Straßenprotest der "Letzten Generation" in Berlin, Foto: Letzte Generation

Für wen ist Platz in der Herberge?

Die Kirche solle Abstand zur Klimabewegung halten, wird ihr angesichts des Klimastreiks von „Fridays for Future“ und den Aktionen der „Letzten Generation“ geraten. Gerade das Gegenteil ist nötig. Ein Kommentar und Widerspruch.

Die Evangelische Kirchengemeinde am Weinberg in Berlin wird keine Räumlichkeiten für die Unterbringung der „Letzten Generation“ zur Verfügung stellen. Die Protestbewegung hatte bei Kirchgemeinden in der Hauptstadt nach Übernachtungsplätzen nachgefragt. Seine Entscheidung begründete der Gemeindekirchenrat mit der Sorge, „dass sich eine Polarisierung in der Gesellschaft negativ auf die dringend nötigen Bemühungen um Klimaschutz“ auswirke. Das eigene Engagement für den Klimaschutz wolle man verstärken.

An der Entscheidung der Kirchgemeinde ist – das gleich voraus – nichts auszusetzen. Genau so funktioniert die Evangelische Kirche, in der Kirchenmitglieder auf Zeit Verantwortung für die Leitung ihrer Kirche übernehmen. Die Entscheidung erfolgte nach „intensiver Diskussion und unter Berücksichtigung der Meinungsäußerungen aus den Reihen der Gemeindemitglieder“. Zuvor hatte die Gemeinde mitgeteilt, dass eine in Frage kommende leere Wohnung nur unter der Bedingung vergeben werden könnte, dass sie kurzfristig wieder für ihren eigentlichen Zweck zur Verfügung stünde, nämlich für ein Kirchenasyl. Der Gemeindekirchenrat hat also, soweit man das aus der Entfernung beobachten kann, nach den Regeln der Kunst und in guter evangelischer Freiheit und Verantwortung agiert. Und das, obwohl nicht zuletzt durch die verzerrende Berichterstattung der BZ sicher genügend Unruhe herrschte.

Problematisch ist hingegen, was Carina Dobra von der Evangelischen Zeitung aus diesem Vorgang macht: Sie jubelt der Gemeinde zu, als ob diese sich im Kulturkampf um die „Letzte Generation“ auf eine, nämlich die richtige Seite geschlagen hat: „Keine Herberge für die „Letzte Generation“: Richtig so!“ Aus der pragmatischen und sachlich-knapp kommunizierten Entscheidung der Kirchgemeinde macht sie ein symbolisch aufgeladenes Urteil. Bei einem Artikel eines Kirchenmediums darf man die biblische Anspielung durchaus mitlesen: Den Aktivist:innen soll es so ergehen wie Maria und Josef auf Herbergssuche in Bethlehem.

Dem Kulturkampf auf den Leim gegangen

Den „Letzte Generation“-Aktivist:innen gehe es „nicht um die Sache“, ist sich Dobra sicher. Die Kirche tue gut daran, sich nicht um „Übernachtungsanfragen von Menschen zu kümmern, die sich spätestens seit ihrer Aktion am Brandenburger Tor undemokratisch verhalten.“ Und – wohl am allerschlimmsten: Die Evangelischen Kirche muss „sich wohl weiter mit dem Vorwurf einer „links-grün-versifften“ Kirche herumschlagen“.

Etwa weil aus ihren Reihen gelegentlich Solidarität mit der „Letzten Generation“ gefordert wird? Dobra vermutet, dass die Entscheidung der Kirchgemeinde in der „Kirchen-Bubble nicht bei allen gut ankommen“ wird, „vermutlich auch nicht bei der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD)“. Denn die habe ja mit Aimée van Baalen eine Sprecherin der „Letzten Generation“ auf ihre letzte Tagung im Herbst eingeladen (wir berichteten). Die Einladung durch das Synodenpräsidium interpretiert Dobra als Soli-Erklärung der gesamten EKD. Dass van Baalens Rede durchaus kontrovers aufgenommen wurde und keineswegs eine Positionsbestimmung der Evangelischen Kirche war, fällt ebenfalls unter den Tisch.

So gründlich wie Dobra ist in der Kirchenpresse selten jemand allen talking points des Kulturkampfs um die „Letzte Generation“ auf den Leim gegangen. Laut Dobra sorgt die „Letzte Generation“ für jene „Polarisierung in der Gesellschaft“, die den Berliner Gemeindekirchenrat in Sorge versetzt. Die monatelangen (Medien-)Kampagnen gegen Klimapolitik und -Proteste geraten ihr ebenso aus dem Blick wie die Forderungen nach immer neuen Rechtsbrüchen, die von konservativen Politiker:innen angesichts der Klebeproteste geäußert werden. Jede für sich eine Diskursverschiebung und Verschärfung gesellschaftlicher Frontstellungen. Dass in Bayern inzwischen friedliche Protestierende gewohnheitsmäßig in „Präventivgewahrsam“ genommen werden, bleibt ebenso unerwähnt.

Nein, dass wir seit Monaten über Klebeproteste diskutieren statt über guten Klimaschutz, ist nicht allein Schuld der „Letzten Generation“, sondern kommt ihren politischen Gegnern und empörungsaffinen Medienschaffenden sehr entgegen. Mit „Grün“ als Feindbild gewinnt man in Deutschland in Umfragen verlässlich hinzu, Kritik an der „Letzten Generation“ klickt gut.

Den Vorwurf, eine Vorfeldorganisation der Grünen zu sein, wird die Evangelische Kirche sicher nicht durch Kritik an der „Letzten Generation“ los, die übrigens ja reichlich geäußert wird. Er entspringt einer rechten Kulturkampf-Agenda, der die Kirche nicht erliegen darf. Es war der damalige Spitzenkandidat der AfD für die Europawahl Jörg Meuthen, der im April 2016 zu Protokoll gab, man wolle weg vom „links-rot-grün verseuchten 68er-Deutschland“. (Mehr zum Begriff bei Margarete Stokowski 2019 im SPIEGEL.) Eine solche Beleidigung sollte man sich nicht zu eigen machen, erst recht nicht im Modus des Entgegenkommens.

Die guten ins Töpfchen, die schlechten ins Kröpfchen

Dobra fährt damit fort, die Klimabewegung fein säuberlich einzuteilen: Die „Letzte Generation“ bitte in die „undemokratische“ Schmuddelecke, „Fridays for Future“ ans gewärmte evangelische Herz. „Fridays for Future hat es nicht nötig, Denkmäler zu beschmieren und sich im Berufsverkehr an Straßen zu kleben“, führt Dobra aus, ihnen gehe es „nämlich um die Sache“. Vor einer solchen Vereinnahmung muss man die „Fridays“, die bewusst Bündnisse mit anderen zivilgesellschaftlichen Akteuren wie Gewerkschaften und Kirchen schmieden, ausdrücklich warnen. Eine Klimabewegung, die es Regierung und (Kirchen-)Establishment leicht macht, braucht niemand.

Dobras Rechnung ginge gleichwohl nur dann auf, wenn man die Forderungen, die aus der „Fridays for Future“-Bewegung an die Kirchen herangetragen werden, einfach übersähe. Ja, man will dort die Partnerschaft mit den Kirchen. Sie sollen sich laut und mit ihrem politischen Gewicht für den Klimaschutz im Sinne des Pariser Klimaabkommens verwenden, auch wenn sie selbst noch viele Hausaufgaben beim Klimaschutz zu erledigen haben. Das hinderliche Beharrungsvermögen der Institution Kirche steht den „Fridays“ sehr wohl vor Augen.

Bekanntlich sind sich die Aktivist:innen beider Strömungen der Klimabewegung nicht grün. Erst vergangene Woche gab es von den „Fridays“ harrsche Kritik am Kurs der „Letzten Generation“. Prominente Vertreter:innen der Grünen, wie der Bundestagsabgeordnete Konstantin von Notz oder Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck, kritisieren die Methoden der „Letzten Generation“ sowieso ausdauern und deutlich (z.B. auf dem Evangelischen Kirchentag). An der Evangelischen Kirche aber ist es gerade nicht, zwischen genehmen und weniger genehmen Aktivist:innen zu unterscheiden, als ob sie unparteiische Richterin wäre. Sie hat vielmehr Rüstzeug im Gepäck, das es ihr ermöglicht, nicht in die Falle eines unsachlichen Dualismus zu tappen. Sie kann sowohl bei der „Letzten Generation“ als auch bei „Fridays for Future“ Wahrheitsmomente entdecken.

Zu diesem Rüstzeug gehört sicher die Demokratiedenkschrift der EKD von 1985 (PDF), an der so „links-grüne“ Autoren wie Wolfgang Huber, Trutz Rendtorff und der spätere Bundespräsident Roman Herzog (CDU) noch als Vizepräsident des Bundesverfassungsgerichts mitgeschrieben haben. Über das „Widerstehen des Bürgers“ wird dort festgehalten, dass „damit nicht das ganze System des freiheitlichen Rechtsstaats in Gefahr“ gebracht werde, sondern es sich um „demonstrative, zeichenhafte Handlungen“ handele. Insbesondere dürfe solches Handeln nicht mit Verweis auf „Legalität und Legitimität des parlamentarischen Regierungssystems und seiner Mehrheitsentscheidungen abgetan werden“. Übrigens protestieren sowohl „Letzte Generation“ als auch „Fridays for Future“ gegen die fortgesetzte Missachtung der geltenden Klimaschutzgesetze durch die Bundesregierung.

Der Evangelischen Kirche möchte man in Erinnerung rufen, was die Demokratiedenkschrift ausdrücklich festhält: Weil „das Eintreten für die Freiheit des Gewissens unverzichtbar zum Erbe des Protestantismus“ gehört, „wird die evangelische Kirche Respekt und Schutz gerade denen nicht verweigern können, die nach gewissenhafter Prüfung auch persönliche Risiken auf sich nehmen, um vor Entwicklungen zu warnen, die sie für verhängnisvoll halten.“

WTF?! (24): Der Klimastreik und die Kirche

War der Globale Klimastreik erfolgreich? Welche Rolle spielen die Kirchen in der Klimabewegung? Für den 15. September 2023 riefen „Fridays for Future“ und viele Bündnispartner wieder zum Globalen Klimastreik auf. Auch die Evangelische Kirche sowie Vertreter der katholischen Kirche schlossen sich an. Podcast-Host Michael Greder fragt in dieser Episode von „WTF?! What the Facts?“ bei Georg Sauerwein nach, der sich bei „Christians for Future“ engagiert.

Theologe Markschies als missverstandenes Testimonial

Warnen solle die Kirche ja durchaus, meint Carina Dobra, halt nur bitte nicht mit Farbe und Kleber: Die „Kirche muss sich für den Klimaschutz einsetzen“, das stehe „außer Frage“, weshalb „es auch zu ihren Aufgaben [gehört], etwa zum Klimastreik aufzurufen“. Was allen, denen die Zeter-und-Mordio-Rufe zu Beginn der Schulstreiks von „Fridays for Future“ im Jahr 2018 noch erinnerlich sind, widersprüchlich erscheint, ergibt in Dobras Unterscheidung zwischen guter Klimabewegung („Fridays for Future“) und schlechter Klimabewegung („Letzte Generation“) durchaus Sinn.

Überraschender Weise nimmt Dobra für diese Positionierung den Berliner Theologieprofessor Christoph Markschies zum Testimonial, obwohl der sich am Sonntag im Interview bei der WELT ganz anders geäußert hatte. Wenn er Bischof wäre, so Markschies, hätte er, obwohl er „das Klimathema für sehr dringend halte, vermutlich nicht dazu [zum Klimastreik] aufgerufen“. Im WELT-Interview kritisiert Markschies nicht per se das politische Engagement der Kirche, sondern dessen in seinen Augen mangelhafte Begründung. Anders als Dobra ist er sich der Tatsache bewusst, dass die Kirche kritisiert wird, weil „man eine andere politische Meinung hat – und nicht für den bloßen Umstand, dass sie sich überhaupt zu politischen Fragen äußert“.

Die gesellschaftliche Bedeutung der Kirche sieht Markschies nicht in der Aufgabe, „über den Klimawandel aufzuklären“. Dafür gäbe es ja die Wissenschaft. Die Kirche aber habe „eine viel grundlegendere Funktion“. Nämlich, ein Angebot zu machen, wie man „realistisch mit seinem Scheitern“ umgehen kann. Jeder „gute Gottesdienst“ beginne mit der „Thematisierung von Sünde und Schuld und deren Vergebung“. Die Kirche ermögliche es ihm, „neu zu beginnen“, im „Idealfall“ gehe er „fröhlicher und mutiger aus der Kirche heraus“, erläutert Markschies. Die Kirche erfülle so „eine Funktion der Zurüstung, die die Menschen stärkt, wenn sie verzweifeln“.

Für wen ist Platz in der Herberge?

Aus der „Funktion der Zurüstung“ (zu was?) bei Markschies kann schnell die Vision einer heimeligen Gemütlichkeit werden. Carina Dobra gibt ihrer Kirche auf den Weg mit, sie solle „sich darauf besinnen, für die Menschen da zu sein“. Genauer bestimmt wird diese Binse dann so:

„In unsicheren Zeiten, wenn in den Nachrichten wieder von Überflutungen und Erdbeben die Rede ist. Wenn die Angst aufsteigt. Dann sollten die Räume der Kirchengemeinden frei sein.“

Die Kirche soll also ein Ort sein, an dem die durch Bilder von Klimakrisenfolgen verhuschten Christ:innen Zuflucht finden, wenn ihnen die Nachrichten im Fernsehen mal wieder zu grauslich sind, aber keinen Platz für jene Aktivist:innen, die sich aus Gewissensbedenken jenen Kräften entgegenstellen, die für die Klimakrise Verantwortung tragen. Haben die Aktivist:innen denn keine Angst, für die Räume frei sein sollten?

Der Heilige Zorn der „Letzten Generation“ mag uns zuweilen überfordern, ihre Aktionen mögen auch in der Kirche als wenig hilfreich wahrgenommen werden, aber ein unbestimmtes Unbehagen darf nicht zu billigen Verurteilungen führen. Die zumeist jungen Aktivist:innen fühlen sich – zu Unrecht? – in einer Notlage, die sie zum Handeln zwingt. Sie fühlen sich in ihrem Gewissen gebunden, nicht selten mit „religiösem Eifer“. Die EKD-Demokratiedenkschrift von 1985 weiß noch darum, dass Bürger:innen auf diese Weise in Konflikt mit dem Rechtsstaat geraten können. Der Staat müsse auf Rechtsverstöße seine Gesetze anwenden, hält sie fest, aber „die Kirche wird einem so gebundenen Gewissen ihren Beistand nicht verweigern.“


Alle Eule-Beiträge zum Themenschwerpunkt Klimakrise“.


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