Es geht nicht um Haltung
Journalisten demonstrieren auf der Straße und in den Sozialen Netzwerken gegen die AfD. Was sich aus der Debatte um Haltung im Journalismus lernen lässt:
Am vergangenen Wochenende demonstrierten in Berlin zehntausende Menschen gegen die AfD. Unter ihnen auch Journalisten, die in ihrer Freizeit an den Demos teilnahmen und davon auch über ihre Social-Media-Kanäle berichteten. Martin Machowecz (@mmachowecz) von der ZEIT stieß darüber eine Diskussion auf Twitter an:
Ich sehe recht viele Journalisten in meiner Timeline, die gestern offenbar mehr oder weniger privat an einer Demo namens "AfD wegbassen" teilgenommen haben. Ich finde das problematisch. Kann man denn dann am nächsten Tag wirklich wieder glaubwürdig über die #AfD schreiben? #b2705
— Martin Machowecz (@mmachowecz) May 28, 2018
Bald wurde vor allem diskutiert, ob Journalisten überhaupt „Haltung“ zeigen dürften oder sich evangelikal an das berühmte Diktum von Hans Joachim Friedrichs halten müssten: „Einen guten Journalisten erkennt man daran, dass er sich nicht gemein macht mit einer Sache – auch nicht mit einer guten Sache; dass er überall dabei ist, aber nirgendwo dazu gehört.“
Es geht nicht um Haltung
Weder Martin Machowecz, noch andere Nein-Sager unter den Diskutanten stellten sich auf den Standpunkt eines „Haltungs“-freien Journalismus. Darum geht es auch gar nicht. Journalistinnen dürfen selbstverständlich eine politische Überzeugung haben, gerne auch mehrere. Und diese dürfen sie ebenso frei äußern wie andere Staatsbürger auch. Auch auf Demos. Ihnen deswegen die journalistische Haltung abzusprechen, ist übertrieben.
Im Interview mit der taz konkretisiert Machowecz seine Bedenken folgendermaßen:
„Natürlich nicht, ganz im Gegenteil. Man muss als Journalist sogar eine Haltung haben: Es ist unser Job, sich immer wieder eine zu erarbeiten. Genau deshalb finde ich es schwierig, sich an einer Demonstration gegen eine Partei zu beteiligen, über die man noch berichten will. Man ist dann kein Zweifelnder mehr, man wirkt zumindest voreingenommen.“
Ich kann Machoweczs Befürchtung, dass Journalisten mit solchem Verhalten erst recht „Lügenpresse!“-Rufe provozieren, gut nachvollziehen. Schnell sind die entsprechenden Tweets der Journalisten mit ihrer kritischen Berichterstattung über die Partei verknüpft. Die Fakten, die eine ordentliche journalistische Recherche zu Tage bringt und häufig genug gegen die Partei ins Feld führt, gehen dann unter.
Und darum sollte es doch eigentlich gehen: Das Gefasel von der „Haltung“, das unter Journalisten seit Aufkommen der „Lügenpresse!“-Rufer erstaunliche Konjunktur hat, redet am Ende den Rechten das Wort. Diese Suppe haben sie sich selbst eingebrockt! Guter Journalismus zeigt zuerst einmal, was ist. In den vergangenen Monaten sind wir hier in der Eule mit der Berichterstattung zum Fall Steimle (hier & hier) und zu den Geistlichen auf der Liste der Erklärung 2018 mit einer möglichst sachlichen Berichterstattung gut gefahren. So sind sie auch von Leuten gelesen worden, die sonst die Eule eher nicht zur Kenntnis nehmen. Martin Machowecz rät allen, die weitere Wahlerfolge der AfD verhindern wollen, „sich die Mühe zu machen, der AfD immer wieder im Konkreten nachzuweisen, wo sie falsch liegt.“ Dem kann ich viel abgewinnen.
Guter Journalismus braucht keine andere Haltung – erst recht keine bestimmte politische Überzeugung – als die Orientierung an der Wahrheit, an dem was ist. Es geht darum, gerade nicht nach den Vorlieben der Leserinnen und Leser zu fragen, sondern sie mit dem zu konfrontieren, was sich tatsächlich zugetragen hat, was Betroffene dazu sagen, was tatsächliche Experten beizusteuern haben. Indem Journalisten den Journalismus zur Haltungsfrage erklären, weichen sie ihre erste Pflicht zur Wahrheit auf. Darum dürfte auch in Deutschland gerne noch klarer zwischen Bericht und Kommentar getrennt werden. Denn daran, dass Journalistinnen als Bürgerinnen und Bürger eine eigene politische Überzeugung haben, zum Teil Parteien, manche auch Kirchen angehören, störten sich dann tatsächlich verlässlich die Richtigen.
Teilnahme, Transparenz, Zeitgenossenschaft
Eine Antwort auf Machoweczs Frage ist zur Klärung dieser Frage besonders nützlich, Christina Rietz (@rietzi) von der Christ & Welt (erscheint in der ZEIT) schreibt:
Das ist immer eine Frage der teilnehmenden Beobachtung. Ich überlege in Gottesdiensten offengestanden auch manchmal, ob ich danach noch über Kirche schreiben kann. Ich denke aber schon. Soviel Distanzierfähigkeit kann man sich zutrauen.
— Christina Rietz (@rietzi) May 28, 2018
Viel eher als um die Frage der Haltung sollte es darum gehen, wie die teilnehmende Beobachtung gestaltet wird, von der Rietz spricht. Kaum jemand würde in Abrede stellen, dass Gottesdienstteilnahme oder Kirchenmitgliedschaft eine journalistische Beschäftigung mit Kirche verunmöglicht. In der Tat dürften die meisten Journalistinnen und Journalisten, die sich schwerpunktmäßig mit Kirche beschäftigen, selbst Mitglieder einer christlichen Glaubensgemeinschaft sein.
Die spannendere Frage ist, wer sie für ihre Tätigkeit bezahlt, d.h. für wen sie unterwegs sind. Wenn Journalisten – auch auf Umwegen – ihr Gehalt aus Kirchenhaushalten erhalten, dann muss das transparent gemacht werden. Warum so etwas z.B. nicht offenlegen, wenn bei der nächsten Papstwahl Experten von Radio Vatikan oder von anderen Katholischen Medien im öffentlich-rechtlichen Rundfunk zu Wort kommen? Oder solche Journalisten ausführlich zu Wort kommen, die sich auch als Ghostwriter für Kirchenfürsten betätigen? Ob die Moderatorin selbst katholisch getauft ist und ob und wie häufig sie (noch) in die Messe geht, ist demgegenüber zweitrangig.
Ein vergleichbarer Versuch solcher Transparenzherstellung ist im Falle einiger Journalisten, die an den Demos in Berlin stattfanden, der Hinweis in ihren Social-Media-Profilen dort „privat“ unterwegs zu sein. Geht das so einfach? Immerhin stehen fast immer auch Auftraggeber und / oder Arbeitgeber in der Bio drin, werden eigene Erzeugnisse und solche des Arbeitgebers geteilt. Zur Demo gehen, aber darüber im Netz schweigen?
Eine solche Selbstbeschränkung täte vielleicht gut. Ich erinnere mich, dass Marcel Reich-Ranicki darauf verzichtete Werke seines guten Freundes Siegfried Lenz zu rezensieren. Er beschützte damit seine Gefühle und die seines Freundes, aber auch die Integrität seines publizistischen Umfelds. Sich eines Sujets, eines Berichterstattungsobjekts zu enthalten, bedeutet nicht aus der Zeitgenossenschaft auszusteigen. Seine Maßstäbe guter Literatur führte Reich-Ranicki anhand anderer Autoren aus, es blieb seinen Leserinnen überlassen, sie an die Lenzschen Werke anzulegen. Das zeugt vom Respekt Reich-Ranickis für seine Leserschaft.
Wo liegt die Grenze?
Was diese Debatte über Journalismus für die Bürgerschaft interessant macht, ist die Frage, wo die Grenze für objektivierenden Journalismus überhaupt liegt. Sollte man über die AfD noch möglichst genau berichten oder sind wir an einem Punkt angelangt, an der die Partei nurmehr unseren Widerstand verdient hat?
Wer diese Frage ernstlich stellt, der verkennt, dass die Grenze zwischen sachlicher und angemessener Berichterstattung und Propaganda nicht von den Journalistinnen eingerissen wird, die in Berlin gegen die AfD diskutierten, sondern vor allem von den Blättern und Sendern, die der Parteiagenda auf den Leim gehen. Natürlich gibt es einen Bias gegen die AfD in den größeren Medien des Landes. Den hat sich die Partei redlich verdient: Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht. Wer einmal hetzt, dem vertraut man nicht.
Aber es gibt – zumal in den unter Druck geratenen Tageszeitungen – noch einen anderen Bias, den die AfD sehr wohl weiß zu ihren Gunsten auszunutzen. Provinzblätter, die noch in jede Taschendiebstahlmeldung schreiben müssen, dass in der Nähe des Tatorts von zweifelhaften Zeugen „Männer mit südländischem Aussehen“ gesehen wurden, erledigen das Geschäft der Fremdenfeinde. Gelegentlich wird der Agenda der AfD regelrecht hinterhergeschrieben.
Klar das klickt gut. Ob es sich auch in Abos umsetzen lässt und am Kiosk lohnt, wage ich zu bezweifeln, die Auflagen schrumpfen weiter. Auch, weil andere Bürgerinnen sich fragen, ob sie den neuen Boulevard-Stil und die Wutbürger-Romantik ihres Lokalblattes tatsächlich jeden Tag im Briefkasten brauchen. Gerade in der ostdeutschen Provinz braucht die sich wehrende Zivilgesellschaft die Unterstützung der demokratischen Medien.
Es darf darum daran erinnert werden, dass die Medien des Landes der liberalen Gesellschaft und des Rechtsstaates mindestens ebenso bedürfen, wie eine funktionierende Demokratie einen wahrhaftig berichtenden und vielfältig kommentierenden Journalismus braucht. Faktenorientierter Journalismus ist selbst eine Waffe. Er mag weiter führen als der nächste zornige Kommentar, weil er sich an eine mündige Leserschaft richtet.