Newsletter #LaTdH

Kostbar – Die #LaTdH vom 23. Februar

Das Wahlrecht ist ein kostbares Gut, das vernünftig ausgeübt werden will. Außerdem: Die Kirchen gegen Rechtspopulismus und -Radikalismus, ein kranker Papst und alte Lieder.

Herzlich Willkommen!

Heute zählt’s! 59,2 Millionen Menschen in Deutschland sind heute zur Bundestagswahl aufgerufen. Das bedeutet im Umkehrschluss: Über 20 Millionen Bewohner:innen dieses im weltweiten Vergleich unglaublich glücklichen Landes müssen den Wahlergebnissen untätig entgegenharren. Die freie Wahl ist ein Privileg, ein kostbares Gut. Ein Blick auf die im Aufwind befindlichen illiberalen Demokratien auf unserem gemeinsamen Planeten zeigt, dass es allein mit der Ausübung des Wahlrechts nicht getan ist. Demokratie, Rechtsstaat und gute Nachbarschaft sind aufeinander bezogen. Selbstverständlichkeiten sind sie nicht.

„Übernehmen Sie Verantwortung für das demokratische Miteinander. Gehen Sie wählen und stimmen Sie bei der Bundestagswahl für Parteien und Abgeordnete, die sich für ein rechtsstaatliches, freiheitliches, weltoffenes, solidarisches und die Schöpfung bewahrendes Deutschland einsetzen“,

.. heißt es im gemeinsamen Aufruf der Vorsitzenden der christlichen Kirchen in Deutschland zur Bundestagswahl. Der Wahlaufruf enthält Orientierungspunkte für eine gute Wahl: Stärkung von Frieden und Menschenrechten, Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen, Überwindung von Armut und Unterdrückung, eine humanitär orientierte Flüchtlingspolitik, Verzicht auf Ressentiments, die Stärkung von sozialer Sicherung und Teilhabe, den Schutz des Lebens.

Wenn sich Christ:innen an diesen Wahlprüfsteinen orientieren, werden sie in unserem glücklichen, pluralen, freien Land zu unterschiedlichen Wahlentscheidungen kommen. Manche sind plausibler als andere. Und wiederum andere stehen dem Wahlaufruf zufolge im Widerspruch zu christlichen Überzeugungen:

„Wir halten daran fest, dass Extremismus und vor allem völkischer Nationalismus mit dem Christentum nicht vereinbar sind. Daher appellieren wir an alle Wahlberechtigten: Bitte wählen Sie Parteien, die sich für unsere Demokratie einsetzen!“

Eine gute Wahl wünscht
Philipp Greifenstein

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Debatte

Wenn diese Ausgabe der #LaTdH in Ihrem E-Mail-Postfach landet, waren Sie vielleicht schon wählen. Andere reservieren sich den Urnengang, wie ich selbst, für den Sonntagnachmittag. Ich mag den Gang ins Wahllokal. Wiederum andere werden die #LaTdH erst am Montag lesen, wie üblich zum Start in die Arbeitswoche im Dienstpostfach. Da ist die Wahl schon gelaufen. Aber die Arbeit hört ja nicht auf.

Eine gescheiterte Regierung abwählen zu können, ist ein schönes Privileg. Mit Blick auf die stagnierende Wirtschaft und die nur bruchstückhaften Erfolge der Ampel könnte man eine Abwahl von SPD, Grünen und FDP schlicht für eine wahldemokratische Selbstverständlichkeit halten. So sehen es viele Bundesbürger:innen offenbar, denn die Umfragewerte der CDU/CSU sind ja seit Monaten stabil. Zugleich deuten sie – die Union dümpelt knapp um die 30 %-Hürde, häufig darunter – darauf hin, dass es um die demokratischen Alternativen in Deutschland derzeit nicht sonderlich gut bestellt ist. Der Stil und die Ausrichtung der Politik des CDU-Chefs und Kanzlerkandidaten der Union, Friedrich Merz, haben zu dieser Verunsicherung sicher beigetragen. Kann man das Land wirklich guten Gewissens in seine Hände legen?

Nein. Und zwar im doppelten Sinne. Zunächst wäre da einmal sein, gerade in Drucksituationen, durchbrechender Drang zum Rechtspopulismus, den ich hier, hier und hier in der Eule in den vergangenen Jahren immer wieder beschrieben und beklagt habe. Und der sich just gestern erst wieder beim Wahlkampfabschluss zeigte. Die faktenwidrige Instrumentalisierung des Mordes an Walter Lübcke und die Herabwürdigung anderer demokratischer Parteien und ihrer Wähler:innen sind eines christdemokratischen Politikers unwürdig. Am Vorabend einer im Großen und Ganzen gelaufenen Wahl sind sie obendrein unverständlich. Wenn Merz schon im Triumph so maßlos ist, wie wird er erst mit Niederlagen umgehen? Ist die Merz-Union überhaupt noch zu politischen Kompromissen und Koalitionen fähig, die doch integral zur parlamentarischen Demokratie gehören? Kann Merz den Wahlaufruf der Kirchen unterschreiben?

„Wir sind überzeugt, dass die Stärken unserer Demokratie – dazu gehören vor allem das Aushandeln von Kompromissen und der Schutz von Minderheiten – auch in Krisenzeiten greifen.“

Immer wieder ruft die Merz-Union den politischen Notstand aus. Und begründet damit weitere rhetorische Entgleisungen und den Rechtsschwenk ihrer Politik, inklusive Inkaufnahme der Unterstützung der extremen Rechten. Unser Land in seinen Händen? Das verbietet sich aber aus demokratischer Gesinnung noch in einem zweiten, umfassenderen Sinne: Beim Gang ins Wahllokal geben wir zwar unsere Stimme ab, aber nicht die Verantwortung zur Mitgestaltung unserer Gesellschaft. Die Arbeit an einem Land, in dem wir alle gut und gerne leben können, können wir nicht wegdelegieren. In einer solchen Geisteshaltung keimt bereits der bürgerliche Hang zum Autoritarismus (s. #LaTdH vom 9. Februar).

Verantwortung für die Demokratie endet nicht an der Wahlurne, zu der wir im Sinne einer umfassenden Verantwortlichkeit für unsere Nächsten zudem noch stellvertretend für diejenigen treten, die nicht wählen dürfen oder es noch nicht oder nicht mehr können. Den Nutzen des Volkes zu mehren und Schaden von ihm zu wenden, versprechen Bundeskanzler:innen und -Minister:innen in ihrer Eidesformel. „Der Eid kann auch ohne religiöse Beteuerung geleistet werden.“ Christ:innen dürfen auch an der Wahlurne glauben, dass noch von woanders her regiert wird oder knapp: „Unsre Zeit in Gottes Händen“.

Wie Weimar ist die Gegenwart? – Interview von Kersten Augustin mit Jens Bisky (taz)

In den vergangenen Tagen wurden von Politiker:innen, Demonstrant:innenn und Beobachter:innen zahlreiche Vergleiche zu Daten der deutschen Geschichte gezogen. Nachdem man sich in Deutschland jahrelang in bequemen und verkürzten Erzählungen vom Untergang der ersten deutschen Demokratie eingerichtet hat, kann ich an einer vertieften Befassung mit der Weimarer Republik und ihrem Untergang nichts Schlechtes finden.

Gerade darum kann ich aber den zackigen historischen Vergleichen nur bedingt etwas abgewinnen. Mir genügt der Eindruck, dass sich Deutschland mit dem Ampel-Aus, der dadurch induzierten vorgezogenen Bundestagswahl und insbesondere der Art und Weise des Wahlkampfs wirklich selbst Schaden zugefügt hat. Nicht irreparabel, aber signifikant. Der Blick auf die Unterschiede zu damals lohnt:

„Es gab frühe Unterstützer Hitlers, auch in der Wirtschaft. In München und Berlin öffnen vermögende Gattinnen den Nazis die Türen der Salons. Der Ausdruck, man macht jemanden „salonfähig“, überschätzt die Sauberkeit von Salons. Aber wir haben heute keine Wirtschaft, die gegen die politische Ordnung des Landes agitiert. Wir haben auch keine große Unterstützung für die AfD an den Universitäten. Die Unis waren schon Mitte der 1920er Jahre für die Republik verloren. […]

Vergleichen kann man alles, aber die AfD ist nicht die NSDAP; wer die Unterschiede übersieht, wird blind für das Neue, die Gegenwart. […] Nachzudenken wäre darüber, warum es im vergangenen Jahrzehnt nicht gelungen ist, den Aufstieg der AfD aufzuhalten. […] Es hat politisch wenig Sinn, dauerempört zu sein. Empörung muss sich in politische Strategien übersetzen. Das sollte man nach zwölf Jahren AfD verstanden haben. Wähler erwarten politische Handlungsmacht, Entrüstung bedeutet Ohnmacht.“

Im taz-Interview weist „Weimar-Experte“ Jens Bisky auf die Unterschiede von heute zu damals ausführlich hin. Nicht nur sieht er das Bürger:innentum keineswegs so undemokratisch und völkisch verhetzt, wie es die Konservativen zu Weimarer Zeiten in erheblichen Teilen stehts waren. Bemerkenswert ist auch, dass von den Wirtschaftseliten angefangen bis hin zu den Kirchen die Unterstützung für die Demokratie heute sehr viel stärker ist als damals. Das markiert nicht nur einen gewaltigen Unterschied zu Weimarer Zeiten, sondern auch einen historischen Fortschritt. Noch ein Blick in den Wahlaufruf der Kirchen:

„Für die christlichen Kirchen ist unsere Demokratie unverhandelbar.“

Eine historische Parallele aber erkenne ich wohl wieder, wenn es um die Politisierung der Gesellschaft und auch die Wahlbeteiligung (vormaliger Nicht-Wähler:innen) geht. Gleichwohl können eine asymetrische Demobilisierung (Merkel) und ein Einschläfern der Bevölkerung (Scholz) wohl kaum angemessene politische Strategien sein, wenn sie doch schwierige Transformationsprozesse gestalten muss. Aus dieser Perspektive heraus muss man sicher auch die „Zusammenhalt“-Rhetorik der Mitte-Links-Parteien und der Kirchen kritisch betrachten. Streit ist gerade nicht schlecht.

taz: Ist die Weimarer Republik auch an dieser Zersplitterung kaputt gegangen?

Bisky: Nein, das war nur einer unter vielen Faktoren und keineswegs der entscheidende. In den letzten Jahren der Republik gab es eine ungeheure demokratische Mobilisierung: Jung- und Erstwähler strömten an die Urnen, Nichtwähler gingen plötzlich wählen. Die Wahlbeteiligung war hoch, obwohl ständig gewählt wurde.

taz: Die Weimarer Republik ist also nicht an ihrer Verfassung gescheitert.

Bisky: Nein, sie ist zerstört worden durch Leute, die sie zerstören wollten. Und daran, dass alte Eliten gesagt haben: Mit den Linken wollen wir nichts mehr zu tun haben, wir versuchen das mal mit dem Kabinett Hitler. Die NSDAP hatte großen Zuspruch, aber nicht die Mehrheit hinter sich. Im Januar 1933 kam eine faschistische Koalition an die Macht. Dazu gehörten die Deutschnationale Volkspartei und der Stahlhelm, Bund der Frontsoldaten. Im ersten Kabinett Hitler waren die Nazi-Minister in der Minderheit.

Alternativlos unterschiedlich – Christian Kurzke, Konrad Magirius, Annika Schreiter, Tobias Thiel, Anja Vogel

Von Mitarbeiter:innen Evangelischer Akademien und aus der Jugendbildung kommt dieses Projekt zur Unterstützung der demokratischen Willensbildung, das Menschen mit ihren Sorgen vor einem weiteren Rechtsruck und insbesondere einer Regierungsbeteiligung der AfD zu Wort kommen lässt. Die Bilder und Texte können auf Social-Media-Plattformen und auch analog in Gemeinde- und Bildungskontexten frei verwendet werden. Dabei kommen z.B. mit Inklusion, dem ländlichen Raum und der Gleichberechtigung von LGBTQI+ auch Anliegen zur Sprache, die im Bundestagswahlkampf unterrepräsentiert waren.

Gleichwohl bedarf es offenbar keiner Regierungsbeteiligung der AfD, um rechtsradikale Politik in Deutschland Wirklichkeit werden zu lassen. Da müssen wir den demokratischen Parteien ordentlich auf die Finger klopfen. Darin sehe ich übrigens auch den eigentlichen Zweck der Demokratie-Demos im ganzen Land, an denen in den vergangenen Tagen und Wochen wieder hundertausende Menschen teilnehmen.

„Wer aufbricht, der kann hoffen in Zeit und Ewigkeit“

Wer in die Zukunft statt in die Vergangenheit schaut, muss lernen, wie wir gegenwärtigen und zukünftigen Krisen und Transformationsherausforderungen begegnen können, trotzdem eine signifante Minderheit umfängliche Menschenrechte, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit ablehnt. Mit den 10-15 % (West) und 20-30 % (Ost) Wahlergebnissen für die extreme Rechte müssen wir einen konstruktiven, (selbst-)kritischen Umgang finden, der über den Ruf nach mehr Demokratiebildung in der Schule und Talkshow-Kritik hinausgeht.

Man kann den Versuch unternehmen, diese Bundestagswahl historisch zu kontextualieren. Ich wäre jedoch vor allem an einer Verortung unserer heutigen Entscheidungen im Blick auf die Zukunft interessiert. Lässt man einmal den Lärm und auch die politischen Kämpfe des Tages bei Seite, die doch so unablässig und durchaus schrecklich auf uns einprasseln, wird klar: Wir stecken mitten drin im Kampf um eine menschenwürdige Zukunft für alle Menschen im Kontext der Klimakrise.

Geo- wie Bundespolitik drehen sich um die Verteilung knapper werdender Ressourcen. Es geht um die Mobilisierung von Ressentiments und Hass, die den Machtinteressen der Reichen dienstbar gemacht werden. Auch wenn die meisten Bürger:innen Deutschlands zunächst Nutznießer:innen dieses Kampfes auf Kosten der Armen, Schwachen und Entrechteten sein dürften, müssen wir uns dem um unserer Zukunft (und Seelen) Willen entgegenstellen.

nachgefasst I: Sorge um Papst Franziskus

Ein anderes Kirchennachrichtenthema dieser Tage läuft in Deutschland gedämpft ab. Die neuerliche schwere Erkrankung von Papst Franziskus spielt meinem Eindruck nach in nicht-katholischen Nachrichtenwelten nur eine geringe Rolle. Der Chefredakteur des Domradios aus dem Erzbistum Köln, Renardo Schlegelmilch, begründete in einer Art Hausmitteilung, warum sich das Domradio nicht an Mutmaßungen und Spekulationen beteiligen wird.

Das, dachte ich, sei eine Selbstverständlichkeit. Dem gegenüber steht ein legitimes Informationsinteresse der Öffentlichkeit, das durch die Kommunikation des Vatikans in der Vergangenheit häufig nicht ausreichend gewürdigt wurde. Vielleicht auch in Reaktion auf die aufgeregte Berichterstattung in anderen Ländern gibt der Vatikan nun etwas ausführlicher Auskunft, der Zustand von Papst Franziskus sei nach wie vor kritisch. Diesen Sachstand gibt es auch auf Deutsch u.a. beim epd zu lesen.

nachgefasst II: Kirchen und (rechte) Politik

Junge Menschen brauchen eine Vision für eine bessere Zukunft – Daniela Albert (Die Eule)

In ihrer aktuellen „Gotteskind und Satansbraten“-Kolumne weist Daniela Albert auf die Probleme junger Menschen hin, die im Bundestagswahlkampf – wieder einmal – kaum eine Rolle gespielt haben. Oder? Sind nicht Jugendliche, gerade weil sie wirtschaftliche Existenzängste plagen, empfänglich für die Botschaften der extremen Rechten?

Während wir, die Menschen, die heute Eltern sind, in einer Welt aufgewachsen sind, die uns suggerierte, dass alles immer besser, größer, friedlicher und freier wird, erleben unsere 14- bis 24-Jährigen nur noch den fragilen Rest einer goldenen Zeit. Ja, hier gibt es auf die gesamte Welt gesehen noch immer viel Wohlstand. Wir haben ein soziales Netz, das noch halbwegs trägt. Es gibt gerade noch (meistens) genug Schutz vor Naturkatastrophen, so dass das eigene Leben unbehelligt weitergehen darf.

Nach der Bundestagswahl werden wir absehbar wieder über die Politisierung und Radikalisierung „der Jugend“ debattieren, vor allem über die Rolle von Social-Media-Plattformen. Dass DIE LINKE unter jungen Wähler:innen wieder besser abschneidet, ist sicher ein Ergebnis dessen, dass sie sich auf Social Media (insb. TikTok) gut positioniert. Aber auch dessen, dass Jugendliche nach klaren, glaubwürdigen (d.h. noch nicht enttäuschten) Versprechen suchen. Die 15 % der AfD bei der Jugendwahl sind jedenfalls keine Überraschung und angesichts der Debattenlage und Zeitenläufe sogar ein positives Zeichen. Das Verhetzungspotential bei jungen Menschen ist offenbar nicht größer als im Bevölkerungsdurchschnitt.

Annika Schreiter, Studienleiterin für politische Jugendbildung an der Evangelischen Akademie Thüringen, die auch am „Alternativlos unterschiedlich“-Projekt mitwirkt, hat die (rechtsradikale) Politisierung von Jugendlichen gegenüber der Eule bereits zu den Landtagswahlen in Thüringen im vergangenen Jahr eingeordnet:

„Wir vergessen häufig, dass der wichtigste Ort für die politische Sozialisation von Jugendlichen der Küchentisch ist. Wenn in den Familien „auf die da oben“ geschimpft wird, prägen sich Kinder und Jugendliche das ein.“

Den Schulen stellt sie was die politische Bildung angeht, zumindest in Thüringen, ein schlechtes Zeugnis aus („Der Schulunterricht versagt bei der Demokratiebildung.“). Für den Politikunterricht ist einfach zu wenig Zeit und Geschick im Spiel. Auch jenseits des Politik- oder Sozialkundeunterrichts sieht sie „eine Vermeidungsstrategie gegenüber Politik als Thema an der Schule“.

„Die außerschulische politische Bildung hat darum eine besonders hohe Bedeutung. Es ist zwar schwer aufzuholen, was in Familien und Schulen versäumt wird, aber wir können wichtige Freiräume schaffen, an denen andere Perspektiven zur Sprache kommen und Selbstwirksamkeit erlebt wird.“

Auch wenn die staatliche Förderung von Demokratiebildung und -Programmen absehbar geringer werden wird, müssen die Kirchen sich hier weiter einsetzen und darum auch selbst investieren. Investitur meint ja die (auch symbolische) Einweisung in ein Amt, hier das der Staatsbürger:in. Die Kirchen brauchen schon aus Eigennutz heraus – s. Wahlcheck Religionspolitik im „Eule-Podcast“ – Bürger:innen, die die Gesellschaft aus christlichem Bewusstsein heraus gestalten wollen.

„Wie die Kirchen gegen rechts kämpfen“ hat Annette Langer in dieser Woche im SPIEGEL (€) nachgezeichnet. Sie schreitet noch einmal ein paar Momente der vergangenen Monate ab, die Eule-Leser:innen bekannt sind: Die Verleumdung von Christ:innen und PfarrerInnen in Jüterbog (s. #LaTdH vom 12. Januar), die klare Positionierung der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland (EKM) und ihres Landesbischofs Friedrich Kramer gegen die AfD (s. #LaTdH vom 23. August 2024) und das Engagement von Pfarrer Lukas Pellio (EKBO) in Brandenburg (s. Eule-Interview von März 2024).

ARC London: Rechtentreffen mit christlicher Prominenz aus Deutschland – Louis Berger (Kirche + Leben)

Für die Kirche + Leben hat sich Louis Berger einmal angeschaut, wer aus deutschen Landen an der ARC-Konferenz unter Führung von Jordan Peterson teilgenommen hat. Eine merry band von christlichen Influencer:innen kann man derzeit bei ihrem fröhlichen Marsch mit Rechtsradikalen beobachten. Davor zu warnen, bleibt wichtig, weil online viele Menschen diesen Influencer:innen folgen, ohne die Hintergründe zu kennen.

Neben den offiziell auf der Internetseite bekanntgegeben Teilnehmern haben sich laut Instagram evangelikale Influencer wie Jana Hochhalter, Jasmin Neubauer („Liebe zur Bibel“) und Leonard Jäger („Ketzer der Neuzeit“), die zuletzt eine große Offenheit für die AfD zeigten, nach London aufgemacht. In mehreren Instagram-Storys fallen die Begriffe „Klassenfahrt“ und „Klassentreffen“. Mit von der Partie ist Lukas Furch, der die evangelikale Serie „The Chosen“ und das RTL-Event „Die Passion“ in Deutschland vermarktete. Er begleitete Jäger zuletzt zu Trumps Vereidigung in die USA.

Neubauer, Hochhalter und Jäger waren auch in der Eule schon reichlich Thema. Sie sind bei weitem nicht die einzigen christlichen Akteur:innen, die derzeit auf der Suche nach wirtschaftlichen Vorteilen und politischer Anerkennung gemeinsame Sache mit Rechtspopulisten und -Radikalen machen. Ein beachtenswertes digitales Ökosystem.

Unabsichtlich enthüllend ist auch die Widerrede gegen Bergers Artikel von Sebastian Moll in der Tagespost, der sich ja selbst dem katholischen Rechtspopulismus verschrieben hat. Er führt zur Verteidigung der Konferenz ausgerechnet den rechtspopulistischen Meinungsunternehmer David Brooks als Zeugen an, der dort eine Keynote gehalten hat. Brooks hat zentralen Anteil an der Verbreitung des Verschwörungsmythos vom „Kulturmarxismus“, wie er sich auch in Deutschland inzwischen bei Liberalen, Konservativen und Christen festgesetzt hat (s. aktuelle Episode des „Origin Story“-Podcasts (auf Englisch)).

Buntes

Gnadenhammer und Zärtlichkeit – Flora Hochschild (Die Eule)

Wer eine Pause von der Bundestagswahlberichterstattung sucht, dem sei dieser Artikel von Flora Hochschild empfohlen. Bereits im vergangenen Jahr befasste sich Flora in der Eule in der Serie „mind_the_gap“ mit der Frühen Neuzeit. In Gesangbüchern des Barock begegnet uns eine unerwartete Vielfalt an Frömmigkeiten und Kirchengeschichte, erklärt sie in diesem aktuellen Text. Gesangbücher wie das von Georg Christian Schemelli können noch heute einfach Trostbüchlein sein. So gesehen ist der Artikel auch ein Beitrag zu gegenwärtigen Gesangbuch-Debatten (s. „Eule-Podcast“ mit Andrea Hofmann).

Vielleicht sind der Barock, seine Theologie und auch seine Lieder doch gegenwartsmächtiger, als es auf den ersten Blick scheint? Allgegenwärtig in den Liedern sind Erfahrungen von Kriegen, Seuchen, Existenz- und Zukunftsängste. Es ist auffällig, wie viel Raum Trostliteratur und glaubenspraktische Texte einnehmen. Auch die Kapitelstruktur des Gesangbuchs reflektiert diese Prioritäten. So gibt es eine eigene Kategorie „Trostreiche Jesuslieder“, in der vorrangig mystische Lieder aus dem Bereich der Herz-Jesu-Frömmigkeit abgedruckt wurden.

Typisch barock leben auch die Lieder in Schemellis Gesangbuch vom Ausbalancieren der Extreme. Die überfließende sprachliche Pracht und die existenziell verängstigte Daseinsbewältigung bilden die Pole der religiösen Literatur dieser Zeit. Ihr assoziatives Aneinanderreihen von Erfahrungen, biblischen Bildern und Gedanken kommt mir oft fremd vor – das Bemühen um Halt in einer unhaltbaren Welt und ihr sprachliches Changieren zwischen Aphorismus und 29 Strophen übergreifender Argumentation.

Ein guter Satz

„Danke
Für offne Wahllokale
Danke
Das ist Demokratie
Danke
Ob sie schmeckt oder nicht,
Langweilig wird sie nie“

– Poem von Matthias Warkus auf Bluesky, auf die Melodie von „Danke für diesen guten Morgen“ zu singen


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