Schutzraum werden – Die #LaTdH vom 18. Februar
Wie erfolgreich sind die Proteste gegen die AfD und welche Rolle kann die Kirche spielen? Außerdem: Aufmerksamkeit für sexualisierte Gewalt und Aschekreuze.
Herzlich Willkommen!
Wenn ich mich an den Schreibtisch setze, um die #LaTdH für Sonntag zu schreiben, steht mir als wichtigste Frage vor Augen: Was war das Thema der Woche, ohne das ein Newsletter über Kirche(n) und Religionspolitik nicht auskommt? Die #LaTdH werden also im erheblichen Ausmaß (und trotz aller persönlichen Schwerpunktsetzungen) vom Nachrichtenkalender diktiert. Aber manchmal ist es doch ganz praktisch, stattdessen auf den Kirchenkalender ausweichen zu können: Statt kurzfristiger Nachrichtenzyklen überspannt der nämlich das ganze Leben.
Am Mittwoch dieser Woche zum Beispiel haben viele Christ:innen katholischer, anglikanischer und anderer Kirchen Aschermittwoch begangen. Mit dem Aschermittwoch beginnt die vorösterliche Fastenzeit, die Passionszeit. Der Aschermittwoch erinnert an die Sterblichkeit des Menschen und korrespondiert daher mit dem österlichen Schlussakkord in sieben Wochen: „Ich bin die Auferstehung und das Leben. Wer an mich glaubt, der wird leben, ob er gleich stürbe.“ (Johannes 11, 25).
Das zentrale Ritual der Gottesdienste zu Aschermittwoch ist die Spendung des Aschekreuzes. Ein Brauch, der in unserer digitalisierten Gesellschaft alle Konfessionsgrenzen überwunden hat. „Bedenke Mensch, dass du Staub bist und zum Staub zurückkehrst“, spricht der Spender (röm.-kath., seltener: die Spender:in) dem Menschen zu, den er:sie mit dem Aschekreuz auf der Stirn zeichnet. Schöpfung und Ende des Menschen sind in diesem Satz zusammengebunden. In diesem Jahr fiel Aschermittwoch außerdem auf den katholischen und zivilreligiösen Valentinstag. Mehr dazu unter „Predigt“.
Die Nachrichtenzirkel drehen sich beständig weiter: Manches gerät zu schnell in Vergessenheit, während anderes unsere Aufmerksamkeit über Gebühr beständig in Beschlag nimmt. Nach welchem Maß sollen wir messen, was wirklich wichtig ist? Vielleicht werden Antworten auf diese Frage möglich, wenn wir beide Kalender übereinanderlegen.
Eine gute Woche wünscht
Philipp Greifenstein
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Debatte
Ein Sonnabend in Deutschland: In Magdeburg demonstrieren ca. 5.000 Menschen gegen Rechtsextremismus, unter und bei ihnen: Der Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt, Reiner Haseloff (CDU), und die Bischöfe Gerhard Feige (Bistum Magdeburg) und Friedrich Kramer (Evangelische Kirche in Mitteldeutschland). Die Evangelische Jugend demonstriert mit und stellt die musikalische Untermalung der Demo. Und die Bischöfe werden deutlich. Friedrich Kramer:
„Rassismus, Judenhass, Nationalismus, Hass und Hetze sind mit christlichem Glauben unvereinbar.“
Und Gerhard Feige (laut MDR):
„Fallen wir nicht auf Lügen, die Verkehrung von Tatsachen und das ‚Gift der einfachen Lösungen‘ rein! (…) Setzen wir uns noch entschlossener für ein tolerantes und friedliches Miteinander ein – mit Herz und Verstand!“
So kann das gehen. An vielen weiteren Orten noch und vor allem in kleineren Städten im Osten wird in diesen Tagen weiter gegen die AfD und für die Demokratie demonstriert. Gleichzeitig bewegt die Medien vor allem die Frage, ob aus den (spontanen) Protesten eine neue Demokratie-Bewegung wird, ob die Demos wirklich etwas gegen die AfD bewirken.
Ein Mobilisierungsproblem (allzumal im bunten Westen) ist sicher, dass es schon eine bunte Ansammlung von Leuten ist, die da gegen die AfD und rechtsradikale Ausweisungspläne auf die Straße gehen. Wo ist das gemeinsame positiv formulierte Anliegen? Oder reicht es einfach, gegen die AfD zu sein? Wie verlässlich ist das Commitment zu demokratischen Idealen, wenn wir doch zugleich sehen, dass die Bundesregierung im Konzert mit den Ländern (also die ganz, ganz große Koalition von SPD-CDU-Grünen-FDP) mit dem „Rückführungsverbesserungsgesetz“ Fakten schafft? Und der Union gehen die Pläne noch nicht einmal weit genug, die von Kirchen und Jurist:innen kritisiert werden, wie Paul-Philipp Braun aufgezeichnet hat.
Protestbewegung „nur ein Bündnis auf Zeit“ – Annika Heffter (ZDF heute)
Bei ZDF heute ordnet der Soziologe und Protestforscher Stephan Poppe von der Universität Leipzig die aktuellen Demos als „ein Bündnis auf Zeit“ ein. Christ:innen, die um die Vergänglichkeit allen Seins wissen, sollte das nicht schocken. Als Erfolgsmarker einer erfolgreichen Bewegung benennt Poppe: Große Teilnehmer:innenzahlen (aber auch wieder nicht …), Durchhaltewillen, klare Zielsetzungen und Professionalisierung. Wenn die letzten drei Bedingungen erfüllt sind, käme man auch mit weniger Teilnehmer:innen aus, weil …
Ein weiterer Erfolgsfaktor sei das Anliegen selbst, sagt der Soziologe. „Wie legitim ist das, was vorgetragen wird?“ Um diese Legitimität auszustrahlen, müsse die Bewegung sich zumindest in großen Teilen auf einer Linie mit dem bewegen, „was ein großer Teil der Gesellschaft auch will“, sagt Poppe. Je größer die Legitimität, desto eher reiche auch eine kleinere Teilnehmerzahl, um Erfolg zu haben.
Eine mutige und nur leicht widersinnige Diagnose. Erweist sich die Legitimität einer Forderung dadurch, dass sie mobilisiert, oder ist ihre Legitimität gar so evident, dass man für sie nicht mal mehr auf die Straße muss? Anyway, an Professionalisierung mangelt es dank der zahlreichen Helfer:innen aus bestehenden Bündnissen und Demokratie-Vereinen, von SPD, Grünen und LINKEN, Gewerkschaften sowie Fridays for Future nicht. Mangelnden Durchhaltewillen kann man Aktivist:innen aus dem Osten sowieso nicht vorwerfen. Warum sollte es also schiefgehen?
Poppe sieht „ein ganz breites Spektrum an Wertevorstellungen, die nicht zusammenpassen“ bei den Protestierenden und begründet so seine Erwartung eines baldigen Endes der Proteste. Gleichzeitig weist er auf einige Erfolge hin, die von den Demos schon erreicht wurden: AfD-Politiker:innen hätten ihre Strategie anpassen müssen. Ich füge noch hinzu: Es ist gelungen, der AfD ihren Platz auf dem Fahrersitz der politischen Debatten streitig zu machen. Dahin sollte man sie nicht vermittels einer Meta-Diskussion über Sinn und Unsinn von Protestformen zurück einladen.
Auch an einer klaren Zielvorstellung mangelt es den Demonstrant:innen – zumindest im Osten! – nicht. Die Proteste sind Teil der demokratischen Mobilisierung vor den Kommunal- und Landtagswahlen. Und hier braucht es auch weiterhin die Unterstützung durch die Gut- und Mutwilligen im Westen, auch wenn die AfD vor ihrer Haustür nicht kurz vor dem Regierungseintritt steht. „Rassismus, Judenhass, Nationalismus, Hass und Hetze“ sind in Hanau und Aschaffenburg nicht mehr mit dem christlichen Glauben vereinbar als in Stendal, Gera und Riesa.
Kirche kann demokratischer Schutzraum in Gesellschaft sein – Interview von Renardo Schlegelmilch („Himmelklar“-Podcast, katholisch.de, Domradio, 30 Minuten)
In dieser Woche war ich bei Renardo Schlegelmilch im „Himmelklar“-Podcast von katholisch.de und Domradio zu Gast, um über die AfD und das kirchliche Engagement gegen Rechts sowie die Lage im Osten und in Thüringen zu sprechen. Den Podcast gibt’s u.a. hier. Bei katholisch.de gibt es einen Ausschnitt des Gesprächs auch in Textform:
Welche Rolle spielt die Kirche in diesem Gemenge? Wir hören von kirchlichen Stimmen seit Jahren schon, dass die Christen „klare Kante“ zeigen müssen. Bereits beim Katholikentag 2016 in Leipzig gab es eine große Diskussion, ob Vertreter der AfD eingeladen werden oder nicht. Anscheinend hat diese „klare Kante“ seitdem ja nicht viel gebracht, wenn wir uns die Umfrageergebnisse im Jahr 2024 anschauen.
Greifenstein: Ich würde nicht behaupten, dass es gar nichts gebracht hat. Es ist enorm wichtig, gerade hier in Ostdeutschland und besonders im ländlichen Raum, der nach wie vor demokratischen Mehrheit den Spiegel vorzuhalten und zu sagen: Wir sehen euch, wir verstärken euch. Wir stehen auch an eurer Seite. In der Öffentlichkeit und offensiv politisch aufzutreten liegt – je nach Region – nicht in der Mentalität vieler Ostdeutscher. Manche haben nie gelernt, dass das wichtig ist. Die gesellschaftlich aktiven Bürgerinnen und Bürger sind häufig aus dem ländlichen Raum abgewandert in die Großstädte oder nach Westdeutschland.
Dass sich die Kirchen, wie in den letzten Tagen und Wochen evangelische und katholische Kirchenvertreter, ganz deutlich positionieren, ist enorm wichtig, weil es die Leute in der Fläche stärkt. Damit sollte man aber nicht unbedingt die Hoffnung verbinden, dass man die sehr Überzeugten wieder zurückgewinnt. Es geht vielmehr darum, deutlich zu machen, dass es in der Gesellschaft einen demokratischen Schutzraum braucht. Die Kirche kann so ein Schutzraum sein.
Ein Schutzraum gegen Rassismus, Judenhass und Nationalismus, Hass und Hetze zu sein heißt: Den Opfern rechter Politik (nicht erst rechtsextremer Gewaltphantasien) Raum zu geben, mit ihnen ins Gespräch einzutreten, ihre Stimmen im gesellschaftlichen Diskurs zu verstärken. Das können auch Kirchen, die nicht (mehr) in der Mehrheit sind, sondern als wertebasierte Partikularinstitutionen in der Gesellschaft wirken.
Christliche Kirchen können niemals „neutraler Boden“ sein, auf dem verschiedene politische Akteur:innen um Deutungshoheit ringen. Das Evangelium ist nicht neutral und so kann auch eine Kirche Jesu Christi nicht neutral sein. Es sei denn, sie gibt den Anspruch des Evangeliums preis, weil sie unbedingt „dem gesellschaftlichen Zusammenhalt“ als Steigbügelhalterin für rechtsradikale Akteure dienen will. Zur Wahrheit gehört: Wo in einem Drittel der Gesellschaft rechtsextreme Einstellungen fest verankert sind, kann und wird die Kirche es nicht allen Recht machen können. So what?
Kann Kirche Demokratie schützen? – Benedikt Heider (katholisch.de)
Knackig und auf den Punkt bringt das katholische Dilemma mit der Demokratie Benedikt Heider, Volontär bei katholisch.de, in seinem „Standpunk“ von Donnerstag dieser Woche. Solange die römisch-katholische Kirche „sich in der Situation befindet, nach außen etwas zu fordern, was sie innen nicht umsetzt, hat sie ein Glaubwürdigkeitsproblem“. Hoffnung auf „angemessenen Respekt und Anerkennung im gesellschaftlichen Diskurs“ könne sie sich nur machen, wenn sie „diese strukturellen Probleme diskursiv, theologisch und rechtlich“ überwunden habe.
Ganz so hart wöllte ich mit den katholischen Christ:innen nicht ins Gericht gehen, die sich dieser Tage auf den Straßen für die Demokratie einsetzen. Doch wird man nicht umhin kommen, eben hierarchisch zwischen Bischöfen, Priestern und Lai:innen zu unterscheiden.
Das wichtige und richtige Bekenntnis der katholischen Kirche zur Demokratie hat letztlich doch noch immer einen faden Beigeschmack, denn es entlarvt das demokratische Defizit der Institution. Kleriker müssen sich in einem freiheitlich-demokratischen Umfeld fragen lassen, wie sie es in ihrem Zuständigkeitsbereich mit Partizipation und Entscheidungsfindung halten. Die ehrliche Antwort des kirchlichen Leitungspersonals wird – allein schon aus kirchenrechtlichen Gründen – für Demokraten ernüchternd sein.
Heider zitiert die Kritik von Armin Laschet (CDU), „die Kirche sei zu sehr mit sich selbst beschäftigt und lasse die Gesellschaft allein“. Der Einsatz der Kirche(n) für die Gesellschaft aber erschöpft sich ja nicht in Demos und öffentlichen Stellungnahmen. Man könnte zum Beispiel auch auf die Katholische Journalistenschule ifp hinweisen, an der Heider und einige andere junge Journalist:innen lernen. Zumindest die katholische Kirche nimmt auf diesem Weg noch Teil an der Zukunft des Journalismus und damit der Bewahrung der Demokratie. An der Katholischen Journalistenschule werden auch die zwei bzw. bald vier Volontäre des Gemeinschaftswerks der Evangelischen Publizistik (GEP) ausgebildet.
Und die Konservativen?
Der Erfolg der gegenwärtigen Anti-AfD-Proteste zeigt sich in meinen Augen auch darin, dass sie nicht in einer der üblichen Konservatismus-Debatten versanden. Zwar wird gelegentlich darüber gestritten, ob es nun gegen „Rechts“ oder „Rechtsradikalismus“ gehen müsste und Konservative versuchen sich – warum auch immer?! – an einer Ehrenrettung rechter, aber bitte nicht -extremer oder -radikaler Politik, aber im großen Ganzen geht es diesmal eben nicht um die Befindlichkeit von nach Orientierung suchenden Traditionsconnoisseuren.
Praktischerweise ist die Antwort auf die Frage „Was ist heute gut konservativ?“ und die auf die Frage nach der gemeinsamen, klaren Zielsetzung der Proteste zumindest für Christ:innen identisch: „Nächstenliebe verlangt Klarheit. Kirche gegen Rassismus.“ Wahrhaftigkeit, Sachorientierung, Nächstenliebe, Nachbarschaftlichkeit – das sind nicht einfach diffuse „Ziele und Wünsche“ (Poppe), das sind Grundwerte oder in CDU-Sprech: Das ist das Wertefundament. Wer da nicht mitziehen will, den wird man am Straßenrand zurücklassen müssen.
nachgefasst I: Nie wieder?
„Grabe, wo Du stehst!“ – Interview mit Marion Gardei (Die Eule)
Mit Marion Gardei, der Beauftragten für Erinnerungskultur und gegen Antisemitismus der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz (EKBO), habe ich über die neue Wanderausstellung „Von christlicher Judenfeindschaft“ gesprochen und über die kirchliche Einnerungskultur allgemein: Ist das alles nur „Gedächtnistheater“? Gardei ist sich sicher:
„Wir sehen im erstarkenden Antisemitismus immer wieder, dass die Muster auch des rassistischen Antisemitismus noch lange nicht getilgt sind. Die waren in einer Art Winterschlaf und blühen gerade wieder auf. Nebenbei bemerkt: Einige Muster der christlichen Judenfeindschaft tauchen auch im muslimischen und israelbezogenem Judenhass wieder auf. Das aufzudecken, ist aber nicht vordringlich Aufgabe der Kirche. Wir müssen vor unserer eigenen Tür anfangen.“
Synagoga und Ecclesia – Katharina von Kellenbach, Karoline Ritter (Bildstörungen, Evangelische Akademie zu Berlin)
Im Interview mit Marion Gardei geht es auch um die antijüdische Darstellung des Gegeneinanders von Kirche und Judentum in den Figuren von Synagoga und Ecclesia. Diesen Teil des antisemitischen Bildprogramms besprechen in einer Episode des „Bilstörungen“-Podcasts der Evangelischen Akademie zu Berlin vom Mai 2023 auch Katharina von Kellenbach und Karoline Ritter. Hörenswert!
An dieser Stelle gerne noch einmal ein Hinweis auf die beiden Eule-Artikel aus dem Januar 2024, die sich mit christlichem Antisemitismus befassen: Friederike Henjes beschreibt ihn als christliche Tradition in Krisenzeiten und Oliver Arnhold geht der Wirkungsgeschichte des Eisenacher sog. „Entjudungsinstituts“ in Theologie und Kirche nach.
nachgefasst II: Sexualisierte Gewalt
Prävention von sexualisierter Gewalt: Neuauflage der Handreichung (Deutsche Bischofskonferenz)
Die Kommission für Erziehung und Schule der römisch-katholischen Deutschen Bischofskonferenz (DBK) hat ihre Handreichung „Prävention von sexualisierter Gewalt an Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen“ überarbeitet neu herausgegeben (PDF-Download). Die Handreichung soll katholische Schulen, schulischen Ganztagsangebote und Internate bei der Erstellung von Schutzkonzepten beraten. Der Kommissionsvorsitzende, Bischof Heinrich Timmerevers (Dresden-Meißen), betonte gegenüber der KNA …
[…] dass sexualisierte Gewalt im scharfen Gegensatz zum Auftrag der Kirche stehe, junge Menschen bei der Entwicklung und Entfaltung ihrer Persönlichkeit zu unterstützen. „Eine systematische Prävention von sexualisierter Gewalt gehört daher zum Profil und zu den Qualitätsmerkmalen von katholischen Schulen, schulischen Ganztagsangeboten und Internaten. Diese katholischen Bildungseinrichtungen sollen gestärkt werden und müssen Schutz- und Kompetenzorte für Kinder und Jugendliche sein.“
An Schulen in Deutschland gibt es gegenwärtig noch keine bundesweite Verpflichtung zu Schutzkonzepten vor sexualisierter Gewalt. Nachdem die Länder eine vergleichbare Verpflichtung in den Kindertagesstätten umgesetzt haben, stehen die Schulen nun auf der Tagesordnung. Über das Ausmaß sexualisierter Gewalt an Schulen kann bisher nur spekuliert werden.
Sexuelle Gewalt gegen Kinder – und der ungerührte Umgang der Kirche damit – Matthias Kamann (WELT)
Matthias Kamann geht in der WELT der Frage nach, warum die Reaktionen auf die „ForuM-Studie“ in den evangelischen Kirchen so viel weniger turbulent ausfallen wie die auf die „MHG-Studie“ 2018 in der römisch-katholischen Kirche. Armin Kummer wiederholt im Artikel noch einmal pointiert seine Kritik, die er bereits in einem ausführlichen Artikel in den zeitzeichen erklärt hat. Außerdem fordert die EKD-Synodale Angela Rinn (EKHN), Professorin für Seelsorge am Theologischen Seminar in Herborn, eine Präsenz-Sondertagung der EKD-Synode.
„Gerade jetzt muss die Demokratie in der Kirche gelebt werden. Das kann nur so gehen, dass transparent alle institutionellen Faktoren thematisiert werden, die sexualisierte Gewalt begünstigt, deren Aufklärung verhindert und die Aufarbeitung erschwert haben.“ Derzeit sei die EKD-Synode „der schwächste Faktor im Verhältnis zwischen ihr, dem EKD-Rat, der Kirchenkonferenz der Landeskirchen, den Landeskirchen selbst und der Diakonie“, sagt Rinn. „Diese Schwäche muss überwunden werden. Ein erster Schritt dazu wäre eine Sondertagung in Präsenz der Synodalen.“
Rinns Diagnose muss man mit Blick auf die Synoden der Landeskirchen und die Gremien der diakonischen Werke zustimmen: Es braucht mehr demokratische Kontrolle der Bemühungen von Kirchenleitungen und -Ämtern und der Geschäftsführungen der diakonischen Einrichtungen. De jure gibt’s die ja, nur de facto ist sie dort mangelhaft, wo sich Synodale, Aufsichts- und Beiräte darauf verlassen, von den Leitungen gut beraten zu werden.
Aber braucht es eine Sondertagung der EKD-Synode? Die Präses der Synode, Anna-Nicole Heinrich, winkt ab und verweist auf das Beteiligungsforum (BeFo) der EKD, das von Rat, Kirchenkonferenz und Synode beauftragt wurde. Darin beraten und beschließen Beauftragte von Kirche und Diakonie gemeinsam mit Betroffenen weitere Maßnahmen, u.a. die Reform der kirchlichen Disziplinar- und Anerkennungsverfahren. Die EKD-Synode hat – wie auch Rat und Kirchenkonferenz – diesem Verfahren ausdrücklich zugestimmt und ist darüber hinaus durch Heinrich auch personell im BeFo vertreten. Die Arbeit im BeFo benötigt Zeit und muss sicher noch transparenter werden, aber Rat, Kirchenkonferenz (und damit die Landeskirchen) und Synode tun sicher gut daran, am BeFo im Sinne der gerade vor einer Woche erst veröffentlichten gemeinsamen Stellungnahme zur „ForuM-Studie“ festzuhalten (s. #LaTdH von vergangener Woche).
Ungerührt?
Den Diskussionen rund um die „ForuM-Studie“ wohnt ein Momentum inne, das gut gepflegt dazu führen könnte, dass sich innerhalb der evangelischen Kirchen viel mehr Menschen als bisher ernsthaft mit dem Themenfeld sexualisierte Gewalt befassen. Da sind wir gleichwohl noch nicht. Und luftige theologische Debatten führen da auch nicht hin (s. #LaTdH von vergangener Woche).
Aus den entsetzten und, ja, auch „überraschten“ Debatten in Pfarrkonventen, Kreissynoden, Kirchenvorständen und auf Vereinsversammlungen muss eine nachhaltige Befassung mit Prävention, Intervention und Aufklärung erwachsen. Das sind drei Aufgabenstellungen, die vor Ort in der Fläche (mit-)erledigt werden müssen, während die wissenschaftliche Aufarbeitung, die Entschädigung von Betroffenen und strukturelle Verbesserungen für Betroffene und der kirchlichen Gesetzgebung kirchenleitendes Handeln auf Ebene der Landeskirchen, diakonischen Werke und der EKD sind – bei ihnen also die Beratungen im BeFo der EKD Vorfahrt haben.
Ein richtiger Kulturwandel, von dem die pfälzische Kirchenpräsidentin Dorothee Wüst als Sprecherin der kirchlich Beauftragten im BeFo anlässlich der Veröffentlichung der Studie sprach, braucht aber auch die niedrigschwellige Befassung mit dem Thema. Vier beispielhafte und kurze Beiträge sind in den vergangenen Tagen dazu erschienen, die anderen Akteur:innen zeigen, was man ohne viel Aufwand und ohne originäres Expert:innentum auf dem Themenfeld zuwege bringen kann:
Birgit Mattausch schreibt im „Spiritus“-Blog bei evangelisch.de über ihre Lektüre der „ForuM-Studie“ ohne gegenüber den Schilderungen der Betroffenen übergriffig zu werden. Das bayerische Sonntagsblatt hat 5 Tipps für die Weiterarbeit mit der „ForuM-Studie“ von Theresa Brückner, Pfarrerin der EKBO und Sinnfluencerin, in die Online-Version der regionalen Kirchenzeitung gehoben. Und Hella Thorn fragt bei freshX, was nun mit den Erkenntnissen der „ForuM-Studie“ angefangen werden kann. Stephan Jütte schließlich wirft mit „ForuM“ im Rücken einen schweizerisch-reformierten Blick auf das Thema.
Buntes
Greece becomes first Orthodox Christian country to legalize same-sex civil marriage – Nicholas Paphitis (AP, englisch)
Als erstes orthodox geprägtes Land der Welt hat Griechenland die Ehe für gleichgeschlechtliche Partner:innenschaften eingeführt. Damit verbunden ist die Gleichstellung von nicht-leiblichen Eltern in diesen Ehen, zuvor hatten nur die leiblichen Elternteile alle Elternrechte gegenüber den in der Familie lebenden Kindern. Das Gesetz wurde von einer Mehrheit von Abgeordneten der Mitte-Rechts-Partei Nea Dimokratia und linken Parteien verabschiedet. Die griechisch-orthodoxe Kirche lehnt das Gesetz ab, weil es die „traditionellen Familienwerte“ angreife und den Weg ebne für die Leihmutterschaft schwuler Pärchen – die ist im Gesetz allerdings nicht enthalten.
Reformgruppen: Deutsche Bischofskonferenz spart wichtige Themen aus (epd, katholisch.de)
Von Montag bis Donnerstag treffen sich die Bischöfe der deutschen (Erz-)Diözesen in Augsburg zu ihrer Frühjahrsvollversammlung. Auf der Tagesordnung stehen u.a. „die Zukunft der Demokratie im Wahljahr 2024, […] eine erste Sondierung zur im vergangenen November veröffentlichten Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung (KMU), […] Überlegungen zum Synodalen Weg, die Weltsynode in Rom, das Heilige Jahr 2025, die Internationale Ministrantenwallfahrt in diesem Sommer sowie die ‚Woche für das Leben‘“.
Reformgruppen innerhalb der römisch-katholischen Kirche kritisieren die Bischöfe im Vorfeld ihrer Beratungen dafür, die Beschlüsse des Synodalen Weges nicht ausreichend schnell umzusetzen.
Die Geistliche Beirätin des Katholischen Deutschen Frauenbunds (KDFB), Dorothee Sandherr-Klemp, warnte vor einem Erstarken von „straff bis autoritär geführten neuen geistlichen Gemeinschaften“. In einigen Bistümern würden diese zulasten gemeindlicher Jugendarbeit und diözesaner Hochschulseelsorge gefördert. […] „Wir appellieren an die deutschen Bischöfe, wachsam zu sein und diesen Gemeinschaften die Jugendarbeit sowie die Hochschulpastoral nicht einfach blauäugig zu überlassen“, sagte sie.
Der Tagungsort Augsburg ist für diese Forderung wie gemacht.
Der lange Weg zum Frieden – Gesine Dornblüth (DLF, 19 Minuten)
Die Donnerstag-Ausgabe der Deutschlandfunk-Sendereihe „Hintergrund“ befasst sich mit den bisherigen Initiativen zu Verhandlungen zwischen der Ukraine und Russland und den gescheiterten diplomatischen Bemühungen so unterschiedlicher Akteure wie dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan und Papst Franziskus. Auch das Thema russische Kriegspropaganda wird berührt, denn Fehlinformationen über die Verhandlungen finden, z.B. via Sahra Wagenknecht, auch Eingang in den politisch-medialen Diskurs in Deutschland.
Predigt
When Valentine’s Day Meets Ash Wednesday – Esau McCaulley (The Atlantic, englisch)
Esau McCaulley ist anglikanischer Geistlicher und schreibt im großen US-Magazin The Atlantic über die in diesem Jahr zusammenfallenden Feiertage Aschermittwoch und Valentinstag. Es ist ein persönlicher Text über seine Ehe und über das Zusammenspiel von romantischer und ewiger Liebe. Ein must-read auf Englisch.
Both Ash Wednesday and Valentine’s Day present visions of the meaning of life. But Ash Wednesday offers the more radical hope. As it looks toward Jesus’s death and resurrection, it dares to suggest that there is a divine love not limited by mortality, and that although we are sprinting to our graves, we might one day rise from them and face an affection that defies description.
Beide Anlässe, Aschermittwoch und Valentinstag, stellen uns Ideen vom Sinn des Lebens vor. Aber Aschermittwoch bietet uns die radikalere Hoffnung an. Weil Aschermittwoch auf Jesu Tod und Auferstehung vorausschaut, zeigt er auf eine göttliche Liebe, die nicht von Sterblichkeit begrenzt wird. Auch wenn wir unseren Gräbern entgegeneilen, werden wir ihnen womöglich entsteigen und einer Zuneigung begegnen, die jede Vorstellung übersteigt.
Ein guter Satz
„The depth of love will be revealed in the abyss of grief.“
„Die Tiefe der Liebe wird offenbar im Abgrund der Trauer.“
– Esau McCaulley (s. „Predigt“)