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Papst Leo sagt Segensfeiern für queere Paare ab

Papst Leo erteilt Segensfeiern für queere Paare eine klare Absage. Der Papst will seine Kirche zusammenhalten und stärkt doch jene Kräfte, die am Rollback in Kirche und Gesellschaft arbeiten.

Liebe Eule-Leser:innen,

das erste große Interview von Papst Leo XIV. beschäftigt in diesen Tagen mindestens die katholische Welt. Leo sprach in diesem Sommer zwei Mal mit Elise Ann Allen, der Vatikankorrespondentin von Crux. Das Interview ist Teil einer neuen Biografie über Robert Francis Prevost / Leo XIV. und wird zudem multimedial und crossmedial verwertet. Weil sich in den vergangenen Monaten seit seinem Amtsantritt ein wenig Ratlosigkeit darüber breit gemacht hat, für was Leo in und mit seinem Pontifikat eigentlich stehen will, erhält dieses erste ausführliche Gespräch große Aufmerksamkeit.

Das Buch erscheint zunächst auf Spanisch, eine englischsprachige Edition soll Anfang kommenden Jahres folgen. Aber gewichtige Teile des Papst-Interviews sind bereits veröffentlicht und auch in den Nachrichtenzyklus (katholischer) Medien hierzulande eingegangen. Vor allem jene Interview-Passagen, hier auf Englisch bei Crux und als Video auf YouTube, in denen der Papst über die Anerkennung von LGBTQI+ in der Kirche spricht.

Darin enthalten ist nämlich eine Absage des neuen Papstes an ritualisierte Segensfeiern für „Paare, die sich lieben“: Eines der Kernanliegen des Synodalen Weges der römisch-katholischen Kirche in Deutschland. „Natürlich können wir alle Menschen segnen“, erklärt Leo, aber man suche nicht nach Wegen der Ritualisierung „einer Art von Segnung“ für LGBTQI+-Paare, „denn das ist nicht, was die Kirche lehrt“.

Wie geht es nach der deutlichen Absage des Papstes mit den Segensfeiern nun weiter? Wird Leos Pontifikat Rückschritte, Stillstand oder doch vielleicht Fortschritte bringen?

Die Debatte um Segensfeiern für LGBTQI+-Paare steht nicht für sich allein. Sie gehört in den Kontext der Diskussionen darüber, ob der Synodale Weg als Reformprozess der katholischen Kirche gescheitert ist. Diese Frage hatte sich Thomas Wystrach ja im „Re:mind“-Newsletter von vergangener Woche vorgenommen. Aber es geht auch darum, wie die Kirche in Europa mit dem, aus den USA forcierten, Aufschwung des Rechtskatholizismus umgeht. Über diese Schicksalsfrage der Kirche hat in dieser Woche Massimo Faggioli (auf Englisch) ausführlich im Commonweal Magazine geschrieben.

Das Phänomen bezeichnet man wohl zutreffender statt als rechten Katholizismus als katholisch codierten Rechtsradikalismus, weil es eben nicht um eine (erz-)konservative Auslegung katholischer Lehrmeinungen geht, sondern um rechtsradikale politische Botschaften, die in fromme und reaktionär-katholische Verkleidungen gesteckt werden. Mit der Kirche des 2. Vatikanischen Konzils, mit der Bejahung von Demokratie und Menschenrechten hat das wenig zu tun.

„Toxische Barmherzigkeit“: Katholischer Segen für LGBTQI+

Zur Erinnerung: Im März 2023 hatten die Delegierten auf dem Synodalen Weg mit großer Mehrheit einen „Handlungstext“ mit dem Titel „Segensfeiern für Paare, die sich lieben“ (PDF) verabschiedet, der die Einführung von liturgischen Segensfeiern für Paare forderte, die in der römisch-katholischen Kirche nicht regulär das Sakrament der Ehe eingehen dürfen, weil die Partner:innen das gleiche Geschlecht haben (oder weil sie wiederverheiratet sind). 

Die Debatte um Segnungsfeiern für queere Paare ist gleichwohl viel älter, wie Thomas Wystrach 2021 hier in der Eule nachgezeichnet hat. Und sie ist, wie die Reformer:innen immer wieder betonen, auch keineswegs nur auf Deutschland beschränkt, sondern ein Thema der gesamten Weltkirche, mit hohen Zustimmungswerten in westeuropäischen Ländern und starker Ablehnung in afrikanischen, einigen US-amerikanischen und osteuropäischen Ländern. Auf der letzten Plenarveranstaltung des Synodalen Weges im März 2023 berichtete zum Beispiel der belgische Bischof Johan Bonny (Bistum Antwerpen), seine Kirche habe quasi unter dem Radar des Vatikans – und ohne großes Tamtam wie auf dem Synodalen Weg – bereits sogar Formulare für Feiern erarbeitet.

Kurz vor Weihnachten 2023 sprengte dann mit „Fiducia Supplicans“ (Text) eine veritable Diskursbombe die Debatte neu auf. In der von Papst Franziskus approbierten Erklärung werden Segnungen von Personen in gleichgeschlechtlichen Partner:innenschaften nicht mehr kategorisch ausgeschlossen, aber auf passagere, nur wenige Sekunden andauernde Begegnungen bei Wallfahrten, am Rande von Veranstaltungen oder in nicht-öffentlichten Seelsorge-Settings beschränkt. In der Eule beschrieb der katholische Kirchenrechtler Norbert Lüdecke die Neuregelung aus der Feder des Präfekten des Glaubensdikasteriums, Kardinal Víctor Manuel Fernández, als „toxische Barmherzigkeit“ – und ich am Tage ihrer Veröffentlichung und wider den anhebenden Jubel von Reformer:innen als „Segen zweiter Klasse“.

Trotz dieser klaren vatikanischen Ansagen arbeiteten die reformwilligen Kräfte in der römisch-katholischen Kirche in Deutschland weiter an dem Projekt von ritualisierten Segensfeiern und im April 2025 – zwei Jahre nach dem Beschluss des Synodalen Weges – verabschiedete die Gemeinsame Konferenz aus Mitgliedern der Deutschen Bischofskonferenz (DBK) und dem Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) eine „Empfehlung“ an die Diözesanbischöfe für die Praxis mit dem Titel „Segen gibt der Liebe Kraft“ (PDF). Das Dokument hält wortreich fest, dass „Fiducia Supplicans“ Segensfeiern eigentlich einen Riegel vorschiebt, und empfiehlt den Bischöfen und Seelsorger:innen dann doch:

„Die Art und Weise der Leitung der Segnung, der Ort, die gesamte Ästhetik, darunter auch Musik und Gesang, sollen von der Wertschätzung der Menschen, die um den Segen bitten, von ihrem Miteinander und ihrem Glauben künden.“

Eine Segnung mit Leitung, Musik und überlegter Ästhetik – das klingt schon sehr nach einer ritualisierten Form, nicht wahr? Ein Formular für Segensfeiern enthält die Empfehlung allerdings nicht. Im August 2025 hat sich Felix Neumann für katholisch.de angeschaut, wie die Bistümer denn mit der kirchenrechtlich nicht verbindlichen Erklärung der Gemeinsamen Konferenz umgehen, und hat ein sehr disparates Bild vorgefunden. Immerhin …

„Anders als in anderen Teilen der Weltkirche gibt es in Deutschland keinen Diözesanbischof, der hinter „Fiducia supplicans“ zurückgehen will; das betonen auch die größten Kritiker der Handreichung. Aus dem Vatikan gibt es bislang keine Reaktion auf das Segenspapier – trotz der Diskrepanzen zwischen „Fiducia supplicans“, das Segnungen gar nicht in einem irgendwie gearteten liturgischen Rahmen sehen will, und der Handreichung, die trotz fehlendem Gottesdienst-Formular in die andere Richtung geht. Ob das an der guten Diplomatie im Vorfeld der Handreichung liegt oder an einer Neuaufstellung nach dem Pontifikatswechsel, ist noch nicht abzusehen.“

Der Papst stellt klar

Im aktuellen Crux-Interview stellt Papst Leo nun also klar: „Fiducia Supplicans“ und nicht die Pläne der Reformer:innen in Deutschland (und Belgien) gelten. Segensfeiern im Wortsinn darf es für „Paare, die sich lieben“, nicht geben. Ist die Charmeoffensive der deutschen Reformer:innen in Richtung Vatikan also gescheitert? Kehrt sich Leo vom „Reformweg“ von Franziskus und Fernández ab? Gehört sein Ohr denjenigen, die vor der Anerkennung von LGBTQI+ in der Kirche warnen?

Die Ansage Leos wurde von LGBTQI+-Aktivisten in der Kirche in Deutschland enttäuscht und zugleich wenig überrascht zur Kenntnis genommen. Im Interview bei Louis Berger von Kirche + Leben erklärt #OutInChurch-Sprecher Rainer Teuber, „Leos Worte werden sich als Bremsklotz erweisen und reaktionären Kreisen den Rücken stärken“. Solange sich „die Lehre der Kirche zur Sexualität nicht ändert“, seien „nicht-heterosexuelle Menschen oder Menschen, die nicht dem binären Geschlechtermodell entsprechen, in dieser Kirche nicht willkommen“. Das Katholische LSBT+-Komitee zeigt sich „tief enttäuscht“ und ruft die Verantwortlichen in Deutschland dazu auf, den Reformweg unbeirrt weiterzugehen.

Mit seinem Festhalten an „Fiducia Supplicans“ und seiner Absage an Segensfeiern erweist sich Leo als Verwalter des widersprüchlichen Erbes von Franziskus in Sachen LGBTQI+-Anerkennung. Ausdrücklich schließt er sich der Kritik von konservativen Stimmen aus der Weltkirche an, die eine „Fixierung“ und „Obsession“ der Kirche im Westen auf Sexualität beklagen. Leo will eine weitere Polarisierung über LGBTQI+-Fragen in der Kirche vermeiden und zugleich Franziskus‘ Linie verteidigen. Das passt nicht zusammen, wenn damit mehr als die Vermeidung der franziskustypischen Flapsigkeit bei Interviews gemeint sein sollte.

Weiter als Franziskus will Leo den Reformer:innen jedenfalls nicht entgegenkommen. Zugleich werden die wirklich reaktionären Kräfte in der Kirche, die katholischen Rechtsradikalen, trotzdem sicher keine Ruhe geben. Ihnen geht es nicht um Kompromisse, wie sie für eine deliberative Demokratie üblich sind. Vielleicht sitzt der so um den innerkirchlichen Frieden besorgte Papst dem Irrtum auf, er könne seine nicht nur bei diesem Thema zerstrittene Kirche zusammenhalten, indem er die Beine schön still hält. Stillstand aber bedeutet in einer Welt, die sich unablässig weiterdreht, nichts anderes als Rückschritt.


Aktuell im Magazin:

Sisters before Misters?! – Carlotta Israel (Die Eule)

In ihrer aktuellen „Sektion F“-Kolumne schreit Carlotta Israel über Sisterhood: Wo Männer sich gegenseitig die Macht zuschieben, braucht es als Gegengift Solidarität unter jenen, die von der Macht ausgeschlossen werden.

Warum Charlie Kirk kein Märtyrer ist – Philipp Greifenstein (Die Eule)

Nach seinem gewaltsamen Tod wird der rechtsradikale Aktivist Charlie Kirk von der „Make-America-Great-Again“-Bewegung, rechten Christ:innen und Kulturkriegern zum „Heiligen“ und „Märtyrer“ erklärt. Seine Botschaften und Methoden aber sind dessen unwürdig, erkläre ich einer ausführlichen Analyse in der Eule.


Die Betroffeneninitiative Eckiger Tisch hat sich das Verfahren für Anerkennungsleistungen für von sexualisierter Gewalt betroffene Menschen in der römisch-katholischen Kirche in Deutschland noch einmal genau angeschaut und formuliert in einer ausführlichen Darstellung Reformforderungen.

„Das Verfahren der „Unabhängigen Kommission für Anerkennungsleistungen (UKA)“ besteht seit 2021. Es soll Betroffene sexuellen Missbrauchs im Kontext der katholischen Kirche durch finanzielle Anerkennungszahlungen für das erlittene Leid entschädigen, ohne dass sie vor Gericht klagen müssen. Rund 2.800 Erst- und Folgeanträge von Betroffenen wurden seitdem gestellt. Etwa 78 Mio. Euro wurden bislang ausgezahlt. Fast 20 % der Fälle – aktuell 829 von 4538 Vorgängen – sind Stand Juli 2025 noch nicht entschieden. Es kommt zu zahlreihen Wiedersprüchen. Doch viele Betroffene haben noch keinen Antrag gestellt, weil sie dem Verfahren nicht trauen und sie sich erneute Belastungen ersparen wollen. […] Das sogenannte UKA-Verfahren ist für Betroffenen in seiner jetzigen Form unzureichend und bedarf dringender Verbesserung. Die gewährten Zahlungen sind in den meisten Fällen nicht angemessen.“


Mit der „Agenda der religiösen Rechten“ und dem „Neokonservatismus“ in Italien, den Massimo Faggioli im Commonweal Magazine in den Blick nimmt (s.o.) befassen sich auch Anna Dotti und Sarah Ulrich in der schweizerischen WOZ:

„Nicht von ungefähr ist in Italien derzeit eine frauen-, queer- und genderfeindliche Politik im Aufwind: Innerhalb eines Jahrzehnts haben christliche Fundamentalist:innen gezielten Einfluss auf die Rechtsparteien genommen. […] «Die Einschränkung der Rechte wird weitergehen», sagt Politikwissenschaftler Prearo. «Die Allianz zwischen Antigender- und Pro-Life-Bewegungen mit rechtsextremen Parteien basiert auf dem Versprechen, das liberale Verständnis der italienischen Demokratie neu zu definieren.»“


Es ist nicht alles Gold, was glänzt, aber in den grautönigen Nachrichten dieser Tage kann man gelegentlich auch kleine Silberstreifen finden. So spricht Papst Leo, trotz seiner Ablehnung von Segensfeiern, von LGBTQI+ keineswegs so ablehnend, wie man es von Päpsten in der Vergangenheit gewohnt war. Er benutzt sogar die von der queeren Bewegung eingeführten Abkürzungen: LGBTQI+ ist ihm kein Zungenbrecher.

Im Crux-Interview ergreift er auch engagiert Partei für die von Krieg und Elend betroffenen Menschen in Gaza und widerspricht abermals der Trump-Regierung. Dieser Papst ist ein unzuverlässiger Ally für Reformer:innen und lgbtqi+-Personen, aber er ist auch meilenweit von jenen entfernt, die in moralisch-geistlicher Umnachtung in diesen Tagen nach dem Charlie-Kirk-Attentat in eine christlich codierte Raserei abdriften.

Ein schönes Wochenende wünscht
Philipp Greifenstein


Ein guter Satz

„Pluralismus ist nicht nur ein Nebeneinander der verschiedensten Gruppen und Organisationen, sondern auch ein Gegeneinander. Da muß man wissen, gegen welche Interessen man kämpfen und auch standhaft kämpfen muss.“

– Herbert Wehner


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