Kolumne #abgehört

Stets bemüht: Podcasts über digitale Ethik

Was haben Kirche und Theologie zur Digitalisierung zu sagen? Bei den „Netztheologen“ und im Podcast „Ethik digital“ wird über digitale Ethik aufgeklärt, aber zu wenig gestritten.

In seinem Aufsatz „Digital technology as matrix for constructivism and Verdringlichung“  von 2010 schreibt Hans Diebner, damals Projektleiter am Institut für Neue Medien in Frankfurt (Main), diesen schönen Satz: „The Internet is the land of milk and honey for externalised signifiers or grammata (nowadays called mems) of decision processes.“ Der Überfluss an Daten, die zu einer Entscheidungsfindung beitragen können, die sogenannten externalised signifiers, vereinfachten die Meinungsbildung und Entscheidungsfindung aber nicht. Im Gegenteil: Sie verlocken eher zu unterkomplexen Antworten. So hat mir zumindest ChatGPT diesen sehr anspruchsvollen wissenschaftlichen Beitrag zusammengefasst. Es ging irgendwie auch um Bayes, aber um darüber auskunftsfähig zu sein, müsste ich meine künstlich-intelligente Assistenz noch einmal um Unterstützung bitten.

Ein gelobtes Neuland, das keines ist, Künstliche Intelligenz (KI), Informationsüberfluss – und mittendrin Christenmenschen wie ich, die versuchen, sich da zurecht zu finden. Im Wochentakt überraschen neue Konflikte zwischen dem Menschen und den technologischen Geistern, die sie riefen. Kann die Kirche in diesem Urwald aus Überforderung und externalised signifiers Orientierung bieten?

Es wäre falsch, das Bild einer völlig altmodischen und im Analogen verhafteten Christ*innenheit in Deutschland zu zeichnen. Immerhin hat es die EKD geschafft, in ihrer Denkschrift „Freiheit digital“ über Grundsätzliches hinaus auch komplexerer Diskurse anzuschneiden (s. hier in der Eule). Dazu gehört etwa die Frage, wie sich der Status von (geistigem) Privateigentum in den scheinbar grenzenlosen Möglichkeiten des Internets weiterentwickelt und was das mit den Schöpfungsgaben des Allmächtigen zu tun hat.

Trotzdem kann ich dem Urteil der Moderatoren des Podcasts „Netztheologen“ folgen, dass die digitale Revolution im Raum der Kirche eine untergeordnete Rolle spielt. Chris ist theologiestudierender Informatiker, Roman technikaffiner Theologe. Zusammen versuchen sie mit ihrem Podcast, die Lücke zwischen digitaler Revolution und theologischer Ethik zu füllen. Sie sind Teil von yeet, dem Content-Netzwerk des Gemeinschaftswerks der Evangelischen Publizistik (GEP), das vor drei Jahren an den Start gegangen ist.

Lebhaft nehmen die Moderatoren aktuelle Diskurse aus der Technikethik auf, in dem sie die Zuhörer:innen zunächst Schritt für Schritt in moralische Konflikte oder dogmatische Brennpunkte einführen. Warum ist die Corona-Warn-App Aufhänger, über Freiheit und Solidarität zu reden? Was lässt sich zu Cybersicherheit unter christlichen Gesichtspunkten sagen? Ihre Impulse nehmen Roman und Chris meist aus der technischen Richtung, gelegentlich auch aus theologischer. Eine konkrete Innovationen, wie z.B. Künstliche Intelligenz, wird besprochen und dann eine christliche Kommentierung angeboten. Aber auch die bereits angesprochene EKD-Denkschrift kommt unter die Lupe. Nicht fehlen dürfen Referenzen zu Computerspielen.

Ein Podcast für Insider

Jede Folge entfaltet ihr Thema in ungezwungener Weise, manchmal ist der Gesprächsverlauf gar assoziativ. Das gelingt, wenn eine solide inhaltliche Basis, soll heißen inhaltliche Vorbereitung zu Grunde liegt. In der jüngsten Ausgabe werden viele kluge Beobachtungen zum digital detox gemacht, die im Rückgriff auf das Konzept der Sünde oder Adornos Kritik der „Freizeit“ eine gute Mischung zwischen Seelsorge und Wissenschaftskommunikation der Theologie darstellt.

Durch die freie Gesprächsführung geraten die „Netztheologen“ aber gelegentlich an Themenbereiche, denen sie dann nicht vollständig gerecht werden. So kamen sie im Kontext von Metaversen, also digitale Welten, die eine Alternative oder Erweiterung der analogen Wirklichkeit sind, auf das Thema Rassismus zu sprechen. Die freie Gestaltung der eigenen Persona im Metaverse ermögliche die Übernahme neuer Perspektiven abseits der eigenen analogen Körperlichkeit. So weit, so gut. Nicht-rassifizierte Menschen könnten so sogar die Erfahrung von Menschenfeindlichkeit einmal nachvollziehen, als „Lerneffekt“. Die Moderatoren ziehen einen Vergleich zu Dunkelkammern, in denen sehende Menschen die Erfahrung machen können, blind zu sein. Das klingt, ganz offen, ein bisschen wie Thomas Gottschalks „Rassismus“-Erfahrungen im Jimi Hendrix Kostüm. So hemdsärmelig sollte Diskriminierung nicht besprochen werden. Es hilft dann auch nicht, die eigene Nichtbetroffenheit später in der Folge betont selbstreflektiert vorzutragen.

Die lockere Herangehensweise bedeutet auch, dass Referenzen und Querbezüge nicht für alle Hörenden nachvollziehbar sind. Ja, ich kenne das Buch „Quality Land“, es wäre dennoch für viele andere hilfreich, den Autoren vorzustellen und eine grobe Zusammenfassung des Plots zu geben. Gleiches gilt für philosophische und theologische Verweise. Gut fallen die Folgen mit weiteren Gesprächspartner:innen aus. Nach zwei Ausgaben zu selbstfahrenden Autos schaut Lukas Ohly, Professor für systematische Theologie und Religionsphilosophie in Frankfurt (Main), in einer dritten Folge noch einmal in einige der von Chris und Roman aufgemachten Fässer und hinterfragt manche ihrer Talking Points.

Digitale Ethik aus Bayern

Einen ähnlichen Weg geht das Sonntagsblatt, die Kirchenzeitung der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern (ELKB), mit seinem Podcast „Ethik digital“. Dort laden die Moderatorinnen Rieke C. Harmsen und Christine Ulrich Expert:innen zum Gespräch über je eine Facette des digitalen Lebens ein. Ähnlich wie bei den „Netztheologen“ wird hier zwar ein ethisches Dilemma bedacht, es ist aber nicht der unmittelbare Ausgangspunkt: Zunächst berichten die Gäst:innen ganz grundsätzlich über ihr konkretes Arbeitsfeld, zeichnen etwa die neuesten Entwicklungen bei bewaffneten Drohnen oder der Stadtplanung von morgen nach.

So ging es mit Anna Mätzener, Leiterin der NGO AlgorithmWatch, um die Umsetzung neuer Maßstäbe rund um digitale Ethik. Bei welchen Themen muss der Gesetzgebung und der Wirtschaft aktuell auf die Finger geschaut werden? Welche Mittel können dabei helfen? Viele der Episoden von „Ethik digital“ kommen, nicht überraschend, völlig ohne Verweis auf Gott und Kirche aus. Ausnahmen sind die Gespräche mit Theolog:innen. Ein großer Bonus von „Ethik digital“ ist, dass die Interviews gut zusammengefasst in Textform online stehen. Beiderlei Gestalt des Podcasts sind in jedem Fall sehr zu empfehlen. Auch bereits Eingelesenen wird hier einiges geboten.

Ironischerweise steckt hinter „Ethik digital“ die recht klassische Form des Rundfunkinterviews, was der Sache jedoch keinen Abbruch tut. Spannend könnte es dennoch sein, die Vielfalt der Spezialist:innen nicht einzeln nebeneinander zustellen. Doppelinterviews oder Diskussionen mit mehreren Gäst:innen könnten – auch bei den „Netztheologen“ – noch ein wenig mehr Pfeffer in die Suppe bringen. So wäre alleine die Frage, was denn digitale Ethik eigentlich ist, eine größere Runde wert, in der die unterschiedlichen Positionen, die im Podcast schon zur Sprache gekommen sind, mal ausgefochten werden könnten.

Wozu eine christliche digitale Ethik?

Der Begriff einer „christlichen Ethik“ bereitet mir nämlich durchaus Bauchschmerzen. Inwiefern können der persönliche Glaube und damit einhergehende Überzeugungen vom richtigen Handeln auf eine abstrakte Ebene gehoben werden? Mal ein wenig überspitzt und praktisch:

Sobald mit Verweis auf die Bergpredigt oder das „Gott ist die Liebe“ aus dem 1. Johannesbrief eine konkrete Position zu Pornographie im Internet oder Pflegerobotik entwickelt wird, findet man sich entweder auf einem Standpunkt wieder, an dem der christliche Ausgangpunkt austauschbar geworden ist mit anderen (nicht-)konfessionellen Grundüberzeugung. Oder aber die Argumentation wird so voraussetzungsreich, dass der eigentlich angezielte Anspruch auf allgemeine Anerkennung nur noch schwer einzufordern ist. Persönlicher Glaube und intersubjektive bzw. interdisziplinäre Verständigung gehen nicht immer Hand in Hand.

Ist es möglich: Eine schrumpfende und strukturschwächelnde Gemeinschaft der Heiligen, die trotz zunehmender Spezialisierung und Ausdifferenzierung bei jedem Dilemma sagen kann, was Jesus denn nun getan hätte? Selbstverständlich wird in Kirchenämtern, an Fakultäten und in Referaten mit viel Sorgfalt und tiefgehender Fachkenntnis zu brennenden Themen gearbeitet. Dennoch bleibt eine der gegenwärtig brennendsten offenen Fragen für Kirche und Theologie die Selbstbehauptung, eine wichtige Rolle als ethische Instanz zu spielen.

In beiden Podcasts wird zum Teil überzeugend zur Darstellung gebracht, wie das im Einzelnen funktionieren kann. Da erwischte ich als Skeptiker mich durchaus beim Kopfnicken: Ja, das könnte eine Pfarrperson so im Seelsorgegespräch oder ein:e Religionspädagog:in im Unterricht aufgreifen. Mindestens als Plattform für Fragen nach Sinn und Unsinn der „Fortschritte“ des 21. Jahrhundert ist christliche Ethik sicher nicht verkehrt.


„Netztheologen“ findet sich auf gängigen Podcast-Plattformen und auf einer eigenen Website. „Ethik digital“ kann man ebenfalls an vielen digitalen Orten und direkt beim Sonntagsblatt hören.


#abgehört: Podcast-Kritiken bei der Eule

In unserer Serie „#abgehört“ stellen wir seit 2017 Podcasts vor: Podcasts zu klassischen Kirchenthemen und solche, die Neuland betreten. Podcasts, die von Theolog:innen gemacht werden und sich um Bibel und Predigt drehen, und Podcasts zu (Rand-)Themen, die mehr Aufmerksamkeit verdienen. Seit 2022 schreibt Frederik Ohlenbusch für uns frische Podcast-Kritiken.

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