Newsletter #LaTdH

Freiheit und Verantwortung – Die #LaTdH vom 23. März

CDU/CSU wollen die Entwicklungszusammenarbeit radikal kürzen. Außerdem: Erfolg für Missbrauchsbetroffene, Befreiungstheologie im Bauernkrieg und ein gesundender Papst.

Herzlich Willkommen!

„Viele Menschen haben Familienmitglieder verloren, sind traumatisiert und haben alles verloren, was ihnen lieb war. Diese Wunden heilen nur langsam. [..] Es ist schwierig, ein normales Leben zu führen, wenn man sich ständig fragt, ob es jemals wirklich Frieden und Sicherheit geben wird.“

Maher Habesch lebt seit bald 30 Jahren in Deutschland. Er ist als Kind einer jesidischen Familie nach Deutschland gekommen. Heute ist er verheiratet, Vater, ehrenamtlich und politisch engagiert und arbeitet im Haushaltsreferat des Kirchenamtes der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) in Hannover. In einem Kurzinterview anlässlich des Sonntags Reminiszere auf der Website der EKD erzählt er vom Schatten, den die Verbrechen des Islamischen Staates (IS) noch immer auf das Leben der Jesid:innen werfen und vom schwierigen Ankommen in Deutschland. Erst nach 25 Jahren hat Habesch die deutsche Staatsbürgerschaft erhalten.

Am Passionssonntag Reminiszere erinnert die Evangelische Kirche an verfolgte und bedrängte Christen. In diesem Jahr (also vergangenen Sonntag) besonders an die Situation von Christ:innen und Jesid:innen im Irak. Eine eigene Themenseite auf der EKD-Website enthält weiterführende Informationen und Material für den Gottesdienst. Die Kollekte des Sonntags war u.a. für die christliche Hilfsorganisation CAPNI bestimmt.

Gelegentlich wird ja den großen „liberalen“ Kirchen von evangelikaler bzw. sehr konservativ katholischer Seite aus vorgeworfen, sie würden sich für das Schicksal verfolgter Glaubensgeschwister nicht wirklich interessieren: Weil sie sich mühen, immer auch die Situation von Gläubigen anderer Religion mit zu bedenken und ihr Engagement auf wissenschaftlich korrekte Daten stellen. Die Schicksale bedrängter und verfolgter Christ:innen werden nicht selten zur Verschiebemasse in einer Auseinandersetzung, die eigentlich andere Gründe und Ziele hat.

Vor zwei Jahren haben EKD und Deutsche Bischofskonferenz (DBK) ihren bisher letzten und dritten „Ökumenischen Bericht zur Religionsfreiheit weltweit“ (PDF) vorgelegt. In der Einleitung wird erklärt:

„Zu einem richtigen Verständnis der Religions und Weltanschauungsfreiheit gehört auch, dass sie kein isoliertes Recht darstellt, sondern erst im Zusammenspiel mit den anderen Menschenrechten vollständig erschlossen werden kann.“

Ohne Frieden und Sicherheit – auch von Wohnung und Ernährung – keine Freiheit der Religionsausübung. In dieser Perspektive muss beunruhigen, ja entsetzen, welche globalen Probleme derzeit durch den Wegfall der Entwicklungshilfe der USA entstehen. Auch in Deutschland wird daran gearbeitet, die Mittel für internationale Entwicklungszusammenarbeit zusammenzustreichen und stärker an geopolitische Interessen zu binden. Mehr dazu in der „Debatte“ dieser #LaTdH.

Eine gute Woche wünscht
Philipp Greifenstein

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Debatte

Der von US-Präsident Donald Trump und seinem „Berater“ Elon Musk orchestrierte und inszenierte Staatsstreich in den USA hat weltweit Folgen. Nicht nur stehen die Zukunft der Ukraine und die gesamte Sicherheitsarchitektur Europas zur Disposition, die umfassenden Abrissarbeiten an der Enwicklungshilfebehörde USAID gefährden Millionen von Menschen vor allem in Südamerika, Asien und Afrika. Bereits kurz nach seinem Amtsantritt hatte Donald Trump „die Arbeit der Entwicklungsbehörde weitgehend gestoppt, den Hauptsitz in Washington geschlossen und einen Großteil der Mitarbeiter beurlaubt“.

Auch wenn das letzte Stündlein von USAID dank der Intervention der Gerichtsbarkeit noch nicht geschlagen hat: Der bereits angerichtete Schaden ist wohl schwer zu reparieren. In einem gemeinsamen Positionspapier für die Verhandlungen um eine neue Bundesregierung hatten die kirchlichen Hilfswerke Brot für die Welt und Misereor u.a. gefordert, Europa müsse die entstandene Lücke in der Finanzierung von Hilfsprojekten schließen (s. #LaTdH vom 2. März): „Deutschland muss jetzt, da die Auslandshilfen der USA wegbrechen, Verantwortung übernehmen.“ Stephan Klingebiel vom German Institute of Development and Sustainability (IDOS) erklärte bei tagesschau.de:

„Die USA sind auf dem Gebiet der Entwicklungszusammenarbeit weltweit mit großem Abstand das größte Geberland. 2023 waren es gut 65 Milliarden US-Dollar, davon ungefähr 50 Milliarden US-Dollar über USAID. Ungefähr 42 Prozent der humanitären Hilfe der Vereinten Nationen stammen aus den USA. Wenn diese Hilfe von heute auf morgen eingefroren wird, hat das sofort massive Folgen – dann kommt ein ganzes System zum Erliegen.“

Bittere Folgen – Bernd Hontschik (Frankfurter Rundschau)

In seinem Kommentar für die Frankfurter Rundschau erklärt Bernd Hontschik anknüpfend an die viral gegangene Rede des französischen Senators Claude Malhuret die bitteren Folgen der USAID-Zertrümmerung. Auch weist er darauf hin, dass USAID niemals nur einfach geholfen hat, sondern die USA mit USAID immer schon geopolitische und strategische Interessen verfolgt haben.

Klar ist, dass unter der Trump-Regierung die bisherige Entwicklungshilfe radikal zusammengestrichen wird und noch viel stärker als bisher an nationale Interessen zurückgebunden werden soll. Jede Entwicklungszusammenarbeit ist im besten Fall auch strategisch, insofern sie Probleme adressiert, die nur scheinbar am anderen Ende der Welt existieren. Hat uns die Pandemie nichts gelehrt?

Programme zur Krankheitsbekämpfung, Epidemieprävention und Aufbau einer medizinischen Grundversorgung in Lateinamerika, Asien und vielen afrikanischen Ländern brachen abrupt in sich zusammen. Tausende von Beschäftigten dort verloren von heute auf morgen ihren Arbeitsplatz. […] Wessen Blick über den Tellerrand reicht, der muss rasch sehen, dass Frieden, Freiheit und vor allem auch Gesundheit in unserem Land direkt abhängig sind von klugen internationalen Hilfsinterventionen. Gegenwärtig ist dieses Wissen in den USA völlig unter die Räder gekommen.

In seinem Artikel erwähnt Hontschik auch die anschwellende Kritik an der Entwicklungszusammenarbeit in Deutschland. Entsprechende mit einigen Lügen versehene Propaganda spielte auch im Bundestagswahlkampf immer wieder eine Rolle. Und dann wäre daneben und darunter schlicht das Interesse von CDU/CSU, über Entwicklungshilfe stärker „entlang nationaler Interessen“ zu entscheiden, wie es Thorsten Frei (CDU, röm.-kath.) ausdrückt. Frei gehörte im Wahlkampf zu den „eskalierenden Konservativen“ (s. #LaTdH vom 9. Februar).

„Schneller als Trump?“ – Merz will Entwicklungshilfe halbieren und Ministerium abwickeln – Thomas Krumenacker (RiffReporter)

Das unabhängige Recherche-Magazin RiffReporter berichtet, dass CDU/CSU planen, das Entwicklungshilferessort als eigenständiges Ministerium abzuschaffen. Bisher ist für die Entwicklungszusammenarbeit das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) zuständig, mit dem auch kirchliche Hilfswerke aufs Engste zusammenarbeiten. Die Union möchte das BMZ umstruktieren und ins Auswärtige Amt eingliedern.

Die Zusammenlegung solle mit einer Halbierung des Budgets für Entwicklungszusammenarbeit einhergehen, erfuhr RiffReporter aus Kreisen der Unterhändler. Auf Seiten der SPD gibt es starken Widerstand gegen die Pläne. „Wir kämpfen dafür, dass weder das eine noch das andere kommt“, sagte eine mit dem Verhandlungsstand vertraute Person. Eine Prognose darüber, wer sich am Ende durchsetzen wird, wollte in Verhandlungskreisen niemand wagen.

Die Abschaffung des Ministeriums wäre ein Bruch von historischer Dimension. Das Ministerium gibt es seit mehr als 60 Jahren. […] Derzeit leitet die SPD-Politikerin Svenja Schulze das Ressort. Schulze ist auch Verhandlungsführerin ihrer Partei in der zuständigen Arbeitsgruppe […]. Der Etat des Entwicklungsministeriums war im Zuge der Sparpolitik der Ampel-Koalition schon in den vergangenen Jahren stark zusammengestrichen worden und lag zuletzt bei gut 10 Milliarden Euro. Eine Halbierung der Finanzmittel würde die bislang führende Rolle Deutschlands in der internationalen Entwicklungszusammenarbeit stark schwächen.

Statt also die wegbrechenden Milliarden von USAID zu ersetzen oder sich auf einen Rückzug der USA aus der Finanzierung von Hilfsprogrammen der Vereinten Nationen vorzubereiten, will die Union auch an der deutschen Entwicklungshilfe sparen. Was ist daran strategisch oder im langfristigen „nationalen Interesse“?

Widerstand gegen die Pläne kommt allerdings nicht nur von der SPD, sondern auch von zwei ehemaligen EntwicklungshilfeministerInnen: Im Berliner Tagesspiegel warnen Gerd Müller (CSU) und Heidemarie Wieczorek-Zeul (SPD) (gemeinsam mit dem ehem. britischen Staatssekretär für Entwicklung Mark Lowcock) davor, die Entwicklungszusammenarbeit zugunsten der Verteidigung zu streichen:

Natürlich braucht das internationale Engagement Koordination, Effizienz und strategische Kohärenz. Sicher ist es richtig, bei der Entwicklungszusammenarbeit noch mehr auf messbare Wirksamkeit zu achten. Das bekommt man aber nicht durch den Abbau von Strukturen und Expertise. […] Es kommt jetzt darauf an, die internationale Zusammenarbeit Deutschlands strategisch zu stärken und richtige Prioritäten zu setzen. Bei der Vielzahl der diplomatischen, humanitären und finanz- und wirtschaftspolitischen Krisenherde wäre es gefährlich, wenn Fragen der Nachhaltigkeit und Kooperation untergeordnet würden, und Entwicklungspolitik nicht unabhängig gedacht wird.

Warnungen von den kirchlichen Hilfswerken

Auch die Hilfswerke der Kirchen, Brot für die Welt (evangelisch) und Misereor (katholisch), warnen eindringlich vor Kürzungen bei der Entwicklungszusammenarbeit. Mit einem Brief des Vorstands an die Verhandler:innen in Berlin und einer Pressemitteilung nahm Misereor in dieser Woche Stellung zu den Plänen der Union und warnt vor einer „Abwendung vor der Welt“:

Auch die Projektarbeit von Misereor in Asien, Afrika und Lateinamerika würde dadurch stark in Mitleidenschaft gezogen, werden doch die mehr als 3200 laufenden Projekte von fast 1900 Partnerorganisationen auch mit Mitteln aus dem BMZ finanziert. Viele dieser Projekte werden an Orten umgesetzt, die staatliche Kooperationen oder Botschaften nicht erreichen, oder wo diese sich zurückziehen mussten.

„Die verlässliche Zusammenarbeit mit Deutschland bietet vielen unserer lokalen Partner aus der Zivilgesellschaft in Ländern Schutz, in denen zunehmend autokratische Regime regieren. Das geht nur mit dieser Art von Partnerschaften. Wir sind zutiefst von dieser Arbeit und ihrer Wirkung überzeugt. Sollten Sie weite Teile dieser Arbeit abwickeln wollen aus offensichtlich innenpolitischen Überlegungen, werden diese Partnerschaften und Netzwerke absehbar verloren gehen und Deutschland an Bedeutung in der Welt verlieren“, warnt …

… Misereor-Hauptgeschäftsführer Andreas Frick. Und die Präsidentin von Brot für die Welt und Diakonie Katastrophenhilfe, Dagmar Pruin, fordert, Deutschland müsse „den Dominoeffekt“ aufhalten:

„Wenn Deutschland erneut seine Ausgaben im Bereich der Internationalen Zusammenarbeit senkt, wird dies Nachahmer finden. Diesen Domino-Effekt kann und muss Deutschland aufhalten – weil es wirtschaftlich dazu in der Lage ist. Investitionen in globale Entwicklung stärken den Zusammenhalt von Gesellschaften, der Frieden und Wohlstand erst ermöglicht. Investitionen in internationale Zusammenarbeit stärken genau jene Ordnung, die uns Jahrzehnte des Friedens und des Wohlstands erbracht hat. Es ist absurd, die Mittel zur Vorbeugung von Krieg und Gewalt zu senken. Das würde uns in Zukunft um ein Vielfaches teurer zu stehen kommen.“

Die mäßigenden Einrede der Kirchenlobbyisten in dieser Angelegenheit ist ebenso wenig überraschend wie die harrsche Kritik aus Entwicklungshilfeorganisationen. Aber kräht sonst noch ein Hahn danach? Viele Menschen fänden sich wohl damit ab, dass wegen und trotz der immensen Investionen in Sicherheit, Rüstung und Infrastruktur an anderer Stelle gespart werden muss. Dann doch lieber „am anderen Ende der Welt“. Wie kurzsichtig!

nachgefasst I

Papst Franziskus aus Krankenhaus entlassen

Wie am Sonnabend bekanntgegeben wurde, wird Papst Franziskus heute die Gemelli-Klinik verlassen, in die er am 14. Februar wegen einer komplizierten Lungenerkrankung und akuter Atemnot eingeliefert wurde. In seiner vatikanischen Wohnung soll sich Franziskus allerdings zwei Monate lang vor allem seiner Gesundung widmen. Eine Beteiligung des Papstes an den Osterfeierlichkeiten ist ungewiss. Zwei Mal während der vergangenen Wochen hätte der Papst beinahe „sein Leben verloren“, berichteten die Ärzte laut Rich Raho (Bluesky).

Eule-Podcast (41): Theologiestudium heute – Michael Greder im Gespräch mit Fabian Reinbott (Die Eule, 32 Minuten)

In der aktuellen Episode des „Eule-Podcast“ spricht Podcast-Host Michael Greder mit Fabian Reinbott vom Studierendenrat Evangelische Theologie (SETh) über die Reform des Theologiestudiums, die gerade in einer Gemischten Kommission von Professor:innen und Vertreter:innen des Mittelbaus und von Studierenden beraten wird.

Zuerst geht es aber im Gespräch (kluger Weise ..) darum, wie heute eigentlich Theologie studiert wird und welche Probleme sich aus der geringen Studierendenzahl schon heute ergeben. Eine Empfehlung für alle Menschen, denen die universitäre Theologie am Herzen liegt und die sich qualifiziert zur Reform des Theologiestudiums äußern wollen!

nachgefasst II: Missbrauch evangelisch

Das kann gut werden – Philipp Greifenstein (Die Eule)

Am Freitag gaben EKD und Diakonie Deutschland bekannt, dass auch der Rat und Kirchenkonferenz der EKD der neuen Richtlinie für Anerkennungsleistungen für Betroffene sexualisierter Gewalt zugestimmt haben. Was in der Richtlinie drin steht und wie es jetzt weitergeht, habe ich noch am Freitag in einer Eule-Analyse zusammengefasst. Mit der Zustimmung aller EKD-Organe geht ein fünfjähriger Kampf von Betroffenen im alten Betroffenenbeirat und im seit 2022 eingerichteten Beteiligungsforum sexualisierte Gewalt (BeFo) – wie ich finde – erfolgreich zu Ende:

Die Forderungen vieler Betroffener nach einem einheitlichen Verfahren, mehr Rechten bei der Antragsstellung und nach einer deutlich spürbaren finanziellen Anerkennung ihres Leides wurden im BeFo und auf den Leitungsebenen von Kirche und Diakonie gehört. Viele der nun verabredeten Regelungen wurden schon seit über zwei Jahren diskutiert, wie z.B. das Recht auf ein Gespräch vor der Kommission und die zwei Säulen der Anerkennungsleistungen. Weitgehend haben sich hier die Betroffenenvertreter:innen durchgesetzt.

Was Rat und Kirchenkonferenz der EKD beschlossen haben und nicht zuletzt auf dem Weg des Stellungnahmeverfahrens von den Landeskirchen bereits ausführlich mitberaten wurde, darf nun auf landeskirchlicher Ebene nicht zerredet oder verwässert werden.

Bereits in den #LaTdH vom vergangenen Sonntag hatte ich über die Konstitutierungen der Unabhängigen regionalen Aufarbeitungskommissionen (URAKs) geschrieben, die in diesen Wochen in der Evangelischen Kirche und Diakonie anstehen (sollten). Die Kommissionen für Anerkennungsleistungen sollen nun in den selben Verbünde-Zuschnitten eingerichtet werden, die bisher bestehenden Kommissionen von einzelnen Landeskirchen, diakonischen Landesverbänden und/oder regionalen Verbünden sollen mit Konstituierung der neuen Anerkennungsleistungskommissionen eingestellt werden.

Das alles soll bis 1. Januar 2026 geschafft sein. Wie die Einrichtung der URAKs zeigt, muss man den Landeskirchen und diakonischen Landesverbänden dabei gut auf die Finger schauen. Dass die Verbünde für beide Komissionssysteme gleich sein werden, liegt nahe und ist angesichts der langfristigen bürokratischen und fachlichen Herausforderungen angemessen. Gleichwohl wird es darauf ankommen, Verwechslungen zwischen URAKs und Anerkennungsleistungskommissionen durch beharrliches Erklären einzudämmen.

Buntes

Umgang mit der AfD: Wie sich die Evangelische Kirche in Sachsen-Anhalt für Versöhnung einsetzt – Daniel George (MDR)

Unter der etwas sinnentstellend zusammengestellten Überschrift (um „Versöhnung“ mit „der“ AfD geht es gerade nicht) berichtet der Mitteldeutsche Rundfunk über die Arbeit des Projekts „Bubblecrasher“ der Evangelischen Akademien Thüringen und Sachsen-Anhalt. Entwickelt wurde das Projekt von Annika Schreiter, Studienleiterin an der Evangelischen Akademie Thüringen in Neudietendorf und Expertin für politische Jugendbildung (s. #LaTdH vom 23. Februar 2025 zur Radikalisierung von jungen Menschen und „Frau Doktor“-Kolumne von ihr vom Herbst 2020). Der MDR hat außerdem mit Tobias Thiel von der Akademie in Wittenberg gesprochen:

„Als Kirche haben wir ein großes Potenzial: Wir sind der Nächstenliebe verpflichtet. Außerdem haben wir unseren eigenen Wertekanon. Das heißt: Wenn jemand rechtsextremistische oder menschenfeindliche Positionen vertritt, können wir ganz klar zum Ausdruck bringen, dass das so nicht geht. Gleichzeitig ist aber auch dieser Mensch unser Nächster, mit dem wir im Gespräch bleiben müssen und dürfen. Jeder ist unser Nächster – egal, welche Partei er wählt. So können wir versöhnend wirken.“

Wie auch andere Projekte der politischen und demokratischen Bildung im Allgemeinen und für junge Menschen im Besonderen steht „Bubblecrasher“ immer wieder in Frage. Die Finanzierung von Demokratieförderung aus Bundes-, Landes- und Kommunalhaushalten müsste angesichts der rechtsextremistischen Bedrohung eigentlich ausgebaut, mindestens jedoch so verstetigt werden, dass ein Zugriff der Extremisten auf die Bildungsarbeit ausgeschlossen wird.

Forscher: Langweile in Kirche durch ansprechende Predigt vorbeugen (Kathpress)

Ein Forschungsteam der Universitäten Wien und Sussex hat sich mit „spiritueller Langeweile“ in verschiedenen Kontexten befasst, u.a bei Gottesdiensten, Pilgerreisen, Schweigeexerzitien, Yoga und Meditation. Die Studie kann hier & hier in englischer Sprache nachgelesen werden. Spirituelle Langeweile sei, so die Forscher:innen, zum Beispiel mit Über- und Unterforderung und der Frage nach Alltagsrelevanz verbunden. In den deutschen Medien wurden die Berichte über die Studie (gewohnheitsmäßig) auf den Sonntagsgottesdienst / die Messfeier enggeführt. Dabei reicht die Studie weiter:

Während die Predigt in der Studie am schlechtesten abschnitt, wurde das Pilgern von den Befragten als kurzweiligste spirituelle Übung wahrgenommen. Götz begründete dies vor allem durch die Abwechslung: „Man erlebt Natur, Bewegung und soziale Interaktion sowie Herausforderungen durch Wetter oder Streckenführung, was die Erfahrung dynamisch macht. Zudem kann jede und jeder seinen eigenen Rhythmus bestimmen, Pausen einlegen oder Gespräche führen.“

Freiheit verhindert Langeweile, erklärt Studienleiter Thomas Götz. Und das ist doch mal eine richtig gute Nachricht für die Gestaltung aller möglichen analogen und digitalen (!) Verkündigungsformate!

Theologie

„Die Veränderung der Welt sitzt vor der Tür“ – Tobias Prüwer (nd)

In diesem Jahr wird nicht nur am „Hauptsitz“ der Eule in Bad Frankenhausen (mitten im „Müntzer-Land“) an den Bauernkrieg und das Wirken des Reformators und Revolutionärs Thomas Müntzer erinnert. Eine fast schon überraschend große Zahl von Büchern ist anlässlich des Jubiläums erschienen (s.u. Foto der Auslage des Buchladens in Bad F). Darunter einige veritable Brocken, z.B. „Der Bauernkrieg. Ein Medienereignis“ von Thomas Kaufmann.

Wesentlich kürzer fasst sich Tobias Prüwer in seinem neuen Buch „1525. Thomas Müntzer und die Revolution des gemeinen Mannes“. Im nd schreibt er nicht nur en passant über die schwierige Rezeptionsgeschichte (sehr passender Publikationsort dafür!), sondern warum der „Bauernkrieg“ viel besser als eine „Revolution des gemeinen Mannes“ verstanden werden kann.

Entgegen der landläufigen Vorstellung vom »Deutschen Bauernkrieg« kommt die Beschreibung als »Revolution des gemeinen Mannes« den Ereignissen 1525 näher […] Thomas Müntzer teilte dieses Ansinnen einer Veränderung der Ordnung und begründete es theologisch. Und er war sich sicher, auf welcher Seite Gott steht. Dieses Vorhaben einer demokratischen Theokratie oder theokratischen Demokratie war revolutionär. Es zeigt Züge früher Ideologiekritik, wenn Müntzer die lutherische Theologie als Herrschaftsinstrument demaskiert, weil sie die Obrigkeit legitimiert. Mit der Analyse sollte er posthum Recht behalten … […]

Das letzte Wort über 1525 ist noch nicht gesprochen worden, wenn jüngst gedruckte Darstellungen die Revolution mal in Junkerworten als »Unruhen« und »wilde Handlung« beschreiben, mal sie hochjazzen zu »Deutschlands großem Volksaufstand«. Darin zeigt sich ein durchaus großer Deutungsspielraum, den es auszuloten gilt.

Ein bedeutender Impuls für die Freiheitsbewegung in Deutschland – Michael Haspel (WortMelder, Uni Erfurt)

Auf dem Forschungsblog der Universität Erfurt „WortMelder.“ erklärt Michael Haspel (s. hier, hier & hier in der Eule) die Bedeutung des Bauernkrieges und insbesondere der „Zwölf Artikel der Bauern in Schwaben“ für die deutsche Demokratie- und Freiheitsgeschichte. Ein willkommener Einstieg ins Thema, bevor man sich für den Kauf eines der riesigen Schinken zum Jubiläum entscheidet (Haspel erwähnt mehrfach Lyndal Ropers „Für die Freiheit“):

Lyndal Roper weist in ihrem Bauernkriegsbuch darauf hin, dass die Forderungen zur Nutzung der Natur schöpfungstheologisch begründet werden, mithin sich also Ansätze einer Theologie der Bewahrung der Schöpfung erkennen lassen, die sich gegen eine intensivere Nutzung der Natur wenden.

Man könnte also sagen, dass sich in den „Zwölf Artikeln“, aber auch vielen anderen Dokumenten der Bauern, Ansätze einer Theologie der Befreiung finden, wie sie in der Antisklavereibewegung und dann eigentlich erst wieder Ende der 1960er-Jahre wirksam geworden ist. […] Auffällig ist, dass die theologische Argumentation – anders als bei Müntzer und Luther – im Kern nicht apokalyptisch ist. Es handelt sich um einen eigenständigen Beitrag zur reformatorischen Theologie.

Ein guter Satz

„Der Mensch lebt notwendig in einer Begegnung mit anderen Menschen und ihm wird mit dieser Begegnung eine Verantwortung für den anderen Menschen auferlegt.“

– Dietrich Bonhoeffer, Ethik, DBW Band 6, S. 219, hier gefunden


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