Kolumne #abgehört

Unseren täglichen Song gib uns heute

Andachten zu Popsongs gibt es wie Sand am Meer und an jeder Ecke. Was macht also „7 Tage 1 Song“ zu einem „schlicht genialen“ Podcast? Frederik Ohlenbusch hat eine dringende Hörempfehlung:

Nur Gott weiß, was sich häufiger ereignet: Akustikcover von Leonard Cohens „Hallelujah“ oder Predigten zum Sonntag Kantate („Singet!“), die dieses eigentlich ja ganz schöne Lied zum Thema haben.

Die Songandacht ist in der Verkündigung, insbesondere in der Jugendarbeit, keine ganz neue Idee mehr. Neben oder anstelle der Schriftlesung steht dabei ein Lied, dessen Text und Musik als Aufhänger für Gedanken über das Leben und den Tod, Glück und Leid, Gott und die Welt dienen. Bereits vor zehn Jahre kamen Sammelbände mit ein paar Dutzend dieser Texte auf den Markt.

Zuletzt lieferte Benedikt Welter im „Wort zum Sonntag“ kurz vor Beginn des Eurovision Song Contest ein Paradebeispiel ab, als er den deutschen Beitrag zum Anlass nahm, ein paar Worte zum „Gott der Verlorenen“ und der Hoffnung auf die Auferstehung zu verlieren. Ist die Songandacht over?

In den vergangenen Wochen musste ich von diesem Urteil Abstand nehmen. Grund dafür ist „7 Tage 1 Song“. Auch dieser Podcast ist keine ganz neue Erfindung, sondern ein Kind der ersten Corona-Welle. Seit der ersten Ausgabe vom 22. März 2020 hat Initiator Christoph Borries 166 Folgen veröffentlicht, weiterhin mit verhältnismäßig guter Resonanz.

In einem Interview wenige Wochen nach Start des Formats berichtet Christoph Borries von seiner ursprünglichen Motivation, seinen Schülerinnen und Schülern am Berufskolleg Grevenbroich weiterhin etwas zu bieten. Religionsunterricht sei eben „nicht nur für den Kopf, sondern auch für das Herz“.

Konzeptuell hat sich seit diesen Anfängen kaum etwas verändert. Zu Beginn hören wir eine Bedienungsanleitung: Der im folgendem vorgestellte Song solle an den kommenden sieben Tagen je einmal konzentriert gehört werden. Als Denkanstoß folgen drei Interpretationsansätze, in denen einzelne Fragmente des Texts zitiert werden. Zwar hängen diese drei Teilstücke lose miteinander zusammen, in der Regel sind es aber drei inhaltlich verschiedene Ideen. So kann beispielsweise auf dem engen Raum von bis zu 15 Minuten das aktuelle Zeitgeschehen, eine Parallele zwischen Liedtext und Bibel sowie eine Anekdote aus dem Leben der Interpret:in Platz finden. Das ist stets dicht, aber nie überfordernd.

Länge und Schwerpunkt der Folgen sind etwas wechselhaft. Bei fast allen Folgen kommen andere Sprecher:innen ans Mikrofon. So sprechen etwa Schüler:innen aus Grevenbroich Passagen aus Peter Fox‘ „Zukunft Pink“ ein. Seit einiger Zeit kommen auch die inhaltlichen Impulse häufiger von anderen Theolog:innen oder Musiker:innen. Entsprechend abwechslungsreich ist das musikalische Feld, das sich zwischen Loredana, Black Sabbath und Herbert Grönemeyer erstreckt. Bei englischen Texten wird gelegentlich ein bisschen Verständnishilfe geleistet, sonst darf die Musik erst einmal so bleiben, wie sie ist.

Wann kommt die Gott-Karte?

„7 Tage 1 Song“ liefert keine großen Stilanalysen, sondern Gedanken, die über den ja immer streitbaren Musikgeschmack hinausgehen. So lässt sich vom Folgentitel, der das besprochene Stück bereits verrät, nie ganz auf die andächtige Stoßrichtung dieser Woche schließen. „7 Tage 1 Song“ bietet weder Rezension noch schlichte Inhaltswiedergabe. Man darf sich immer über einen geschickten Twist freuen.

Ein klassisches Problem bei andächtiger Interpretation von Kunst ist die Überfrachtung. Da hat man gerade eine spannende Beobachtung zu einem Roman gehört und – „ZACK!“ – schon wird einem die Gott-Karte um die Ohren gehauen. Es mag manchen Hörer:innen so vorkommen, wenn je nach Ausgabe zumindest im dritten Teil der Sprung zu Jesus oder zumindest zur Kirche gemacht wird. Allerdings scheint die Dreiteilung hier ihren Dienst zu tun: Eine monothematisch-christliche Auslegung habe ich nicht entdeckt.

Sowieso wird schnell klar, dass hier die Höreindrücke der Sprecher:innen im Mittelpunkt stehen. Es sind interessante Angebote, die eben auch Bezüge zur Tagespolitik, zu Artikeln aus dem Pfarrer:innenblatt oder zu Kontroversen in der Musikszene herstellen. Zwar wechseln die Impulsgebenden und mit ihnen auch der Sprachduktus, der mal poetischer, mal handfester ausfallen kann. Ein für die Jugendseelsorge sehr typischer Stil, der zwischen Assoziationen, kleineren autobiografischen Skizzen und einer gewissen Unverbindlichkeit schwebt, verbindet das Format allerdings folgenübergreifend. Der gesamte Podcast kommt entsprechend gut ohne Überfrachtung aus.

Die Möglichkeiten der Plattform ausgenutzt

Im Grunde ist der Podcast schlicht genial. Die Folgen haben die ideale Kürze und sind durch die Teilung auf drei unterschiedliche Zugänge zum besprochenen Song für jede Aufmerksamkeitsspanne erträglich. Mehr noch: Uns Hörer:innen wird es enorm einfach gemacht, über das wiederholte Hören länger als zehn Minuten mit den gepredigten Gedanken in die Meditation zu gehen. Das alles passiert normalerweise ja alles auf derselben Streamingplatform. Die Songs werden direkt neben den Andachten angeboten, sind wirklich nur einen Klick weit entfernt. Das macht „7 Tage 1 Song“ zu einem idealen Beispiel dafür, wie man bei der Verkündigung im Internet die Grenzen und Möglichkeiten einer Plattform ausreizen kann, ohne krampfhaft Analoges in Digitales zu quetschen.

In der Dramaturgische Homiletik, einer von vielen methodischen Zugängen, die zur Entwicklung und Formulierung von Predigten entwickelt wurden, werden die einzelnen Szenen einer performten Predigt „Moves“ genannt, ganz im Sinne eines Drehbuchs. Hörende sollen wie beim Genuss eines guten Films etwas Inspirierendes erleben und nicht durch die allerhöchste Stringenz eines Arguments überzeugt. Ich sehe eine gewisse Nähe zwischen Borries‘ Idee und diesem Ansatz. Vielleicht, so mein Eindruck, ermöglicht die angedachte Wiederholung der Songs über einen längeren Zeitraum, dass die wiederkehrende Aufmerksamkeit auf Text und Musik wie eine Netflix-Serie zum Erlebnis in Raten wird.

Ich gebe, auch wenn wohl reichlich spät, eine dringende Hörempfehlung für „7 Tage 1 Song“.


„7 Tage 1 Song“ findet ihr auf einer eigenen Website, auf Spotify und weiteren Podcast-Plattformen sowie auf Instagram.


#abgehört: Podcast-Kritiken bei der Eule

In unserer Serie „#abgehört“ stellen wir seit 2017 Podcasts vor: Podcasts zu klassischen Kirchenthemen und solche, die Neuland betreten. Podcasts, die von Theolog:innen gemacht werden und sich um Bibel und Predigt drehen, und Podcasts zu (Rand-)Themen, die mehr Aufmerksamkeit verdienen. Seit 2022 schreibt Frederik Ohlenbusch für uns frische Podcast-Kritiken.

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