Notfallmodus – Die #LaTdH vom 3. Dezember
Auf der UN-Klimakonferenz in Dubai versucht die Welt erneut die Rettung vor dem Klimakollaps – und die Kirche ist mit dabei. Außerdem: Kurschus-Nachbeben und Synoden-Aufbereitung.
Herzlich Willkommen!
Mit dem 1. Advent beginnt ein neues Kirchenjahr. Wir bewegen uns in die Zukunft, schauen auf neue Anfänge. Ein Mantra der Kirchenentwicklung ist allerdings das Aufhören geworden. Geordnet Abschied nehmen. Prioritäten setzen. Mit dem neuen Kirchenjahr verabschiedet sich Die Eule von X, ehem. Twitter. In diesem Artikel haben wir unsere Beweggründe aufgeschrieben.
Für die #LaTdH ändert sich durch unseren Twitter-Abschied durchaus etwas: Nachdem wir zum 2. Juli aufgehört hatten, die X-Accounts von Journalist:innen, Medien, kirchlichen Akteur:innen und Institutionen in den #LaTdH mit zu verlinken, fällt nun auch das Shoutout an die verlinkten Personen auf der Plattform weg. Das ist schade, denn über viele Jahre hinweg war Twitter der sonntägliche Ort, um die Kirchennachrichten der Woche anhand der #LaTdH Revue passieren zu lassen. Aber wenn wir ehrlich sind, hat sich das schon seit Monaten erledigt. Wir werden Autor:innen und Akteur:innen auf Bluesky und Mastodon weiterhin wissen lassen, dass sie in den #LaTdH vorkommen.
Die #LaTdH allerdings bleiben, genauso wie Die Eule. Unseren Leser:innen, die bisher über X auf unsere Beiträge aufmerksam geworden sind, empfehlen wir unseren „Alle Eule-Artikel“-Newsletter. So erhaltet ihr eine E-Mail, wenn ein neuer Artikel im Magazin erscheint. Außerdem könnt ihr natürlich als Eule-Abonnent:innen, Podcast-Hörer:innen und auf einigen anderen Social-Media-Plattformen sowie als #LaTdH-Leser:innen mit uns in Kontakt bleiben.
Eine spannende Woche liegt vor uns: In Dubai hat die UN-Weltklimakonferenz COP28 begonnen und am Dienstag wird die EKD-Synode ihre Tagung von Ulm digital zu Ende bringen. Die Evangelische Kirche ist nach dem Rücktritt der EKD-Ratsvorsitzenden Annette Kurschus in einiger Unruhe. Besinnlich sind die vergangenen Tagen ganz sicher nicht gewesen. Wird der Advent die dringend erwünschte Ruhe bringen? Mit Neuanfängen sind häufig Abschiede verbunden. Mancher Abschied ist eine Befreiung, auch wenn er zunächst unbequem ist. Advent bedeutet ja Ankunft. Wenn sich Gäste angesagt haben, dann ist es selten ruhig. In diesem Sinne:
Einen fröhlichen, unbequemen Advent wünscht
Philipp Greifenstein
Debatte
„Das Unmögliche möglich machen“ – Interview mit Niklas Höhne von Anja Martini (Tagesschau.de)
Bis zum 12. Dezember sind Zehntausende Teilnehmer:innen bei der UN-Klimakonferenz in Dubai versammelt. Es ist die 28. COP (engl. Conference of the Parties). Aber zum Feiern ist den Teilnehmer:innen eigentlich nicht zu Mute. Parties meint hier Vertragsparteien, nämlich die des „Rahmenübereinkommens der Vereinten Nationen über Klimaänderungen“. Auch Wissenschaftler:innen wie der Klimaforscher Niklas Höhne sind vor Ort, um sich ein Bild zu machen. Bei der „Tagesschau“ der ARD beantwortet er Anja Martini u.a. die Frage, ob die ständigen Klimakonferenzen überhaupt Erfolge zeitigen:
Manchmal denkt man, wieso muss das eigentlich sein, dass so viele Leute zusammenkommen und es so unendlich langsam vorangeht? Das stimmt schon. Es ist einfach unendlich schwer, mit fast 200 Staaten auf einen grünen Zweig zu kommen und einen gemeinsamen Text zu beschließen. Aber es ist trotzdem unendlich wichtig, damit einmal im Jahr alle zusammen sind und für zwei Wochen das Klima wirklich an Nummer eins steht. […] Es müssen noch andere Dinge passieren. Aber ohne diese Klimakonferenzen wäre es deutlich schlechter.
Wie wir es von Parlamenten und Synoden kennen, ist es bei so großen Veranstaltungen unerlässlich, dass sich Gleichgesinnte in Gruppen zusammenfinden. Deutschland führt nun (abermals) einen „Klimaklub“ an, berichtet die taz. Diesmal sind 36 Länder an Bord, die sich „die Dekarbonisierung der Industrien und die Entkopplung von Wachstum und Emissionen“ (O-Ton Bundeskanzler Olaf Scholz) vorgenommen haben. Eine andere Gruppe von 20 Staaten, zu denen unter anderem die USA, Frankreich, Großbritannien sowie das Gastgeberland Vereinigte Arabische Emirate (VAE) gehören, fordert derweil „eine Verdreifachung der Atomenergie bis 2050“: „Ziel sei es, die Abhängigkeit von fossilen Energieträgern zu verringern“, berichtet die Deutsche Welle.
Mit oder ohne Atomkraft? Mit oder ohne (grünes) Wachstum? Mit oder ohne fairen Ausgleich zwischen Industriestaaten und dem Rest der Welt? Es sind – wie immer – große Fragen, die der Klärung bedürfen. Und die Zeit rennt davon:
tagesschau.de: Nun hat es ja bei dieser Klimakonferenz zum ersten Mal so etwas wie eine Bestandsaufnahme gegeben. Das heißt, die Länder mussten sagen, wie weit sie in Sachen Klimaschutz eigentlich sind. Das ist der Global Stocktake. Gibt es denn jetzt auch Konsequenzen daraus?
Höhne: Der technische Teil der Bestandsaufnahme ist geschafft. Und der ist – ehrlich gesagt – verheerend. Wir sind weit, weit weg von dem, wo wir hinwollen. Mit den jetzigen Maßnahmen geht es eher ein bisschen unter drei Grad bis Temperaturerhöhung bis zum Ende des Jahrhunderts, im positiven Fall vielleicht etwas unter zwei, aber das ist immer noch weit weg von 1,5 Grad.
Es muss deutlich mehr passieren, insbesondere kurzfristig. Das Wichtigste ist, dass die Länder ihre kurzfristigen Ziele bis 2030 erhöhen. Und die sind eigentlich schon vor zwei Jahren aufgerufen worden, das zu tun. Und leider ist viel zu wenig passiert, weil die Länder mit anderen Dingen beschäftigt waren. Dabei spielen die verschiedenen Krisen, die wir zurzeit haben, eine Rolle. […] Wir müssen in einen anderen Modus, wir müssen in den Notfallmodus schalten und uns wirklich nicht zufriedengeben mit dem kleinsten gemeinsamen Nenner, sondern das Unmögliche möglich machen.
„Denn bei Gott ist kein Ding unmöglich“, heißt es in einer der Advents-Erzählungen der Bibel (Lukas 1, 37) mit Rückgriff auf die Erzeltern-Geschichte um Sarah und Abraham. Bei Gott ist kein Ding unmöglich, besonders keine späte Geburt.
Die Geschichte der Weltklimakonferenzen – „Eine Stunde History“ & „Update Erde“ (DLF Nova, 52 Minuten)
Die beiden DLF Nova-Podcasts „Eine Stunde History“ und „Update Erde“ haben sich für eine Extra-Episode zur COP28 zusammengetan. Herausgekommen ist eine Stunde Wissens-Podcast im besten Sinne. Es geht um die Geschichte der Weltklimakonferenzen, die 1995 in Berlin „begann“. Tatsächlich reicht die Awareness für den Klimawandel nämlich bis in die 1970er Jahre, also ein halbes Jahrhundert zurück.
Im Vergleich zu heute, war die Konferenz noch klein. Das gemeinsame Ziel: […] Bis zum Jahr 2000 sollten die Treibhausgas-Emissionen wieder auf den Stand von 1990 gesenkt werden. Unklar war aber, wie es danach weitergehen sollte. Die damalige Bundesumweltministerin Angela Merkel eröffnete dann 1995 die erste Weltklimakonferenz: „Wie wir hier in Berlin miteinander reden, wie wir fähig sind, Probleme zu lösen, wird ein Symbol dafür sein, ob es gelingen kann, globale Probleme gemeinsam in Angriff zu nehmen oder nicht.“
Der Papst und das Klima
Ursprünglich hatte Papst Franziskus vor, in Dubai bei der COP28 zu sprechen. Seine neuerliche Erkrankung hat das verhindert. So verlas gestern Kardinalstaatssekretär Pietro Parolin (bekannt als Briefeschreiber an die Katholik:innen in Deutschland) in Dubai eine Rede des Papstes (Wortlaut auf Deutsch), der sich zuletzt mit seinem Schreiben „Laudate Deum“ erneut für eine konsequente Bekämpfung der Klimakrise eingesetzt hatte. Franziskus mahnt:
„Ich bin mit euch, weil die Zerstörung der Schöpfung ein Vergehen gegen Gott ist, eine nicht nur persönliche, sondern strukturelle Sünde, die sich auf die Menschen auswirkt, […]
Wir erleben starre, wenn nicht gar unbeugsame Positionen, die dazu tendieren, die eigenen Gewinne und die der eigenen Unternehmen zu schützen, wobei man sich manchmal mit dem rechtfertigt, was andere in der Vergangenheit getan haben, und sich regelmäßig gegenseitig die Verantwortung zuschiebt. Aber die Aufgabe, der wir uns heute stellen müssen, bezieht sich nicht auf das Gestern, sondern auf das Morgen; auf ein Morgen, das – ob es uns gefällt oder nicht – entweder eines für alle sein wird oder gar nicht sein wird.“
Damit spielt der Papst auf die um ein Vielfaches größere Verantwortung für die Klimaerwärmung an, die Industriestaaten und Reiche im Besonderen tragen. Gut biblisch weist er allerdings darauf hin, dass Schuldzuweisungen am Ende nicht zu einer Lösung führen. Braucht es Vergebung? Vergebung der Klimaschulden? Papst Franziskus markiert, wie er sich das weitere Vorgehen vorstellt:
Wir müssen ein konkretes Zeichen der Hoffnung setzen. Möge diese COP ein Wendepunkt sein. Möge sie einen klaren und greifbaren politischen Willen zum Ausdruck bringen, der zu einer entschiedenen Beschleunigung des ökologischen Wandels führt, und zwar durch Vorgehensweisen, die drei Merkmale aufweisen:
»Dass sie effizient sind, dass sie verpflichtend sind und dass sie leicht überwacht werden können« (Laudate Deum 59). Und sie sollten in vier Bereichen umgesetzt werden, nämlich in den Bereichen der Energieeffizienz, der erneuerbaren Energien, des Ausschlusses fossiler Brennstoffe und der Erziehung zu Lebensweisen, die von diesen Brennstoffen weniger abhängig sind.
Seine letzte schriftliche Intervention in die Klimadebatten – „Laudate deum“ (Lobt Gott!) – hatte Franziskus am Tag der Eröffnung der Bischofssynode in diesem Herbst veröffentlicht. Es ist ein eindrücklicher, hoch-politischer Text, der noch für viele Diskussionen sorgen dürfte. Hier findet er sich in einer deutschen Übersetzung bei Vatican News. Felix Neumann von katholisch.de hat sich das Schreiben bereits vor ein paar Wochen angeschaut:
Papst Franziskus setzt auf die Kraft der Vernunft, um alle Menschen guten Willens zum Einsatz für eine lebenswerte Welt zu gewinnen – nicht zuletzt Bischöfe, andere Christen und sich aufs Christliche berufende Politiker, die bislang noch fragwürdige politische Allianzen und kurzfristige Besitzstandswahrung über das Gemeinwohl stellen.
Über „Laudate Deum“ und Franziskus als „Klima-Papst“ sprachen wir auch in der Oktober-Ausgabe von „WTF?! RE:“, unserem monatlichen Kirchennachrichten-Podcast.
Religionen auf der COP28
Auch der Lutherische Weltbund (LWB) ist „mit einer Delegation unter der Leitung junger Klimaaktivisten und -aktivistinnen“ auf der Weltklimakonferenz vertreten und berichtet davon auf seinem Instagram-Kanal:
Es handelt sich um die größte Delegation, die der LWB jemals zu dieser Konferenz entsandt hat. […] „Die große Zahl der Teilnehmenden ist ein Zeichen für die Entschlossenheit der LWB-Mitgliedskirchen, sich an der Klimadebatte zu beteiligen“, sagte Elena Cedillo, LWB-Programmreferentin für Klimagerechtigkeit. […] Der LWB fühlt sich weiterhin im besonderen Masse dazu verpflichtet, dafür zu sorgen, dass diejenigen Gemeinschaften, die am stärksten vom Klimawandel betroffen sind, gehört und ihre Bedürfnisse in globalen klimapolitischen Entscheidungen und Initiativen Priorität haben.
Erstmals gibt es bei einer COP auch einen „Faith Pavilion“. Religions-Vertreter:innen sprechen auf zahlreichen Panels. Dieser Teil der Weltklimakonferenzen spielt leider in den Medien eine eher untergeordnete Rolle. Im Fokus stehen der Bundeskanzler und andere führende Politiker:innen. Allein Graswurzelbewegungen und religiöse Fürbitten werden den Weg zur sozial-ökologischen Transformation sicher nicht ebnen können, dafür braucht es die „große Politik“. Aber wo sollte sie sich abgucken können, wie es gehen könnte, wenn nicht bei den graswurzeligen Gläubigen? Carine Josiéle Wendland, eine Delegierte der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Brasilien, sagte bei der Eröffnung eines interreligiösen Dialogs auf der COP28:
“There is much to do at this COP28 and time is limited, but as youth and faith-based organizations, we are also here with hope, with faith that we can still take care of our common home.”
Dass Kirchen aus reichen Industrieländern und mit reichen Mitgliedern eine besondere Verantwortung bei der Bekämpfung der Klimakrise zukommt, ist selbstevident. Daran erinnern die Kirchen aus dem „Globalen Süden“ im Rahmen von ÖRK („Weltkirchenrat“) und LWB uns beständig. „Gemeinsam für die Bewahrung der Schöpfung?“, fragte bereits im Februar 2022 die katholische Theologin und Sozialethikern Julia Blanc hier in der Eule. Die Kirchen bringen für ihr Klimaengagement ganz unterschiedliche Ressourcen mit. Wir kehren noch einmal ins Evangelium nach Lukas zurück: „Wem viel gegeben wurde, von dem wird viel zurückgefordert werden“ (Lukas 12, 48). Oder in den Worten von Julia Blanc:
Der Austausch zwischen den letzten drei Päpsten und dem „grünen Patriarchen“ Bartholomäus sowie dessen Vorgängern, aber auch die Kooperation mit anderen Glaubensführern, die unter anderem zum Verfassen und Veröffentlichen eines Apells zur Weltklimakonferenz COP26 führte, weisen einen Weg. Ohne eine Umsetzung vor Ort in den Gemeinden wird sich aber nur bedingt etwas ändern.
nachgefasst I: Synoden
Der späte Herbst ist Synoden-Zeit. In den Kirchenkreisen, Landeskirchen und auf EKD-Ebene kommen die Synodalen zusammen, um Haushalte und Kirchengesetze zu beschließen, Berichte zu hören und sich mit wichtigen Themen für die Zukunft der Evangelischen Kirche zu beschäftigen. Die EKD-Synode ist in diesem Jahr besonders, denn sie wird erst an diesem Dienstag digital zu Ende gebracht. Auf der Tagesordnung stehen noch die Beschlüsse, ohne die EKD-Kirchenamt und Landeskirchen im Jahr 2024 mit leeren Händen dastünden.
Kurschus-Rücktritt
Auch der Rücktritt von Annette Kurschus vom EKD-Ratsvorsitz (wir berichteten) wird Thema sein. Sowohl Synoden-Präses Anna-Nicole Heinrich als auch die amtierende EKD-Ratsvorsitzende Kirsten Fehrs werden dazu das Wort ergreifen und es wird auch eine (kurze?) Aussprache der Synodalen geben. Die Eule wird sich den Live-Stream von der Tagung natürlich anschauen. Über den Kurschus-Rücktritt haben wir in der aktuellen November-Ausgabe des „WTF?! RE:“-Podcasts in der zurückliegenden Woche abermals gesprochen.
Derweil nannte der Landesbischof der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Hannovers, Ralf Meister, den Umgang mit Kurschus „erbärmlich“. Nach dem Rücktritt haben offenbar auch Mitglieder der Kirchenkonferenz ihre Stimme wiedergefunden. Und Wolfgang Thielmann hat für die zeitzeichen Beobachtungen von der Synodentagung der Evangelischen Kirche von Westfalen (EKvW) zusammengetragen, die ja mit dem Rücktritt ihrer Präses umgehen muss. Die EKvW-Synode hat auch eine gemeinsame Erklärung zum Rücktritt von Annette Kurschus verfasst (s. hier)
Es bedarf jetzt eines Innehaltens und anschließend einer gründlichen, kritischen, auch selbstkritischen Betrachtung aller Vorgänge. Der Umgang mit den Meldungen, die bei der Meldestelle eingegangen sind, das daraus abgeleitete Vorgehen und nicht zuletzt die Kommunikation im Spannungsfeld von gebotener Transparenz und Wahrung der Persönlichkeitsrechte aller Beteiligten müssen gründlich und differenziert untersucht werden. Als Landeskirche wollen und werden wir aus den Vorgängen weiter lernen, wie ein angemessener, an den Betroffenen orientierter und verlässlicher Umgang mit sexualisierter Gewalt gelingen kann.
Ein Jahr der Heimsuchung
Auch in den anderen evangelischen Landeskirchen fanden die Herbst-Tagungen der Synoden statt. Auf vielen Tagesordnungen fand sich auch diesmal das Thema sexualisierte Gewalt / Aufarbeitung des Missbrauchs. Vorbildlich aufbereitet hat ihre Synoden-Tagung und auch den Tagesordnungspunkt „Bericht der AUF! Studie. Aufarbeitung und Prävention sexualisierter Gewalt“ die Württembergische Landeskirche (ELKWUE). Es ist eine absolute Ausnahme, dass man auf einer Landeskirchen-Website so ausführlich informiert wird. Das ersetzt natürlich nicht die regionale kritische Berichterstattung, die so häufig komplett ausfällt, aber die ELKWUE lässt sich hier nicht lumpen.
Zugleich zeigt eine regionalisierte Betrachtung des Themas immer wieder, dass die innerkirchliche und mediale Befassung mit den durchaus ermutigenden Fortschritten auf EKD-Ebene (wir berichteten) zu kurz greift. Das liegt u.a. daran:
Entscheidungen auf EKD-Ebene müssen gleichwohl hernach von den 20 evangelischen Landeskirchen umgesetzt werden. Was im Herbst auf der EKD-Synode als Fortschritt präsentiert wird, hat noch einen monate-, teilweise jahrelangen Gang durch die evangelischen Synoden vor sich.
Manchmal ist es aber auch nur ein vermeintlich kurzer Satz, der einen Eindruck davon vermittelt, was im Januar 2024 auf die Evangelische Kirche mit der Veröffentlichung der „ForuM“-Studie zur sexualisierten Gewalt und anderen Missbrauchsformen zukommt. Die Pressemitteilung der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland (EKM) zu ihrer Synodentagung enthält so einen:
„Bei der Auswertung von 5.500 Personalakten von Pfarrpersonen aus den Jahren 1946 bis 2020 seien insgesamt 49 Beschuldigte und 125 Betroffene ermittelt worden.“
Das sind die Fälle, die an die ForuM-Studie übermittelt wurden. Sie liegen in der Größenordnung der kleineren römisch-katholischen Bistümer in Deutschland. Nichts spricht dagegen, dass auch in den anderen 19 EKD-Gliedkirchen Fälle in ähnlicher Höhe gemeldet werden mussten. Die EKM gehört darüber hinaus auch noch zu den kleineren Landeskirchen. Am vergangenen Sonntag habe ich in Köln bei einem bemerkenswerten Gottesdienst in der ChristusKirche gesprochen, der sich dem sexuellen Missbrauch als Männerproblem in der Kirche gewidmet hat. In Anspielung auf das Bibelwort, das dem Gottesdienst vorangestellt war, formulierte ich:
Ein „Jahr der Heimsuchung“ wird das kommende Jahr 2024, dafür muss man kein Prophet sein, für die evangelische Kirche werden. Ja, muss es werden, wenn es wirklich einmal „gut“ werden soll.
nachgefasst II
Blinde Flecken – Johanna Beck (Christ in der Gegenwart)
Johanna Beck ist u.a. Mitglied im Betroffenenbeirat bei der Deutschen Bischofskonferenz (DBK) und kritisiert in diesem Beitrag in der Christ in der Gegenwart die neuerliche päpstliche Kritik am Synodalen Weg der Katholischen Kirche in Deutschland. Der Papst hatte zuletzt persönlich und sehr kurzfristig auf einen Brief von vier konservativen Aktivistinnen reagiert (s. #LaTdH von letzter Woche). Sie kritisiert „blinde Flecken“ in Franziskus‘ Rede davon, die Kirche solle sich den Menschen an den Rändern zuwenden, „denn beispielsweise Missbrauchsbetroffene scheinen nicht mitgemeint zu sein“.
Wer von der Welt „da draußen“ versehrt worden ist und sich brav asymmetrisch bemitleiden und beseelsorgen lässt, gilt als sehens- und hörenswert. Wer von der Kirche selbst verwundet wurde und aufgrund dessen die Systemfrage stellt, nicht. Die Anliegen von uns Betroffenen werden in der Regel nicht umgehend vom Papst beantwortet. Unsere Schreie durchdringen nur in den seltensten Fällen die Mauern des Vatikans. Müssen wir uns als Bettler auf die Schwelle des Petersdoms setzen, um endlich vom Papst wahrgenommen zu werden?
Buntes
Bischof Erwin Kräutler: „Der nächste Papst kann es vielleicht schaffen“ – Interview von Jacqueline Straub (kath.ch)
Bei der Amazonassynode setzte sich Bischof Erwin Kräutler für Reformen ein, auf den weltweiten Synodalen Prozess von Papst Franziskus und die ihn abschließenden Bischofssynoden im Herbst 2023 und 2024 blickt er allerdings kritisch: „Da wird nichts dabei rauskommen». Im Interview bei Jacqueline Straub von kath.ch erzählt Kräutler auch, dass er sich öfters als verheirater Mann ausgibt.
Bei der Amazonassynode haben 80 Prozent der Bischöfe für viri probati und das Frauendiakonat gestimmt. Unvorstellbar, dass Papst Franziskus das in seinem Apostolischen Schreiben mit keinem Wort erwähnt hat. Ein Mitbruder, der sonst eher traditionell ist, hat mir gesagt: Ich habe vier verheiratete Männer, die ich sofort weihen kann. Darum: ich verstehe es nicht, warum nichts von unseren Forderungen umgesetzt wurde.
Frère Alois: Taizé braucht neue Strukturen – aber sie sind nicht alles – Interview von Matthias Altmann (katholisch.de)
Nach 18 Jahren gibt Frère Alois das Amt als Prior von Taizé ab. Im Interview bei Matthias Altmann von katholisch.de erklärt er u.a., welche Konsequenzen die Kommunität aus den Missbrauchsfällen bisher gezogen hat.
Frage: In den vergangenen Jahren wurde auch Taizé durch das Bekanntwerden von Fällen sexuellen Missbrauchs erschüttert. Dabei war immer wieder die Rede von mangelnder Aufarbeitung. Können Sie jetzt dafür garantieren, dass jungen Menschen, die zu den Treffen kommen, nichts passiert?
Fr. Alois: Das kann man nie hundertprozentig garantieren. Aber seitdem wir erfahren haben, dass es diese schrecklichen sexuellen Übergriffe von Brüdern gegenüber jungen Menschen gab, sind wir bemüht, alles zu tun, um einerseits die Opfer so gut wie möglich zu begleiten und andererseits Strukturen zu schaffen, welche die Sicherheit des Ortes noch stärker gewährleisten, als das früher der Fall war. […] Dazu haben wir die Unterstützung von Psychologen und Sozialarbeitern von außerhalb der Gemeinschaft.
„Sie leben in verschiedenen Welten“ – Interview mit Michał Szułdrzyński von Renardo Schlegelmilch (Domradio)
Die polnischen und deutschen Bischöfe der römisch-katholischen Kirche streiten über die Synodalen Wege der Kirche (s. #LaTdH vom letzten Sonntag). Im Interview bei Renardo Schlegelmilch vom Kölner Domradio erklärt der polnische Journalist Michał Szułdrzyński die weiteren Hintergründe.
DOMRADIO.DE: Sowohl der Brief von Bätzing an Gądecki, als auch dessen Schreiben an den Papst sind ja sehr deutlich formuliert. Gądecki schreibt, dass die deutsche Kirche ihren Standpunkt zu LGBT-Menschen ebenso unwissenschaftlich begründet, wie im Dritten Reich die Rassenlehre auch unwissenschaftlich begründet worden ist. Bätzing wirft Polens Kirche vor, sich von demokratischen Werten abzuwenden. Das kann man ja schon als gegenseitige Beleidigungen auffassen.
Szułdrzyński: Wenn wir diesen Briefwechsel so interpretieren wollen, kann man da definitiv Beleidigungen herauslesen. Ich würde das aber lieber ein wenig hinterfragen. Was wollen Bätzing und Gądecki wirklich sagen? Ich sehe darin eher ein großes Missverständnis. Diese Aussagen zeigen, dass Bätzing und Gądecki in komplett verschiedenen Welten leben, nicht nur geografisch und sozial. Sie verwenden auch eine komplett andere Sprache, andere Bilder und Ausdrucksweisen, die schnell falsch verstanden werden können.
Theologie
Predigtpreis der AG jüdisch & christlich beim Deutschen Evangelischen Kirchentag (AG jüdisch und christlich)
Zum ersten Mal schreibt die „AG jüdisch & christlich beim Deutschen Evangelischen Kirchentag“ in Kooperation mit der EKD einen Predigtpreis im christlich-jüdischen Kontext aus. Das geschehe, so die Organisator:innen, „in einer Zeit nach dem 7. Oktober 2023, in der viele mit Worten ringen und nach Sprache suchen“. Prediger:innen, Hauptamtliche, Ehrenamtliche, Studierende, Wissenschaftler* innen sind eingeladen, Predigten einzureichen. Einsendeschluss ist der 31. Januar 2024.
Digitale Theologie und digitale Kirche: Eine Orientierung – Frederike van Oorschot (FEST)
Frederike van Oorschot ist Privatdozentin für Systematische Theologie und leitet den Arbeitsbereich „Religion, Recht und Kultur“ an der Forschunggsstelle der Evangelischen Studiengemeinschaft (FEST) in Heidelberg. Sie forscht zu digitaler Theologie und digitaler Kirche, öffentlicher Theologie und theologischer Hermeneutik. Nun hat sie ein gut hundertseitiges Büchlein vorgelegt, das „als Einstieg und Überblick in das seit 2020 rasant anwachsende Debatten- und Forschungsfeld“ der Digitalität in Kirche und Theologie dienen soll. Das Buch gibt es kostenlos als PDF zum Download. Ich habe diese Woche einmal kurz reingelunscht: Lesenswert!
Ein guter Satz
„Das große Wort Visionen kommt einem heute nur schwer über die Lippen. Aber wo einem die Hoffnung abhandenkommt, kann man wenigstens so tun, als hoffte man.“
– Fulbert Steffensky im taz-Interview von Jan Feddersen anlässlich seines 90. Geburtstags