Das Ensemble in der als Gerichtsverhandlung geframten Verhandlung. Bild: ARD Degeto/Moovie GmbH/Julia Terjung

Was hat Gott damit zu tun?

In der ARD dürfen die Zuschauer:innen von Ferdinand von Schirachs „Gott“ über die Sterbehilfe entscheiden. Die „Mischung aus Schulfernsehen und Kammerspiel“ lässt den Theologen und Ethiker ratlos zurück.

Ich habe „GOTT“ gesehen. Es ist wieder soweit. Im Ersten läuft eine Mischung aus Schulfernsehen und Kammerspiel, es geht um Ethik und das Sterben und obendrein ist auch noch die Meinung des Publikums gefragt. Das darf ich mir als Theologe und Ethiker nicht entgehen lassen und sei es nur, um den eigenen Puls hochzutreiben.

Los geht’s: Es sieht aus wie zu Gericht, aber dieses Mal wird Ethikrat gespielt. Eine Frau, die sich nach kurzer Zeit als Vorsitzende (Barbara Auer) zu erkennen geben wird, schildert den Fall, dass ein Mann Ende siebzig sterben wolle, ohne dabei unheilbar krank zu sein. Empörten Rufen aus dem Publikum begegnet die Vorsitzende mit den Worten: „Wir werden hier alle Argumente hören.“ Dann wird die vierte Wand durchbrochen und sie wendet sich an die Zuschauer:innen, denen sie erklärt, dass sie abstimmen werden und dabei nur auf sich selbst hören sollen.

Zu Beginn wird der Sterbewillige (Matthias Habich, „Klemperer“) befragt, der erklärt, dass er „einfach nur in Ruhe sterben“ wolle. Warum er nicht „ganz normal sterben“ wolle, wird er dann gefragt. Es kommt heraus, dass seine gläubige Frau „von den Ärzten erlöst“ werden wollte und nach langem Leiden wohl an einer Überdosis Morphium starb. Damit sich das nicht wiederhole, will er eine Grundsatzentscheidung herbeiführen, die jedem und jeder das Recht zu sterben zubilligt.

Parade der Sachverständigen

Jetzt ist das Stück wirklich eröffnet. Die Hausärztin (Anna Maria Mühe) soll ihm beim Suizid helfen, möchte aber selbst keine Sterbehilfe leisten, wohl aber anderen Ärzt:innen ermöglichen, solchen Wünschen nachzugehen. Es folgt der Auftriff der Sachverständigen: Eine Professorin für Verfassungsrecht schildert die Rechtslage zu den Formen der Sterbehilfe. Paragraph 217 StGB und das Problem der Geschäftsmäßigkeit wird erläutert, Sterben als „Akt autonomer Selbstbestimmung“, etc. – Der Mann hat Anspruch auf das tödliche Medikament, nun lasst ihn doch sterben, will man hier schon rufen.

Aber damit hätte man die Rechnung ohne eine Reihe von Bedenkenträgern gemacht: Liebeskummer und Arbeitslosigkeit als Gründe für einen Todeswunsch, der wohl kein wirklicher Wunsch sein könne, werden angeführt. Auch ein gut gemeinter, jedoch irreführender Verweis auf die Verbrechen der Nationalsozialisten fehlt nicht. Ohne Dammbruchargument fehlt einfach etwas.

Danach folgt der Auftritt eines ungelenk daher kommenden Sachverständigen von der Bundesärztekammer, der sich auf den hippokratischen Eid beruft, dann aber kleinlaut zugeben muss, dass der ja überhaupt nicht geschworen werde. Stärkstes Argument hier ist die Vertrauensgefährdung. Wenn die Ärztin jetzt auch tötet, wie kann ich sicher sein, dass sie mich so behandelt, dass ich nicht sterbe? Mein Gesicht rutscht immer öfter in die Handflächen.

Der Auftritt der Kirche

Zu guter Letzt tritt der Sachverständige Thiel (Ulrich Matthes) auf, ein Bischof der katholischen Kirche, der sogleich mit der Glaubwürdigkeitsfrage konfrontiert wird. Die Tendenz des Stückes – in dem der Anwalt des Sterbewilligen (Lars Eidinger) nicht nur der heimliche Held ist – erfordert einen anachronistisch auftretenden Geistlichen, der in seiner Dogmatikfixiertheit vielleicht der King im systematisch-theologischen Proseminar gewesen ist, aber mit dem Charisma eines Verwaltungsbeamten einer Sache, die ihm selbst irgendwie auch fremd geworden zu sein scheint („wir werden es nie ganz verstehen“), die Erbsünde („Sie werden verstehen, dass ich schon damit meine Schwierigkeiten habe“, so der Anwalt) erklärt und verteidigt und eine vermeintlich freiheitsgenerierende christologische Leidtheologie vorträgt. Die aber zielt auch nur darauf ab, die Autonomiebestrebungen Sterbewilliger zu untergraben.

„Akte der Gewalt“ gegen das eigene Leben lehnt er gebotsethisch ab. Dazu verweist er – weil die Bibel hier kaum taugt – auf die Augustinische Auslegung der 10 Gebote sowie Thomas von Aquins gewichtiges „Leben als Geschenk Gottes“-Argument. Selbstverständlich fehlt der Partikularismusvorwurf des Anwalts, nachdem der Bischof als Christ überhaupt nur für Christ:innen sprechen könne, am Ende der Befragung nicht.

Mit Blick auf die Position der Kirche haben wir es mitnichten mit einer einhelligen Überzeugung zu tun. Die im Film aus katholischer Perspektive vermittelte Einmütigkeit, ist – so wage ich zu behaupten – nicht mal in der katholischen Kirche überall anzutreffen. Vielmehr gibt es auch in der Kirche einigermaßen starre Fronten, weil sich keine Kompromisslösung abzeichnet, mit der Befürworter:innen wie Gegner:innen der (geschäftsmäßigen) Suizidassistenz gleichermaßen leben könnten. Hätte man an Stelle des katholischen Bischofs einen Friedrich Wilhelm Graf dort platziert, hätte die Kirche wohl besser abgeschnitten.

Fazit zu den Sachverständigen: Das Recht, in Person derer, die es dort vertreten, steht auf der richtigen Seite. Die anderen sind rückständige Verteidiger einer Welt von gestern, die sich mit Absolutheitsansprüchen über die Rechte anderer stellen. Weil aber diese Mischung aus Debattierclub und Betroffenheitstheater das Publikum nicht mit seinen Gedanken allein lassen beziehungsweise mit diesen an Frank Plasberg zu „Hart aber fair“ hinüberreichen will, wird die Möglichkeit geboten, die eigene Meinung zu kanalisieren. Es darf abgestimmt werden.

Ulrich Matthes spielt den katholischen Bischof Thiel. Bild: ARD Degeto / Moovie GmbH / Julia Terjung

Ein falscher Eindruck

Wer meint, ethische Fragen lassen sich per Televoting in Form einer Ja-Nein-Abstimmung klären, hat vom Geschäft der Urteilsbildung wenig verstanden. Damit wird der Eventcharakter dieses, sich für die informierten Zuschauer:innen in weiten Teilen als Repetitorium von allem schon Gesagten darbietenden Kammerspiels, unterstrichen. Die Vorsitzende hat am Anfang nicht gelogen: „Wir werden hier alle Argumente hören.“

Bei ARD und ZDF sitzen wir aber nicht nur in der ersten Reihe, sondern dürfen bisweilen auch mal sagen, was wir für richtig halten. Zwar wird in Ferdinand von Schirachs „Gott“ – anders als in „Schuld“ „Terror“* – nicht Gericht gespielt und einem „gesunden Volksempfinden“ ein Raum zur Entscheidung einer an Komplexität kaum zu überbietenden Rechtsproblematik vermittels einer Wahl zwischen zwei Optionen geboten. Gleichwohl findet auch hier eine Komplexitätsreduktion statt, die dem Ernst des Themas zuwiderläuft.

Nicht nur wurde den Durchschnittszuschauer:innen eine Arbeitsweise des Ethikrats aufgebunden, die einen bleibenden, leider aber falschen Eindruck hinterlassen dürfte. Es wird zudem über die Wahl des Formats insinuiert, dass Fragen wie die nach der Suizidassistenz argumentativ geklärt werden können, was eine niedlich-naive Vorstellung ist. Zwei große Ethiker aus der Theologie, Johannes Fischer und Eilert Herms, sind auf ganz verschiedenen Wegen zur Einsicht gekommen, dass in solchen Debatten mit Argumenten allein nichts zu gewinnen ist.

„Juristerei und Medizin, Und leider auch Theologie“

Die Frage bleibt, ob die akademische Dreifaltigkeit aus Rechtswissenschaft, Medizin und Theologie, durch die von den sie jeweils repräsentierenden Personen vorgebrachten Argumenten, großen Einfluss auf die Entscheidung von Menschen haben. Ist es nicht vielmehr so, dass die eigene Entscheidung, die man zwar im Nachhinein rational zu begründen sucht, ein Schluss aus relativ stabilen Vorannahmen ist? Diese im Nachhinein ausbuchstabierbaren Vorannahmen – und mithin die Entscheidung selbst – sind das Resultat eines sich zwar im Rahmen einer Gesellschaft abspielenden, gleichwohl individuellen Bildungsprozesses. In diesem verschmelzen die eigenen Überzeugungen vom Sein-Sollen vorletzter sowie letzter Dinge zu einem zunächst intuitiven Urteil über solche existenziellen Fragen.

Diese Intuitionen dürften so stabil sein, dass eine neunzig minütige mediale Druckbetankung mit Zahlen, Paragraphen und Argumenten allenfalls zur rhetorischen Schärfung der eigenen Position genutzt werden kann. Zumal diese mit dem eigentlichen Thema teilweise nichts zu tun haben, aber gerne immer wieder vorgetragen werden. Zur Rhetorik tritt die Dramaturgie: Denn in der Figur des Anwalts springt der die Möglichkeit einer ärztlichen Suizidassistenz befürwortenden Fraktion ein Schwergewicht bei.

Ein Schauspiel, dem so daran gelegen ist, eine auf dem Gebiet der Ethik – also der Reflexion menschlichen Handelns, in der Absicht, Orientierung zu gewinnen – schlechterdings unentscheidbare Frage mit den von allen untauglichen noch brauchbarsten Mitteln, dem Austausch von Argumenten und Sichtweisen, zu entscheiden, lässt mich am Ende vor allem mit einer Frage zurück: Warum heißt dieses Stück ausgerechnet „Gott“?


„Gott von Ferdinand von Schirach“

Das Fernsehevent „Gott von Ferdinand von Schirach“ hat am 23. November 4 Millionen Zuschauer:innen vor die Geräte gebannt. In einer Abstimmung sprachen sich 70,8 % der Teilnehmer:innen einer Live-Abstimmung dafür aus, dass „Herr Gärtner“ das tödliche Medikament bekommen soll. Weitere Artikel zum Thema Sterbehilfe in der Eule.


* Der Autor nimmt hier auf das Bühnenstück „Terror“ von Ferdinand von Schirach Bezug, das ebenfalls für einen Fernsehfilm inkl. Televoting von der ARD adaptiert wurde. Danke für den Hinweis auf den korrekten Titel!