„Das ist doch alles Kindergarten hier!“

Die Abwertung von Kindern und jungen Menschen und ihren Anliegen als „Kindergarten“ ist allgegenwärtig. Jetzt ist die Zeit, unsere Bilder von Kindheit zu hinterfragen.

Oft wird das Verhalten eines Menschen, das einer anderen Person nicht passt, als „Kindergarten“ abgestempelt. Wahlweise gibt’s noch „Grundschule“ oder „Grundschulniveau“. Die Begriffe werden nicht positiv verwendet, sondern abwehrend – möglichst weit von sich wegweisend. Mensch ist lieber größer und erhaben statt klein und lernend. Aber es werden auch Ansprüche gestellt. Aneinander. Müssten wir nicht weiter sein, als dass wir so miteinander umgehen? Dahinter steckt ein Fortschrittsglaube: Je größer bzw. älter desto gescheiter. Das ist nicht immer falsch, aber doch ein trügerischer Optimismus, weil voneinander unabhängige Dinge miteinander verbunden werden – Alter und Weisheit.

Gehen wir dem doch einmal gemeinsam nach: Was ist es, das in dem Ausspruch „Das ist doch alles Kindergarten hier!“ steckt? „Kindergarten“ wird als Vorwurf so eingesetzt, dass damit nicht zielführendes Verhalten kritisiert wird. Menschen verhalten sich anscheinend nicht so, wie die beobachtende Person es sich wünscht oder angenommen hat. Menschen werden „klein gemacht“, „Kind“ gilt als Beleidigung. Das ist Adultismus. Die Normierung von Menschsein als Erwachsensein. Was auch immer Erwachsensein genau ausmacht.

Mit „Kind“ werden also Chaos und Unzurechnungsfähigkeit assoziiert. Ich will auch nicht behaupten, dass realexistierende Kinder als Marie Kondos auf die Welt kommen. Aber dass „Kind“ und „Unordnung“ relativ eng miteinander verbunden werden – über wen sagt das eigentlich was aus? Am Ende doch wohl viel mehr über die Person, die in der Herabsetzung anderer oder einer Situation als „Kindergarten“ zu erkennen gibt: Mir wird es hier gerade zu unübersichtlich und ich sehe nicht, dass wir so weiterkommen.

Doch natürlich sagt es auch etwas darüber aus, welche Bilder von Kindern bzw. Kindheit verbreitet sind. Es gibt Ideale einer unbeschwerten Kindheit. Es gibt aber auch viele Anforderungen, denen Kindern abstrakt genügen sollen – und im „Kindergarten“-Satz eben das Marie Kondo-Ideal im gegenständlichen wie übertragenen Sinne. Einige Anforderungen, denen Kindern strukturell ausgesetzt werden, nehmen viele Kinder einfach hin. Erwachsene würden sich vermutlich wehren.

Mit 35 Personen stundenlang mehrere Tage die Woche in einem kleinen nicht selten sanierungsüberfälligen Raum sitzen wie in manchen Schulklassen. Das ist eigentlich ein ganz schön krasser Anspruch, dass mensch dabei ruhig sitzen bleiben soll. Dass das in Grundschulen vermittelt wird, ist auch eine große Leistung. Und auch hier: Natürlich wird von Kindern etwas eingefordert, das Erwachsene anscheinend als Bestandteil dessen sehen, was zum Leben gehört. Ruhig sitzen können, wenn ganz viele um eine*n herum sind und es vermutlich auch mal lauter zwischendurch ist. Es gibt einen breiten gesellschaftlichen Konsens, dass das zu erlernen ist. Das sagt auch viel darüber aus, was eigentlich „erwachsen“ sein soll.

Kritik an der nächsten Generation

In der Kritik an den Aktionen der „Letzten Generation“ aber auch an der „Fridays-for-Future“-Bewegung wird immer wieder thematisiert, die Aktivist*innen sollten doch mal was Ordentliches lernen. Wenn Philipp Amthor findet, die „Letzte Generation“ sollte gewissenhafter studieren, um etwas Klimaschonendes zu erfinden, statt sich gegen Klimaausbeutung einzusetzen, stellt er sich als Mensch etwa derselben Altersgruppe deutlich über andere Menschen und ihre Aktionsformen. Auch die Klimastreiks der „Fridays-for-Future“-Bewegung wurden früh damit abgetan, dass „die einfach nur schwänzen wollen“. Abgesehen davon, dass so übersehen wird, dass die ursprünglich als Schulstreik gestartete Bewegung Angehörige verschiedener Generationen versammelt, werden Protestformen und -motive nicht anerkannt.

Unverständnis zwischen Generationen gehört wahrscheinlich elementar zum Menschsein hinzu. Der Evangelische Kirchentag hatte als eine Begleitmusik die Kritik von Thomas de Maizière an der Generation Y, die auch viele jugendliche Helfer*innen verletzt hat. An ihm zeigt sich die möglicherweise generationentypische Infragestellung von „Work-Life-Balance“, die davon ausgeht, dass 16-Stunden Lohnarbeitstage „normal“ wären und dabei nicht mitbetrachtet, welche Anforderungen das mit sich bringt. Wer übernimmt in einem solchen Arbeitsalltag Care-Aufgaben und wäscht Wäsche oder stellt Essen bereit? De Maizières Unverständnis zeigt auch, dass er diese Fragen noch nicht in seine Gedanken einbezogen und seine Privilegien vermutlich noch nicht gecheckt hat.

Neben Protestformen sind es offensichtlich also auch Fragen des alltäglichen Lebens, an denen sich Konflikte entzünden im familiären, aber auch gesellschaftlichen Rahmen. Arbeitseinstellung, Kleidung, Essen, Beziehungsverhalten. Es geht auch um gegenseitige Vorwürfe. Vorwürfe der jüngeren gegenüber älteren Generationen und andersherum. Diese Dynamik war Teil der sog. 68er-Bewegung, damals ging es um Fragen zur NS-Zeit an die eigene Familie und an Institutionen, aber sie zeigt sich auch jetzt im Umfeld von Klimathemen.

Klimatisch leben Kinder jetzt schon unter ganz anderen Bedingungen als vorige Generationen. Ich meine tatsächlich Klima und nicht „gesellschaftliches Klima“. (Um Kinder und Klima kümmern sich hier in der Eule mit Daniela Albert und Tobias Foß viel tiefer einblickende Expert*innen und Kolumnist*innen.) Der feministisch-intersektionale Blick in die Geschichte zeigt die Variabilität sowohl von Kindheitsbildern als auch von jeweiligen Gegenwartswahrnehmungen. Verschärfte Apokalyptik, also das Verständnis, dass Ende der Welt sei nahe, gab es tatsächlich schon häufiger, auch innerchristlich. Dieser Befund soll aber keineswegs abtun, dass Klimaschutz jetzt Leben rettet!

Aus einem Endzeitbewusstsein heraus agiert es sich jedoch anders. Wenn Philipp Amthor und andere dieses Engagement „radikal“ nennen, dann meinen sie mit „radikal“ ein Schimpfwort. Für andere wäre es vielleicht ein Synonym für „konsequenter“. Also aus der Erkenntnis heraus handelnd, dass Veränderungen wirklich hier und jetzt umgesetzt werden müssen. Strukturelle Anliegen der Protestierenden werden von der Gegenseite damit abgemildert, dass individuelles Klimafehlverhalten vorgeführt werden soll. Sorry, aber das ist ehrlich gesagt genau das, was viele Leute mit „Kindergarten“ meinen: Nicht zielführend und eher ein Indiz dafür, dass Menschen überfordert davon sind, dass andere anders als angenommen oder nach anderen Parametern orientiert agieren als sie selbst.

Das Ende der Binarität als Ende der Menschheit?

Aber es gibt noch eine ganz andere Endzeitdiskussion: Einige wenige sehen das Ende der Menschheit nahe, wenn Menschen nicht mehr entweder männlich oder weiblich sind und das auch definitiv bei der Geburt oder unter dem Mikroskop erkannt werden kann. Ja, es sind wenige und ich möchte ihnen hier nicht unnötig viel Raum geben. Dieser Gruppe ist auf jeden Fall eigen, dass sie in Worten und in z. B. transfeindlichen Taten, wie sie leider schon viel zu viele CSDs säumen, eine Form von Naturwissenschaftsgläubigkeit mit Natürlichkeitsargumentationen mischt und sich allein von der Tatsache angegriffen fühlt, dass die Welt und damit auch Menschen nicht nur entweder–oder sind.

Was mich zum gegenständlichen Kindergarten bringt: Der ist nämlich tatsächlich oft der Ort, an dem eine Sozialkontrolle über Geschlechterzugehörigkeit und -bilder ausgeübt wird, die Kindern Potenziale verbaut, die vorher da waren. Dann ist Nicht-der-Norm-Entsprechen(-Wollen) sich mühsam wieder Freiheit erkämpfen, wenn mensch es schafft oder gerade wenn ein Kind es schafft – obwohl noch Monate vorher alle Kinder pink tragen „durften“. Das „Dürfen“ wird dabei vor allem intern von Kindern geregelt, aber die denken sich das natürlich nicht aus. Geschlechternormierungen übertragen sich früh und schnell.

Kinder fragen danach, ob es sich bei einem Menschen auf der Straße um einen Mann oder eine Frau handelt. Diese binäre Unterscheidung scheint eine erste Orientierung zu geben und reproduziert sich in unsensiblen Kinderbüchern und Gesprächen, die Kinder mithören und in denen ihnen vielleicht auch ganz direktiv etwas vorgesetzt wird. Kein Kind will (geschlechtsloses) Baby sein, sondern ein großes Mädchen oder ein großer Junge. Das Ziel, groß/alt sein zu wollen, ist mit binärer Geschlechtlichkeit verknüpft, wenn diese Begriffe immer wieder fallen und Bilder vor Augen geführt werden. Menschen bleiben in dem negativen übertragenen Sinn „Kindergarten“ für mich, die nicht versuchen solche Verkürzungen hinter sich zu lassen.

Die Durchbrechung von Vorfestlegungen auf Charaktereigenschaften oder Optik aufgrund von Geschlecht ist teilweise schon zum pädagogischen Ziel erklärt, aber sowohl dafür als auch für andere Diskriminierungsbereiche bedarf es weiterhin viel Raum. Da ist als eine der – wir lasen es in der Eule – größten Kita-Betreiberinnen in Deutschland auch die Evangelische Kirche aufgerufen, Personal zu schulen sowie Spielmaterialien oder Bücher anzuschaffen, die Durchlässigkeiten ermöglichen und Dichotomien eine Absage erklären.

Mit einem solchen Ideal, das Freiheiten für Kinder wieder zulässt, wird auch klar, dass sich das vermeintlich „Chaotische“ am „Kindergarten“ als großes Potenzial erweist. Dass Out-of-the-box-Denken, weil die Boxen erst gar nicht gebaut werden, zu eigener Reflexion anregt. Dann wird aus „Kindergarten“ im übertragenen Sinne keine Abwertung, sondern eine Aufwertung als ein diversitätssensibler Ort des geschützten Zusammenkommens. Dann wäre „Das ist doch alles Kindergarten hier!“ ein großer Wunsch und ein Ziel!

Ach ja, und wer jetzt meint, es ginge darum, Kinder „trans zu machen“, hat es einfach nicht verstanden. Es geht darum, dass Kinder sich und die Welt verstehen lernen. Und das heißt nicht, dass sie trans werden, aber dass sie wissen, was das wäre. Ein Kind denkt ja auch nicht, es wäre eine Maus, nur weil es eine Maus gezeigt bekommt.

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