Ökumene der Solidarität – Die #LaTdH vom 6. März

Der Krieg in der Ukraine ist eine Herausforderung für die Ökumene und die Konzentration der Kirchen. Außerdem: Ein heißes Willkommen für Woelki und Kritik am Papst.

Herzlich Willkommen!

Noch ist der Krieg in der Ukraine uns nicht alltäglich geworden, doch hat er seinen Weg in unsere täglichen Routinen gefunden. Zur morgendlichen Orientierung in den Nachrichten und Sozialen Netzwerken gehört die bange Frage: Wie steht es um Kiew, um Charkiv? Sich auf die vielen Meldungen und Einordnungen einen Reim zu machen, ist schwer und kann überfordern.

Am ersten Sonntag der Passionszeit erinnere ich mich daran, dass zur vorösterlichen Fastenzeit der bewusste Verzicht gehört. Nicht der Verzicht auf Solidarität, Orientierung und Teilnahme am Weltgeschehen, aber doch eine heilsame Dosierung der Betriebsamkeit und Konfrontation. Es ist nötig und möglich, gelegentlich abzuschalten.

Eine gute Woche wünscht
Philipp Greifenstein


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Debatte

Die Religions- und Kirchennachrichten aus und um den Ukraine-Krieg drehen sich dieser Tage um drei wichtige Themenkreise. Sie sind nicht gleich wichtig, hängen aber natürlich miteinander zusammen. Zunächst die praktische Unterstützung der Kirchen für die Kriegsopfer in der Ukraine und für die Geflüchteten in den Nachbarländern und Deutschland. Dann die Debatte in den Orthodoxen Kirchen und in der Ökumene um die richtige Stellung zu den Kriegsparteien. Und zuletzt die Diskussionen in den christlichen Kirchen in Deutschland über „Neuorientierungen“ der Sicherheitspolitik und Friedensethik.

Hilfe

Millionen Menschen sind auf der Flucht aus der Ukraine, hunderttausende bereits in den Nachbarländern (vor allem Polen) angekommen. Auch nach Deutschland haben es einige von ihnen bereits geschafft oder wurden wie Waisenkinder aus der Nähe von Kiew von ihren deutschen Partnerorganisationen evakuiert. Diese Hilfe wird sich in den kommenden Tagen noch vertiefen müssen. Deutschland kann hier durch die Aufnahme von besonders schutzbedürftigen Menschen einen Beitrag leisten, den die unmittelbaren Anrainerstaaten zu leisten womöglich nicht in der Lage sind.

Unterdessen rufen die großen Hilfsorganisationen dazu auf, vor allem Geld zu spenden. Mit den Mitteln könne man vor Ort die benötigten Hilfsgüter kaufen. Die gutgemeinten Sachspenden-Verschickungen kämen demgegenüber im Kriegsgewirr nicht zuverlässig an. Ja, es bestünden für deren Verteilung bei den Partnern vor Ort keine Kapazitäten.

Und eine zweite Fluchtbewegung hat in diesen Stunden merklich an Fahrt aufgenommen: Eine Ausreisewelle von Russ:innen ist die Folge der Repressionen gegen die eigene Bevölkerung, die von der russischen Regierung in den vergangenen Tagen massiv verstärkt wurden. Vor allem junge Russ:innen machen sich auf den Weg gen Westen, weil sie sich daheim nicht sicher fühlen.

Druck auf die Russisch-Orthodoxe Kirche steigt

Ein bemerkenswerter Aspekt der neuerlichen Eskalation des Ukraine-Krieges ist die Einigkeit der Religionsgemeinschaften und Kirchen in ihrer Unterstützung für die Ukraine. Sowohl der Allukrainische Rat der Kirchen und Religionsgemeinschaften (UCCRO) als auch die internationalen Partnerkirchen und Kirchenbünde sind sich in der Verurteilung des russischen Angriffskrieges einig. Der Vatikan äußert sich zwar weniger eindeutig kritisch gegenüber der russischen Regierung, verurteilt aber selbstverständlich den Krieg.

Einzige Ausnahme von dieser Ökumene der Solidarität ist das Moskauer Partriarchat. Die Ukrainisch-Orthodoxe Kirche Moskauer Patriarchats (UOK-MP), die Patriarch Kyrill I. von Moskau und der ganzen Rus unterstellt ist, hatte sich gemeinsam mit den UCCRO-Partnern gegen den russischen Angriff positioniert, ihr Metropolit Onufrij sich deutlich gegen den russischen Angriff auf die Souveränität der Ukraine ausgesprochen. Inzwischen fordern mehrere Geistliche der Kirche eine Synode, die das Verhältnis zur russischen Mutterkirche klären soll. Von einer „Zerreißprobe für die russische Orthodoxie“ spricht daher der Ostkirchenkundler Thomas Bremer im Deutschlandfunk.

Unterdessen traf der Apostolische Nuntius in Russland, Papst Franziskus‘ Botschafter, mit Patriarch Kyrill zusammen. Der beharrt weiterhin darauf, seine Kirche würde einen Beitrag zum Frieden leisten. Der Mainzer Ostkirchenkundler Mihai Grigore kritisierte diese „Zurückhaltung“:

In der Russischen Orthodoxen Kirche sieht Grigore prinzipiell durchaus eine Kraft, die den Verlauf des Krieges beeinflussen könnte. „Die Orthodoxie ist für Putin auch wichtig. Der russische Patriarch Kyrill hätte schon Einfluss, wenn er sich stark positionieren würde“, sagte der Wissenschaftler. „Er will aber nicht.“

Unter der Woche rief der Weltkirchenrat Kyrill erneut auf, seine Stimme gegen den Krieg zu erheben. Eine ausführliche Einordnung der „Zwei Kriege Putins und Kyrills“ liefert Sergei Chapnin (auf Englisch) und endet mit der Frage: „Wer braucht dann noch einen solchen Patriarchen?“ Auf die ökumenische Verantwortung hebt Johannes Röser in seinem Kommentar für die Christ in der Gegenwart (@ChristGegenwart) ab:

Fühlt sich Putin quasi-sakral berufen, „apostelgleich“ messianisch ermächtigt, im Namen des „Dritten Rom“ per Reconquista – Rückeroberung – die Reinheit der Orthodoxie im Ursprungsgebiet gegen Sittenverfall wiederherstellen zu müssen? Sein grausamer „dschihadistischer“ Fanatismus lässt mehr ahnen als nur Furcht vor demokratischem Vordringen. Putin hasst alles Liberale. Es ist für ihn pure Unmoral.

Hier trifft er sich mit seinem Patriarchen und dessen Botschaften. Und Kyrill selber – ist er nur feige? Leider sehen wir bitter-traurig: Sein historisches Versagen ist eine Schande für unser gemeinsames Christsein in West und Ost.

Zur Orientierung empfehle ich gerne noch einmal das Eule-Gespräch mit Regina Elsner (@reginaelmo). Man befürchtet in der Ukraine, dass Putin alles angreifen wolle, was den Ukrainern (und nicht nur ihnen) heilig ist. Dazu gehören die Kiewer Kirchen und Denkmäler, die unschätzbaren Wert hätten, schreibt Reinhard Veser (@ReinhardVeser) in der FAZ. Es sind dies nicht nur europäische Erinnerungsstätten an Holocaust und Holodomor, sondern auch die heiligen Stätten der (russischen) Orthodoxie.

Friedensethik vs. Kriegslogik?

Von diesen unmittelbaren Nöten des Krieges zwar nicht vollständig abgelöst, doch seltsam selbstbezüglich diskutieren (einige) Menschen in den Kirchen hierzulande über die richtige Friedensethik in Kriegszeiten.

Im evangelischen Magazin zeitzeichen (@zeitzeichenNET) sind dazu neben einem Interview mit dem EKD-Friedensbeauftragten, Landesbischof Friedrich Kramer (EKM), eine Reihe von Debattenbeiträgen erschienen. Sie sind ungemein voraussetzungsreich, weil in ihnen mehr verhandelt wird als der aktuelle Konflikt. Ich wünsche mir (am Freitag ebenda), dass „uneingestandene Vorurteile, nicht aufgearbeitete psychologische Grunddispositionen und an der Realität zerbrochene Vorannahmen“ sowie (nur) Insidern lang bekannte Positionierungen transparent gemacht werden. Nur dann werden wir einen Dialog führen, „an dem sich mehr als die bisher üblichen Kombattanten beteiligen können“.

Derweil veröffentlichten Kramer und der evangelische Militärbischof Bernhard Felmberg am Mittwoch eine gemeinsame Stellungnahme, über die noch zu reden sein wird. Jedenfalls hält sie das Minimum eines evangelischen Einverständnisses angesichts der Eskalation des Krieges fest. Worin sich die Akteur:innen nicht einig sind, liest man allerdings nicht – die Konfliktpunkte werden schlicht weggelassen.

Im Eule-Interview erklärte der ehemaliger Pfarrer der lutherischen St. Katharinenkirche in Kiew, Ralf Haska, u.a. seine Position zu den Waffenlieferungen (auch aus Deutschland). Und am Donnerstag erklärte der Friedensethiker und Theologe Michael Haspel den aktuellen Stand der evangelischen Friedensethik – auf den sich die Diskussion mal mehr, mal weniger affirmativ bezieht – sowie deren Versäumnisse. Seine Forderung, „Friedens- und Sicherheitslogik zusammen denken“, führte er außerdem in einem Beitrag für den Philosophie-Blog praeFaktisch (@blogpraefakt) aus.

„Die“ katholische Friedensbewegung verurteilte die jüngsten Schritte der Politik in Sachen militärischer Unterstützung und Aufrüstung (u.a. „Krieg ist kein Mittel der Politik“ von Wolfgang Palaver). In den Wortmeldungen der katholischen Bischöfe, die vor allem Gebetsaufrufe und Hilfegesuche darstellen, fehlt – in meinen Augen – bisher eine vertiefte ethisch-moralische Auseinandersetzung mit dem Kriegsgeschehen. Allerdings gibt’s ja in der katholischen Kirche eine Lehre vom „gerechten Krieg“, die als bekannt (?) vorausgesetzt werden kann.

Zur Mäßigung in der Debatte rief derweil der hannoversche Landesbischof Ralf Meister (@kirchehannovers) beim epd (@epd_news) auf:

„Aber man muss jetzt aufpassen, dass nicht eine überzogene symbolische Politik und eine Sprache der Gewalt sich unser bemächtigt.“ Er sehe zudem eine „gewisse Leichtfertigkeit mit historischen Vergleichen“, sagte der Bischof. So seien Reaktionen, die den Angriff Russlands und die europäische Politik der vergangenen Jahre mit der politischen Lage von 1938 verglichen, historisch fragwürdig und wenig hilfreich.

„Die naheliegendste Analogie sind die Jahre 1938/39“ – Interview mit Grigori Judin (Meduza, Dekoder)

Einen wichtigen Kontrapunkt zu diesen deutschen Überlegungen setzt der russische Soziologe Grigori Judin im Interview bei Dekoder (@dekoder_org). Dekoder verbindet russischen Journalismus in deutscher Übersetzung mit kontextualisierenden Beiträgen europäischer Wissenschaftler. Das ganze Interview ist lesenswert, daraus nur so viel:

Irgendwann muss man aufhören, sich zum Rädchen zu machen und zu einer inneren moralischen Haltung finden. Und dann seine analytischen Fähigkeiten in den Dienst dieser Haltung stellen. Und hier kommt es darauf an, kritische Distanz zu gewinnen, einen kühlen Kopf zu bewahren und die Kontrolle über sich selbst nicht zu verlieren. Aber es ist wichtig, die moralische Haltung nicht aufzugeben, vor allem in so entscheidenden Situationen.

Wie sehr kann man darauf hoffen, dass jeder Mensch in sich selbst Halt findet? […]

Das ist eine Frage ihrer Beziehung zu Gott. Wissen Sie, wir sind jetzt an einem Punkt, der bei allem, was daran einmalig ist, doch an die Ereignisse des 20. Jahrhunderts erinnert. Hannah Arendt hat dazu sehr richtig gesagt, dass es Zeiten gibt, in denen man sich eingestehen muss, dass man die Welt im Ganzen nicht ändern kann. Man muss herausfinden, wo jetzt die eigene Verantwortung liegt – was man tun muss, um weiter mit sich leben und in den Spiegel schauen zu können.

nachgefasst I: Über den Krieg reden

Einige Ressourcen für das Gespräch mit Kindern und Jugendlichen in der Schule und an anderen Lernorten sowie in der Familie fasst dieser Blog-Artikel des RPZ Kaiserslautern zusammen, dazu gehören auch die Praxishilfen für Schule und Kirche des relilab (@ReliLab).

nachgefasst II: Woelki-Comeback?

Als entweder sehr kühl oder voll heißen Zorns kann man beschreiben, wie Kardinal Woelkis Rückkehr auf den erbischöflichen Stuhl in Köln empfunden wird. Pünktlich zum Beginn der Passionszeit meldete er sich mit einem Hirtenbrief zurück, in dem er auch offenlegte, dass er in der Nachdenkzeit dem Papst seinen Rücktritt angeboten hat.

Woelkis kommunikative Avance zielt auf gedeihliches Bleiben im überkommenen System. „Schwere kommunikative Fehler“ (so der Papst) waren zwar Anlass seiner Auszeit. Doch sein Rücktrittsangebot hatte damit nichts zu tun, das sei aus innerer Freiheit erfolgt. Es richtete sich ohnehin nicht an das Bistum, sondern an den Papst. Der soll nun über das Wohl und Wehe der Kirche von Köln befinden. So sieht es das System vor. Aber damit macht Woelki seinen Verbleib im Amt zum weltkirchlichen Politikum. Am Ende geht es nicht um die Kirche von Köln, sondern darum, ob der Papst ein Zerwürfnis mit dem mächtigen Kardinal riskiert. Und die Katholik:innen von Köln haben das Nachsehen. Sie werden wieder einmal nicht gehört.

So kommentiert die Erfurter Theologieprofessorin Julia Knop (@JuliaKnop7) das Rücktrittsgesuch des Kardinals auf katholisch.de. Im DLF-Interview bei Christian Röther (@c_roether) ordnete WELT-Redakteur Lucas Wiegelmann (@wiegelmann) die Situation ein, die Christiane Florin (@christianeflori) ebenda scharf kritisierte: „Noch mehr Selbstmitleid als vor fünf Monaten“.

„Kein[en] Phoenix aus der Asche“, sieht Joachim Frank, der an den jüngsten Enthüllungen im Erzbistum erheblichen Anteil hatte und zugleich Vorsitzender der Gesellschaft Katholischer Publizisten Deutschlands (@GKPde) ist. Und Benjamin Lassiwe (@lassiwe) spricht im Berliner Tagesspiegel mit Paul Gerhard ein allerletztes (?) Urteil über die Zukunft Woelkis:

Der Rücktritt des Kardinals ist schon lange überfällig. Wenn Woelki ihn nun tatsächlich angeboten hat, gibt es nur noch eine Lösung: Annehmen, und zwar sofort. Oder, wie es Paul Gerhardt einst in seinem Choral „Befiehl Du Deine Wege“ dichtete: „Mach Ende, Herr, mach Ende von aller unsrer Not“. Denn für Rainer Maria Kardinal Woelki gibt es in der katholischen Kirche in Deutschland schlicht keine Perspektive mehr.

In den kommenden Tagen treffen sich die deutschen katholischen Bischöfe in Vierzehnheiligen zu ihrer Frühjahrstagung. Mit Woelki, der wohl auch die Predigt in einer der morgendlichen Messen halten wird. Man darf gespannt sein, ob wenigstens seine Brüder im Bischofsamt dem Kardinal einen warmen Empfang bereiten.

Buntes

Where German Catholics & Pope Francis Diverge – Massimo Faggioli (Commonweal Magazine, englisch)

Im US-Magazin Commonweal analysiert der katholische Theologe Massimo Faggioli (@MassimoFaggioli) wie üblich klug und pointiert, was die katholische Kirche in Deutschland und Papst Franziskus voneinander trennt. Eine lohnende Lektüre, weil diese Differenzen im allgegenwärtigen „Synodalitäts“-Gerede (wir berichteten) unterzugehen drohen.

But, at some point, the German path and Roman way will have to interact. The hope is that these differing approaches to reform will somehow come together rather than collide.

Theologie

Theologe Hubertus Halbfas gestorben

Zu Beginn der Woche ist Hubertus Halbfas in seinem 90. Lebensjahr verstorben. Der katholische Theologe hat nicht nur die Reformkräfte in seiner Kirche inspiriert, sondern in seinen zahlreichen Büchern vielen Christ:innen Orientierung gegeben und Mut zugesprochen. Sein Verlag widmet ihm einen Nachruf und das Münsteraner Forum für Theologie und Kirche bietet eine Liste zahlreicher Beiträge zu seinem Werk und Leben.

Sein letztes Buch, von ihm bereits für den Druck freigegeben, erscheint im März dieses Jahres: »Tischgemeinschaft. Die Mahlzeiten Jesu und was daraus geworden ist«. Noch einmal geht Hubertus Halbfas als Mensch der Literatur und Mann der Wissenschaft hart mit dem ins Gericht, was er in den real existierenden Kirchen als Verzerrung der Botschaft Jesu erkennt. Aber der letzte Satz seines Buches lautet: »Vielleicht könnten wir alle – auch die distanzierte Gesellschaft – ein jesuanisches Christentum noch einmal neu verstehen lernen.«

Ein guter Satz

„In times of war, we must be committed to stand together, safeguard dignity, and welcome the stranger.“

„In Kriegszeiten müssen wir entschieden zusammenstehen, die Würde des Menschen verteidigen, und den Fremden aufnehmen.“

Anne Burghardt, Generalsekretärin des Lutherischen Weltbundes