Newsletter #LaTdH

Peinlich?! – Die #LaTdH vom 10. November

Wie sieht ein angemessener, christlicher Umgang mit dem sexuellen Missbrauch in den Kirchen aus? Außerdem: #EhefürAlle in der Schweiz, Kirchentags-Slogans & #digitaleKirche.

Synodenzeit in Dresden: Nachdem bereits die Generalsynode der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands (VELKD, 7. – 9.11.) und die Vollkonferenz der Union Evangelischer Kirchen (UEK, 8./9.11.) getagt haben, beginnt heute offiziell die 6. Tagung der 12. Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD, 10. – 13.11.). Ich berichte hier in der Eule in einem Liveblog von der Synode und es wird darüber hinaus noch weitere Beiträge von der EKD-Synode geben.

Debatte

Das vielleicht drängendste innerkirchliche Thema ist die Aufarbeitung des sexuellen Missbrauchs – und zwar in beiden großen Kirchen. Auf der EKD-Synode wird am Dienstag über den Stand der Umsetzung des 11-Punkte-Planes (verabschiedet zur Synode im vergangenen Herbst) diskutiert.

In der röm.-kath. Kirche ist man schon weiter. Die Diskussionen in den beiden Kirchen laufen allerdings nicht nebeneinander her, sondern sind – nicht nur bei der Frage der Entschädigung erlittenen Unrechts – aufeinander bezogen.

Erzbischof Werner Thissen räumt schwere Fehler ein – Stephan Kronenburg (Kirche + Leben)

Bei allen (wissenschaftlichen) Untersuchungen und Entschädigungsbemühungen darf nicht vergessen werden, dass von den ehemals verantwortlichen Kirchenführern bisher kaum jemand – und erst recht nicht öffentlich – Verantwortung übernommen hat. Die Bitten um Vergebung sind Legion, tatsächliche Konsequenzen rar.

Umso wichtiger, dass in Person des ehemaligen Hamburger Erzbischofs nun ein Kirchenmann persönliche Fehler einräumt, der über Jahrzehnte an hervorgehobener Stelle Verantwortung auch für das kirchliche Personal hatte:

Mitglieder der Personalkonferenz waren damals der Bischof, der den Vorsitz hatte, der Generalvikar, die fünf Weihbischöfe, der Personalreferent und der Regens des Priesterseminars. Es habe im System gelegen, so sagt Thissen, dass die Personalkonferenz für den Umgang mit Missbrauchsfällen zuständig gewesen sei. „Aber sie war dazu gar nicht in der Lage. Da hätten Fachleute dazu gehört“, sagt Thissen.

Vor allem hätte es nach seiner Ansicht „auch einer größeren Distanz zu den Tätern bedurft“. Werner Thissen: „Diejenigen, die des Missbrauchs beschuldigt wurden, waren ja Priester, die wir gut kannten. Da kommt sehr schnell der Mitleidseffekt auf. In einer Personalkonferenz fragte mal jemand: ‚Muss der Täter denn nicht bestraft werden?‘ Die übereinstimmende Meinung war: Der hat sich doch durch sein Vergehen am meisten schon selbst bestraft.“

In eine ähnliche Richtung weist die Erklärung von Kardinal Vincent Nichols, dem höchsten Würdenträger der katholischen Kirche in England und Wales, vor einem staatlichen Untersuchungsausschuss zum sexuellen Missbrauch von Kindern:

Auf den Vorwurf, Anschuldigungen gegen einen Priester ignoriert und nicht auf entsprechende Hinweise reagiert zu haben, sagte Nichols: „Wir sind voller Widersprüche – ja, ich habe versagt.“ Es tue ihm leid, dass er dem Opfer damals nicht direkt geantwortet habe, so der Kardinal.

Ordensgemeinschaft sagt sich vollständig von Gründer los (katholisch.de)

Auch wegen der intensiven Beleuchtung des systematischen Missbrauchs bei den „Brüdern vom Heiligen Johannes“ durch eine ARTE-Dokumentation (unter der Woche schon hier in der Eule), hat sich das Generalkapitel der Gemeinschaft nur von ihrem Gründer losgesagt.

Der hatte seine Stellung im Orden für sexuellen und geistlichen Missbrauch genutzt. Wie in einer Untersuchung deutlich wurde, haben es ihm „fast 30 weitere Brüder“ gleichgetan und „das Missbrauchssystem von Philippes für eigene Taten reproduziert“. Vielleicht wäre Zusperren doch die bessere Wahl gewesen?!

Missbrauchsprävention der katholischen Kirche hat Lücken – Karin Wollschläger (Tagesspiegel, KNA)

Für die KNA ist Karin Wollschläger (@Wollschmolz) einem Fall nachgegangen, der die (Erz-)Bistümer Berlin und Dresden-Meißen anlangt: In Berlin wurde einem Mitarbeiter u.a. wegen eines Kinderpornografie-Verdachts gekündigt. Wenig später tauchte er als Mitarbeiter einer geistlichen Gemeinschaft in Leipzig wieder auf und erteilte schließlich auch katholischen Religionsunterricht. Solange dieses Bistums-Hopping nach wie vor funktioniert, ist es um die Missbrauchsprävention schlecht bestellt.

Wenige Monate später wurde Müller zum Schuljahr 2017/2018 katholischer Religionslehrer an staatlichen Schulen – als vom Bistum Dresden-Meißen gestellte Lehrkraft. Dadurch bekam er vom Bistum als „Honorarkraft im Wege eines Gestellungsvertrags“ sein Gehalt. Hinzu kommt: Dem Bistum lag nach eigenen Angaben kein Arbeitszeugnis des Erzbistums für Müller vor, obwohl dieser dort 14 Jahre in der Kinder- und Jugendarbeit angestellt war. Offenbar sah man in Dresden-Meißen darin keine Merkwürdigkeit.

Missbrauch evangelisch

Die katholischen Beispiele sollen nicht darüber hinwegtäuschen, dass es auch in den evangelischen Kirchen immer wieder Missbrauchsfälle gibt. Zuletzt: Ein Fall in Bayern, dort gab es wohl einen sexuellen Übergriff innerhalb einer Jugendgruppe. Und der Skandal um „Original Play“ an mehreren evangelischen Kindergärten in Berlin (aber auch Dresden). Über letzteren berichtete auch das ARD-Magazin „Kontraste“ (Beitrag auf YouTube). Im Bericht kommt auch die Berliner Generalsuperintendentin Ulrike Trautwein (@trautwein_u) – recht unglücklich – zu Wort: „Den Kindern ist nichts passiert“, ist eine gewagte Aussage.

Was flächendeckenden Kinder- und Jugendschutz vor sexuellen Übergriffen angeht, haben die evangelischen Kirchen noch Nachholbedarf. Längst sind gut gemeinte Aktionspläne noch nicht überall in der Praxis angekommen. Eine Anfrage an die Landeskirchen und die Diakonischen Werke, unter deren Dach viele Kinder- und Jugendeinrichtungen geführt werden.

Es scheint, es bedürfe in den evangelischen Kirchen immer noch eines grundsätzlichen Bewusstseinswandels, noch immer hört man teils von leitendem Personal: „Das ist doch ein katholisches Problem?! Nein, ist eben nicht! Vielleicht können die Beratungen auf der EKD-Synode dazu einen Beitrag leisten.

nachgefasst

#EhefürAlle in den Evangelisch-reformierten Kirchen der Schweiz

Die Abgeordneten des Schweizerischen Evangelischen Kirchenbundes (SEK) haben in einer Entschließung die #EhefürAlle befürwortet. Was das nun konkret heißt, schlüsselt das offizielle Internetportal der Reformierten ref.ch auf:

Allerdings versteht der Kirchenbund den Entscheid nur als Empfehlung an die Mitgliedkirchen. Es liege allein in der Kompetenz der Kantonalkirchen, die Trauung für Homosexuelle einzuführen. Wie sich zeigt, gehen die Landeskirchen das Thema unterschiedlich an.

Für watson.ch befragt Sarah Serafini (@Sara_Sera_) den Religionssoziologen Jörg Stolz („Protestanten protestieren halt“), der den bitteren Streit um die Anerkennung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften in Kirche launig einordnet:

Ich bin kein Unternehmensberater für Kirchen. Aber wenn man es aus einer soziologischen Perspektive betrachtet und sieht, wie unglaublich schnell und unglaublich stark sich die Akzeptanz von Homosexualität verbreitet, ist es schon klug, da als Kirche mitzuhalten. Eine andere Frage ist, ob das auch theologisch sinnvoll ist.

Jörg Stolz sieht in der Öffnung gegenüber LGBTQI* eine „Strategie“ des SEK und seines Präsidenten Gottfried Locher (mehr zur SEK und Locher hier in der Eule). Zehn lesenswerte Thesen zur Diskussion hat Jörg Frey, Professor für Neues Testament in Zürich, aufgestellt und auf dem „sola gratia“-Blog von Dave Jäggi (@Dave_Jaeggi) veröffentlicht:

Zunächst ist klar, dass hier nicht „zusammengefügt wird“, weder durch Menschen noch durch Gott. Das wäre ein grobes Missverständnis. Vielmehr sind diejenigen, die zur kirchlichen Trauung kommen, schon zusammen. Im Blick auf den Segen gilt auch hier: Gesegnet werden Menschen, nicht Dinge (z.B. Ringe); gebeten wird um Gottes Segen für deren Beziehung zueinander, zu anderen und zu Gott, […]. Der Segen ist auch kein Absegnen oder Fürguterklären von Umständen und Lebensverhältnissen, bestimmten Einstellungen oder sexuellen Praktiken. Über all das wird (auch bei einer konventionellen, heterosexuellen Eheschließung) nicht befunden.

Buntes

Talk to Transformer (Adam King)

OpenAI ist ein Unternehmen, das sich mit der Erforschung von künstlicher Intelligenz befasst. Adam King (@AdamDanielKing) stellt mit Hilfe einer der OpenAI-Maschinen, dem automatischen Lernmodell GPT-2, ein höchst-interessantes kleines Experiment zur Verfügung: In ein Textfenster tippt man einfach eine kleine Wortfolge ein (auf Englisch), die Maschine ergänzt dann Wort um Wort einen kleinen Text. Hier steht noch mehr darüber, wie das funktioniert. Und hier hat die #digitaleKirche damit schon ein bisschen gespielt. Kleiner Test:

Glauben in der Digitalität: Netze knüpfen, Netze auswerfen – Felix Neumann (fxneumann.de)

Felix Neumann (@fxneumann), im Hauptberuf Redakteur bei katholisch.de, hat auf seinem Blog einen Artikel veröffentlicht, den er für die medienpädagogische zeitschrift merz verfasst hat. Darin erläutert er die Herausforderungen digitaler Kommunikation für die Kirche(n). Es geht dabei naturgemäß viel um offizielle Kirchenkommunikation, aber auch darum, diese in Frage zu stellen:

Eine rein institutionenbezogene Kommunikationsstrategie passt eigentlich nicht zu einem Kirchenbild, das die Befähigung aller Getauften und deren Rolle für den Sendungsauftrag der Kirche betont. Die Kirche ist nicht nur Hierarchie der Geweihten, sondern auch Gemeinschaft der Gläubigen.

Was der Katholik Felix Neumann hier für seine Kirche schreibt, gilt umso mehr für die evangelischen Kirchen. Dieser Text ist wieder einmal ein Grundlagentext für alle, die sich mit #digitaleKirche befassen (wollen).

Barcamp Kirche Online Stuttgart – Fachtag (bayernevangelisch, YouTube)

Eine schöne Ressource will ich den Leser*innen der #LaTdH nicht vorenthalten, auch wenn ich (s.o.) noch keine Zeit hatte, mir das selbst alles zu Gemüte zu führen (ja, sonst lesen wir hier alles, was verlinkt wird).

Das Barcamp Kirche Online hat an diesem Wochenende in Stuttgart Station gemacht. Gestartet wurde das Digitaltreffen mit einem Fachtag am Freitag. Eine Reihe interessanter Vorträge und Voträger*innen (u.a. Gunter Dueck (@wilddueck) und Rieke Harmsen (@RiekeHarmsen)) lassen sich auf YouTube nachvollziehen und ihre Voträge direkt anwählen.

Kann denn Heizen Sünde sein? – Michael Hollenbach (DLF)

Wenn es um die Unterstützung der Klimaproteste geht und um politische Forderungen zur Bewahrung der Schöpfung, dann sind die Kirchen vorne mit dabei. Doch wie ist es um ihr eigenes Klimaengagement bestellt? Vor kurzem habe ich das hier in der Eule am Beispiel des kirchlichen Investments betrachtet, Michael Hollenbach hat sich für den Deutschlandfunk vor allem mit den Häusern der Kirche beschäftigt:

Seit Jahrzehnten wird darüber diskutiert, vor Ort in den Gemeindehäusern Energie einzusparen; es gibt in einigen Bistümern, Landeskirchen und Gemeinden durchaus ambitionierte Klimaschutzprojekte, doch der große Wurf ist bislang ausgeblieben.

Deutsche Regierung beschliesst Deutsch-Pflicht für Imame (ref.ch, epd)

Unter der leicht missverständlichen Überschrift – die Neuregelung gilt für Religionsbedienstete aller Religionen – berichtet ref.ch mit epd-Material über die Bemühungen der Bundesregierung bei der Integration von religiösen Muslim*innen voranzukommen.

Bisher hinken viele Imame beim Gebrauch der deutschen Sprache ihren Gemeindemitgliedern hinterher – was nicht nur die Integration behindert, sondern auch die Verkündigung des Glaubens in die deutsche Lebenswirklichkeit hinein (das zeigen Untersuchungen der Deutschen Islamkonferenz, z.B. hier).

Nach einem Bericht des «Redaktionsnetzwerks Deutschland» (RND), das unter Berufung auf die Vorlage für das Kabinett zuerst über den Entwurf berichtete, sollen bessere Sprachkenntnisse, die im Wesentlichen eine Verständigung im Alltag verlangen, innerhalb von weniger als einem Jahr nachgewiesen werden.

Kein Schwarz-Weiß-Denken möglich – Interview mit Elmar Middendorf (domradio)

Noch ein Religionslehrer des Bistums Dresden-Meißen sorgt gegenwärtig für Ärger: Allerdings nicht aufgrund eines Missbrauchsverdachts (s.o), sondern weil er sich für die AfD engagiert (nur ein Beispiel). Missbraucht er damit seine kirchliche Lehrerlaubnis? Es schaut so aus, als ob es im Bistum Bedarf an konsequenter Führung gibt: Bischof Heinrich Timmerevers wird wohl erst einmal zu Hause aufräumen müssen, bevor er sich mit voller Kraft auf den „synodalen Weg“ begibt.

Bibel

Das Leitwort des Ökumenischen Kirchentages ist peinlich – Lucas Wiegelmann (katholisch.de)

Lucas Wiegelmann (@wiegelmann) kritisiert den Slogan des kommenden Ökumenischen Kirchentages 2021 unter anderem deshalb, weil sich die Kirchen damit „allgemeine Moralappelle auf die Fahnen schreiben“, „statt für ihr religiöses Proprium zu werben“. Besonders „peinlich“ ist ihm, „dass man das Leitwort, um seine Inhaltsleere zu kaschieren, in Loriot-würdiger Weise als Bibelzitat ausweist.“

Schaut hin! – Christoph Markschies (zeitzeichen.net)

Ein Fan des neuen Leitworts ist hingegen Christoph Markschies (@markschies, Kirchengeschichtsprofessor an der HU Berlin, Vorsitzender der EKD-Kammer für Theologie). Er beschreibt in der Online-Kolumnen-Reihe der zeitzeichen (Offenlegung: In der auch ich regelmäßig schreibe.) den Prozess der Leitwortfindung:

Noch nie allerdings habe ich das Motto eines Kirchentages ausgesucht und dazu das eines Ökumenischen Kirchentages. Vergangenes Wochenende war es nun soweit – auf der Tagesordnung des Präsidiums des dritten Ökumenischen Kirchentages stand die Auswahl eines biblischen Leitworts. Den Prozess dieser Auswahl fand ich ganz bemerkenswert, […].

Die Auswahl im Präsidium des Ökumenischen Kirchentags begann nämlich damit, dass eine Alttestamentlerin und ein Neutestamentler die biblischen Leitworte kurz, aber sehr tiefsinnig auslegten und in ein ganzes Konzept biblischer Texte einbanden, die jeweils den Gottesdiensten, Bibelarbeiten und Andachten […] zugrunde liegen könnten.

Ich habe schon aussagekräftigere Leitworte gesehen, aber machen Sie sich bitte ein eigenes Bild! Es wird so oder so darauf ankommen, wie der Slogan inhaltlich gefüllt wird. Wenn es daür einer Auseinandersetzung mit unterschiedlichen alt-griechischen Verben bedarf, so what?

Ein guter Satz