Was Jugendliche jetzt wirklich brauchen

Der Wald brennt und die Jugend Europas schaut pessimistisch in die Zukunft: Wer könnte es ihnen verdenken? Was wir Erwachsenen jetzt tun sollten, beschreibt Daniela Albert:

Ich sitze hier am Ende einer bedrückenden Woche. Die einmal mehr eskalierende verbale Gewalt in den Sozialen Netzwerken macht mir zu schaffen, diesmal besonders, weil sie im Rahmen der Diskussionen um den Kirchentag innerhalb der christlichen Bubble stattfand und Abgründe offenbart hat, von denen ich mich noch nicht erholt habe. Dazu kommt die Diskussion um die physische Gewaltbereitschaft von Männern in Paarbeziehungen, die eine Studie eventuell aufgedeckt hat. Nun gibt es methodisch da so viele Ungereimtheiten, dass ich erst einmal auf weitere Interpretationen verzichte, nur eins: Vom Tisch wischen lassen sich die Zahlen nicht so mir nichts dir nichts.

Auch meine analoge Welt wurde diese Woche ordentlich durchgeschüttelt, denn am Mittwochnachmittag brannten vor meiner Haustür auf einmal vier Hektar Wald lichterloh. Und dann kam mir noch eine Schlagzeile unter die Augen, die sich gut in diesen, meinen bedrückten Gemütszustand einpasste: Europas Jugend blickt pessimistischer in die Zukunft als noch vor einigen Jahren! Das besagt zumindest ein letzte Woche veröffentlichtes Ergebnis der TUI-Jugendstudie. Wer könnte es ihnen verdenken, war das Erste, was mir dazu durch den Kopf schoss.

Nun hätte ich einige Anfragen, nicht so sehr an die Studie selbst, sondern einmal mehr an die Medien, die sie publizieren. Zum Beispiel, warum sie in ihren Berichten verallgemeinernd von Europas Jugend sprechen wenn doch de facto nur sieben Länder teilnehmen: Deutschland, Großbritannien, Frankreich, Spanien, Italien, Griechenland und Polen. Gerade das Fehlen der nordischen Länder wirf hier doch interessante Fragen auf.

Nichtsdestotrotz macht es Sinn, sich die Ergebnisse genauer anzuschauen, denn die TUI-Studie erhebt seit 2017 regelmäßig Zahlen und kann so kontinuierlich Entwicklungen in diesen Ländern aufzeigen.

Worum geht es also?

Das Meinungsforschungsinstitut YouGov befragte im März mehr als 7.000 Menschen zwischen 16 und 26 Jahren zu Zukunftsaussichten, Einstellungen zu Fragen der Politik und sozialen Gerechtigkeit, Engagement und Lebenssituation. Während 2017 noch knapp 70 % der befragten Jugendlichen angaben, optimistisch in die Zukunft zu schauen, sind es mittlerweile nur noch 53 %. Die Forscher:innen sehen hier einen stetigen, schleichenden Abwärtstrend, denn diese Zahl hat sich über die Jahre langsam weiter nach unten entwickelt. Es handelt sich hierbei also nicht um ein kurzfristiges Tief, das sich durch die aktuellen Krisen erklären ließe, sondern um eine fortschreitende Entwicklung.

Die Befragten glauben nicht, dass es ihnen wirtschaftlich einmal besser oder genauso gut gehen wird wie ihren Eltern. Sie nehmen zudem große soziale Ungleichheiten wahr – beispielsweise bei der Einkommensverteilung, auf dem Wohnungsmarkt und auch bei Karrieremöglichkeiten. Dazu kommt ein Vertrauensverlust in die Politik. Nur noch 10 % gaben an, den politischen Parteien, die sie zur Auswahl hatten, zu vertrauen. Auch die Bildungssysteme kommen schlecht weg. Nur 5 % bewerten ihr Bildungssystem als sehr gut, weitere circa 33 % finden es immerhin „gut“.

Wer sich ernsthaft über diese Zahlen wundert, hat sich wahrscheinlich in den letzten Jahren nicht viel mit Kindern und Jugendlichen und ihrer Situation befasst. Deutsche Jugendliche sind, wie auch die jungen Nachbar:innen aus Polen, zwar noch am wenigsten pessimistisch, aber auch bei ihnen lässt sich der Abwärtstrend erkennen.

Unseren Jugendlichen geht es nicht gut

Mich wundert, dass es überhaupt noch eine knappe Mehrheit gibt, die optimistisch nach vorne blickt, angesichts der Dinge, die ich täglich sehe. Natürlich ist mein Eindruck durch meine Arbeit in der Familienberatung und -begleitung etwas verzerrt – und doch bestätigen ihn auch andere Fachleute. Unseren Jugendlichen geht es nicht gut. Schon letztes Jahr hat die Trendstudie Jugend erschreckende Zahlen über die psychische Verfassung unserer Jugendlichen zum Vorschein gebracht. Ein Viertel gab dort an, derzeit Probleme zu haben. Aufgefangen und behandelt werden können viele dieser psychischen Erkrankungen jedoch gerade nicht. Wenn Eltern derzeit einen ambulanten oder stationären Therapieplatz für ihre Kinder suchen, werden sie nicht selten mit langen Wartezeiten – oft ein halbes Jahr oder länger – konfrontiert.

Dass unser Bildungssystem an vielen Stellen nicht nachbesserungsbedürftig, sondern komplett marode ist, ist auch nicht erst seit der Pandemie bekannt. Veränderungen gibt es dagegen nicht. Stattdessen steigt der Druck. In den Monaten des Homeschoolings verpasster Stoff macht sich noch immer bemerkbar. Zeit, in Ruhe nachzuarbeiten, bleibt nicht. Themen müssen im Schnelldurchgang durchgezogen werden. Alles wird benotet, als hätte es die Zeit zwischen 2020 und 2023, mit all ihren Schulschließung, massivem krankheitsbedingten Ausfällen, Wechselunterricht und zahlreichen Einschränkungen nicht gegeben. Es mangelt an Räumen, Lehrkräften und technischer Ausstattung. Wer kein Umfeld hat, das hier ausgleichend wirken kann, kommt schnell unter die Räder.

Der Klimawandel ist auch laut der aktuellen TUI-Studie aus Sicht der jungen Menschen das größte globale Problem. Und mittlerweile kann man nicht mal mehr davon sprechen, dass die befragten Jugendlichen aus theoretischer Perspektive sprechen. Die Folgen sind überall spürbar.

Glimpflich davon kommen

Wie bereits erwähnt, hatte ich am Mittwoch ein Ergebnis von viel zu wenig Niederschlag und furztrockenen Wäldern vor meiner Haustür. Einen großen Waldbrand so nah mitzuerleben (und dabei wohne ich noch weit genug weg, um nicht in Panik geraten zu müssen), hat etwas äußerst Beklemmendes. Wir kamen hier einigermaßen glimpflich davon, denn schon sechs Stunden nach dem ersten Alarm vermeldete der Kreisbrandmeister, das Feuer sei nun gelöscht. Wie muss es für die Menschen gewesen sein, die letztes Jahr im Umkreis der extremen Waldbrände in Brandenburg gelebt haben? Was macht das mit jungen Leuten, die eigentlich gern Weichen für ihre Zukunft stellen würden, die erste Liebe finden, eine Familie gründen, einen Beruf erlernen, ein Studium beginnen?

Wenn es nicht das Feuer ist, dann ist es das Wasser. Erwartet hier irgendjemand, dass Jugendliche aus dem Ahrtal optimistisch in die Zukunft schauen? Versteht mich nicht falsch – ich hoffe, es tun trotzdem die meisten von ihnen – aber zu sehen, was aktuelle Wetterphänomene heute schon anrichten können, wie machtlos Menschen ihnen gegenüber sind und wie wenig die Politik hier entgegensetzt, kann unfassbar lähmend wirken.

Dieser Tatsache müssen wir ins Auge blicken: Genau die Generation, die den größten Kraftakt wird leisten müssen, damit unser Planet lebenswert bleibt und seine Menschen gut miteinander auskommen, verliert gerade das Vertrauen und den Mut. Das ist eine sehr schlechte Nachricht, die eine sehr viel größere Tragweite hat als Umfrageergebnisse als solche. Statt, wie Malte Müller-Michaelis im SPIEGEL (€) rumzuzetern, dass ihn dieser Pessimismus ankotze und dass die jungen Menschen sich ihn gefälligst abgewöhnen und mit dem Rumheulen aufhören sollten, sollten wir uns eingestehen, dass wir diejenigen sind, die es in der Hand haben, etwas an dieser düsteren Gemütslage zu ändern.

Grund zur Hoffnung

Lasst uns bitte endlich anfangen, sie mit ihren Sorgen, Nöten und Ängsten ernstzunehmen. Lasst uns bitte nicht mehr ständig Menschen eine Plattform geben, die auf die junge Generation einhauen, sie niedermachen, ihre Schwächen aufzeigen, sich über sie lustig machen und Jugendlichen sonst so gar nichts zu geben haben. Lassen wir junge Menschen bitte endlich spüren, dass ihre Stimme wichtig ist und dass sie etwas bewirken können!

Wir brauchen politische Parteien, die zwar wissen, dass eigentlich die Älteren ihre größte Wähler:innengruppe sind, die aber trotzdem zu allererst die Interessen der Jungen in den Blick nehmen. Wir brauchen endlich die Einsicht, dass unser Bildungssystem nicht nur ein paar Reförmchen braucht, sondern geradezu eine Revolution, um unserer Zeit gerecht zu werden.

Junge Menschen müssen die Erfahrung machen, dass sie etwas ausrichten können, wenn sich in Parteien, Kirchen, Vereinen und Organisationen engagieren. Sie brauchen jetzt in der Masse das, was jeder Mensch auch als Individuum zum Wachsen, sich Entwickeln und mutig werden braucht: Wertschätzung, Anerkennung, Ermutigung und die Erfahrung, dass das, was sie tun, etwas verändern kann. Es ist unsere Aufgabe, ihrem aufkeimendem Pessimismus Grund zur Hoffnung entgegenzusetzen!


Alle Ausgaben der Familienkolumne „Gotteskind und Satansbraten“.

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