Bild: Kirchentagslogo (DEKT), Westfalenhalle in Dortmund (Tbachner/Wikipedia), CC BY-SA 3.0
Kirche

Warum der AfD-Boykott klug und richtig ist

Der Kirchentag wird keine AfD-Politiker nach Dortmund einladen. Wie ist es zum Umdenken des Kirchentages gekommen? Wir haben uns die Vorgeschichte angeschaut und bei Christina Aus der Au nachgefragt.

Richtig früh dran ist der Deutsche Evangelische Kirchentag (DEKT). Noch in diesem Herbst soll ein Thema abgeräumt werden, das die vergangenen christlichen Großhappenings in den letzten Jahren wohl oder übel begleitet hat: Wie umgehen mit der AfD?

Das Kirchentagspräsidium hat darum seine Haltung zum Rechtspopulismus „bestätigt und aktualisiert“, indem es den sog. „Doppelbeschluss von Dortmund“ verabschiedete: „Repräsentant*innen der Alternative für Deutschland (AfD) sind auf Podien und Diskussionsveranstaltungen des Kirchentages in Dortmund nicht eingeladen.“ Gleichzeitig will der Kirchentag aber das Gespräch mit Menschen suchen, „die sich gegenwärtig in den gesellschaftlichen und politischen Debatten nicht wiederfinden“.

Für die Entscheidung gab es neben viel Lob auch Kritik. Kann der Kirchentag so das kontroverse Forum für gesellschaftspolitische Fragen bleiben, als das er sich selbst gerne positioniert?

Zur Erinnerung: Bereits vor dem letzten evangelischen Kirchentag in Berlin und Wittenberg 2017 gab es einen Beschluss des Kirchentagspräsidiums, Personen, die sich rassistisch geäußert haben, nicht einzuladen. Auf einem Podium des Kirchentages wurde trotzdem mit einer AfD-Vertreterin diskutiert. Anette Schultner, die inzwischen aus der Partei ausgetretene damalige Vorsitzende der Christen in der AfD (ChrAfD), diskutierte u.a. mit Markus Dröge, Bischof der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz (EKBO). Die Einladung wurde kontrovers diskutiert, auf der Veranstaltung selbst kam es zu Protesten durch Teilnehmer_innen des Kirchentages. Die Schlagzeilen des Tages wurden von den Vorfällen dominiert, bis Barack Obama die Aufmerksamkeit auf sich zog.

Auch auf dem Katholikentag in Münster 2018 nahm mit Volker Münz ein Vertreter der AfD teil. Zuvor hatte das Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) die Ausladung der AfD zurückgenommen, die sie noch für den Katholikentag 2016 in Leipzig ausgesprochen hatte. Im Vorfeld des Katholikentages in Münster drehte sich die Berichterstattung fast ausschließlich um das Für und Wider der AfD-Einladung.

(Auch Die Eule berichtete & in den #LaTdH hier, hier & hier in chronologischer Reihenfolge.)

Geschicktes Vorgehen

Ein wichtiger Grund für die frühzeitige und entschiedene Absage an eine Beteiligung von AfD-Politikern ist darum vor allem im Wunsch zu sehen, die kostbare Aufmerksamkeit in den Medien nicht wieder mit der AfD teilen zu müssen. Dazu meldete sich nach dem Präsidiumsbeschluss nicht allein der honorige Investigativjournalist und Präsident des Kirchentages in Dortmund Hans Leyendecker zu Wort, sekundiert wurde er von allen maßgeblichen, prominenten Stimmen des deutschen Protestantismus. So erscheint die Absage als Zeichen der Stärke und nicht als verzweifeltes Eingeständnis der eigenen Hilflosigkeit gegenüber den Rechtsextremen.

Der Kirchentag hat sich geschickter angestellt, als es das ZdK im Vorfeld des Katholikentages vermochte. Die ZdK-Verantwortlichen brachten die Wochen und Monate nach ihrem Beschluss mit lavieren und erklären zu. Daran mussten sie zwangsläufig scheitern: Denn wie sollte noch 2018 gerechtfertigt erscheinen, was dem eigenen Verein 2016 als wenig opportun erschien?

Christina Aus der Au, Foto: DEKT/robert gross photography

Demgegenüber hat das Kirchentagspräsidum nun eine andere Richtung eingeschlagen. Noch 2017 verteidigte die Präsidentin für den Kirchentag in Wittenberg und Berlin, Christina Aus der Au, die AfD-Einladung. Die Ablehnung des Kirchentages gegenüber Rassismus und Nationalismus sei klar, Ausladungen von bestimmten Parteien aber nicht zielführend: „Ich denke, wir tun gut daran, uns als Kirchentag weder jetzt noch in Zukunft auf die Diskussion um ein bestimmtes Parteibuch engführen zu lassen.“

Die AfD radikalisiert sich weiter

Für das Umdenken des Kirchentages gibt es gute Gründe, die alle als Teil eines Lernprozesses im Umgang mit der AfD verständlich werden. Christina Aus der Au bestätigt auf Nachfrage der Eule: „Es ist unbestreitbar, dass sich die Partei seit 2016 noch weiter nach rechts außen entwickelt hat. Hier ist eine Grenze überschritten; diesen Menschen wollen wir keine Bühne bieten.“

Für Aus der Au haben insbesondere die Ereignisse in Chemnitz gezeigt, dass die Partei nicht die Absicht habe, sich vom Rechtsextremismus abzugrenzen, „sondern dass im Gegenteil wichtige Repräsentanten Seite an Seite mit Nationalsozialisten, rechtsextremen Hooligans und anderen Hitler-Verehrern auftreten.“

Die fortschreitende Radikalisierung der Partei ist vielfach belegt: Die rassistische und nationalistische Hetze ihrer Funktionäre auf den Straßen und Datenautobahnen. Die Erfindung und Verbreitung von Falschmeldungen und Verschwörungstheorien, die den demokratischen Rechtsstaat delegimitieren sollen. Explizite Aufforderungen zur Selbstjustiz und national-revolutionären Aktionen, die zahllosen Übergriffen auf Geflüchtete, Migranten und politisch Andersdenkende den Weg ebnen. Angriffe auf Mitarbeiter anderer Parlamentsfraktionen.

All das ist auch ohne Beobachtung durch den Verfassungsschutz gut dokumentiert und man fragt sich, warum eigentlich die Bürgerinnen dieses Landes auf den Service noch weiter verzichten sollten, wenigstens das öffentlich zugängliche Material auch in ordentlichen Berichten der Verfassungsschutzämter wieder zu finden. Aus Angst vor einer drohenden Beobachtung durch den Verfassungsschutz zirkulieren in der Partei schon jetzt Warnungen vor allzu offensichlich staatsfeindlichem Gebaren.

Das noch vor dem Katholikentag 2017 vorgebrachte Argument für eine Einladung, die AfD sei nun einmal demokratisch gewählt, ist angesichts der zahlreichen Enthüllungen bezüglich der personellen, organisatorischen und ideologischen Verschmelzung der AfD mit rechtsextremen Szenen hinfällig. Demokratisch gewählt, heißt nicht, dass die Partei demokratische Ziele verfolgt. Niemand wäre in den 2000er-Jahren auf die Idee gekommen, Abgeordnete der sächsischen NPD einzuladen.

Sprecherin der Abgehängten und Entrechteten?

Die AfD-Propaganda stellt die Partei gerne als Stimme des „kleinen Mannes“ dar. Dem muss man nicht auf den Leim gehen. Untersuchungen der AfD-Wählerschaft zeigen ein anderes Bild: Die Wähler der Partei sind überdurchschnittlich gebildet und vermögend. Demgegenüber spielen rassistische Ressentiments bei der Wahlentscheidung pro AfD eine gewichtigere Rolle, als es von Politikerinnen und Journalistinnen häufig beschrieben wird. Im AfD-Erfolg wird der Extremismus der Mitte sichtbar. Das rührt natürlich stärker an das eigene Selbstverständnis, als die Schuld am Erstarken der Partei auf „die Abgehängten“ zu schieben.

Wer mit Menschen ins Gespräch kommen will, die sich in „gesellschaftlichen und politischen Debatten nicht wiederfinden“, der muss nicht bei der AfD und rechtsextremen Funktionären landen (mehr dazu: Unter Heiden (20): Mit Rechten reden). Christina Aus der Au verteidigt den Kirchentag als kontroverses Forum, in dem viele dieser sonst in marginalisierten Stimmen zu Wort kommen: Zu vielen gesellschaftspolitischen Themen seien Vertreterinnen unterschiedlicher Positionen auf den Podien willkommen, aber „Polemik und populistische Schuldzuweisungen, wie wir sie bei der genannten Partei erleben, sind kein Beitrag zu fruchtbarer Kontroverse, sondern die Absage an eine respektvolle Streitkultur.“

Darüber hinaus stellt sich die Frage nach dem konkreten AfD-Personal, das eingeladen werden könnte: Die sowohl auf dem Katholikentag als auch auf dem letzten Kirchentag als Gesprächspartner wahrgenommene Vereinigung der Christen in der AfD (ChrAfD) fällt 2018 als Kraft in der AfD vollständig aus.

Der Vereinigung rechnen sich nach eigenen Angaben gerade einmal knapp über 100 Parteimitglieder zu. Das ist in einer Partei, die sich die Rettung des christlichen Abendlandes vorgenommen hat, bestürzend wenig. Ehemalige Vorsitzende und Wortführer der ChrAfD haben die Partei aufgrund der fortschreitenden Radikalsierung derselben längst verlassen. Die ChrAfD ist gerade noch dazu gut, auf Bundesparteitagen Alibi-Morgenandachten durchzuführen, während von der Bühne gegen Fremde, Behinderte und Homosexuelle gehetzt wird.

Alexander Gauland, Bundessprecher und Fraktionsvorsitzender der AfD im Bundestag, Foto: Olaf Kosinsky/Skillshare.eu, CC BY-SA 3.0 DE

Auf Veranstaltungen wie Kirchentagen, die mit einer erheblichen Personalisierung von gesellschaftspolitischen Themen arbeiten, erscheint die Einladung von Spitzenfunktionären der Partei umso abwegiger. Schon jetzt ist die Frage erlaubt, ob der Kirchentag Politikerinnen eine so komfortable Bühne bieten muss. Sollte zusätzlich zu Obama und Steinmeier nun auch Alexander Gauland in den Genuss der Aufmerksamkeit kommen, die von einer Maschinerie generiert wird, die auf die Prominente nicht verzichten will?

Opfermythos der AfD auflösen?

Gegen eine Ausgrenzung der AfD wird häufig das Argument ins Feld geführt, man wolle den in der Partei grassierenden Opfermythos, alle Welt habe sich gegen die AfD verschworen, nicht bestätigen. Auch hier ist ein Blick in die Geschichte der AfD-Auftritte hilfreich, z.B. auf die Podiumsdiskussion während des vergangenen Katholikentages:

Dass die Diskussion selbst nämlich glimpflich verlief und gar zu einigen pointierten Widerworten in Richtung der AfD gut war, ging nahezu unter. Hängen blieb: Die AfD hatte sich ihren Platz am Tisch erkämpft. Obwohl durch die Einladung der Opfermythos gebrochen werden sollte, erntete das ZdK aus einschlägig rechten Kreisen Spott, Hohn und Kritik. Der Dialog braucht offene Ohren auf beiden Seiten, das sollten alle Verfechter des „Mit Rechten redens“ inzwischen gelernt haben. Die AfD hört nicht zu, sie verschiebt die Grenzen des Sagbaren und den Fokus der Beobachterinnen dorthin, wo sie es brauchen kann. Das gilt auch für Parteivertreter, die sich explizit als Christen verstehen.

Christina Aus der Au beharrt darauf, dass auch moderate Vertreter der AfD für das Auftreten ihrer Partei mitverantwortlich sind: „Repräsentanten und Funktionärinnen sind immer Aushängeschilder. Wer sich öffentlich für eine Partei einsetzt, die sich nicht abgrenzt von gewaltverherrlichenden und demokratiefeindlichen Aktionen, der muss sich nicht wundern, wenn er bzw. sie darauf behaftet wird.“

Dass die AfD sich selbst als Opfer hinstellt, wird man so oder so nicht verhindern können. Wohl aber, dass Menschen durch die Akzeptanz ihrer Positionen und ihres Personals erneut ausgegrenzt werden. Statt mit AfD-Politikern noch einmal über Flüchtlinge zu diskutieren, ist den Betroffenen und Expertinnen das Wort zu erteilen.

Kein Vertrauen zur AfD.
Präses Annette Kurschus, Hans Leyendecker und DEKT-Generalsekretärin Julia Helmke präsentieren das Motto des 37. Kirchentages. Foto: DEKT/Silvia Kriens

Ein Beispiel für die Zukunft

Beachtet man die Entstehungsgeschichte des „Doppelbeschlusses von Dortmund“, so erscheint er als Beispiel für einen zukünftig besseren Umgang mit der AfD und dem anschwellenden Rechtsextremismus. Soll die Demokratie bewahrt werden, dann dürfen sich Demokratinnen nicht von rechtsextremen Provokateuren auf der Nase herumtanzen lassen.

Die Grenzen einer konstruktiven Debatte müssen nicht ausgeweitet werden, so dass auch Gauland und seine Hetzergemeinde noch mit hinein passen. Gerade der Dialog unter Christinnen braucht die Wertschätzung aller Lebenserfahrungen und ist ohne den Schutz von Minderheiten und Schwachen nicht denkbar. Der Kirchentag ist eine evangelische Veranstaltung, insofern er sich um das Evangelium versammelt, darum kann dort kein Platz für Rechtsextremismus sein. Und deshalb hat die AfD des Jahres 2018 dort auch keinen Platz.