Was wir (nicht) wissen – Die #LaTdH vom 5. November

Muss man die Gleichzeitigkeit des Leids von Israelis und Palästinensern aushalten? Außerdem: Israelbezogener Antisemitismus, Klima-Kirche und Diskussion um Lebensschutz.

Herzlich Willkommen!

Fast zehn Minuten lang ist die Rede zu Israel und Antisemitismus von Robert Habeck (YouTube), dem Bundeswirtschaftsminister und Stellvertreter des Bundeskanzlers. In dieser Woche wurde sie quer über die politischen Lager hinweg gelobt. Wie üblich, wenn Habeck das Wort ergreift, wird sein Kommunikationstalent gelobt, das jenes anderer Politiker:innen merklich übersteigt. Die Rede wurde inzwischen millionenfach im Netz abgerufen. Ob sie auch (komplett) gehört und verstanden wurde, ist eine andere Frage.

„Das Existenzrecht Israels darf nicht relativiert werden. Die Sicherheit Israels ist unsere Verpflichtung. Deutschland weiß das.“

So lauten die letzten Sätze der Rede. Ich bin nun kein Kommunikationstheoretiker, aber würde meinen, darin schon einen paradoxen Sprechakt erkennen zu können. Was man meint, als allgemein bekannt und begriffen voraussetzen zu können, muss man eigentlich nicht wiederholen oder betonen. Fühlt man sich genau dazu doch genötigt, wie Habeck am Beginn seiner Rede erklärt, dann stimmt der letzte Satz der Rede höchstens im Sinne einer Forderung, nicht als Zustandsbeschreibung.

Der Sachverständigenrat für Integration und Migration (SVR) hat in seiner Studie „Antimuslimische und antisemitische Einstellungen im Einwanderungsland – (k)ein Einzelfall?“ (PDF) unter anderem nach israelbezogenem Antisemitismus gefragt (s. Abb. oben). Damit ist nicht jede Kritik Israels gemeint, wie auch Habeck in seiner Rede erklärt, sondern solche, die alle Jüdinnen und Juden z.B. für das israelische Regierungshandeln in Mithaftung nimmt und dieses verschwörungstheoretisch gegenüber anderen Ländern überzeichnet. Israel dient als Projektionsfläche des Judenhasses.

Die SVR-Studie dokumentiert hier einen erheblich höheren Wert bei Menschen mit türkischem Migrationshintergrund (rund 60 % der Muslime in Deutschland). Wesentlich häufiger ist allerdings Israelkritik, die auch in der SVR-Studie vom israelbezogenen Antisemitismus abgegrenzt wird (s. Abb. unten): „Israelkritik ist bei allen befragten Gruppen weiter verbreitet als die verschiedenen Facetten des Antisemitismus“, stellen die Studien-Autor:innen fest.

Es steht außer Frage, dass sich bei den großen Solidaritätsdemonstrationen mit Palästinensern, die es an diesem Wochenende in Berlin und weiteren Großstädten gegeben hat, Antisemitismus entlädt. Wer Gaza mit der Shoah gleichsetzt, hat die Orientierung verloren. Wer bei solchen Demos mitläuft ohne zu widersprechen, unterschreibt diesen widerlichen Judenhass. In der weiteren Debatte, zu der Robert Habeck ja einen Beitrag leisten wollte, sollten wir trotzdem genau zwischen Israelkritik und israelbezogenem Antisemitismus unterscheiden – und vor allem jenen Judenhass nicht vergessen, der in der deutschen nicht-migrantischen Mehrheitsgesellschaft präsent ist.

Dem Hass auf Juden droht der auf Muslime auf den Schritt zu folgen. Der Islam gehört zu Deutschland. Antisemitismus gehört – leider – zu Deutschland. Das sind Zustandsbeschreibungen. Weiß Deutschland das?

Eine gute Woche wünscht
Philipp Greifenstein

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Debatte

Wir bleiben für die „Debatte“ dieser #LaTdH beim Israel-Gaza-Krieg und seinen Hintergründen und Auswirkungen. Das Pogrom von 7. Oktober ist nun schon fast einen Monat her, aber es ist für die Opfer und für das Volk und den Staat Israel noch nicht vorüber. Die Hamas hält weiterhin Geiseln gefangen. Die Toten und Verwundeten sind noch nicht alle gezählt. Von einer Bewältigung kann keine Rede sein.

Einfach weitermachen ist unmöglich – Deborah Hartmann, Tobias Ebbrecht-Hartmann (taz)

In der taz beschreiben Deborah Hartmann, Direktorin der Gedenk- und Bildungsstätte Haus der Wannsee-Konferenz in Berlin, und Tobias Ebbrecht-Hartmann, Professor für Medienwissenschaft und deutsche Kulturgeschichte an der Hebräischen Universität Jerusalem, die „Manifestation der neuen Qualität genozidaler Gewalt“ am 7. Oktober. Sie kritisieren insbesondere, dass im Nachgang das Leid der Opfer direkt mit demjenigen der Palästinenser verglichen wurde.

Den Schmerz anderer zu begreifen, kann nicht bedeuten, die schmerzhaften Erfahrungen der einen dadurch auszublenden, dass man im nächsten Atemzug reflexhaft auf das Leiden der anderen umschwenkt. Wer sich nicht einen Moment vor Augen führen kann, was den 7. Oktober von den vielen anderen schrecklichen Daten des israelisch-palästinensischen Konflikts unterscheidet, sondern sogleich mit den Gedanken abschweift, um sich seines universellen Humanismus durch den Hinweis auf die Opfer unter der palästinensischen Zivilbevölkerung zu vergewissern, verkennt den fundamentalen Angriff, den die Gräuel dieses Tages auf jeden Humanismus und jede Form menschlicher Emanzipation bedeuteten.

Die AutorInnen fordern eine zeitliche Nachrangigkeit der Trauer und des (politischen) Gedenkens, die sich aus der besonderen Grausamkeit des 7. Oktober ableite. Die Hamas habe mit ihrem Angriff den Israelis und Jüdinnen und Juden weltweit vermitteln wollen, „dass sich ein neuer Holocaust jederzeit wiederholen kann“.

Guten Morgen, ihr Lieben – Silja Harel (Letters from Rungholt)

Einen ganz anderen Ton, der mir persönlich viel mehr nachgeht als der des politischen Essays von Hartmann/Ebbrecht-Hartmann, hat dieser Bericht von Silja Harel. Sie lebt im Norden des doch so kleinen Israels und erzählt vom 7. Oktober, von der Unruhe im Land, den Vorbereitungen auf den Krieg, von der Gefahr und den Sorgen. Bedrohung und Beklemmung, mit denen die Israelis zu leben gelernt haben, werden spürbar.

Wenn in Israel ein Anschlag ist, verbreitet sich eine ganz unheimliche Stimmung. Wir schalten auf pigua-Modus um. Wer ist betroffen, wie können wir helfen, was genau ist passiert, wann wird wer wo begraben? Die Nachrichten berichten, wir warten auf die Namen der Opfer, wir rufen Freunde an. Diese öffentliche Teilhabe an der Trauer hilft, den Schock zu verarbeiten. Kerzen und Blumen werden am Anschlagsort niedergelegt, und wenn es ein Cafe oder Restaurant war, gehen viele Leute hin, um zu zeigen, daß wir diese Orte nicht meiden.

Wir sind jetzt seit vier Wochen im pigua-Modus. Noch immer werden täglich Tote identifiziert, das Bild überwältigenden Grauens ist inzwischen unerträglich deutlich. Ich sehe in den Nachrichten Bilder von Familien, die ich kenne, und die grausam dezimiert sind. Ich habe seitdem noch niemanden getroffen, der nicht mindestens drei betroffene Familien kannte. Die Welt ist längst mental und medial weitergezogen, für uns ist der pigua, der Terrorangriff, noch nicht vorbei. Noch sind nicht alle Toten identifiziert und begraben. Und normalerweise finden jüdische, aber auch drusische, beduinische und muslimische Begräbnisse sofort statt, oft noch am selben Tag, spätestens am nächsten Werktag.

Jedenfalls für die Zwecke eines wöchentlichen Nachrichten-Newsletters, glaube ich, werden wir es weiter mit einer komplizierten Gleichzeitigkeit des Bedenkens und Wahrnehmens versuchen müssen, die ich ja bereits in den #LaTdH vom 8. Oktober und vom 15. Oktober angesprochen hatte. Zu den Wahrheiten, die wir verstehen müssen, gehört sicher, dass das Massaker vom 7. Oktober in seiner Tragweite (natürlich) noch nicht verstanden ist. Wie könnte das auch sein, es ist noch nicht vorüber.

„So verfestigt sich der Hass“ – Interview mit Esra Özyürek von Hannes Leitlein (ZEITonline)

In einem sehr ausführlichen Interview für ZEITonline befragt Hannes Leitlein die Soziologin Esra Özyürek, die derzeit Sultan-Qaboos-Professorin für abrahamitischen Religionen und geteilte Werte an der Theologischen Fakultät der University of Cambridge ist. Es geht im Gespräch viel um den deutschen Diskurs, um Israelhass und antimuslimische Ressentiments. Özyürek hält fest:

„Nichts rechtfertigt antisemitische Parolen oder Gewalt. Es geht mir um die legitimen Positionen, die aus dem öffentlichen Diskurs verdrängt werden wie bei der Buchmesse oder der bpb-Veranstaltung. Auch braucht es für Schülerinnen und Schüler Räume, in denen sie über ihre Gefühle reden können, ohne ständig unter dem Verdacht zu stehen, Antisemiten zu sein.

Dass im Interview der Auftritt des Philosophen Slavoj Žižek auf der Frankfurter Buchmesse und eine inzwischen abgesagte Diskussionsveranstaltung der Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) mit der Situation muslimischer Jugendlicher in den Schulen parallelisiert wird, halte ich für unglücklich. Es macht einen gewaltigen Unterschied, ob man in Klassenräumen und auf Schulhöfen einen Umgang mit legitimer Israelkritik und illegitimen Antisemitismus finden muss – schon weil Schulen eben Lernorte sind – oder ob man israelkritische Diskurse mit Teilnehmer:innen, die Grenzen zum israelbezogenen Antisemitismus in der Vergangenheit überschritten haben (könnten), auf öffentlichen Podien zu diesem konkreten Zeitpunkt führen muss.

Diese Unterscheidung kommt mir doch empfindlich zu kurz. Während letzteres auch ohne Lektüre des taz-Essays naheliegt, käme die Verweigerung einer Bearbeitung in Schulen und Bildungseinrichtungen einer Realitätsverweigerung gleich. Natürlich werden wir über Antisemitismus „ins Gespräch kommen“ müssen, weil er eben schon immer da ist, egal ob wir ihn „ein bisschen mehr zulassen“ oder nicht. Özyürek gibt zu bedenken:

„Was mit muslimischem Antisemitismus gemeint ist, bezieht sich in der Regel auf eine Position, die der israelischen Regierung gegenüber kritisch ist. Manchmal geht diese Haltung in Antisemitismus über, also in eine antijüdische Einstellung. In diesem Stadium unterscheiden sich die Ressentiments allerdings kaum von anderen antisemitischen Narrativen, einiges davon ist der Naziideologie entlehnt. […] Insgesamt sind Juden und Muslime in der Geschichte deutlich besser miteinander ausgekommen als Juden und Christen.

In der WELT schreibt der Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, anlässlich des 9. Novembers über die Unsicherheit, die Jüdinnen und Juden in Deutschland seit dem 7. Oktober verstärkt zu spüren bekommen: „Deutschland im Winterschlaf“. Und auch in der aktuellen Folge des Eule-Podcasts „WTF?! RE:“ (ab 19:50 Min) sprechen Michael Greder und ich über den Israel-Palästina-Konflikt, insbesondere über die Rolle, die palästinensische Christ:innen und Kirchen im Heiligen Land sowie Deutschland spielen. Wir sprechen über den bothsidesm des Vatikan und die deutsche Unterstützung für Palästinenser.

nachgefasst I

Wie christliche Frauen antiisraelische Propaganda verbreiten – Matthias Kamann (WELT)

Beim Weltgebetstag der Frauen soll es im Frühjahr 2024 eigentlich um Palästina gehen. Palästinensische Christinnen haben das Programm vorbereitet, auf dessen Grundlage auch in den Gemeinden in Deutschland gearbeitet und gefeiert werden soll. Das zur Verfügung stehende Material wirft – gerade im Licht des 7. Oktobers – Fragen auf. Matthias Kamann beschreibt in der WELT die Hintergründe, u.a. den Streit zwischem dem internationalen und dem deutschen Vorbereitungskomitee.

Auf der Website des Weltgebettages ist dem Material für den WGT am 1. März 2024 inzwischen vorläufig ein Dokument unter dem Titel „Gebet als Hoffnungszeichen – 10 Fragen an den WGT“ (PDF) beigestellt worden. Dass der WGT 2024 problematisch(er) werden würde, war vielen Beobachter:innen schon vor dem 7. Oktober klar. Die neue Situation verlangt nun aber nach einer gründlichen Klärung. Zu dieser gehört sicher auch wahrzunehmen, dass die „einseitigen Schuldzuweisungen an Israel“ in bisherigen WGT-Vorlagen aus Nahost-Ländern keineswegs überall in Gemeinden in Deutschland auch so zur Anwendung kamen. Abweichungen vom zentralen WGT-Material kommen ja nicht allein bei den Rezepten der Speisen aus den Gastgeberinnenländern vor.

Kritik am Umgang mit Missbrauch – Benjamin Lassiwe (Glückstädter Fortuna)

Benjamin Lassiwe berichtet von der Vorstellung des ersten Tätigkeitsberichtes der Stabsstelle Prävention und Intervention des Erzbistums Hamburg. Der Bericht umfasst das Wirken des Erzbistums zwischen 2011 und 2023 und dokumentiert vor allem die Fortschritte bei der Bekämpfung von Missbrauch im Erzbistum. Kritik gibt es allerdings vom Betroffenenrat Nord, der nicht hinzugezogen wurde.

Scharf kritisierten die Betroffenen, dass die Stabsstelle Prävention und Intervention im Erzbistum weiter vom Generalvikar geleitet werde. Die Kirche, die auch Täterorganisation sei, gehe bei den Themen Prävention, Intervention und Aufarbeitung von sexualisierter Gewalt also nicht in die Distanz. „Sie belässt Deutungshoheit und Kontrolle in der eigenen Bistumsspitze – genau dort, wo in den Bistümern vielfach verschwiegen und vertuscht wurde.“

Eine Randbemerkung: Wir haben in Deutschland 27 römisch-katholische (Erz-)Bistümer und 20 evangelische Landeskirchen, hinzu kommen noch weitere Kirchen und Religionsgemeinschaften, darunter die größeren muslimischen Gemeinden. Ohne einen engagierten Regionaljournalismus, der vor Ort und in der Region an den Institutionen dran bleibt, wird es nicht gelingen, irgendwann mal so etwas wie eine Landkarte der Aufarbeitung zeichnen zu können, die nicht vor allem weiße Flecken enthält. Gut, wo das schon passiert!

nachgefasst II: Catholica

Nach der sog. „Weltsynode“ ist vor der Synode und eigentlich hört ja Synodalität als Lebensäußerung der römisch-katholischen Kirche nach dem Willen von Papst Franziskus sowieso nie auf. Nachdem das erste Präsenztreffen der Bischofssynode in der vergangenen Woche zu Ende gegangen ist (s. #LaTdH vom letzten Sonntag), toben nun die Deutungskämpfe, was da hinter verschlossenen Türen eigentlich abgegangen ist. Das Synthese-Papier der vatikanischen Sitzung liegt nun auch auf Deutsch vor (PDF). Und am kommenden Wochenende tritt nicht nur die EKD-Synode zusammen, sondern auch der „Synodale Ausschuss“ der römisch-katholischen Kirche in Deutschland (minus einiger Bischöfe, die nicht mitmachen wollen).

Helena Jeppesen: „Wir bekennen uns zum Umbau der hierarchischen Kirche“ – Sandra Leis (kath.ch)

Auf der Nachrichtenplattform der katholischen Kirche in der Schweiz fasst Sandra Leis zusammen, was Helena Jeppesen, eine der TeilnehmerInnen der Bischofssynode, aus Rom im kath.ch-Podcast „Laut + leis“ berichtet. Das ist für Ohren in Deutschland nicht nur wegen des schweizerischen Dialekts gut zu hören.

Das zweitwichtigste Ergebnis ist für Jeppesen die offene Diskussion zur Rolle der Frau in der katholischen Kirche. «An dieser Synode wurde erstmals offen über den Zugang der Frauen zu allen Ämtern gesprochen.» Insbesondere die Frage nach dem Frauendiakonat sei sehr intensiv diskutiert worden. «Da gab es sehr viel Unterstützung aus allen Teilen der Welt und auf allen Hierarchiestufen. Ich glaube, da werden nächstes Jahr Entscheide gefällt.»

Overbeck nach Weltsynode: 2024 muss es um bessere Argumente gehen – Interview mit Bischof Franz-Josef Overbeck von Benedikt Heider (katholisch.de)

Benedikt Heider interview für die deutsche katholische Nachrichtenplattform katholisch.de den Essener Bischof Franz-Josef Overbeck, der ebenfalls an den Beratungen im Vatikan teilgenommen hat. Er lobt die Methode des „sogenannte[n] Gespräch[s] im Heiligen Geist“, wünscht sich aber nun doch stärkere Konkretionen. Die sind im Synthese-Papier allenfalls angedeutet, was daran läge, dass das Papier eine große Mehrheit unter den TeilnehmerInnen finden musste.

an sollte nicht übersehen, dass zu queeren Menschen überhaupt etwas im Text steht und der Passus mit über 80-prozentiger Mehrheit positiv beschieden wurde. Das war schon fast ein Wunder. Mir war es wichtig, dass sich die Themen überhaupt in dem Dokument wiederfinden und wir jetzt damit weiterarbeiten können. Das ist auch ein Vorteil hinsichtlich der nächsten Schritte, die wir jetzt beim Synodalen Ausschuss in den Blick nehmen. Wäre „LGBTQ+“ in dem Text genannt worden, wäre das für einige Menschen in der Aula einer gezielten Provokation gleichgekommen.

Alldieweil die Mehrheit der deutschen Bischöfe schon damit zufrieden ist, dass „ihre“ Themen im Synthesepapier „vorkommen“ und auch in anderen Teilen der römischen Weltkirche diskutiert werden, gilt der weltweite „Synodale Prozess“ von Papst Franziskus ihnen als Erfolg. Deutlich kritischer geht der Bund der Deutschen Katholischen Jugend (BDKJ) mit der Bischofssynode ins Gericht (s. hier): „Die Zeit des bloßen Zuhörens ist vorbei“.

Wenngleich man die Dringlichkeit – insbesondere im Hinblick auf die Umsetzung der Wünsche des Synodalen Weges durch die Bischöfe der deutschen Ortskirche – nachvollziehen kann, wird man hier an Papst Franziskus‘ Botschaft erinnern müssen: Synodalität ist Zuhören. Zuhören ist also sicher nicht vorbei, sondern geradezu der modus operandi, in dem sich dann wie durch (heilige) Geisterhand Wandel vollzieht oder Verständigung ereignet.

Buntes

Klimakonflikte ohne Lösung? (Evangelische Akademie Bad Boll)

Eine Aufzeichnung des Dialogs zwischen Klimaaktivist:innen von Letzter Generation und Fridays for Future mit dem württembergischen Landesbischof Ernst-Wilhelm „No-Tempolimit“ Gohl in der Evangelischen Akademie Bad Boll kann auf deren Website nachvollzogen werden. Die gute Stunde Diskussion sollte man sich gönnen, will man ein Gefühl für die evangelische Debattenlage bekommen. Interessant auch jenseits der Kirchenmauern ist der Einstiegsimpuls von Frauke Höntzsch, vom Lehrstuhl für Politikwissenschaft / Politische Theorie der Universität Augsburg, zur gesellschaftlichen Wirksamkeit von Klimaprotesten und der „Legitimation und Wirkung der Letzten Generation“.

Die Frage nach der Sinnfälligkeit von Protestformen spaltet die deutsche Klimabewegung und auch innerhalb der Kirchen gibt es hier Konfliktherde, die längst nicht gelöscht sind (s. diesen Eule-Artikel von mir vom September 2023). Wo ist also das verbindend Gemeinsame? Die Petition für einen konsequenten Klimaschutz von Theolog:innen und Kirchenleitenden von vorletzter Woche (wir berichteten) hat übrigens auch Ernst-Wilhelm Gohl unterzeichnet. Solar auf Kirchendächern und E-Mobilität dürfte auch strenge Haushalter:innen inzwischen überzeugen ebenso wie ein gut christliches Maßhalten bei Ernährung und Konsum.

An dieser Stelle nochmals ein Hinweis auf die aktuelle Episode unseres „WTF?! RE:“-Podcasts, in der Michael Greder und ich nicht nur über den Papst als Klimaaktivisten sprechen, sondern auch die Bemühungen der Kirchen für mehr Klimaschutz kurz in den Blick nehmen. Die Klimaschutzrichtlinie der EKD ist nun ein Jahr alt und die evangelischen Landeskirchen sind in unterschiedlichen Stadien der Umsetzung befindlich. Auf der Tagung der EKD-Synode (11.-15. November) wird das Thema sicher auch wieder eine Rolle spielen, wenngleich andere – man möchte meinen: selbstbezüglichere – Themen oben auf der Tagesordnung stehen. Mehr dazu dann in den kommenden Tagen und direkt aus Ulm von der Tagung hier in der Eule.

Nach dem Ausscheiden der Juristin Stephanie Springer soll in Ulm Stefan Werner, im Brotberuf Direktor im Evangelischen Oberkirchenrat der württembergischen Landeskirche und juristischer Stellvertreter des Landesbischofs, in den Rat der EKD nachgewählt werden. Es fällt schwer, eine Ratsmitgliedschaft angesichts der vergangenen beiden Jahre Ratsperiode als ein Amt von merklicher Relevanz zu beschreiben, aber hier sei schon einmal notiert, dass Werner das „süddeutsche Loch“ im Rat stopfen soll/wird, das bei der Ratswahl im Herbst 2021 entstanden war (wir berichteten). Auch Werner hat übrigens die Klima-Petition mitgezeichnet.

Buchkritik: „Malus“ von Simone Hirth – Katharina Herrmann (DLF Kultur, 5 Minuten)

Katharina Herrmann bespricht bei DLF Kultur den Roman „Malus“ von Simone Hirth, in dem sich Eva von Adam trennt und jenseits von Eden eine Zukunft für sich einzurichten versucht. Ein „feministischer Roman“, ein politisch engagiertes Buch, dem Herrmann attestiert, dass ihm Zwischentöne und eine „feministische Utopie“ fehlen. Die offensichtlichen biblischen Bezüge machen das Buch allerdings wohl zu einem lohnenden Lese-Experiment für theologisch Interessierte.

Theologie

Dem tatsächlichen Schutz des Lebens dienen – Reiner Anselm, Petra Bahr, Peter Dabrock, Stephan Schaede (zeitzeichen)

In die öffentliche Debatte um die Reform des Schwangerschaftsabbruchs haben sich nun auch vier evangelische TheologInnen eingebracht, die maßgeblich für die Positionierung(en) der Evangelischen Kirche in ethischen Fragen mitverantwortlich sind. In den zeitzeichen verteidigen Reiner Anselm, Petra Bahr, Peter Dabrock und Stephan Schaede die EKD-Stellungnahme zu Händen der Regierungskommission zur reproduktiven Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin, zunächst einmal gegen billige Kritik (s. #LaTdH vom 22. Oktober), aber auch gegen den Vorwurf, es sei zu wenig Theologie im Spiel (z.B. A. Katarina Weilert hier in der Eule). Und dann wäre ja noch die Frage nach der Ökumene, die diese Woche von Ernst-Wilhelm Gohl und Gebhard Fürst prominent gestellt wurde, wie Reinhard Bingener in der FAZ schreibt.

Die theologische Begründung, die in der EKD-Stellungnahme ausfällt, sei einem weiteren Arbeitsprozess (womöglich im „Kammernetzwerk“) der EKD vorbehalten, zu dem man aber jetzt schon einen Beitrag leisten wolle, stellen die AutorInnen fest, um hernach in fünf sehr lesenswerten Punkten das theologische Diskursfeld abzustecken. Der Text ist – typisch für die deutschsprachige universitäre Theologie – inhaltlich sehr dicht und hart an der Grenze der Allgemeinverständlichkeit entlang geschrieben. Man muss ihn studieren und nicht einfach lesen. Das aber sei allen Debatten-Interessierten sehr empfohlen.

Nach der Lektüre habe ich persönlich durchaus Fragen, die im Text nicht ausreichend beantwortet oder beleuchtet werden. Vor allem aber drängt sich mir der Eindruck auf, dass außerhalb der ja im gesellschaftlichen Maßstab sehr kleinen evangelischen Debatte überhaupt nicht auf diesem doch sehr angenehmen Reflexionsniveau öffentlich diskutiert wird – und zwar sowohl auf Seiten der „Lebensschützer“, bei der römisch-katholischen Kirche und auch von manchen oberflächlichen Lifestyle-Linken.

Ein guter Satz

„Komm in unser festes Haus, der du nackt und ungeborgen. Mach ein leichtes Zelt daraus, das uns deckt kaum bis zum Morgen; denn wer sicher wohnt, vergisst, dass er auf dem Weg noch ist.“

– 4. Strophe von „Komm in unsre stolze Welt“ (EG 428), Text: Hans von Lehndorff, 1968