Macht endlich eure Hausaufgaben!

Vereinbarkeit von Beruf und Familie war, ist und bleibt in Deutschland eine Lüge. Statt an Leistungen für Eltern und Familien zu sparen, muss die Politik endlich ihre Hausaufgaben machen.

Im Moment werden einmal wieder familienpolitische Maßnahmen diskutiert: Die Streichung des Elterngeldes für sehr gut verdienende Paare, die Abschaffung des Ehegattensplittings (und jährlich grüßt das Murmeltier) und das Ende der großen Witwenrente wurden kürzlich unter anderem von Politiker:innen und Wirtschaftsweisen medienwirksam ins Spiel gebracht. Ganz gleich, wie man über einzelne Maßnahmen denkt, ein Grundtenor der Vorschläge ist auch, Mütter zu motivieren, zügig auf den Arbeitsmarkt zurückzukehren.

Aus Sicht von Wirtschaft und Politik mag das aufgrund des eklatanten Fachkräftemangels durchaus sinnvoll erscheinen. Allerdings zweifle ich daran, dass es jenen Frauen, die längere Zeit mit ihren Kindern zu Hause bleiben, an Motivation für den Arbeitsmarkt mangelt. Viel eher fehlt es doch an Strukturen, die eine Rückkehr auf gute Art und Weise möglich machen. Zwar hat in Deutschland jedes Kind ab dem vollendeten ersten Lebensjahr ein Recht auf einen Betreuungsplatz und in den meisten Bundesländern auch auf ganztägigen Aufenthalt in einer Grundschule oder einen angrenzenden Hort, wirkliche Erleichterung bringt das den Familien jedoch nur selten.

Die Eule hat vor Kurzem über die Zustände in Kitas berichtet und das Thema ausgewogen und tiefgründig unter die Lupe genommen (hier & hier). Ich war mit zwei Beiträgen – einer „Gotteskind und Satansbraten“-Kolumne über „Frühsexualisierung“ und einem Gespräch im „WTF?!“-Podcast über Gewalt in Kitas – selbst beteiligt. Für mich bleibt die Erkenntnis, dass das System, so wie es im Moment aufgestellt ist, nicht funktioniert. Trotz aller politischen Maßnahmen und trotz des Ausbaus von Betreuungsplätzen und Betreuungszeiten hat sich die tatsächliche Situation eher verschlimmert. Es mangelt an allem: An Personal, an Räumlichkeiten, an großzügigen und gut gestalteten Außenanlagen und vor allem an der Perspektive, dass das irgendwann besser wird.

Ich habe glücklicherweise keine Kinder im Kitaalter mehr, aber ich habe in diesem Jahr mehr als einmal gehört, dass meine Freund:innen gebeten wurden, ihre Kinder zu Hause zu betreuen, da die jeweiligen Einrichtungen aufgrund von hoher Ausfallrate beim Personal die Betreuung gerade nicht bewältigen können. Ich weiß von Erzieherinnen, die Gruppen von bis zu 25 Kindern den ganzen Tag allein betreuen und dadurch im Grunde nicht mal mehr zur Toilette gehen können, ohne ihre Aufsichtspflicht zu verletzten.

Ich weiß von Einrichtungen, die kaum noch Aktionen im Jahreskreis in gewohnter Form durchführen, weil es schlicht nicht mehr leistbar ist, eine Laterne zu basteln oder Geschenke zum Mutter- oder Vatertag – oft ist das nämlich gar keine Ideologie, sondern schlicht Pragmatismus in der Nussschale. Ich weiß von Kindern, die nicht rechtzeitig auf Toilette gebracht oder gewickelt werden können und ich weiß von den Ruhigen, die nicht auffallen, und sich in diesem Chaos gut allein beschäftigen können – und damit immer übersehen werden. Und ich weiß um die Spiralen, die aus solchen Zuständen resultieren. Nicht immer. Nicht überall. Aber viel zu oft.

Wenn Paare sich angesichts einer solchen Lage dafür entscheiden, dass ein Elternteil – meistens die Mutter – nur wenige Stunden oder gar nicht erwerbstätig ist, hat das wenig mit mangelnder Motivation zu tun und viel damit, das eigene Kind zu schützen. Denn wenn Kinder ganztägig betreut werden sollen, muss das an einem Ort geschehen, an dem auch die entsprechenden Bedingungen für eine gute Betreuung herrschen. In vielen Kindertageseinrichtungen ist das gerade nicht der Fall. Und weil es so überhaupt keine Perspektive auf Verbesserung gibt, tun Mütter, was sie nun einmal für das Richtige halten: Sie kümmern sich da, wo der Staat wegschaut.

Care-Revolution oder Frustration?

Man müsse streiken und eine riesige Care-Revolution anzetteln, sagen manche. Das Blöde: Jede:r weiß eigentlich, dass wir Eltern das nicht tun würden, denn unsere Kinder sind nicht irgendein Job oder das Ehrenamt, das der Pfarrer uns neulich aufgeschwatzt hat – sondern im Normalfall lieben wir sie, und zwar wie verrückt. Wir würden uns lieber drei Beine und vier Arme abreißen als darin zu streiken, sie zu umsorgen, zu pflegen, ihnen Fürsorge zu schenken und für sie da zu sein. Genau darauf baut auch unser Staat – darauf, dass wir einfach weitermachen und die immer größer klaffenden Löcher stopfen, die er auf struktureller Ebene hinterlässt.

Da von mangelnder Motivation zu reden und Frauen das letzte bisschen finanzielle Erleichterung auch noch wegnehmen zu wollen, ist ein Schlag ins Gesicht für all diejenigen, die Fürsorge übernehmen. Für die Mütter und die Väter, die nachmittags pünktlich im Kitaflur sitzen, um ihre Kleinen in Empfang zu nehmen und die sich die Stunde früher halt irgendwie einrichten, wenn in der Kita mal wieder landunter ist. Es ist ein Tritt für alle, die hinschauen und nah an ihren Kindern sind, die deren Bedürfnisse achten und sie nicht auf Biegen und Brechen Bedingungen aussetzen, die am Reißbrett konzipiert wurden, aber nie die Kinder im Blick hatten. Und es ist die Faust in der Magengrube für alle, die auch gern hinschauen würden und sich die Stunde früher nehmen, die das aber nicht können, weil ihr Leben ohne das Ganztagsgehalt nicht mehr finanzierbar wäre – denn sie wären so sehr darauf angewiesen, dass sich der Kitabereich endlich grundlegend verändert.

Juchhe, die Schule fängt an!

Sind die Kinder erst einmal aus dem Kitaalter raus, erhofft man sich Besserung und mehr Freiheiten für Eltern. Doch der Realtitätschock, den viele Familien beim Schuleintritt erleben, ist enorm. Trotz flächendeckender Ganztagsversprechen und theoretisch dafür vorhandener Einrichtungen bleibt nämlich in der Regel noch mehr Arbeit an den Eltern hängen. Horte oder Ganztagsschulen haben zum Beispiel auf dem Papier Hausaufgabenbetreuungen. Praktisch steht meist schon bei der Anmeldung im Kleingedruckten, dass man das nur sehr eingeschränkt leisten kann. Das Personal ist in der Regel gar nicht dafür ausgebildet. Die Zeit, die für Hausaufgaben zur Verfügung steht, für viele Kinder zu knapp, um alles zu schaffen. Manches, was Grundschul:lehrerinnen so aufgeben, ist auch gar nicht in einem Gruppenbetrieb zu leisten.

Und so kommt es, dass berufstätige Eltern, wenn sie ihre Kinder am Nachmittag abholen, keineswegs miteinander eine schöne Zeit verbringen, sondern sich erschöpft von einem langen Tag durch Lernwörter, 1 x 1-Reihen oder Vorleseübungen quälen müssen – on top zu allem, was sonst noch so anfällt. Denn auch mögliche Hobbys der Kinder sind – bis auf Ausnahmeorte – nicht im Nachmittagskonzept von Ganztagsschulen integriert. Und so fahren Eltern noch zum Gitarrenunterricht oder zum Fußballtraining, bevor sie am Abend all die Dinge abarbeiten, die über die Postmappen in Form von Elternzetteln ebenfalls bei ihnen landen:

Kuchen fürs Sommerfest backen. Einverständniserklärung für den Ausflug unterschreiben. Bitte Schwimmsachen mitgeben und bloß keine Schokomüsliriegel, sondern gesundes Frühstück. Die Matheberichtigung selbst korrigieren, da die Lehrerin dafür keine Zeit hat. Und bitte nicht vergessen, am Freitag wird der Sachkundetest geschrieben, für den die Kinder noch den Verpuppungszyklus von Gespinnstraupen auswendig lernen müssen. Ach ja, und jeden Tag 20 Minuten zu Hause lesen und 10 Minuten Kopfrechnen. Denken Sie daran: Ihre Kinder brauchen Ihre Unterstützung!

Ganz ehrlich, meine volle Bewunderung gilt allen, die sich das nach 16 Uhr noch reinpfeifen, ohne dabei komplett durchzudrehen. Gleichzeitig habe ich allergrößtes Verständnis für jeden und jede, die das nicht mitmacht. Ich fühle mich tief verbunden mit jeder Mutter und mit jedem Vater, die maximal halbtags arbeiten gehen und diese Mammutaufgaben ab dem frühen Mittag bewältigen, statt um 17 Uhr nach einem langen Arbeitstag.

Es höret nimmer auf ..

Falls jetzt irgendwer denkt, dass dieser Zustand des elterlichen Dauereinsatzes spätestens ab der 7. Klasse endet, den oder die muss ich gleich enttäuschen. Es wird nur anders. Denn unser Schulsystem ist so dermaßen marode, dass es jeden Tag passieren kann, dass eure Teenager statt wie erwartet um 15 Uhr bereits um 11 vor der Tür stehen, weil der Krankenstand zu hoch ist, die Heizung ausgefallen, das Dach kaputt, das Personal eine Fortbildung hat oder was auch immer.

Wenn sie ihre normalen Schultage hatten, haben sie diese meist mit 30 bis 35 anderen Jugendlichen in einem schlecht gelüfteten Raum verbracht, ohne durchdacht geplante Wechsel zwischen Lernen, Bewegung und Entspannung, ohne sich einmal zurückziehen zu können und ohne bei Problemen mal einen Termin bei der Schulsozialarbeit bekommen zu haben, weil die, aufgrund von Kürzungen, jetzt auch noch für die 1000 Kinder von der benachbarten Gesamtschule mit zuständig ist.

Der Alltag unserer Jugendlichen ist momentan geprägt von den Altlasten der Pandemie. Sie sollen funktionieren, als hätte es nie Lockdowns, Homeschooling oder Unterrichtsausfälle gegeben. Dies macht sich auf so vielen Ebenen bemerkbar und es ist einfach gar keine Struktur da, das aufzufangen. Es fehlt an ausreichend vorhandenen sozialen Angeboten an Schulen. An Förderplänen, um Stoff nachzuholen. An Personal, das als das leisten kann. An Therapieplätzen, an Handlungsspielraum und Zeit im Schulalltag. Glücklich ist, wer in solchen Zeiten über eine Familie verfügt, die das zumindest teilweise auffangen kann –  so sie denn die nötige Zeit und die nötige Kraft dazu hat.

Die meisten Eltern versuchen, hier an der Seite ihrer Kinder zu sein, koste es, was es wolle, egal wie weit ihr Einsatz über die eigenen Grenzen hinausgeht. Sie tun es, weil sie ihre Kinder lieben und das Beste für sie wollen. Diese Mütter, die man so gern auf dem Arbeitsmarkt hätte und von denen man glaubt, man müsse ihnen nur ein bisschen Kleingeld entziehen, um sie von der Couch zu bekommen, sind nicht unmotiviert, wenn es um Karriereoptionen geht. Sie haben schlicht nicht die Möglichkeit, neue Ideen auch nur in Erwägung zu ziehen, weil die gleichen Menschen, die ihnen auch noch die letzten Schutzkonzepte gegen Altersarmut (wie die Witwenrente) wegnehmen möchten, ihre eigenen Hausaufgaben nicht gemacht haben. Sie haben schlicht nie ein System geschaffen, in dem es ernsthaft möglich war, motiviert durchzustarten. Vereinbarkeit von Beruf und Familie war, ist und bleibt in Deutschland eine Lüge. Und mittlerweile ist das so offensichtlich, dass ich mich frage, wie man sich überhaupt noch erdreisten kann so zu tun, als sei es anders. Wie kann man ernsthaft von mangelnder Motivation sprechen? How dare you?

Gern werden uns ja die nordischen Länder als Vorbilder präsentiert: Dort gibt es weniger finanzielle Unterstützung fürs Zuhausebleiben und mehr Frauen in höherer Stundenzahl auf dem Arbeitsmarkt. Und es gibt, liebe Politik, liebe Wirtschaft, sehr durchdachte, kindgerechte Bildungssysteme. Wenig bis keine Hausaufgaben oder anderes, was auf die Eltern abgewälzt wird. Sehr gut ausgebildete Pädagog:innen vom frühkindlichen Bereich bis zur Hochschule und auch – und darüber haben wir noch gar nicht gesprochen – eine andere Arbeitsmarktkultur.

Die Länder, in denen Vereinbarkeit gut klappt, haben größtenteils erkannt, dass sie Eltern wirklich Luft verschaffen müssen, und zwar auf eine Art, mit der es ihren Kindern gut geht. Und sie haben erkannt, dass Familienleben nicht nur den ganzen Tag getrennt voneinander stattfinden kann, sondern dass Mütter, Väter und Kinder Zeiten zum Durchatmen brauchen, und zwar lange vor 17:30 Uhr.

Das würde mich auch motivieren!


Alle Ausgaben der Familienkolumne „Gotteskind und Satansbraten“.

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