Was für ein … – Die #LaTdH vom 23. Juni

Die #LaTdH ganz im Zeichen des Kirchentages in Dortmund. So viel demonstrative Politik war selten, darüber sollen die Schals nicht hinwegtäuschen. Doch fehlt es dem Kirchentag an Kontroverse?

Debatte

… politisches Engagement

In der Politik kommt der Kirchentag zu sich, und politisch war der Kirchentag von #FridaysforFuture-Podien, über Datensicherheit im Netz, bis hin zur Flüchtlingsfrage (der Frage des 21. Jahrhunderts, meint Heribert Prantl (s.u.)). Davon zeugen die Resolutionen, die auf dem Kirchentag eingebracht wurden.

Ein starkes Engagement in der Frage der Seenotrettung (s. mein Kommentar unter der Woche) fordern der Grüne-Europaabgeordnete Sven Giegold (@sven_giegold) und Beatrice von Weizsäcker (@BvWeizsaecker), Mitglied im Präsidium des DEKT: Die EKD und ihre Gliedkirchen sollen ein eigenes Schiff zur Seenotrettung auf dem tödlichsten Meer der Welt ausstatten. Die Resolution wurde mit großer Mehrheit angenommen und kann jetzt auch auf change.org mitgezeichnet werden. Dort läuft nach wie vor auch die Petition an Horst Seehofer, die Flüchtlinge der Sea-Watch 3 endlich an Land zu lassen.

… Heckmeck um die AfD

Es stand zu befürchten, dass die Nicht-Einladung von AfD-Funktionären auf Podien des Kirchentages noch einmal diskutiert würde. Da schreiben sich die Schlagzeilen (z.B. „Sprechverbot“ BILD) von ganz allein. Mir will nicht recht aufgehen, was sich seit dem Herbst 2018 an der AfD verändert haben soll, dass eine andere Einschätzung der Lage dringend nötig macht. Für mich halten darum der Beschluss des Kirchentages und mein Einverständnis stand.

Trotzdem kann und darf man natürlich begründet anderer Meinung sein. Jan Feddersens (@JanFeddersen) Kritik an der Nicht-Einladung in der taz ist getragen von einer herben Sympathie für den Protestantismus. Sein Text jedenfalls hat mich nachdenklich gemacht, warum das heute nicht mehr möglich ist:

Der Beschluss, sie sich nicht einmal selbst blamieren zu lassen, sie an der Kraft der christlichen Neugieratmosphären – so möchte man doch hoffen – scheitern zu sehen, ist, jesuanisch gesprochen, unwürdig vor der Kraft all dessen, was Religiöses zumal im christlichen Sinne bedeuten könnte. Als ob sie alle nicht wüssten, dass auf allen Kirchentagen evangelischer Art der vergangenen 50 Jahre Rechte und Rechtspopulisten wie Tapfere kamen und als Räudige wieder abreisten. Die Furcht war nicht oft auf protestantischer Seite wirksam. Öfter, ja, meist lebten Kirchentage von der Kunst, den spirituell, kulturell wie politisch, orientierten Gegner oder Gegnerin mit aller Kraft zu umarmen – und damit zu marginalisieren.

Ein Grund dafür liegt in der Diskursverweigerung der AfD-Funktionäre selbst, die noch auf jedem Podium das Gespräch selbst gewaltsam führen. Darauf läuft die Ideologie und die Sprache dieser Partei hinaus, nicht auf Verständigung oder gar nur Verständlichmachung. Das führt, inkl. eines Rekurses auf die AfD-Politiken von Katholiken- und Kirchentagen, stellvertretend für die Kirchentagsbeschlussverteidiger*innen Andreas Püttmann (@Puettmann_Bonn) in der Süddeutschen Zeitung aus:

Das Gottesvolk bestätigt die Unvereinbarkeitserklärungen der Kirchen, allen Vernebelungsversuchen vom lauten, gut vernetzten rechten Kirchenrand zum Trotz. Bei einer Allensbacher Zählung vom März erreichte die AfD unter praktizierenden Christen […] nur vier Prozent, bei konfessionslosen Bürgern 23. Wer den Inhaltsanalysen der Parteiprogrammatik nicht glauben oder folgen mag, der beziehe den Habitus der Rechten ein. Die schönsten Früchte des Christentums sind Empathie, Demut und Gelassenheit. Den Rechtspopulismus kennzeichnet das jeweilige Gegenteil: Empathielosigkeit, Hybris, Daueraufgeregtheit. […] Einer Wiederkehr „Deutscher Christen“ im Schafspelz oder von rechtskatholischen Republikverderbern darf kein Fußbreit kirchlichen Bodens überlassen werden. Ein „Wir können ja mal drüber reden“ ist da fehl am Platz, nicht nur bei Kirchen- und Katholikentagen, sondern in jedem Raum unter dem Zeichen des Kreuzes.

Ohne AfD-Funktionäre, aber natürlich auch mit Sympathisanten ihrer Politik diskutierten auf dem Kirchentag Menschen beim Barcamp „Das soll doch noch gesagt werden dürfen“. Moderiert von Annika Schreiter (@LikaSchreiter) und Jan Witza (@Lebelieberlive, Sachsen-Politik-Podcast bei #abgehört) diskutierten die Teilnehmer*innen „ruhig und besonnen“, wie Nora Frerichmann (@frerichfrau, epd) auf domradio.de berichtet.

… Festival der Milieu-Verengung?

Auf den Podien des Kirchentages tummelt sich das protestantische Bürgertum, das heutzutage schalumwandet und konfessions- und religionsübergreifend ziemlich viele Leute umfasst. Dunya Hayali (@dunjahayali), Markus Söder, Heribert Prantl, Ex-Bundespastor Gauck usw. usf.. Der Schal macht gleich, was besser differenziert gehört. Bei so viel schalumwandelter wechselseitiger Vereinnahmung werde ich skeptisch. Zum Schluss wünschten sich auch Hans Leyendecker, Präsident der Dortmunder Ausgabe, und Julia Helmke, Generalsekretärin des Kirchentages, mehr Kontroverse.

Gebraucht würde die Überwindung des bürgerlichen Milieus, das durch und mit und im Protestantismus geworden ist. Im Netz beharren Kirchentagsfans darauf, der eigentliche Kirchentag stünde in den kleinen Bibelarbeiten der Ortskirchen und an der Basis. Darum folgender frommer Wunsch: Lasst das Schalüberwerfen bei den Promis, werdet wieder kleiner und improvisiert mehr. Werdet graswurzeliger.

Ein großes Forum ist in unserer Gesellschaft ein Wert an sich, doch lässt sich im Anschluss an den Kirchentag sicher auch darüber diskutieren, was denn das spezifisch Evangelische heute sein kann, das die ganz große protestantische Melange nötig hat. Der Protestantismus hat „säkulare Christen“ (Robert Habeck) erst möglich gemacht. Dabei stehen bleiben sollte er nicht. Wenn ich die Bilder z.B. von der „Nacht der Lichter“ sehe, weiß ich, dass es da durchaus Sehnsucht nach mehr gibt.

Foto: DEKT/Weiß

… Ökumene-Versprechen?!

Am Samstag wurde bereits Staffelübergabe gefeiert: Im Jahr 2021 treffen sich evangelische und katholische Christ*innen gemeinsam zum 3. Ökumenischen Kirchentag in Frankfurt (Main). Von ökumenischen Gefühlen mitgerissen, verkündete Kardinal Reinhard Marx, Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz (DBK), in seiner Bibelarbeit in Dortmund:

„Glaubst Du wirklich, Jesus steht an der Tür bei den Evangelischen, und dann setzen die sich zum Abendmahl zusammen und dann sagt Jesus: Nee, mit euch setz ich mich nicht hin. Das können wir uns doch nicht vorstellen, oder?“

An ein gemeinsames Abendmahl auf dem Ökumenischen Kirchentag glaubt er gleichwohl nicht. Hö? Wenn der Herr Jesus – wie der Kardinal richtig erkannt hat – schon nichts dagegen hätte?! Vor dem Hintergrund seiner Jesus-Anekdote …

… habe er die Hoffnung, dass bis zum nächsten Ökumenischen Kirchentag „doch noch ein paar Signale gesetzt werden können“. Ohnehin sei man in der gelebten Praxis an vielen Orten schon weiter, wenn es um die gegenseitige Einladung zu Eucharistie oder Abendmahl gehe.

Noch mal zum Schmelzenlassen auf der Zunge: Der Vorsitzende der DBK sagt öffentlich 1) dass Jesus die konfessionelle Trennung beim Herrenmahl absurd fände und 2) dass landauf und landab, sich ohnehin viele Menschen nicht mehr an die Ausladung der Evangelen halten. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, welche „Signale“ Marx eigentlich noch hören will?

Ein Start könnte ja der Friedensschluss mit Kirchenkritiker*innen wie Gotthold Hasenhüttl sein, die schon vor Jahren forderten, was nun im „synodalen Weg“ wenigstens besprochen werden soll. Nachdem Hasenhüttl neben dem 1. Ökumenischen Kirchentag in Berlin ein ökumenisches Abendmahl zelebriert hatte, wurde er als Priester suspendiert und ihm wurde die Lehrerlaubnis entzogen (Dokumentation der kirchenrechtlichen Vorgänge). Die Sanktionen der röm.-kath. Amtskirche exekutierte damals der für ihn zuständige Ortsbischof von Trier: Reinhard Marx.

… Bohei ums Vulven-Malen

Im Vorfeld und während des Kirchentages wurde reichlich über den Workshop zum Vulven-Malen gespottet. Kritiker und Verteidiger*innen brachten sich – vor allem im Netz – in Stellung. Der Workshop selbst lief dann, laut Teilnehmer*innen, recht unspektakulär ab – aber mit einem solchen Hype kann keine Veranstaltung der Welt mithalten.

Ich habe nichts gegen Vulven, auch nicht gegen das Vulvenmalen. Und wenn es dabei um Bodypositivity geht, umso besser. Irgendwie dünkt mir aber, dass außer den paar verstockten Konservativen, die aus Frömmigkeit oder Gesinnung heraus etwas dagegen haben, dass weibliche Genitalien in der Öffentlichkeit präsent sind, und den Aktivist*innen, die Vulven-Malen als Statement verstehen wollen, das Vulven-Malen irgendwie am Relevanz-Bedürfnis an so einen Kirchentag vorbeigeht.

Es wäre nett, wenn Veranstaltungen in Zukunft wieder von denjenigen besucht würden, die es brauchen können, und der Rest sich einfach um seine eigenen Angelegenheiten schert. So wie es ganz sicher die meisten Kirchentagsbesucher*innen gehalten haben. Das gilt im Besonderen für Online-Beobachter*innen aus der Entfernung und Journalist*innen, die eine von tausenden Veranstaltungen über alle Maßen aufblasen. Die Ausraster auch unter dem obenstehenden Tweet disqualifizieren sich selbst. Was daran christlich, fromm und jesuslike sein soll, geht mir wirklich nicht auf.

… Kirchentagsprediger

Michael Schrom schreibt in der altehrwürdigen Publik-Forum (die einen sehr lesenswerten Kirchentags-Blog aufgeschrieben hat!) über einen Prediger gegen die Angst, und eine aus der Zeit gefallene Veranstaltung:

Ein langer Vortrag mit Möglichkeit zum Nachfragen. Keine kontroverse Talkshow, kein Expertengespräch, kein World-Cafe, keine filmischen Einspielungen oder Powerpointfolien. Volle Konzentration auf das Wort. Eigentlich eine Zumutung angesichts heutiger Möglichkeit.

Die Rede ist von Heribert Prantl, dessen „Predigt“ laut Schrom Standing-Ovations und langanhaltenden Beifall gefunden hat. Was hat Prantl, SZ-Großschreiber und erst letzte Woche in den #LaTdH, nun gesagt? Z.B. das hier:

Das Gegenteil von Angst und Furcht ist nicht der Heldenmut, sondern die Hoffnung. Diese Hoffnung entsteht nicht aus dem Nichts, sie ist keine Creatio ex Nihilo, und es gibt sie auch nicht als Vorschuss; sie entsteht beim Tun, sie entsteht in der widerständigen Geste und in der widerständigen Praxis.

Diese Widerständigkeit hat nichts mit Aufruhr, Umsturz und Gewalt zu tun, sie äußert sich nicht in lautstarken Umtrieben und Krawallen. Der Widerstand von dem ich rede, heißt Widerspruch, Zivilcourage, aufrechter Gang. Er besteht im Misstrauen gegen die Mächtigen, im Mut zu offener Kritik, in der Demaskierung von Übelständen. Dieser Widerstand kann ganz im Kleinen passieren, er kann aber auch Sitzblockade heißen oder Kirchenasyl. Das alles ist Widerstand, kleiner Widerstand, wie ihn mein Lehrer, der Rechtsphilosoph Arthur Kaufmann, genannt hat.

Arthur Kaufmann hat einmal davon gesprochen, dass dieser kleine Widerstand beständig geleistet werden muss, „damit der große Widerstand entbehrlich bleibt“. Der kleine Widerstand mag in vielen Fällen vor allem auch der Widerstand gegen die eigene Angst sein, gegen die eigene Bequemlichkeit, gegen das eigene Angepasstsein, gegen Sätze wie „nach mir die Sintflut“ oder „allein kann man ja ohnehin nichts bewirken“. Dieser kleine Widerstand verlangt Geduld, aber nicht Schafsgeduld, sondern eine geduldige und leidenschaftliche Ungeduld.

Eine notwendige und sehr willkommene Ergänzung des Vertrauensgesäusels.

nachgefasst

Der protestantische Eros – Jonas Seufert (Christ & Welt)

In der Christ & Welt schreibt Jonas Seufert (@jo_seuf) über die Connection aus Reformpädagogik und Protestantismus, die an der Odenwaldschule und anderswo den sexuellen Missbrauch von Kindern und Jugendlichen begünstigte. Ein Kapitel Kirchengeschichte, das der Aufarbeitung harrt, und in dem mehr als ein paar Absätze auch dem Kirchentag als Forum des protestantischen Milieus zu widmen sind. Seufert ist auf dem Kirchentag auf eine der bekanntesten Täterbiografien gestoßen:

„In der evangelischen Kirche wie in der liberalen Öffentlichkeit waren Hentig und Hellmut Becker die gefeierten Bildungsreformer“, sagt Oelkers. „Und sie wollten Gerold Becker in der deutschen Reformpädagogik verankert sehen.“

How to innovate if you must – Gunter Dueck (iX, Heise)

Digitalpapst Gunter Dueck (@wilddueck) schreibt über „Meta-Digitalisierung – das große Zerreden ohne Tun“, und was er schreibt lässt sich sowohl auf die #digitaleKirche, als auch auf Innovationsmanagement als Ganzes in Kirche und Gesellschaft übertragen. Ein must-read für alle, die sich in Kirche und Gesellschaft für (digitale) Veränderungen einsetzen. Mit Tagungen allein ist es nicht getan!

Diese Möchtegern-­Innovationen scheitern natürlich voraussehbar und schädigen den Ruf von Innovatoren und Innovationen generell. Nächster Versuch, die Probleme auf kleiner Flamme einzukapseln: Ein kleines Inno-Excellence-Tischfußball-Center mit Hängematte im Eingang muss her, um Presse und Besucher zu beeindrucken. Das Topmanagement geht jeden Morgen auf dem Weg zum Aufzug mit Grimm daran vorbei: „Die verfrühstücken unsere sauer erarbeiteten Gewinne.“

Bibel

Mensch, Adam! Ein neuer Blick auf die biblische Anthropologie – Werner Kleine (Dei Verbum)

Werner Kleine (@WernerKleine) beobachtet klug die kirchliche Eigenart, beim Aufschließen zu Welt und Wissenschaft doch vor allem beim Eigenen zu verbleiben und vor allem immer ganz von vorn beginnen zu wollen: Am besten bei Adam und Eva. Anlässlich der Denkschrift zu Inter- und Transsexualität (s. letzte #LaTdH) weist Kleine auf eine andere Lesart der Schöpfung(sgeschichten) hin. Ganz so neu ist diese Auslegungsmöglichkeit nicht – in der feministischen Theologie hat sie gute Tradition -, aber das validiert Kleines Erklärungen eher noch.

Es ist Zeit für eine Relecture, wenn der Dialog mit der Welt von heute gelingen soll. Das Wort Gottes scheint da für vieles offener zu sein, als die Autoren vatikanischer Dokumente es zu erkennen vermögen. Sicher: Wenn Mann- und Frausein so eindeutig gar nicht mehr ist, mag auch hier manche vermeintliche Sicherheit ins Wanken geraten. So war es aber immer schon: Von Adam und Eva ausgehend hat man auch über Jahrhunderte behauptet, die Sonne würde sich um die Erde drehen – bis man der Faktizität der Wirklichkeit nicht mehr widersprechen konnte, ohne sich lächerlich zu machen.

Predigt

Schlussgottesdienst im Westfalenstadion – Predigt Sandra Bils (ZDF)

Der Kirchentag geht heute mit zwei großen Schlussgottesdiensten zu Ende, von denen einer im Westfalenstadion stattfindet. Die Spielstätte von Borussia Dortmund ist das größe Stadion Deutschlands. Das ZDF überträgt den Gottesdienst und in der Mediathek wird er auch eine zeitlang abrufbar bleiben. Die Predigt hält Sandra Bils (@PastorSandy). Mit ihr verbinde ich die Hoffnung auf einen tonalen Wechsel weg von der Bräsigkeit kirchlicher Verkündigung. Ich bin gespannt!

Ein guter Satz

„Reasons to be cheerful: Thanks to advances in medicine and morality, very few of the 7 deadly sins are still deadly.“

„Ein Grund zur Freude: Dank des medizinischen und moralischen Fortschritts sind nur noch sehr wenige der sieben Todsünden tatsächlich tödlich.“

ein Tweet von @wildethingy