolitischen Handlungsempfehlungen.

Vielmehr handelt es sich um einen biblisch-theologischen Begründungsgang für das exklusiv männliche, zölibatäre Priestertum. Dazu greift Ratzinger weit aus: Weil der Tempeldienst im Ersten Bund (wie im Alten Testament geschildert) Enthaltsamkeit vor heiligen Handlungen vorsah, müssen Priester heute komplett enthaltsam leben, weil sie ja ständig mit der Eucharistie befasst sind.

Mit einer aktuellen Analyse seiner Kirche haben Benedikts Ausführungen nichts zu tun. Sie gehen auch an der ökumenischen und ostkirchlichen Realität in seiner eigenen Kirche vorbei. Wäre das ganze eine Proseminararbeit würde man dem „Emeritus“ wohl Einseitigkeit bei der Quellenauswahl und -Interpretation vorwerfen. Aber ein solch „genialer Theologe“ wird sich das auf seine alten Tage ja wohl leisten können?! Ohne die Autorenzeile allerdings erklärt sich der besondere Wert dieser Gedanken nicht.

nachgefasst

Maria 2.0: Götterdämmerung auf Katholisch – Britta Baas (Blätter für deutsche und internationale Politik)

Britta Baas (@brittabaas), Redakteurin der Publik-Forum, schreibt in den Blättern für deutsche und internationale Politik über die Frauenbewegung „Maria 2.0“ und referiert den Stand der Entwicklungen rund um das Weiheamt für Frauen in der katholischen Kirche:

Das Jahr 2019 ist der Wendepunkt nach einer langen Strecke des Kampfes, der Unsicherheit und des Sondierens der Frauen untereinander. Jetzt ist sich eine große Mehrheit einig: Wir wollen den Zugang zu allen kirchlichen Ämtern. Wir wollen das Ende des Klerikalismus. Wir wollen eine Kirche, die wir sind – und keine, in der wir nach männlicher Doktrin nur am Rande sein dürfen.

Evangelische Kirche knüpft Sinnfluencer-Netzwerk (epd, chrismon.de)

Am 18. Februar geht nun das lange angekündigte „Sinnfluencer“-Netzwerk des publizistischen Armes der EKD an den Start. Das Gemeinschaftswerk der Evangelischen Publizistik (GEP) hat sich einiges vorgenommen:

Das Evangelische Content Netzwerk zielt auf junge Menschen zwischen 14 und 29 Jahren und versteht sich als mehrstimmiges Angebot, das vom indivuellen Glaubensverständnis der Sinnfluencerinnen und Sinnfluencer geprägt sein soll. Die EKD hatte 2018 bereits den Youtube-Kanal „Jana glaubt“ für junge Frauen und Männer gestartet. Das Gesicht des Kanals ist die 21-jährige Studentin Jana Highholder, deren Videos derzeit rund 18.200 Menschen abonniert haben. Im vergangenen Jahr beauftragte der Rat der EKD das GEP mit dem Ausbau des Angebots.

Buntes

Mit „Poseidon“ aufs Mittelmeer – #United4Rescue

Wie das Bündnis #United4Rescue mitteilt, hat man, wie angekündigt, das Schiff “Poseidon” in Kiel besichtigt und wird sich am Bieterverfahren beteiligen. Thies Gundlach, Vorsitzender des Trägervereins Gemeinsam Retten e.V. und im Brotjob einer der Vizepräsidenten des Kirchenamtes der EKD, freut sich:

Es ist großartig, dass wir in so kurzer Zeit so viel Unterstützung bekommen haben und in der Lage sind, einen marktgerechten Preis für die Poseidon zu bieten. […] Wir werden nur ein angemessenes Gebot abgeben, wir wissen aber, dass die Regierung in Kiel auch die Möglichkeit hat, bei annähernd gleichwertigen Angeboten eine politische Entscheidung zu treffen.

Weitere Spenden seien aber sehr willkommen, da das Schiff umgebaut werden müsse. Dann könnte man auch mal über eine Namensänderung nachdenken, etwas Biblisches wird sich bei den Themen Seenot und -fahrt doch finden lassen. Dass die zivilgesellschaftliche Seenotrettung auf dem Mittelmeer immer noch notwendig ist, zeigen laut #United4Rescue die Ereignisse der vergangenen Woche …

[…] in der trotz winterlicher Wetterverhältnisse über 1100 Menschen versuchten, über das Mittelmeer zu fliehen. Während über 600 Bootsflüchtlinge von der sogenannten Libyschen Küstenwache völkerrechtswidrig in Krieg und Folter zurückgeschleppt wurden, konnten 237 Menschen von der spanischen Hilfsorganisation Open Arms sowie von Sea-Watch gerettet werden.

Und noch eine gute Nachricht:

„Kommen Sie, Cohn!“ – Norbert Mecklenburg (Jüdische Allgemeine)

Nach wir vor reichlich in den Schullektüren und gerade im letzten Jahr auch in den Feuilletons des Landes präsent ist Theodor Fontane. Über seinen gründlich beschwiegenen Antisemitismus schreibt Norbert Mecklenburg in der Jüdischen Allgemeinen. Genau über solche Heroen der deutschen Literaturgeschichte sollte weiter diskutiert werden, wenn es um Kanonfragen und die hartnäckigen Neigungen des Kulturbürgertums geht.

Dass Theodor Fontane nicht nur selbst antisemitische Ressentiments geäußert hat, sondern dass auch seine literarischen Werke von judenfeindlichen Impulsen keineswegs frei sind, wird immer noch, auch nach dem »Fontane-Jahr«, das gerade zu Ende gegangen ist und vor Veranstaltungen und Publikationen überquoll, weitgehend, ja geradezu systematisch ignoriert oder heruntergespielt.

Zum Pfarramt, nicht zum Standesamt! – Bernhard Schlink (FAZ, €)

Bernhard Schlink möchte Kirchenaustrittswillige in Zukunft lieber zum Pfarramt statt zu staatlichen Stellen schicken. Dort würden auch Fragen beantwortet, die sich viele Menschen bei ihrem Kirchenaustritt stellen. Die EKD signalisiert schon einmal Zustimmung zu diesem Vorschlag.

Allerdings bleibt in Analogie zu Schlinks Analyse, viele Menschen wüssten nicht einmal, aus welcher Kirche sie auszutreten gedenken, die Frage offen: Welches Pfarramt laufen sie dann an? Schließlich müssen sie landläufig das exakt richtige ihrer Ortsgemeinde finden und dann auch das Glück haben, dass dieses gerade mal geöffnet hat.

Ein guter Satz