Rücktrittbremse – Die #LaTdH vom 13. Juni

Sind mit dem auslösenden Rücktrittswunsch von Kardinal Marx auch die mit ihm verbundenen Träume für die Zukunft der Kirche Makulatur? Außerdem: Tiere am Rand und Auferstehungshoffnungen.

Herzlich Willkommen!

Als die #LaTdH am vergangenen Sonntag das Rücktrittsangebot von Kardinal Marx als „Schritt nach vorn“ würdigten, konnte keine:r ahnen, wie schnell eine Antwort aus Rom eintreffen würde. Manche voreiligen Einschätzungen in Kirche und Medien, welche Konsequenzen die „Resignation“ des Münchener Erzbischofs haben werde, sind nach nur einer Woche Makulatur.

Ähnlich könnte es nun auch den Auguren gehen, die aus der bildreichen Sprache des Papstbriefes, mit dem der Rücktritt des „Panzerkardinals“ abgelehnt wurde, eindeutige Richtungsanzeigen für Reformen der römisch-katholischen Kirche, eine klare Unterstützung für das je eigene „Lager“ oder gar Karrierechancen für Marx herauslesen wollen.

Eine spannende Lektüre und einen guten Start in die Woche wünscht
Ihr Thomas Wystrach


Debatte

Unter „Resignation“ wird im allgemeinen Sprachgebrauch „das Sichfügen in das unabänderlich Scheinende“, im Kirchenlatein aber auch der „freiwillige Amtsverzicht insbesondere von Bischöfen und Inhabern anderer hoher Ämter“ verstanden. In diesem doppelten Sinne war vielfach auch der Brief von Kardinal Marx vom 21. Mai verstanden worden, in der er die römisch-katholische Kirche nach der „Katastrophe des sexuellen Missbrauchs durch Amtsträger (…) an einem gewissen „toten Punkt'“ angekommen sah.

Ob sich seine „österliche Hoffnung“, dies könne „zu einem ‚Wendepunkt‘ werden“, mit der unerwarteten schnellen Reaktion des Papstes erfüllt hat, bleibt vorerst unklar.

Am 10. Juni veröffentlichte der Pressesaal des Heiligen Stuhls einen Brief von Franziskus an den „lieben Bruder“ – in der spanischen Muttersprache des Papstes und auf Deutsch. Eine erste Analyse von Philipp Greifenstein (@rockToamna) in der Eule hat bereits auf manche in Ton und Inhalt befremdliche Passagen hingewiesen.

Wohl nur durch ein völliges Ausblenden der Perspektive von Missbrauchsbetroffenen und eine fehlende Rezeption vielfältiger theologischer Auseinandersetzungen mit der Thematik sind päpstliche Formulierungen wie diese erklärbar:

Als Kirche müssen wir um die Gnade der Scham bitten, damit der Herr uns davor bewahrt, die schamlose Dirne aus Ezechiel 16 zu sein.

In einer ersten Reaktion hatte Marx die Entscheidung des Papstes als „große Herausforderung“ bezeichnet:

Danach einfach wieder zur Tagesordnung überzugehen, kann nicht der Weg für mich und auch nicht für das Erzbistum sein.

Der Sprecher der Betroffeneninitiative „Eckiger Tisch“ (@Eckiger Tisch), Matthias Katsch (@KaMaZhe), kritisierte die Entscheidung von Franziskus. Damit nehme der Papst dem Rücktrittsangebot des Münchner Erzbischofs die Wucht. Auch wenn man das Schreiben durchaus positiv deuten kann, sendet es schwierige Signale, findet auch die Missbrauchsbetroffene Johanna Beck (@MmeSurvivante).

„Mach weiter!“ – Philipp Gessler (zeitzeichen)

Mit dem spektakulären Schritt seines Rücktrittsangebotes habe Marx die römisch-katholische Kirche hierzulande zum Beben gebracht. Ebenso überraschend sei nun die höchst unübliche Nichtannahme dieser Demissionsbitte durch den Papst. In zeitzeichen (@zeitzeichenNET) erklärt Philipp Gessler (@PhilippGessler), wie das alles zu verstehen ist und was dahinterstecken könnte:

Die Weigerung von Papst Franziskus, das Marx’sche Rücktrittsgesuch anzunehmen, ist aber auch in anderer Hinsicht bezeichnend – denn es zeigt eine vielfache Not, in der sich Franziskus, die hiesige katholische Kirche, ja die Weltkirche insgesamt befindet. Zum einen wird deutlich, dass der Papst den reformwilligen und durchsetzungsstarken Marx braucht, und zwar sowohl für die katholische Kirche in Deutschland wie für die römische Weltkirche insgesamt.

Franziskus hat ganz offensichtlich in seinem Reformprogramm, das in den vergangenen Jahren so schwach geworden war, nur noch wenige Getreue, auf die er sich verlassen kann. Marx gehört sicherlich dazu, er hat sich der fast vergessenen Sache des Papstes aus Argentinien verschrieben, mit Haut und Haaren. Scheitert der Papst, scheitert auch Marx – und vielleicht gilt das sogar ein wenig vice versa.

Der tote Punkt – Christian Wolff (wolff-christian.de)

Noch vor Veröffentlichung des Papst-Briefes hatte Christian Wolff (@Chriwo49) in seinem Blog Zweifel daran angemeldet, ob sich der angebotene Rücktritt als Befreiungsschlag für die römisch-katholische Kirche in Deutschland erweisen werde:

Wenn nun ein Papst allein darüber entscheiden soll, ob ein Bischof in München zurücktreten darf, dann bleibt der Vorgang in den autoritären Gehorsams- und Machtstrukturen gefangen, die er eigentlich aufbrechen will. Solange also die katholische Kirche nicht endlich eine strukturelle Reformation nachholt, damit zu den Quellen des Evangeliums zurückkehrt und darüber hinaus die Gehorsamsstrukturen verlässt, die leider auch in vielen lutherischen Kirchen immer noch wirksam sind, wird sich nichts ändern.

„Sie sind herzlich willkommen“ – Reinhard Mawick (zeitzeichen)

Auch für Reinhard Mawick (@MawickReinhard) lenkt die Causa Marx den Blick auf die quasi-absolutistische Funktionsstruktur der römischen Kirche. Warum kann und darf es so etwas heute noch geben? Bleibt aus protestantischer Warte vorerst nur die Möglichkeit, von der Seitenlinie solidarisch mitzuleiden?

Nein, auch klare Worte seien angebracht, meint der zeitzeichen-Chefredakteur und macht auf einen in der breiteren Öffentlichkeit weitgehend unbeachteten Auftritt der evangelischen Bischöfin Beate Hofmann bei einer Priesterweihe in Fulda am 22. Mai aufmerksam, bei der sie in ihrem Grußwort unter anderem sagte:

Gerne hätte ich nicht nur mitgefeiert, sondern auch mitgesegnet und -kommuniziert, denn wie Sie bin ich ordiniert zum Dienst an Wort und Sakrament und habe einen langen geistlichen Weg in dieses Amt hinter mir. Theologische Differenzen über die Lehre von Amt und Kirche verhindern das – noch. Theologische Interpretationen und Traditionen verhindern auch, dass heute hier neben zwei Männern auch Frauen zum priesterlichen Dienst geweiht werden.

Ich verfolge die Diskussionen und Auseinandersetzungen in ihrer Kirche mit großer Anteilnahme, und ich gestehe: Ich bin parteiisch. Vielleicht werden wir noch zu Ihrer Amts- und Lebenszeit erleben, dass auch Frauen ihre Gaben in allen Ämtern und Diensten Ihrer Kirche einbringen können. Aus der Erfahrung meiner Kirche kann ich sagen: Das wird ein Gewinn sein.

Die katholische Kirche und der Papst sind immer für eine Überraschung gut – Ulrike Bieritz (radioeins)

In der vergangenen Woche hatte sich Ulrike Bieritz in ihrem Samstagskommentar in @radioeins dem Rücktrittsgesuch von Kardinal Marx gewidmet. „Geht da der Falsche?“ war die Frage – die Thomas Sternberg (@th_sternberg), scheidender Präsident des ZdK (@zdkonline) längst mit „Ja“ beantwortet hatte. Und jetzt? Geht Marx gar nicht.

Ist das jetzt eine gute Nachricht – für Reformen in der Kirche und für die Aufarbeitung der Missbrauchsfälle? Bieritz spricht von einer „ziemlich heiklen Angelegenheit für Marx“: einerseits sei die Ablehnung des Rücktritts ein „päpstlicher Ritterschlag“, andererseits wisse niemand, was genau in dem für den Sommer erwarteten Gutachten zum Umgang mit Missbrauch im Erzbistum München und Freising stehen werde.

„Am Ende geht es um die eigene Glaubwürdigkeit“ – Interview mit Margot Käßmann (DLF)

Das Schwierigste bei Rücktritten sei es, einen Fehler schonungslos zuzugeben, so die frühere EKD-Ratspräsidentin Margot Käßmann. Mit Blick auf das Rücktrittsgesuch von Kardinal Marx sagte sie im Deutschlandfunk (@DLF), wenn in der Kirche etwas passiere, müsse dafür Verantwortung übernommen werden, auch stellvertretend.

Auch in der DLF-Sendung „Wortwechsel“ ging es um den „Strudel der Skandale“, in den die Kirchen geraten sind. Neben Margot Käßmann und Johannes-Wilhelm Rörig (@ubskm_de), dem unabhängigen Beauftragten der Bundesregierung für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs (UBSKM), kamen auch Christiane Florin (@christianeflori), Redakteurin für Religion und Gesellschaft im Deutschlandfunk, und Matthias Kopp, Pressesprecher der Deutschen Bischofskonferenz (@dbk_online) zu Wort.

Nachdem Florin davor warnte, das Positive, was in den christlichen Kirchen getan werde, mit dem Schrecklichen, was an Missbrauch passiert sei, zu „verrechnen“, gab Kopp unverhohlen einen (ab Minute 43:20 zu hörenden) Hinweis darauf, was die römisch-katholische Kirche offenbar bis heute unter „Rundfunk- und Pressefreiheit“ versteht:

Deshalb freuen Sie sich ja, Frau Flori​n, dass die Kirche​n auch bei Ihnen aktiv im Rundfunkrat sitzen, da werden wir auch weiterhin drinsitzen bleiben.

„Kommunikationskontrolle als Heilsdienst“ – so hat der Bonner Kirchenrechtler Norbert Lüdecke die dahinter stehende Mentalität treffend analysiert und „ekklesio-logisch“ eingeordnet.

Tote Punkte – Werner Kleine (Dei Verbum)

Im Bibel-Blog „Dei Verbum“ (@Verbum_Dei) macht Werner Kleine (@WernerKleine) neutestamentliche Einwürfe zu einem ambivalenten Phänomen. Der Wuppertaler Theologe warnt vor einer oberflächlichen, von der christlichen Auferstehungshoffnung abgeleiteten Spiritualisierung und Verbrämung toter Punkte:

Vielleicht sind solche kalenderspruchartigen Reminiszenzen einer österlichen Hoffnung, die dem Tod mit seinen Schrecken den Stachel nehmen möchte, bevor man ihn erleiden muss, dann doch letztlich etwas seicht, zeigt sich doch bei näherer Betrachtung, dass nicht nur aus biblischen, sondern sogar aus mathematischen Gründen tote Punkte höchst ambivalent sind. (…)

„Toter Punkt“: Die Angst vorm Sterben der Kirche – Benedikt Heider (Die Eule)

Auch der tschechische Theologe Tomáš Halík weist seit längerem – zuletzt in seinem aktuellen Buch „Die Zeit der leeren Kirchen“ – darauf hin, dass die bisherige Form des kirchlichen Christentums sterben müsse, wenn eine „Auferstehung“ in verwandelter Gestalt möglich werden soll. Es sei Zeit „für eine tiefe Transformation der Religion und die Zeit für die Reform der Kirche“.

Dass ausgerechnet Halik zusammen mit seinem Kollegen Paul Zulehner (@PaulMZulehneraus Österreich in einer „Öffentlichen Bitte“ den Papst um Nicht-Annahme des Rücktritts bzw. Kardinal Marx um Zurückziehen seines Rücktrittsgesuchs gebeten hat, zeigt für Benedikt Heider (@_DerHeidi_), dass theologische Gedanken schnell an eine gläserne Decke stoßen:

Der Theologe, der die Botschaft von der resurrectio continua stark macht, agiert gegen den Kairos, der die Praktikabilität seiner theologischen Rede hätte erweisen können.

Mit Blick auf die Nichtannahme des Rücktritts in brüderlicher Zuneigung, die der Papst Kardinal Marx am 10.06.21 übermittelte, zeigt sich, welch systemsprengendes Potential die von Halík formulierte und im deutschen Episkopat rezipierte Idee der resurrectio continua im Gegensatz zu konventionell-lebenserhaltenden Maßnahmen der „Kirchenreform“ hat.

Nach einem kurzen Beben – das auch manch ein Bibelredaktor in seine Version der Ostergeschichte eingefügt hat – gilt wohl aber weiter: Was nicht sein darf, kann nicht sein – auch wenn es noch so sehr einem proprium des christlichen Glaubens entspräche: der Hoffnung auf Auferstehung.

nachgefasst

„Wir müssen lernen, die unauflösbaren Wider­sprüche auszuhalten“ – Interview mit Oliver Hidalgo, Carolin Hillenbrand, Alexander Yendell (ifa)

„Die Rolle von religiösen Akteuren in der Covid-19-Pandemie“ steht im Zentrum einer Studie des ifa-Forschungsprogramms „Kultur und Außenpolitik“ (@ifaCultExtern). In einem Interview sprechen die Autor:innen Oliver Hidalgo (@olihidalgo), Carolin Hillenbrand (@CarolinHillenb1) und Alexander Yendell (@AlexYendell) über Religion, Verschwörungsideologien und ihren Aufschwung in Krisenzeiten:

Religionsgemeinschaften sind Betroffene, aber auch zentrale Akteure der Krise. Religionsgemeinschaften können dazu beitragen, das Leid für die Opfer zu lindern und sie können die Pandemie eindämmen, indem sie für das Virus sensibilisieren. Sie können die Krise aber auch verschärfen, wenn physische Gottesdienste zum Superspreading-Ereignis werden oder Konflikte durch die Verbreitung von religiös konnotierten Verschwörungstheorien entstehen.

Einige behaupten, Religionsgemeinschaften seien die großen Verlierer der Pandemie, weil sich das, was sie normalerweise in Gesellschaften übernehmen – den Menschen Halt und Orientierung zu geben –, auf die Wissenschaft verlagert. Aus unserer Sicht ist das eine eher oberflächliche, eurozentrische Sichtweise.

Buntes

Unser „dritter Tag“ – Jonas Mieves (Christ in der Gegenwart)

Immer wenn ein Zeitzeuge des Holocaust stirbt, macht das klar: Es liegt an uns, der Schrecken weiter zu gedenken. Dass aus Erinnerung Hoffnung werden kann, wissen gerade Juden und Christen. In „Christ in der Gegenwart“ (@ChristGegenwart) erinnert Jonas Mieves (@JonasMieves) an David Dushman, den letzten lebenden Befreier des KZ Auschwitz, der am 4. Juni in München verstarb.

Weltkonzern mit gigantischen Umsätzen scheitert an sich selbst – Michael Herl (Frankfurter Rundschau)

Eklatante Managementfehler, Fortpflanzungsverbot, Vertuschung innerbetrieblicher Vergewaltigungen und pathologische Beratungsresistenz: Die römisch-katholische Kirche kracht zusammen. Autor und Theatermacher Michael Herl sieht in seiner launigen Kolumne in der Frankfurter Rundschau (@fr) aber noch ein „gewaltiges Potential“:

Anders als beispielsweise bei der DDR gilt es nun, eine Vielzahl moderner und profitabler Unternehmen zu übernehmen, einen riesigen Stamm bestens ausgebildeter Mitarbeiter und – zumindest in den unteren Ebenen – Mitarbeiterinnen. Außerdem neben einem immensen Bestand an Immobilien in 1A-Lagen das begehrteste Gut der modernen Wirtschaft, einen gigantischen, klar definierten Kundenstamm.

Es ist die einmalige Chance zur Gründung eines mustergültigen globalen Wohlfahrtssystems. Man muss das Ganze aber in staatlicher Hand belassen und außerdem sich nur auf den weltlichen Teil des Imperiums beschränken. Wer meint, kann schließlich auch ohne Kirche beten – oder sich den Evangelen zuwenden. Obwohl deren Tage auch gezählt sind.

Theologie

Leiden Tiere unter dem Christentum? – Christian Röther (DLF)

Tag für Tag werden in Deutschland rund zwei Millionen Landtiere getötet. Dass die meisten Menschen das nicht in Frage stellen, hat für die Theologin Simone Horstmann auch religiöse Gründe: Das Christentum habe Tiere für weitgehend bedeutungslos erklärt. Die christliche Theologie begünstige eine „nihilistische Gewalt“ an Tieren:

Damit meine ich, dass unsere Gesellschaft insofern noch vielfach – auch da, wo sie das gar nicht will vielleicht – theologisch und religiös geprägt ist. Nämlich in der Hinsicht, dass sie davon überzeugt ist: Es ist im Grunde eine Selbstverständlichkeit, dass wir Tiere töten. Und da geht eigentlich auch nichts Wirkliches bei verloren. (…)

Die Theologie hat im Grunde bis heute kaum eine Sprache und kaum ein Verständnis dafür entwickeln können, was es eigentlich bedeutet, dass ein Tier stirbt.

Bereits anlässlich des „World Wildlife Day“ im März 2021 hatte Simone Horstmann unter dem Titel „Herrenlosigkeiten“ im Theologischen Feuilleton  feinschwarz.net (@feinschwarz_net) ihre Überlegungen zum Kolonialherrenstyle theologischer Tierethik vorgestellt.

Ein guter Satz