Kommentar CDU-Chef Friedrich Merz

Huch, ein Rechtspopulist!

Nach dem Anschlag in Solingen eskaliert der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz. Mit welcher Art Politiker haben wir es hier zu tun?

In den vergangenen Wochen und Monaten des andauernden Ampel-Streits übten sich nicht wenige Journalist:innen sowie ehren- und hauptamtliche Beobachter:innen der Politik darin, sich Friedrich Merz als Kanzler vorzustellen. Wie schlimm könnte eine CDU-geführte Regierung im Vergleich zur rot-grün-gelben Bundesregierung schon sein? Schwarz-Grün dräute schon so verführerisch wie ein Jahr vor der letzten Bundestagswahl. Und Merz? „Der gibt sich doch eigentlich ganz staatsmännisch.“

Den sommerlichen Träumereien hat nun der CDU-Kanzlerkandidat in spe selbst ein Ende bereitet: In den Tagen seit der Messerattacke von Solingen, bei der drei Menschen getötet wurden und acht weitere zum Teil lebensgefährlich verletzt, springt Friedrich Merz im Dreieck durch die politische Landschaft  und sagt in jedes Mikrofon, das ihm hingehalten wird, was jetzt zu tun sei. Dabei ist er – wie im vergangenen Herbst – als knallharter Rechtspopulist unterwegs. Soll so jemand wirklich Bundeskanzler werden?

Manch eine:r mag es übertrieben finden, dass man Merz einen Rechtspopulisten nennt. Machen wir einmal den Ententest: Wenn ich einen Politiker sehe, der herumrennt wie ein Rechtspopulist, der sich geriert wie ein Rechtspopulist und spricht wie ein Rechtspopulist, dann ist er wahrscheinlich ein Rechtspopulist.

Ein Anschlag wie die Messerattacke von Solingen ist immer auch eine Tragödie, eine menschliche und persönliche Katastrophe für die Opfer, ihre Angehörigen sowie Zeug:innen und Helfer:innen. Im Nachgang eines solchen Verbrechens gebietet es daher die Pietät, als Politiker:in Zurückhaltung zu üben. Solange eine polizeiliche Fahndung oder eine staatsanwaltschaftliche Ermittlung anhalten, verbieten sich Mutmaßungen und Interpretationen, die womöglich nicht von der Faktenbasis gedeckt sind.

Der Respekt vor den Opfern und Angehörigen gebietet es insbesondere, sich (vor-)schnellen Deutungen und Schuldzuweisungen zu enthalten. An einem Anschlag wie in Solingen ist nie nur ein:e Akteur:in schuld, vielmehr tragen immer viele Menschen eine Mitverantwortung, haben vielleicht Fehler gemacht. Die Hauptschuld trägt in diesem Fall ein einzelner Täter, bei dem eine Menge schiefgelaufen sein muss. Sonst sticht man nicht mit einem Messer auf andere Menschen ein. Auch lässt sich eine Katastrophe zumeist nicht monokausal auf einen gesellschaftlichen oder politischen Missstand zurückführen.

Wer all das trotzdem tut, der oder die ist vielleicht aufgeregt und verzweifelt. Als Privatmensch darf man natürlich irrational und unüberlegt kommunizieren. An einen CDU-Parteichef und kommenden Kanzlerkandidaten darf man höhere Ansprüche stellen: Besonnenheit, Mäßigung im Auftreten und in der Wortwahl, Einfühlungsvermögen, (von mir aus kritische) Solidarität mit den politisch Verantwortlichen, zum Beispiel mit dem Ministerpräsidenten des zuständigen Bundeslandes, der auch noch ein Parteifreund ist.

Ressentimentverstärker und Volkstribun

Am Sonntag bereits wartete Friedrich Merz mit der Botschaft auf, Deutschland dürfe zukünftig überhaupt keine Flüchtlinge aus Syrien, dem Herkunftsland des Attentäters von Solingen, und Afghanistan, einem weiteren muslimischen Land, aufnehmen. In einem „Brennpunkt“ der ARD sagte er: „Wir haben Leute hier in Deutschland, die wir hier nicht haben wollen. Und wir müssen dafür sorgen, dass nicht mehr kommen.“ Diese Forderung liegt vollständig im Widerspruch zur deutschen und europäischen Asylgesetzgebung, zur Genfer Flüchtlingskonvention, sogar zum knallneuen CDU-Grundsatzprogramm. Sie ist ein durchsichtiger politischer Schnellschuss, der mit Ressentiments gegen Muslime rechnet und sie verstärkt.

Indem Merz ein „Wir“ konstruiert, das diese „Leute“ hier nicht haben will, macht er sich zum Sprachrohr einer „schweigenden Mehrheit“, die vermeintlich unter der gegenwärtigen Flüchtlings- und Migrationspolitik leidet. Die klare Markierung von Eigenem und Fremden, von Zugehörigkeit und Nicht-Zugehörigkeit, von Freund und Feind entleiht Merz direkt aus der dunklen Tradition des deutschen Rassismus. Wer es etwas weniger despektierlich, sondern gut bürgerlich distinguiert will: Er leiht sich das Freund-Feind-Schema direkt bei Carl Schmitt, also aus dem Playbook der Neuen Rechten.

Friedrich Merz fordert von der Bundesregierung, sie solle keine „Symbolpolitik“ gegen Messer machen: „Nicht Messer sind das Problem, sondern die Personen, die damit herumlaufen. In der Mehrzahl der Fälle sind dies Flüchtlinge, in der Mehrzahl der Taten stehen islamistische Motive dahinter.“ Das ist eine Behauptung, die durch die bekannten Fakten nicht gedeckt ist. Das ZDF hatte erst im Juli zu Messerdelikten recherchiert, weil die AfD-Vorsitzende Alice Weidel im Sommerinterview des Senders von einem „Rekordwert“ von „Messergewalt“ gesprochen hatte. Demnach ist der Anteil „nichtdeutscher Tatverdächtiger bei Messerangriffen“ zwar „deutlich höher als es dem Anteil an der Bevölkerung entspricht“, aber die Zahl deutscher Tatverdächtiger übersteigt diejenige von nichtdeutschen oder gar „zugewanderten“ Tatverdächtigen erheblich.

Politik im Dringlichkeitsmodus und autoritäres Phantasma

Am Montag, drei Tage nach der Gewalttat von Solingen, legte Merz auf einer Wahlkampfveranstaltung in Sachsen nach: „Wir wollen nicht mehr und nicht weniger, als dass der Bundeskanzler seinem Amtseid nachkommt und Schaden vom deutschen Volk abwendet“, sagte er laut dpa. Damit insinuiert er, Bundeskanzler Scholz würde „eidbrüchig“. Wie der Publizist Andreas Püttmann richtig einordnete, handelt es sich dabei um ein zentrales Narrativ der AfD. Einen „Verrat am deutschen Volk“ hatte man schon seiner Vorgängerin Angela Merkel wegen ihrer Flüchtlingspolitik im Jahr 2015 vorgeworfen.

Man müsse „jetzt Entscheidungen in Deutschland treffen und nicht mehr nur drum herumreden“ rief Merz auf der Dresdner Bühne neben den Ministerpräsidenten Michael Kretschmer (CDU) und Markus Söder (CSU). „Es reicht“ und „mehr ist jetzt nicht mehr akzeptabel“ verkündete er. Friedrich Merz sieht Deutschland in einem Ausnahmezustand, will gar eine „nationale Notlage“ ausrufen. Damit macht er sich nicht nur eine politische Apokalyptik zu eigen, die er und seine Parteifreunde bei anderer Gelegenheit brüsk zurückweisen. Vor allem muss man sich fragen, was auf solche finalen Ansagen denn folgen soll: Ein Volksaufstand gegen die bisherige Flüchtlings- und Migrationspolitik? Zwangsmaßnahmen gegen alle Asylsuchenden? Die Mobilisierung der Polizei an allen Straßenecken?

Die Möglichkeiten der jetzt schon restriktiven Asylpolitik werden übrigens weder von Kretschmer noch von Söder oder ihrem nordrhein-westfälischen Kollegen Hendrik Wüst (CDU) ausgeschöpft. Mit Vorliebe, so scheint es, schiebt man ohnehin Handwerksgesellen ab. Die trifft man auch ohne Ermittlungsaufwand für gewöhnlich am Arbeitsplatz, im Sportverein, in der Moschee oder in ihrer Wohnung an. Es gehört zur Unehrlichkeit der Migrationsdebatte im Anschluss an Solingen, dass es längst alle möglichen Gesetze gibt, aber selbst CDU-Ministerpräsidenten vor einer Vollstreckung der überharten Regelungen zurückschrecken. Sollte Merz damit seinem innerparteiischen Konkurrenten Wüst eins auswischen wollen, ist dies nichts anderes als Politik mit dem Leid anderer Menschen.

Der Ruf nach immer weiteren Verschärfungen der Gesetzgebung ist eine Verschiebung der Debatte, wie sie vom Terror und seinen Niesnutzern beabsichtigt ist. Den demokratischen Rechtsstaat als handlungsunfähig hinzustellen, ist Teil der Masche von Rechtspopulisten. Seine finale Zuspitzung erfuhr dieses Narrativ im Verdikt von Merz, dem Kanzler „entgleite das Land“ – verkündet auch noch direkt im Anschluss an eine Unterredung mit Bundeskanzler Scholz am Dienstag dieser Woche.

Hier finden die Motive des Ausnahmezustandes – Deutschland versinke im Chaos – und des Autoritarismus  – „Es braucht jetzt keine Mahner mehr, es braucht endlich Macher für unser Land“ – zusammen. Ein Kanzler, der das Land fest im Griff hat, verrät als Sprachbild schon den Autoritarismus, der Merz in den altbundesrepublikanischen Knochen sitzt. Im Gegenüber zu solchen politischen Allmachtsfantasien gewinnt sogar Scholzens Regieren als Verwalten des Unabwendbaren wieder an Charme. Nicht umsonst erklärte der Bundeskanzler im Anschluss maliziös (und ebenfalls auf einer Wahlkampfveranstaltung in Sachsen), er berichte für gewöhnlich nicht aus vertraulichen Gesprächen. Merz hingegen nutzte die Gelegenheit, in der Bundespressekonferenz ausführlich darüber Auskunft zu erteilen, was er dem Kanzler zur Bekämpfung der „nationalen Notlage“ angeraten habe.

Applaus für den Rechtspopulisten?

Ressentimentverstärkung, Volkstribunen-Positur, politische Apokalyptik, gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit, Scheinlösungen, Autoritarismus und mangelnde Impulskontrolle: Friedrich Merz ist ein Rechtspopulist. Das ist eine Zuschreibung, die man sich durch konkretes politisches Verhalten verdient, nicht durch die Farbgebung seiner Partei.

Es hat sich ja eingebürgert danach zu fragen, was ein CDU-Vorsitzender Friedrich Merz für die AfD bedeutet. Natürlich klatscht man dort ob so einer politischen Performance – inklusive des heute einsetzenden Zurückruderns – in beide Hände. Aber 2024 wird es Zeit sich ernstlich zu fragen, was ein Kanzler Friedrich Merz eigentlich für Deutschland bedeutet. Die CDU führt die Umfragen im Land mit weitem Vorsprung an, in Thüringen und Sachsen sind Wahlerfolge der Union nahezu gleichbedeutend mit einer Vermeidung einer Regierungsbeteiligung der AfD. Deutschland braucht jetzt eigentlich eine Christdemokratie, die besonnen Verantwortung für Demokratie und Land übernimmt.

Und weil Die Eule ja ein Magazin für Kirche, Politik und Kultur ist, noch ein letzter Punkt: Beim kommenden Kirchentag in Hannover im Frühjahr 2025 wird Merz womöglich – wie in Nürnberg 2023 – andächtig über Verantwortung in der Politik sprechen wollen. Wird es dafür dann wieder warmen Applaus geben?

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