Klasse statt Masse
Die christliche Blogosphäre ist eine kleine Nische und doch ein unübersichtliches Terrain. Das Theoradar hat nun die Topcharts für das vergangene Jahr vorgelegt.
Das Theoradar hat die erfolgreichsten christlichen Blogs des vergangenen Jahres ermittelt. Es ist ein bunter Haufen, der sich durch dieses Fenster betrachten lässt. Da sind christliche Mama- und Papablogger*innen, Bischöfe und Pfarrer*innen, engagierte katholische Laien und streitbare Evangelen, Kulturkämpfer und Kulturprotestanten. Auf der Liste finden sich ambitionierte Projekte, Blogs aus konfessionellen Medienhäusern und auch klassische Onlinetagebücher, die dem Ursprung dieser Publikationsform noch recht nahe kommen.
Notiz aus der Redaktion
Für diesen Artikel haben wir vom Theoradar-Team vorab Zugriff auf die Topcharts 2018 erhalten. Das Theoradar ist Teil von ruach.jetzt, einem Publishing-Netzwerk, zu dem neben dem Theoradar auch Blogs und Podcasts gehören. Im Dezember 2018 haben wir gemeinsam mit dem IN YA FACE-Podcast des ruach.jetzt-Netzwerks ein Crossover zur Diskussion um den Thesenanschlag Martin Luthers veröffentlicht.
Was in der christlichen Blogosphäre diskutiert wird, findet über Umwege etwas später den Weg in die klassischen konfessionellen Medien, wenn es richtig triftig wird auch mal in die großen Zeitungen und Zeitschriften des Landes. Der große Richtungsstreit innerhalb der röm.-kath. Kirche zum Beispiel wird nur denjenigen überraschen, der von der katholischen Blogozese in den letzten Jahren keinen Wind bekommen hat. Das Theoradar funktioniert wie ein Thermometer, an dem man ablesen kann, welche Themen gerade oder eben bald hochkochen.
Das Theoradar sieht alles. Es ist konfessionell blind und es unterscheidet auch nicht nach politisch links oder rechts, kirchennah oder -fern, papsttreu oder -kritisch, spinnert oder durchdacht. Es listet nicht nach Inhalt, sondern allein nach Wirkung in den Sozialen Netzwerken Facebook und Twitter. Es erfasst damit nicht die ganze Reichweite und Tiefe der gelisteten Blogs, vernetzen sich doch viele von ihnen nach wie vor über Email, RSS-Feeds und Hören-Sagen, aber es ist ein guter Indikator dafür, was besprochen wird.
Das Theoradar ist unparteiisch betriebsblind. Der wilde Mix aus (semi-)professionellen Onlinemagazinen, Outlets etablierter Medien und privaten Blogs ist anregend. Für unsere Links am Tag des Herrn (#LaTdH) finden wir fast immer etwas Interessantes in den Wochencharts des Theoradars.
Was setzt sich durch?
Das Theoradar bildet keine einheitliche Szene ab, und die auf der Liste befindlichen Blogs stehen auch nicht in Konkurrenz zueinander. Es lebt sich gut nebeneinander her, wenn man sich nicht gar in herzlicher Abneigung verbunden ist. Trotzdem lässt ein Blick auf die erfolgreichsten Artikel des vergangenen Jahres einen Blick in die Seele der onlinebegeisterten Christ*innen hierzulande zu. Und einen Blick in die Zukunft: Welche Debatten stehen uns vielleicht noch bevor?
Die Liste der Top-Artikel 2018 kommt reichlich katholisch daher. Je zwei Artikel befassen sich mit dem Kreuzfimmel des neuen bayerischen Ministerpräsidenten und der Causa Wucherpfennig, die insbesondere akademisch-katholische Kreise im letzten Jahr bewegte (s. #LaTdH vom 14. Oktober 2018). Ein Artikel über die Missbrauchskrise, einer über den Papstfilm von Wim Wenders und die Münsteraner Erklärung wider die AfD auf dem Katholikentag komplettieren den katholischen Reigen. Diese drei – und weitere erfolgreiche Artikel des Jahres – sind auf feinschwarz.net erschienen.
Das Magazin verteidigt damit seinen Ruf, katholische Avantgarde zu sein. Doch darf man sich nicht täuschen lassen: Was die Akademiker*innen aufschreiben, ist nur ein kleiner Ausschnitt dessen, was bei den katholischen Geschwistern gemeint und geschrieben wird. Trotzdem tröstlich, dass sich zumindest auf Facebook und Twitter die nachdenklichen Akademiker*innen eines größeren Publikums erfreuen können als mancher Blogozesen-Zampano.
Der Blick auf die Topartikel verrät vor allem eines: Auch in der christlichen Blogosphäre laufen vor allem Binnenthemen gut. Nachrichten, die an das eigene konfessionelle Selbstverständnis rühren, den Leser*innen deshalb nahe kommen, weil sie vor der eigenen Haustür und in der eigenen Filterblase entstehen. Das soll nicht heißen, dass es nicht auch politisch relevant würde, wie die Beschäftigung mit der Kreuzdebatte in Bayern zeigt. Jedoch findet sich nur eine Ausnahme von der christlichen Selbstbezüglichkeit in den Top 10: Michael Blumes (@BlumeEvolution) Auseinandersetzung mit dem Antisemitismus von Kollegah.
Wem wird vertraut?
Die Liste der Topblogs liefert neben dem Offensichtlichen (welches Angebot hat sich – teils über viele Jahre – eine treue Leser*innenschaft erarbeitet), auch einen Eindruck davon, welchen Blogs christliche Leser*innen vertrauen. Die Liste wird auch hier von feinschwarz.net angeführt, betrachtet man die Gesamtanzahl der vom Theoradar erfassten Impacts (Likes und Shares auf Facebook, Retweets auf Twitter).
Auf den Plätzen 2 bis 4 folgen mit deutlichem Abstand zur Spitze und enggedrängt Theoleaks, das vor allem evangelikale Frömmigkeit aufspießende Satireblog, der konservative röm.-kath. Jugendbischof Stefan Oster und das katholische „Lifestyle“-Magazin The Cathwalk, das im letzten Jahr gleich zwei Wechsel der publizistischen Ausrichtung hinlegte. Die damit verbundende Aufregung katapultierte die Clickbait-geübten Cathwalker weit nach oben.
Neben der beliebtesten christlichen Bloggerin Mandy jetzt unter unendlichgeliebt, finden sich auch der vormals meistgelesene katholische Blogger Josef Bordat (Interview in der Eule) und Michael Blume unter den zehn meistgelikten Blogs. Ergänzt wird das Tableau durch zwei Gruppenblogs: diesseits.ch ist das am höchsten gelistete Angebot einer evangelischen Kirche, dort bloggen Mitarbeiter*innen der Reformierten Kirche des Kantons Zürich. Bei biblipedia.de bespiegelt sich eine Riege erz-konservativer evangelikaler Männer. (Und auf Platz 10 findet sich dieses bescheidene Magazin, Die Eule).
Der Blick auf die reinen Impact-Top-10 aber verstellt den Blick auf die Vielfalt des Angebots, denn so weit sind die für die Rangliste maßgeblichen Zahlen allesamt nicht voneinander entfernt. Den Unterschied machen je nur eine handvoll „gut gegangener“ Artikel aus. Was dann doch wieder auf das schwierige Verhältnis von Qualität und Klickrate zurückverweist.
Aus diesem Grund ignoriere ich einmal souverän die vom Theoradar ebenfalls zur Verfügung gestellte Liste der Blogs mit dem meisten Output 2018. Masse ist eben nicht gleich Klasse. Warum trotzdem auch Nischenblogs fleißig mit Zweitverwertungen (schon mal woanders erschienen und im Netz auffindbar) und Pressemitteilungen gefüttert werden? Vielleicht ist dem ein oder anderen der abendliche Blick auf Klicks und Likes doch zu Kopf gestiegen?
Mut zum Bloggen
Richtig Mut zum Bloggen sollte hingegen ein Blick auf die Blogs machen, die den höchsten Quotienten von Impacts auf die Zahl der veröffentlichten Artikel aufweisen. Diese Liste wird mit weitem Abstand von Worthaus angeführt. Dort findet man fundierte und ausführliche theologische Informationen, die vor allem bei post-evangelikalen und frommen Christ*innen mit Fragen stark nachgefragt sind, aber auch über diese Zielgruppe hinaus sehr empfehlenswert sind.
Worthaus (5) und auch der der Blog von Pastor Steffen Paar (2), sowie der römisch-katholische Theologe Markus Tymister auf seinem Blog Populo congregato (2) haben ihre Position mit nur sehr wenigen Beiträgen erreicht. Weniger ist manchmal eben mehr.
In diesen Top 10 findet sich mit Prof. Gerd Häfner auch ein Blogger, der 2018 sogar nur ein einziges Mal gebloggt hat. Da wünschen sich die Leser*innen ganz offensichtlich häufiger Artikel. Vielleicht dringt diese Botschaft ja nach München zum Autor des auch von mir geschätzten Lectio Brevior-Blogs durch. In jedem Fall bleiben die dort versammelten Artikel lesenswert.
Einen Schwung neuer, junger Blogger*innen könnte die christliche Blogosphäre schon vertragen. Schließlich sind es doch immer wieder die gleichen und inzwischen angegrauten Stimmen, die sich da kund tun. Wie könnte man das Hineinwachsen jüngerer Blogger*innen denn begünstigen? Von Patenschaften über Ausprobiermöglichkeiten bis hin zu Projekten der konfessionellen Jugendarbeit wäre da eine Menge möglich. Der Stimmenvielfalt täte das gut.
Überhaupt scheint das weite Terrain des christlichen Bloggens in deutscher Sprache noch kaum durchschritten. Für die Zukunft eröffnet das feine Perspektiven. Wann nehmen sich evangelische Theolog*innen ein Beispiel an ihren (vornehmlich) katholischen Kolleg*innen von feinschwarz.net und schlagen ein neues Kapitel der Wissenschaftskommunikation auch der deutschen theologischen Fakultäten auf? Damit ließe sich doch Resonanz und damit auch Relevanz gewinnen. Welcher Kirchenkreis oder welches Bistum / welche Landeskirche nimmt sich ein Beispiel an den Züricher Blogger*innen und teilt auch online, was ihre Mitarbeiter*innen umtreibt?
Es sind die Themen, stupid
Im besten Fall erhält man durch einen Streifzug durch die christlichen Blogs einen Eindruck von intra- und interkonfessionellen Debatten, die zu führen sich lohnt. Angebote wie feinschwarz.net und einzelne Blogger*innen werden von ebenso vielen Leser*innen frequentiert wie die Internet-Angebote der großen Kirchen. Sie sind etablierter Teil der konfessionellen Medienlandschaft. Nur findet man dort auch Themen, die ihren „Durchbruch“ in die Zeitungen und Zeitschriften (noch) nicht gefunden haben. Das macht sie nicht weniger wertvoll, im Gegenteil.
Etwas mehr Themen- statt nur Meinungsvielfalt täte der christlichen Blogosphäre allerdings gut. Wo wird bewusst der Anschluss an Debatten außerhalb der Kirchen gesucht, wo die konfessionelle Enge verlassen? Wo gelingt dies in einer Sprache und Präsentation, die Neulinge nicht abschreckt? Wo werden neue, junge Stimmen eingebunden?
Zum Schluss daher noch eine Offenlegung: Der nach Klicks und Likes erfolgreichste Artikel dieses Magazins ist bis dato keine unserer Recherchen, keine Ausgabe der #LaTdH (die vor allem über den Newsletter gelesen werden) und auch nicht einer unserer tagesaktuellen Hintergrundartikel oder Kommentare, sondern ein persönlich gehaltener Artikel, der aus dem vollem Leben und nicht aus binnenkirchlicher Perspektive heraus geschrieben wurde. Davon braucht es mehr!
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