Die Kraft des gemeinsamen Verzichts
Viele Kirchen und Organisationen verzichten lautstark auf das Investment in klimaschädliche Industrien. Auf der Weltklimakonferenz wird der Ausstieg aus fossilen Energien wenigstens diskutiert.

Liebe Eule-Leser:innen,
während evangelische Christ:innen zwischen Buß- und Bettag und Ewigkeitssonntag über Umkehr und das ewige Leben nachdenken, wird auf der anderen Seite des Globus um die Zukunft des Klimaschutzes gerungen. Bei der UN-Klimakonferenz in Belém (COP30) steht seit dieser Woche und dank des Engagements von Ländern aus dem Globalen Süden und aus Europa der Ausstieg aus fossilen Energien (doch noch) auf der Tagesordnung. Darüber berichten u.a. die taz und der Deutschlandfunk.
Eule-Leser:innen wissen mehr: Bereits im Oktober erzählte Georg Sauerwein von „Christians for Future“ im Eule-Interview, dass es eine Initiative dazu gibt – und die Weltklimakonferenzen hier einen blinden Punkt haben. Wiederum in der taz beschreibt der kolumbianische Journalist Esteban Tavera in der Reihe „Stimmen aus Amazonien“, warum sein Land dem Vertrag über die Nichtverbreitung fossiler Brennstoffe (Fossil Fuel Non-Proliferation Treaty, s. hier in der Eule) beigetreten ist und auf der COP30 Druck macht:
„Allerdings steht [der Ausstieg aus fossilen Brennstoffen] nicht offiziell auf der Agenda und stößt beim Gastgeberland Brasilien […] nicht auf große Zustimmung. Ende Oktober wurde bekannt, dass die Regierung […] die Genehmigung für eines der größten Erdölprojekte am Amazonas erteilen ließ.“
Im Eule-Interview mit den AktivistInnen von „Christians for Future“ und im „RE: Oktober 2025“ des „Eule-Podcast“ haben wir beleuchtet, warum Länder des Globalen Südens sich dazu gezwungen sehen, neue Abbaugebiete zu erschließen und weiterhin Erdgas- und -Öl zu fördern. Sie leisten damit Schuldendienst gegenüber dem Globalen Norden, präziser: Die Ausbeutung fossiler Energieträger ist Kolonialismus im 21. Jahrhundert.
Während sich die Klimakrise weltweit zuspitzt, ringen die am COP-Prozess beteiligten Länder um kleinste und kleine Schritte. Da ist es doch das Mindeste, wenigstens über „das Wesentliche“ (Esteban Tavera) zu streiten: „die Welt zu dekarbonisieren“. Gleich zwei gute Nachrichten gibt es auf diesem Weg in dieser Woche zu vermelden:
UN-Klimakonferenz in Belém (COP30): Die Luft brennt
Trotz allen schlechten Zeichen in den vergangenen Monaten, dass sich Deutschland unter der neuen schwarz-roten Bundesregierung von ambitionierter Klimaschutzpolitik und insbesondere vom Erdgas als Energieträger verabschiedet, gehört Deutschland zu dem Bündnis von Staaten, das auf der COP30 in Belém wenigstens einen „Fahrplan für den Ausstieg“ aus fossilen Energien fordert. Das ist unter der Meldungs- und Kommentarwelle zum neuesten Geplapper des Bundeskanzlers womöglich etwas untergegangen.
So geht es wohl vielen der Nachrichten und Themen, die aus Belém kommend eigentlich unsere und internationale Aufmerksamkeit verdient hätten. An der Verfügbarkeit sachlicher, kritischer und perspektivenreicher Informationen kann es nicht liegen. Allein der Themenschwerpunkt der taz bietet reichlich Lesestoff und Orientierung. Und dann wäre da mindestens noch Ann-Kathrin Büüsker, Redakteurin des Deutschlandfunks, die auf dem Sender, auf Bluesky und in ihrem eigenen Newsletter „Der Üüberblick“ aus Belém berichtet. Dort schreibt sie:
„Klimakonferenzen sind nicht nur Orte des Regelwerkverhandelns – hier finden auch Ideen zusammen. Konkrete Konzepte zur Umsetzung von Klimaschutz oder Klimaanpassung. Vor den Verhandlungsräumen wird jedes Jahr eine große Expo aufgebaut, auf der sich Länder und Initiativen mit ihren Ideen präsentieren, ein eigenes Rahmenprogramm abliefern.
Wir lesen Jahr für Jahr von fossilen Lobbyisten, die auf Klimakonferenzen herumturnen – ja das tun sie. Aber es turnen eben auch diverse Klima-Lobbyist:innen herum, sei es mit konkreten Ideen im Gepäck oder mit dem Willen sich auszutauschen. Auch die Fachwelt kann sich hier vernetzen, Aktivist:innen können Kontakte knüpfen, all das darf man nicht unterschätzen. Denn: Veränderung braucht Ideen und Engagement. Beides entsteht leichter mit Gleichgesinnten.“
Eine Weltklimakonferenz gleicht, so habe ich es verstanden, also auch ein wenig einem Kirchentag. Anyway … Gleichgesinnte haben sich in dieser Woche auch in Deutschland für den Klimaschutz zusammengetan: „Christians for Future“ koordinierte die „größte Divestment-Initiative Deutschlands“ von insgesamt 46 kirchlichen Organisationen.
Divestment: Verzicht aufs Geldverdienen mit dem Untergang
Divestment meint zunächst einmal einen Ausstieg aus dem Investment in Industrien, die dem anvisierten politischen Ziel – hier: der Bekämpfung der Klimakrise – entgegenwirken. Der Verzicht darauf, eigenes Vermögen in Unternehmen und Fonds anzulegen, die z.B. mit Rüstung oder eben fossilen Energien, an Zielen mitwirken, die aus der Perspektive christlicher Ethik negativ zu bewerten sind, ist ein politischer Akt. Umso mehr, wenn es sich nicht „nur“ um das Privatvermögen von einzelnen Menschen handelt, sondern um jenes von großen Kirchen und Organisationen.
Bei der aktuellen Divestment-Erklärung sind international 62 Organisationen dabei. Die internationale Koordination hat das „Laudato Si‘-Movement“ übernommen, das im Eule-Interview mit den „Christians for Future“-AktivistInnen ausführlich zur Sprache kommt. Beteiligt sind 42 Mitglieder des evangelischen Arbeitskreises Kirchlicher Investoren (AKI) und auch bedeutende katholische Organisationen wie die Zentraleuropäische Jesuitenprovinz, die Steyler Bank und die Pax-Bank für Kirche und Caritas. Letztere „verzichten vollständig auf Investitionen in fossile Brennstoffe“, während die Mitglieder des AKI Investitionen „in die Förderung von Kohle sowie in unkonventionelle Öl- und Gasförderung“ ausschließen.
Die aktuelle Divestment-Erklärung markiert also keineswegs das unter den gegenwärtigen Bedingungen äußerst Mögliche. Auch ist das Engagement der beteiligten Institutionen nicht neu: Bereits vor sechs Jahren habe ich hier in der Eule über das segensreiche Wirken des Arbeitskreises Kirchlicher Investoren geschrieben. Und vor vier Jahren schrieb Georg Sauerwein in der Eule über den „langen Weg zum Divestment“ in der katholischen Kirche. Die 2025er-Erklärung ist aber aus (mindestens) zwei Gründen bemerkenswert:
Dass die AKI-Mitglieder – also (fast) alle evangelischen Landeskirchen, ihre Banken und Versorgungskassen und die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) – ihr Geld nach ethischen Maßstäben anlegen, ist an und für sich keine Neuigkeit. Neu ist allerdings, dass sich der AKI an einer medienwirksamen und öffentlichen Kampagne beteiligt. Auch wenn in dieser Woche eine Welle von entsprechenden Verlautbarungen aus den evangelischen Kirchen ausgeblieben ist, handelt es sich dabei um einen Fortschritt.
Denn positive Wirkung erzielt das kirchliche Divestment nicht nur aus sich selbst heraus, auch wenn die „mittlere zweistellige Milliardensumme“, die nach den AKI-Kriterien investiert wird, keine „Peanuts“ sind. Richtig wirksam wird der Verzicht der Kirchen als politisches Zeichen an andere gesellschaftliche Akteure und die Politik. Das Medienecho auf die Erklärung (z.B. hier, hier, hier & hier) sollte Akteur:innen in den Kirchen ermutigen, lauter und vernehmlicher von ihrer guten Haushalterschaft zu erzählen. Kathrin Fingerle von der Christlichen Initiative Klimagerechtigkeit erläutert:
„Die heutige Veröffentlichung ist ein großer Erfolg langjährigen Aktivismus, aber auch der kircheninternen Arbeit von Institutionen wie dem Arbeitskreis Kirchlicher Investoren. Die Kirchen gehen weiter glaubwürdig den Weg der Klimagerechtigkeit – die Politik sollte es ihnen gleichtun.“
Die Liste der teilnehmenden Organisationen zeigt außerdem, dass Christ:innen und Kirchen aus Deutschland mit ihrem Einsatz für ein ethisches Wirtschaften, für Klimaschutz und -Gerechtigkeit nicht alleine dastehen. Tatsächlich handelt es sich um ein im besten Sinne ökumenisches Projekt, an dem auch der Ökumenische Rat der Kirchen (ÖRK, Weltkirchenrat), Mitglieder der anglikanischen Weltgemeinschaft und vor allem Kirchenvertreter:innen und Christ:innen aus dem Globalen Süden mitwirken.
Die Kirchen werden so „Teil einer wachsenden Bewegung vielfältiger Institutionen, die den Ausstieg aus fossilen Energien als ethische Verpflichtung und finanzielle Notwendigkeit verstehen“, heißt es in der internationalen Pressemitteilung zur Divestment-Erklärung:
„Weltweit haben seit 2013 über 1.700 Institutionen mit einem Anlagevolumen von mehr als 40 Billionen US-Dollar ihren Rückzug aus fossilen Investitionen beschlossen – darunter mehr als 600 religiöse Institutionen […]. Auch 42 deutsche Institutionen hatten sich bisher beteiligt, unter anderem katholische Kirchenbanken und zwei Landeskirchen, die Allianz-Versicherung, Pensionsfonds und Kommunen wie z.B. Münster.“
Ein logischer und ethischer nächster Schritt wäre ein vollständiger Verzicht auf Investionen in fossile Energien von denjenigen Institutionen, die sich im Arbeitskreis Kirchlicher Investoren (AKI) zusammengetan haben, und eine weitere Vergrößerung des Divestment-Bündnisses mit vielen weiteren Städten, gesellschaftlichen Organisationen, Banken und Kassen. Dafür bedarf es allerdings des Drucks „von unten“, aus der Kirchenmitgliedschaft, in Synoden – und des Engagements von Christ:innen in ihren Kirchen, Kommunen und in der Politik.
Verzicht als politischer Akt
In der aktuellen Episode des „Eule-Podcast“ erklärt Theologieprofessor und Klimaaktivist Ruben Zimmermann im Anschluss an sein im Reclam-Verlag erschienenes Buch, „warum weniger gut sein kann“. Was versteht er unter einer „Ethik des Verzichts“? Warum ist Verzichten eine gute Idee, nicht nur für das Klima, sondern auch für die persönliche Lebensgestaltung? Zimmermann rät dazu, sich nicht im Vollständigkeitsfimmel zu ergehen, sondern konkret, auch mal zeitlich begrenzt und versuchsweise mit dem Verzichten anzufangen. Das klingt in meinen Ohren nach good old christlicher Lebenskunst.
Der Klimakrise allein mit persönlichem Verzicht, mit „Klimafasten“ oder christlicher Genügsamkeit und Rhythmik zu begegnen, reicht nicht. Es kann nicht um eine individualethische Auflösung von gesellschaftlichen und politischen Problemen gehen. Als adventliche Praxis aber ergibt das Verzichten auch politisch Sinn: Als Einübung in eine Wirklichkeit, die erst noch kommt. Als „Ja“ zu einer neuen Wirklichkeit in dieser Welt und „Nein“ zu Weltuntergangsdystopien. Ruben Zimmermann empfiehlt das Verzichten nicht nur als Gegenmittel wider den persönlichen „Maximierungsstress“, sondern wegen der …
„… gesellschaftlichen und zeitversetzten Dimension. Wir brauchen dringend Verzichts-Ethos, damit wir auch für unsere Kinder und Kindeskinder noch eine Welt hinterlassen, die lebensfähig ist und in der gutes Leben gelingen kann.“
Aktuell im Magazin
Auf Diversitäts-Lücke lernen – Lena Setzer („Sektion F“)
Im Theologiestudium und -Examen sind diskriminierende Inhalte noch immer selbstverständlich und Sensibilität für Vielfalt wird als „wildes Nischenthema“ abgekanzelt, erklärt „Sektion F“-Gastautorin Lena Setzer. An Beispielen aus „aktuellen“ theologischen Lehrbüchern zeigt sie, woran in der Theologie noch gearbeitet werden muss.
Setzer engagiert sich in der studentischen Initiative #theoversity, über die Julia Bartsch bereits im Frühjahr 2021 hier in der Eule geschrieben hat. Außerdem waren (ebenfalls 2021) Aline Ott und Kathrin Väterlein von #theoversity im „Eule-Podcast“ zu Gast.
Jage dem Frieden nach – aber wie? – Thomas Wystrach („Re:mind“-Newsletter)
In der vergangenen Woche führte Thomas Wystrach hier im „Re:mind“-Newsletter kritische Stellungnahmen zur neuen EKD-Friedensdenkschrift zusammen. Und ich habe ein paar Absätze zur (weitgehend ausgebliebenen) Debatte zum Thema auf der Tagung der EKD-Synode in Dresden beigesteuert.
Weitere Eule-Beiträge zur Friedensdenkschrift sind u.a. die Analyse von Michael Haspel, mein Bericht von der Vorstellung aus Dresden und die Diskussion über die Themen der Denkschrift von Michael Greder und mir im „Eule-Podcast“.
Eule-Podcast (52): Warum Verzichten gut ist – Gespräch mit Ruben Zimmermann von Michael Greder („Eule-Podcast“, 38 Minuten)
In seinem aktuellen Buch „Warum weniger gut sein kann“ beschreibt Ruben Zimmermann eine „Ethik des Verzichts“ vor dem Hintergrund der Klimakrise. Das Verzichten kann uns auch ganz konkret persönlich helfen, ein gutes Leben zu führen. Was ist Verzicht eigentlich, und was nicht? Wie kann Verzicht gelingen? Und warum ist das Verzichten heute so wichtig wie noch nie? (Vielleicht gibt es sogar eine Verbindung zur eben erst mit Nils Pooker beim Eule-Live-Abend diskutierten „Ethik des Unterlassens“.)
Der Dokumentarfilm „Die Kinder aus Korntal“, der im Herbst 2024 bereits in einigen deutschen Kinos lief, ist derzeit beim ZDF zu sehen. Die Einrichtungen der Evangelischen Brüdergemeinde Korntal waren Ort schlimmster Gewalt gegenüber Kindern und Jugendlichen. Seit 2013 offenbarten über 150 ehemalige Heimkinder aus Einrichtungen der pietistischen Gemeinde, die zur Diakonie der Evangelischen Landeskirche in Württemberg (ELKWUE) gehört, gegenüber der Öffentlichkeit sexualisierte Gewalt und physische wie psychische Grausamkeiten, die ihnen seit frühster Kindheit angetan wurden. Mehr als 80 Täter:innen konnten bis heute ermittelt werden.
„Der Film gibt sechs Betroffenen Raum, ihre Geschichte zu erzählen, daneben kommen Gemeindemitglieder und Angehörige der Aufklärungskommission zu Wort. Es [entsteht] ein vielschichtiges Bild über systemischen Missbrauch, der in die 1950er Jahre zurückreicht und in die Gegenwart einwirkt.“
Unter den Betroffenen, die im Film zu Wort kommen, ist mit Detlev Zander auch ein öffentlich wirksamer Vertreter von Betroffeneninteressen und Mitglied des Beteiligungsforums sexualisierte Gewalt in der EKD und Diakonie Deutschland (BeFo, wir berichteten). „Die Kinder aus Korntal“ wurde in den vergangenen Monaten immer wieder auch in Kombination mit Gesprächsrunden mit Betroffenen wie Zander und kirchlichen Verantwortungsträger:innen gezeigt.
Auch weil Korntal eben nicht einmalig ist, sondern sich ähnliche Verbrechen in zahlreichen diakonischen Einrichtungen und „Diakonie-Städten“ unter evangelischer Flagge ereignet haben und ereignen können, empfehle ich den Film als wertvolles und zugängliches Bildungserlebnis.
Zwischen Buß- und Bettag und Ewigkeitssonntag denken Protestant:innen über Umkehr und das ewige Leben nach. Früher einmal habe ich mich scherzhaft der Rede von der „traurigsten Woche des Kirchenjahres“ angeschlossen, die ihren Anfang ja im vielerorts in Kirchen und an Kriegsdenkmälern bedachten Volkstrauertag nimmt.
Der Bußtag ist, auch weil er des lieben Wirtschaftswachstums wegen nur noch im Freistaat Sachsen ein gesetzlicher Feiertag ist, ein wenig aus der Mode gekommen. Buße, ehrliche Reue und Vergebung allerdings bedeuten gut reformatorisch jedoch keineswegs das Ende, sondern gerade den Anfang eines neues Weges (s. hier & hier in der Eule). Ohne Bußtag und Ewigkeitssonntag kann es nicht Advent werden.
Ein schönes Wochenende wünscht
Philipp Greifenstein
Ein guter Satz
„Denn viele kleine Leute, an vielen kleinen Orten, die viele kleine Schritte des Verzichts tun, werden das Gesicht der Welt verändern.“
– der letzte Satz aus „Warum weniger gut sein kann. Eine Ethik des Verzichts“ von Ruben Zimmermann
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