Reicht das? – Die #LaTdH vom 11. Februar
Der theologische Disput um die Ergebnisse der „ForuM-Studie“ ist entbrannt: Welche Reflexe gilt es zu vermeiden? Außerdem: Der Papst über den Israel-Gaza-Krieg, „KI“ und Taylor Swift.
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„Die Träger der freien Wohlfahrtspflege leisten eine wichtige Arbeit für diesen Staat“, erklärt der neue Präsident der Diakonie Deutschland im „Himmelklar“-Podcast von Domradio und katholisch.de. Schuch ist seit Anfang des Jahres Chef des Spitzenverbandes der Diakonie, dem die diakonischen Werke und tausende diakonische Einrichtungen ziemlich lose zugeordnet sind. Hauptaufgabe der Verbandsspitze ist die politische Vertretung der Diakonie und der Anliegen derer, für die sie sich einsetzt. Im Podcast geht es daher zunächst um Kritik an der Politik der Bundesregierung und die Bedeutung der Diakonie für das soziale Leben im Land. Schuch stellt unter Beweis, dass er als Neuling die gebotene Diplomatie bereits beherrscht, um zwischen den Polen Selbsterhalt und Anwaltschaft für die Schwachen zu agieren.
In der zweiten Hälfte des Gesprächs geht es dann um die „ForuM-Studie“ und ihre Auswirkungen auf die Diakonie. Wie inzwischen mehrfach bemerkt, ist in das Zahlenmaterial der Studie nur ein geringer Teil der bereits bekannten Missbrauchsfälle in der Diakonie eingegangen. Das gesamte Tatgeschehen seit Beginn der 1980er Jahren fehlt, ebenso viele Fälle, die in diakonischen Werken und Einrichtungen dokumentiert sind, aber auf bisher rätselhafte Weise nicht Teil der Studie wurden. Von einer tiefen Recherche nach bisher unbekannten Fällen kann sowieso keine Rede sein. Die Rede von der „Spitze der Spitze des Eisbergs“, die von den Forschenden für die Zahlen der Evangelischen Kirche gewählt wurde, muss für die Diakonie als noch viel zu positiv zurückgewiesen werden.
In dieser Woche erklärten die 20 evangelischen Landeskirchen, der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) und die Diakonie Deutschland als Spitzenverband sich offiziell zur „ForuM-Studie“. Vorausgegangen waren Beratungen in Rat und Kirchenkonferenz. Auch in der Diakonie rumort es: Betroffene, aber auch Mitarbeiter:innen in den Werken und Einrichtungen fragen sich, warum die Diakonie in der Studie so unterrepräsentiert ist. Lag es am Unwillen der Diakonischen Werke der Landeskirchen oder waren Forschende wie Diakonie-Zuliefer:innen überfordert?
Noch auf der Abschlusstagung in Hannover am Freitag, den 26. Januar 2024, meldete sich ein Diakonie-Mitarbeiter aus dem Publikum zu Wort. Er stünde mit mehr als einem Dutzend Betroffener aus seiner Einrichtung in Kontakt. Die Fälle seien auch im Archiv der Einrichtung, das bis weit vor den 2. Weltkrieg zurückreicht, gut dokumentiert. Warum, so seine Frage, habe man nach ihnen nicht gefragt?
Eine gute Woche wünscht
Philipp Greifenstein
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Debatte
Über „Glaube, Macht, Gewalt“ (€) sprechen bei Christoph Fleischmann und Michael Schrom von der Publik-Forum die Unabhängige Beauftragte für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs der Bundesregierung (UBSKM), Kerstin Claus, und der Historiker und katholische Theologe Thomas Großbölting, der an der „ForuM-Studie“ mitgewirkt hat. Im Gespräch wiederholt Großbölting seine Beobachtung, dass der Missbrauch in beiden Kirchen „ähnlich funktioniert“.
Die Pastoralmacht von Tätern und klerikalen Vertuschern sei „unabhängig von den theologischen Grundlegungen“ katholisch und evangelisch vorhanden. „Im Resultat“ des Missbrauchsgeschehens schlügen evangelisch-theologische Traditionen und Spezifika evangelischer Kirchlichkeit „gar nicht so durch“, erklärte er bereits bei der Vorstellung der Studie in Hannover (wir berichteten).
Das sitzt. Und das müssen vor allem diejenigen zur Kenntnis nehmen, die die Evangelische Kirche bisher mit Verweis auf die Katholische Kirche exkulpieren wollten. Das sind nicht wenige, auch wenn derlei vor allem nicht-öffentlich geäußert wurde / wird und sich sublimiert in den Bemühungen einzelner evangelischer Akteur:innen widerspiegelt, sich „stärker von der katholischen Kirche abzusetzen“. Eine solche Absetzbewegung ist ja nur deshalb angeraten (gewesen), weil die römisch-katholische Kirche in einem von der Missbrauchskrise induzierten Abwärtsstrudel gefangen ist. Im Übrigen: Natürlich ist der katholische Zölibat für Priester kein evangelischer Risikofaktor, was aber die Existenz spezifisch evangelischer Risikofaktoren gerade nicht ausschließt.
Was ist nun mit den „evangelischen Spezifika“?
Gleichwohl muss man fragen, ob es mit dem Großböltingschem „ähnlich“ denn getan sein kann. Ich glaube nicht. Vor allem müsste man – wie die „ForuM-Studie“ – gründlich zwischen Risikofaktoren, die eine Tatanbahnung und Grooming erleichtern, den Täterlegenden, die Missbrauchsverbrechen begleiten oder ihnen nachgängig sind, und den Rechtfertigungsversuchen von Bystandern und Institutionenvertreter:innen für ihr Nicht-Reagieren unterscheiden.
Sexualisierte Gewalt ist Machtmissbrauch. Diese Macht wächst evangelischen Pfarrern ebenso zu wie katholischen Priestern, wie auch Trainern in Sportfördergruppen, wie auch Lehrern und Eltern. Missbraucht wird „im Resultat“ überall. Die jeweils verschiedenen Begründungen dieser Macht sind aber nicht unwichtig, sondern müssen reflektiert werden, will man sexualisierte Gewalt in je spezifischen Kontexten verhindern. Auch die Gründe für eine ausbleibende Aufklärung unterscheiden sich je nach Tatkontext, wenngleich „im Resultat“ bisher in allen Tatkontexten das Verschweigen Vorrang genießt.
Es gibt also Anlass genug, zum Beispiel über die theologischen Hintergründe der evangelischen „Verantwortungsdiffusion“ oder auch der mangelnden Professionalität (Reiner Anselm, s. #LaTdH von letzter Woche) nachzudenken. Ich sehe hier als Laie durchaus Muster eines höchst selektiven evangelischen Klerikalismus, der im Grunde ein gespaltenes Verhältnis zur Macht ist: Die von Großbölting arg katholisch genannte „Pastoralmacht“ wird selbstverständlich ausgeübt, nicht nur von Pfarrern. Wenn es dann aber schief geht, begehrt man, nicht schuld daran zu sein.
Ist die protestantische Rechtfertigungslehre schuld am sexuellen Missbrauch in der evangelischen Kirche? – Johannes Fischer (profjohannesfischer.de)
Der Fokus der „ForuM-Studie“ liegt nicht auf theologischen, sondern auf den institutionellen, systemischen und kulturellen Gründen für den Missbrauch in der Evangelischen Kirche und seine mangelnde Aufklärung – und auf dem doppelten Leid der Betroffenen, die durch die Missachtung der Kirche noch einmal verletzt wurden und vielfach werden. Natürlich kann man berechtigter Weise darüber nachdenken, inwieweit Risikofaktoren für sexualisierte Gewalt und Motive der Aufarbeitungsverweigerung in theologischen Überzeugungen gründen. In der Studie selbst sind (mindestens) Hinweise auf den missbräuchlichen Einsatz einer Sündentheologie und auch eine Perversion der Entschuldigung von Tätern enthalten.
Muss man deswegen die für die reformatorische Tradition so zentrale Rechtfertigungslehre ad acta legen, wie es der Würzburger Theologieprofessor Klaas Huizing in einer Kolumne für die z(w)eitzeichen gefragt hat? Oder ist das übertrieben und die Protestant:innen sollten vielmehr gut darauf achten, welche Freiheitstradition sie damit aufgäben, wie ihm sehr scharf der ehem. Zürcher Ethikprofessor Johannes Fischer auf seinem Blog entgegnet?
Ich bin weder qualifiziert noch berufen, diese Entscheidung zu treffen. Sicher bin ich mir allerdings, dass es keine theologische Disputationen braucht, die erkennbar nicht durch eine tiefe Lektüre der „ForuM-Studie“ informiert sind. Das gilt gleichwohl auch für manche verkürzten Theologiekritiken von Forschenden und Beobachter:innen. Wenn Theologen anlässlich der „ForuM-Studie“ unter Ausschluss von Betroffenenperspektiven über ihre Lieblingstopoi streiten, ohne sich kritisch nach ihrer (auch persönlichen) Verantwortung in kirchlich-theologischen Systemen zu befragen, halten sie an einer exklusiven Deutungsmacht fest. Und die wird – anders als Luthers Römerbriefinterpretation – tatsächlich von der Studie angefragt.
Mitbrüder – Christian Bauer (christian-bauer.blog)
Der Münsteraner Professor für Pastoraltheologie Christian Bauer reagiert auf seinem Blog auf ein Interview des neuen Bamberger Erzbischofs Herwig Gössl vom Dezember. Gössl wurde im Dezember von Papst Franziskus berufen. Zu den zahlreichen bemerkenswerten Äußerungen von ihm und seinem Amtsbruder Udo Bentz, der zeitgleich auf den Erzbischofsstuhl von Paderborn berufen wurde (s. #LaTdH vom 17. Dezember), gehört für Bauer die Verwendung des Wortes „Mitbrüder“ für Männer im Priesterdienst (oder Bischofsamt).
Bauers kurzer Artikel ist eine präzise Kritik des „Habitus gewordenen Standesdenkens“ – nicht nur in der katholischen Kirche. Im Nachgang der „ForuM-Studie“ hört sich das in evangelischen Ohren vertraut an:
Sind wir vom Evangelium her denn nicht alle Schwestern und Brüder? Wozu dann diese abgrenzende Eingrenzung bzw. eingrenzende Abgrenzung? Und ich denke mir dann zugleich auch immer wieder: Entweder Brüder und Schwestern (und alles Geschlechtliche dazwischen) oder gar nichts – aber bitte nicht „Mitbrüder”. Dieser Begriff bringt ein tief eingeschliffenes, längst zum klerikalen Habitus gewordenes Standesdenken zum Ausdruck – eine sakralreligiös überhöhte Grundhaltung, in den man (auch sprachlich) bereits im Priesterseminar hineinsozialisiert wird und die einen Verrat am Evangelium von der fundamentalen Gleichheit aller Getauften (vgl. expl. Gal 3,28) darstellt.
In der Evangelischen Kirche ist ja „der liebe Bruder N.N.“ bzw. „die liebe Schwester N.N.“ noch als Anrede von Amtsgeschwistern im Pfarramt üblich. Ob die synodale Rosskur, die Bauer seiner römisch-katholischen Kirche empfiehlt, und die Inklusion von Frauen als „Schwestern“ allein genügen, könnte man angesichts evangelischer Realitäten allerdings bezweifeln.
Machtvolle Loyalitäten – Katharina Scholl (zeitzeichen)
In ihrer z(w)eitzeichen-Kolumne von Freitag geht Katharina Scholl, Studienleiterin am Evangelischen Studienseminar Hofgeismar, ihren eigenen „Reflexen“ als Theologin und Pfarrerin als Reaktion auf die „ForuM-Studie“ nach. Ihr ist da auf Facebook etwas passiert, das mir in diesen Tagen ständig begegnet: Die Befassung mit der „ForuM-Studie“ gerät zu einer selbstbezüglichen Nabelschau.
Betroffenenperspektiven werden zwar endlich zur Kenntnis genommen (und sogar digital geteilt), aber nicht selten werden sie dann doch vor allem als Stichworte für innerkirchliche und -theologische Debatten gebraucht, an denen Betroffene nicht beteiligt werden. Von denjenigen Betroffenen, die aus guten Gründen Abstand zur Institution halten, in der ihnen Gewalt angetan wurde, ist da noch überhaupt keine Rede. Scholl führt ihre „Reflexe“ jedenfalls auf eine hohe Loyalität mit der Kirche zurück:
Eine Loyalität, die viel unmittelbarer und kraftvoller ist als ich das zuvor geahnt hatte. Es ist eine Loyalität, die etwas unbedingtes und damit auch giftiges hat. Die Identifizierung mit meinem Beruf als Pfarrerin ist hoch und damit geht auch eine Identifizierung mit meiner Institution einher. Diese Identifizierung zeigt sich bei mir nicht selten im Modus der Kritik an organisationalen Strukturen und an kirchenleitendem Handeln. Das ist in gewissem Sinne typisch evangelisch.
Aber es ist auch keine ungefährliche Melange, denn unter dieser kritischen Haltung liegt eben diese grenzenlose Loyalität, die manches Mal bereit wäre für die Kirche das letzte Hemd zu geben. Es ist eben diese tiefe Loyalität, die an so vielen Stellen dazu geführt hat, dass Betroffene sexualisierter Gewalt nicht gehört wurden. Mich erschreckt, dass das offenbar nicht nur die übersteuerte Loyalität der anderen ist, sondern dass ich sie offenbar auch habe.
Ich fühle mich natürlich an die Rücktrittserklärung von Annette Kurschus im Herbst erinnert. Als sie als Präses der Evangelischen Kirche von Westfalen (EKvW) und EKD-Ratsvorsitzende zurücktrat, erklärte sie in einer kurzen Passage ihres Statements, sie lasse sich ihre Redlichkeit – die übrigens niemand öffentlich bestritten hatte – nicht absprechen: „Dafür habe ich viel eingesetzt.“ (Im Transkript auf der EKD-Website fehlt diese Passage, aber man kann sie hier sehen.) Evangelischer Institutionenschutz erscheint nicht selten im Gewand der Hochachtung vor einzelnen Akteur:innen, die samt ihres hohen Engagements vor Unbill in Schutz genommen werden müssen. Auch hier kehren sich Machtverhältnisse erstaunlich schnell um.
Scholl weist zu Recht auf das „typisch evangelische“ ihrer Loyalität zu Amt, Amtsgeschwistern und Institution hin: Man gibt sich nicht nur, sondern ist tatsächlich kritisch-loyal. Es gibt eine protestantische Tradition der Institutionen- und Machtkritik, die es nicht zu diskreditieren, sondern vielmehr zu stärken gilt. Zuvor bedarf es aber der Einsicht, dass diese Kritik allzu häufig dort Halt macht, wo die eigene Befindlichkeit und auch die eigene Behaglichkeit in Frage stehen. Das ist mit der Harmoniekultur gemeint, die Betroffene in der „ForuM-Studie“ kritisieren. Ordne dich ein, schließe die Reihen!
Das ist eine gefährliche Dynamik, gerade im Kontext einer Gesellschaft jenseits der Kirchenmauern, die kirchlichem Handeln zunehmend fremd gegenübersteht. Darauf weist Katharina Scholl ausdrücklich hin. Druck von „Außen“ verdichtet nach „Innen“. Vielleicht liegt darin der Grund dafür, dass sowohl innerkirchlich als auch politisch vor der Aufklärung zurückgeschreckt wird, die für eine richtige institutionelle Aufarbeitung überhaupt erst notwendig ist – und auch dafür, dass die Wohlfahrtsverbände besonders nachsichtig betrachtet werden.
Diakonie und Caritas genießen gesamtgesellschaftlich ein viel höheres Vertrauen als die Kirchen. Das wird nicht zuletzt von diakonischen Akteur:innen und Kirchenleuten immer wieder betont. Dieses Vertrauen beschützt man aber nicht, indem man die Wohlfahrtsverbände von Kritik ausnimmt, weil man befürchtet, eine gründliche Aufklärung würde dieses Vertrauen beschädigen.
nachgefasst
Wer Juden angreift, greift auch uns an! – Gregor Maria Hoff (Communio)
Einen Monat nach dem Pogrom vom 7. Oktober wandten sich jüdische Gelehrte mit einem offenen Brief an Papst Franziskus (s. hier). „Sie baten Franziskus um ein belastbares Zeichen seiner Loyalität mit Israel und dem Judentum – einschließlich einer unmissverständlichen Stellungnahme dazu, wer die Verantwortung für die barbarische Gewalteskalation trägt“, erklärt der katholische Salzburger Theologieprofessor Gregor Maria Hoff. Nun liegt die Antwort des Papstes auf dieses Schreiben vor (auf Englisch). Hoff ist vom Text enttäuscht, vor allem wegen der „semantischen Entschärfung des Hamas-Terrors“ durch Franziskus.
Es reicht nicht, allgemein Antisemitismus zu verurteilen, aber ihn ins globale Geflecht von „Spaltungen und Hass“ aufzurechnen. Es genügt nicht, Gewalt zu verurteilen, ohne die Akteursverantwortlichkeit zu bestimmen.
Das Schreiben reiht sich damit ein in eine inzwischen sehr lange Reihe von – oberflächlich betrachtet: unentschiedenen – Papst-Äußerungen, die in einer falschen Ausgewogenheit verharren. In der Eule hatten wir das zuletzt im Dezember 2023 im Podcast mit Regina Elsner bzgl. des Ukraine-Krieges besprochen.
Der Papst und die Muslime – Interview mit Felix Körner von Christoph Strack (Qantara.de)
Mit dem katholischen Islamexperten Felix Körner hat Christoph Strack von der Deutschen Welle für das Portal Qantara gesprochen. Qantara ist dem Dialog mit der muslimischen Welt verpflichtet, das Projekt der Deutschen Welle wird deshalb auch vom Auswärtigen Amt gefördert (noch und trotz Schwierigkeiten, s. #LaTdH vom 23. Oktober 2022). Fünf Jahre nach dem Abu Dhabi-Dokument “Über die Brüderlichkeit aller Menschen“ geht es um die Reisepläne des Papstes nach Indonesien, das Land mit der weltweit größten muslimischen Bevölkerung, und die Zukunft des christlich-muslimischen Dialogs.
Buntes
„Brauchen Abschied von der DDR-Kirche“ – Interview mit Tobias Bilz von Karin Wollschläger (KNA, Domradio)
Im Interview bei Karin Wollschläger von der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) spricht der sächsischen Landesbischof Tobias Bilz über die anstehenden Wahlen im Osten und die Notwendigkeit klarer Worte aus den Kirchen. Zunächst sind ja die katholischen Bischöfe im Osten mit einer eigenen Erklärung vorangegangen (s. #LaTdH vom 21. Januar). Ein vergleichbares – oder gar ökumenisches – Statement der evangelischen Leitenden Geistlichen der Kirchen in Ostdeutschland (Nordkirche, EKBO, EKM, EVLKS und Anhalt, ganz genau genommen auch EKKW) steht noch aus. Im Vergleich zum Eule-Sommerinterview vom letzten Jahr ist bei Bilz allerdings die rhetorische Deutlichkeit noch weiter gereift:
Ich staune darüber, wir medienwirksam wir auch hier in der Diaspora wahrgenommen werden, wenn wir Klartext sprechen. Das gemeinsame Wort der katholischen Bischöfe in Ostdeutschland zur AfD – was das für einen Hall macht! Sie haben es gewagt, etwas zu dieser Partei zu sagen und zu einer Frage, die die Menschen beschäftigt, klar Stellung bezogen.
Insofern würde ich sagen: Der Widerhall, den wir in der Gesellschaft mit unseren Wortmeldungen erzielen, hängt entscheidend von der Konkretisierung und Klarheit ab. Dreimal abgewogene Keine-Ahnung-Sätze und Floskeln sind immer langweilig. Ich sage zum Beispiel auf Rechtspopulisten hin: „Auf die Dauer kommt immer raus, was drin steckt.“ Das zeigt Wirkung. Da fangen die Leute an, drübernachzudenken.
KNA: Ist die AfD Ihrer Ansicht nach für Christen wählbar?
Bilz: Nein, ist sie nicht. Und ich denke, wir müssen als Kirche da auch neue Formate finden, darüber mit den Menschen ins Gespräch zukommen. Aber wir müssen uns hier als Kirche auch ganz klar und unzweifelhaft positionieren. Hier braucht es Bekenntnis.
Theologie
KI-Chatbot soll Studium jüdischer Schriften einfacher machen – Gregor Schmalzried (BR)
„Künstliche Intelligenz“ ist gegenwärtig der größte Hype in der Techbranche. Auch hierzulande haben sich Forschungsbetrieb, Technologieunternehmen und Publizistik weitgehend euphorisch auf den „KI-Boom“ eingelassen. Die Möglichkeiten und vor allem die Grenzen der tatsächlichen „KI“-Maschinen geraten leicht in den Hintergund, wenn ihnen menschliche oder gar göttliche Attribute zugeschrieben werden.
Einen weitaus praktischeren Anwendungsfall beschreibt Techjournalist Gregor Schmalzried (z.B. „cool genug“-Newsletter) für den Bayerischen Rundfunk: Das Studium jüdischer Schriften soll ins digitale Zeitalter hineintransformiert werden. Der virtuelle „Havruta“, benannt nach dem hebräischen Wort für einen Lernpartner, wurde im Januar in München vorgestellt.
Das Projekt ist eine Kooperation des TUM Venture Lab der TU München, der Münchner KI-Initiative appliedAI und Sefaria, einer gemeinnützigen digitalen Bibliothek für jüdische Texte. „Was ich bei diesen beiden Organisationen, bei appliedAI und beim TUM Venture Lab, vorgefunden habe, war eine Großzügigkeit des Geistes“, erklärt Lev Israel, Produktchef von Sefaria im Gespräch mit BR24. „Das ist nötig, um so etwas zu entwickeln, weil am Ende kein offensichtlicher finanzieller Gewinn herausspringt. Es geht wirklich nur darum, menschliches Wissen und menschliche Kultur zu fördern.“
Zehn Leitplanken für den Umgang mit Künstlicher Intelligenz im kirchlichen Kontext – Ralf Peter Reimann
Ralf Peter Reimann, Pfarrer und Internetbeauftragter der Evangelischen Kirche im Rheinland (EKiR), hat auf seinem Blog in guter Theologenmanier zehn Gebote Leitplanken für den Umgang mit „KI“ aufgeschrieben. Sie sind vorläufiges Ergebnis einer Beschäftigung mit der neuesten Generation von Large Language Models (LLM, gute Erklärung hier) und zeugen von einem gehörigen Optimismus, der in der Theologie die moralisch grundierte Skepsis gegenüber Technologie längst abgelöst hat. Dadurch wird man gleichwohl auch empfänglicher für Hypes.
KI kann menschliche Interaktionen in bestimmten Bereichen gut imitieren, aber nicht ersetzen. Das gilt insbesondere für persönliche Begegnungen wie beispielsweise in der Seelsorge. Die persönliche Verantwortung und Empathie, die in solchen Kontexten erforderlich sind, können von KI nicht vollständig geleistet werden. Oft mag KI auch aufgrund ihrer Aktionen nicht als Maschine erkennbar sein und den Turing-Test bestehen, doch das ersetzt nicht die Dimension authentischer zwischenmenschlicher Beziehungen und Begegnungen.
Angesichts dessen, dass LLM vor allem in der Kundeninteraktion zum Einsatz kommen (werden), weil man dort mit ihnen tatsächlich Geld verdienen kann, sollten wir diesen Aspekt gut in der Erinnerung abspeichern. Im Pflegebereich, durchaus auch bei Caritas und Diakonie, wird über den Einsatz von Robotern für Gespräche mit Klient:innen nachgedacht. Das ist erstaunlich, weil im Kontext des Professionalisierungsdiskurses genau diese zwischenmenschlichen, auch seelsorglichen Kontakte als Spezifikum guter diakonischer bzw. caritativer Pflege herausgestellt werden.
„Nihil Obstat“-Diskussionen
Auch die Debatte um das Nihil obstat in der katholischen Theologie hat in dieser Woche eine weitere Runde gedreht. Regina Elsner, die mit einem persönlichen Artikel bei feinschwarz.net die aktuelle Diskussion angestoßen hat (s. #LaTdH von vergangener Woche), war im Deutschlandfunk zum Thema zu Gast, katholisch.de fasst zusammen:
„Das ist eben ein Machtsystem, in dem sich alle drauf vorbereiten, jederzeit bestraft zu werden oder nicht das machen zu können, was man eigentlich gut kann, weil man der römischen Lehre nicht entspricht.“ In Deutschland gebe es durch die Konkordate die besondere Situation, dass Staat und Kirche auch auf der Ebene von Hochschulen kooperierten. Aus diesem Grund könne man hierzulande „starke Theologie“ an staatlichen Universitäten treiben. „Ich glaube aber, dass die Fakultäten selbst sehr viel souveräner mit ihrer Wissenschaftlichkeit umgehen könnten im Verhältnis mit der katholischen Kirche“, betonte die Wissenschaftlerin.
Ein guter Satz
„Desperate people find faith, so now I pray to Jesus too.“
– Taylor Swift, „Soon You’ll Get Better“ (YouTube), über die Rolle der Religion im Leben und Werk von Taylor Swift schreibt Renardo Schlegelmilch beim Domradio