Der Knigge für den Mann von gestern von Dr. Johannes Hartl
Der katholische Influencer Johannes Hartl erklärt, wie Mann und Frau (miteinander) gut leben sollen. Im Hintergrund steht ein biologistisches, binäres Verständnis von Geschlecht.
Ich gebe es zu, Johannes Hartl – bzw. Dr. Johannes Hartl – war mir bisher vor allem dem Namen nach bekannt. Gelegentlich habe ich Dinge über ihn gelesen (z. B. aktuell hier in der Eule, oder auch hier & hier). Ein Blick auf seine Website stellt ihn als charismatischen Philosophen und Germanisten vor, der in katholischer Theologie promoviert und in Augsburg gemeinsam mit seiner Frau das Gebetshaus gegründet hat. Eine richtig schöne Website. Eindeutig Profi.
Auch auf seinem YouTube-Kanal mit über 100.000 Abonnent*innen gibt es aktuell wöchentlich neue Videos. Und wenn ich die so durchscrolle, dann werde ich gecatcht mit „Avatar“-Referenzen oder der Frage, ob Kommunismus eine gute Idee sei. Sein Rammstein-Video und dessen Problematiken haben „Heilige und Halunken“ schon analysiert. Auch zu „Hartls Senf Gender“ formulierte dort eine Geisteswissenschaftlerin treffende Kritik. Auf Hartls Kanal gibt es Videos mit Titeln wie „Die Kunst, einen Mann zu lieben“ oder „Den richtigen Partner finden“ oder „Der Weg zum Gentleman“. Zugegebenermaßen macht mich das letzte nicht wirklich neugierig, allein schon das Thumbnail weckt Assoziationen zu Manosphere-Influencern, die Carolin Kebekus in ihrer Show mal unter die Lupe genommen hat.
Zu vielen von Hartls Videos gibt es auch Bücher von ihm – oder umgekehrt. Ich bin kein Medienprofi, aber erkenne: Das ist geschicktes Marketing. In Hartls Videos werden die Inhalte seiner zahlreichen Bücher einem – vermutlich jüngeren – Publikum noch einmal erklärt. Und aus Zuschauer*innen werden dann wohl auch Leser*innen seiner Bücher, die zu den Bestsellern des deutschsprachigen christlichen Buchmarkts gehören. Eine funktionierende Content-Strategie ist ja nichts ehrenrühriges, aber was steckt hinter Hartl? Was für ein Männerbild vertritt und verbreitet er – und was sagt das über sein Frauenbild aus?
Komplementarität und Mario-Barth-Stereotype
Im Video „Die Kunst, einen Mann zu lieben“ von 2020 (das Buch „Die Kunst, meinen Mann zu lieben“ gibt es schon seit 2015) geht es gleich damit los, dass Männer nicht einkaufen gehen können, weil Supermärkte eben unlogisch sind, und Frauen das bitte verstehen sollten. Es geht natürlich um die heterosexuelle Liebe einer Frau zu einem Mann. Hartl erklärt als Mann, der er selbst gern ist, den Menschen, „die man auch Frauen nennt, denen Mannsein weniger intuitiv vertraut ist“, das Mannsein und hofft, dass auch für Männer etwas dabei ist, das sie in ihrer Männlichkeit bestätigt. Wir sind erst mit der ersten Minute des Videos durch.
Hartl verfolgt im Anschluss an diese Einleitung die in der Genderforschung so bezeichnete Annahme der Komplementarität: Frauen und Männer seien gegensätzlich und ergänzten einander dadurch perfekt, also komplementär. Soweit entspricht das der konservativ-katholischen Lehre von den Geschlechtern. Zugleich sind Männer und Frauen – so Hartl – kompliziert füreinander, eben weil sie so gegensätzlich seien. Es folgt eine Runde Mario Barth-Gerede: Frauen gehen gerne einkaufen und Männer kaufen nur ein, wenn sie etwas brauchen. „Für euch ist es ein existenzial erheiternder Lebensvollzug, für mich ist es eher ein notwendiges Übel“. Hartl zeigt dazu Bilder von Männern, die beim Einkaufen auf Frauen warten.
Hartl legt Wert darauf, nicht als Wissenschaftler zu sprechen, sondern als mit einer Frau seit 19 Jahren verheirateter Mann, der vier Kinder habe, davon zwei weiblich und zwei männlich. Er glaube (!) fest daran, dass Männer und Frauen unterschiedlich sind und beruft sich dafür auf seine Erfahrung als Vater. Die Stereotypisierung, die er verfolge, solle bitte „spielerisch“ verstanden werden. Wie sehr Eltern und andere Bezugspersonen auch dank der Industrie Genderrollen re-etablieren oder diese destabilisieren können zeigt immer wieder der Instagram-Kanal „Rosa-Hellblau-Falle“. Dass Hartls Kinder seiner Wahrnehmung nach geschlechtsspezifische Unterschiede zeigen, ist also wahrscheinlich eine self-fulfilling prophecy: Gehen ein oder mehrere Elternteile von quasi ontologischen Geschlechtsunterschieden aus, werden sie diese auch auf ihre Kinder übertragen und die Kinder durch ihre Erziehung in dieser Weise beeinflussen.
„Männlicher“ Stecker und „weibliche“ Steckdose
Hartl geht von grundsätzlichen körperlichen und neurologischen Unterschieden zwischen Männern und Frauen aus, für die er universelle Geltung beansprucht. Er glaubt (!), dass die Wissenschaft das so gezeigt habe. Und es wundert eine*n nicht, was als nächstes kommt: „Ich weiß nicht, wie es sich anfühlt, einen Zyklus zu haben, weil ich keinen hab. Ich find‘ das deswegen so lustig – Mann fühlt sich wie eine Frau, Frau fühlt sich wie ein Mann – ich weiß nicht, wie eine Frau sich fühlt.“
Hartl rekurriert hier auf trans* Personen. Offensichtlich versteht und anerkennt er Transidentität nicht. Von seiner Grundidee von geschlechtlich-biologistischer Differenz und Binarität aus wird er es auch gedanklich nicht bis dorthin schaffen. Seine antiquierte Geschlechterontologie, die zudem von eindeutigen Körpern ausgeht und dadurch auch inter* Personen nicht berücksichtigt, verbaut ihm den Zugang zu Geschlechtsidentitäten jenseits von cis und männlich oder weiblich. Hartl reduziert Frausein auf Gebärenkönnen, auch wenn das nicht einmal der permanente Zustand oder eine Handlungsoption jeder cis-Frau ist.
Aber die Unterschiede möchte Hartl, plaudert er weiter, gar nicht so sehr betonen, sondern eigentlich nur formulieren, wie er geliebt werden möchte oder geliebt wird. Für ihn braucht es für gelingende Beziehungen ein Verständnis für Verschiedenheit und Nähe. Das veranschaulicht Hartl – amazing! – anhand von „männlichem“ Stecker und „weiblicher“ Steckdose. Männer und Frauen müssten jeweils Zugänge zu ihren männlichen oder weiblichen „Energien“ finden. Dann erklärt Hartl die Unterschiede von weiblichen und männlichen Körpern: „Sehr zum Enttäuschen von uns Männern sind die Brüste der Frau eigentlich ja gar nicht für uns Männer da.“
Es ist alles ganz einfach: Frauen kriegen Kinder. Und Männer kämpfen. Hartl spricht nun buchstäblich über die „Jäger und Sammler“. Schau ich hier etwa Jordan Peterson zu oder einem der zahlreichen anderen YouTuber, die sich mit Ratschlägen an orientierungssuchende junge Männer richten? Ist Johannes Hartl ein Pick-Up-Artist für reaktionäre Geschlechterbilder? Die Genderstereotype, die mit den Bildern von Jägern und Sammlerinnen verbunden sind, sind als solche enttarnt.
Immerhin dürfen bei Hartl Frauen „aus der Höhle“. Aber die Grundfähigkeiten bleiben durch das Schema aufgeteilt: Frauen vernetzen und sind konsensorientiert, Männer denken in „Problem-Lösungen“, sind aggressiv und kompetitiv. Hartl kann dann auch anhand von Genesis 2,18 zeigen, dass die Rolle von Frauen als Gehilfinnen / Helferinnen bedeutsam ist. Also bedeutsam für ihren Partner. Für nichts sonst. Frauen werden erst durch die Beziehung zum Mann wichtig und erfüllen ihren Sinn. Die praktischen Beziehungstipps, die Hartl in der zweiten Videohälfte gibt, erspare ich uns.
Konventionelle Gewissheiten für Männer
Im Video „Den richtigen Partner finden“, vor 10 Monaten veröffentlicht, gibt es einige allgemeine Tipps, die wahrscheinlich auch Dr. Sommer oder der*die gute Freund*in auf Lager hätte. Und das ist natürlich nett von Hartl, dass er solche Tipps gibt und damit auch einen Nerv trifft. Fast 100.000 Klicks hat so ein Video, in dem Hartl Lebensratschläge gibt. Was ist das für ein Format?
Es ist eine Form von „Lebenshilfe“, die vielleicht auch deshalb attraktiv ist, weil es so wirkt, als ob Hartl viel weiß und aus seiner Weisheit mitteilt. Die mangelnde Alltagsrelevanz von Predigten und christlichen Social-Media-Formaten wird ja immer wieder beklagt. Übrigens klammert Hartl Homosexualität oder andere queere Liebe nicht explizit aus. Aber er vermittelt eine ziemlich feste Vorstellung vom guten Leben: G*ttesbeziehung, Partner*in, Haus, Familie, Kinder. Und gibt heteronormative Tipps, um genau das zu erreichen. Ich will gar nicht sagen, dass das schlechtes Leben sei, aber es ist ein sehr eindimensionales gutes Leben, das auf feste Geschlechterrollen basiert. Männer sollen kompetent wirken. Frauen wie Männer sollen sich mit ihrem entweder weiblichen oder männlichen Geschlecht versöhnen. Frauen sollen Männer respektieren.
Im Video „Der Weg zum Gentleman“, das vor zwei Wochen veröffentlicht wurde, „enthüllt“ Hartl (so die Videobeschreibung) „12 Geheimnisse, wie Männer zu wahren Gentlemen werden“. In der Anfangsmoderation heißt es: „Du willst als Mann erfolgreich im Job sein, mehr Selbstbewusstsein im Auftreten haben und bei Frauen einen guten Eindruck hinterlassen?“ – Männliche Imagepflege… im Auftrag des Herrn*? Es ist schon erstaunlich, dass Hartl sich dem Thema Männlichkeit immer wieder widmet, wo gefühlt doch schon alles klar ist.
In einem aktuellen Interview bei der KNA / katholisch.de darf Hartl, der seit neuestem auch Mitglied im Deutschen Knigge-Rat ist, das alles auch ausbreiten. Es geht um: Äußeres, Kleidung, Duft, Auftreten, Struktur im Leben, Integrität, Demut, Umgang mit Frauen, Kultur, Smalltalk, Tischmanieren, Frömmigkeit. Im Video gibt er tatsächlich auch Tipps für den Kleiderschrank und 16 Elemente, die er enthalten soll. Privat gucke ich mir auch Capsule Wardrobe-Videos an, hätte so etwas aber nicht von einem sonst mit den Themen Sinn, christliche Lebensführung und Positionen befassten Autor erwartet.
Warum also die bewusst gesuchte Praxisnähe? Treffen Hartls Bemühungen auf einen realen Beratungsbedarf? Ob die Adressat*innen wirklich junge Männer sind oder sich hier nicht nur ein eng gezogenes konservativ-bürgerliches Milieu selbst bestätigt, ist schwer festzustellen. Im Interview erklärt Hartl, dass „schon Knigge sehr zurückhaltend mit konkreten Praxisanweisungen“ war. Eine Zurückhaltung, die Hartl abgelegt hat. Trotzdem hält er fest: „Auf dieser Basis wollen wir vermitteln, dass es in bestimmten Bereichen gewisse Konventionen gibt.“ Gewisse Konventionen oder doch konventionelle Gewissheiten in einer fraglich gewordenen Umwelt?
Versöhne Dich mit Deinem Geschlecht!
Herbert Grönemeyer fragte schon 1984: „Wann ist ein Mann ein Mann?“ In „Männer“ fasste er Ansprüche zusammen, die konventionell-kulturell in der patriarchalen Gesellschaft als „männlich“ verstanden werden: „Männer baggern wie blöde“. Bei Grönemeyer ist der Bruch dieses Männlichkeitsbildes schon vorweggenommen: „Männer brauchen viel Zärtlichkeit; Männer sind so verletzlich.“ Deswegen müssen sie auch heimlich weinen. Eine solche fragile und fragwürdig gewordene Männlichkeit ist der Resonanzraum, in den Johannes Hartl hineinspricht.
Fragile Männlichkeit meint die Erschütterung des patriarchalen Männerbildes durch die Emanzipation von Frauen. Die Gleichberechtigung der Geschlechter hat eben auch Rückwirkungen auf das Mannsein. Auf der Suche danach, wie Männlichkeit ausgestaltet werden kann, ist die Orientierung an Vorbildern oft das Mittel der Wahl. Studien ergeben dabei, dass patriarchale Männlichkeitsbilder eher im Kommen als im Gehen sind (vgl. „Macho oder Kümmerer. Fragile Männlichkeit in den Religionen“ von Mechthild Klein am 28. Februar 2024 im DLF). Es gibt dabei auch Überschneidungen mit rechtspopulistischem Antifeminismus, der auch in unterschiedlichen christlichen Kreisen rezipiert und durch Bibelzitate unterstützt wird.
Auch Johannes Hartl spricht solche vermeintlich klaren Botschaften in das post-patriarchale Vakuum. Dieses Vakuum will er mit der altbekannten binären Geschlechterordnung füllen. Seine Geschlechterbilder sind biologistisch, binär und identifizieren essentielle Unterschiede zwischen Männern und Frauen. Deshalb kann er Transidentität nur als Frage der „Versöhnung mit dem ‚eigenen‘ Geschlecht“ verstehen und ordnet sie der G*ttesbeziehung zu. Das ist zwar keine Konversionstherapie, aber eine Konversionsspiritualität, die er von trans* Personen einfordert. Dass G*tt trans* Personen geschaffen hat und sie als solche annimmt, scheint ein zu großer Anspruch für Dr. Johannes Hartls G*ttesbild zu sein.
Alle Ausgaben von „Sektion F“ hier in der Eule.
Eule-Podcast Q & R mit Carlotta Israel: Call to action!
Jetzt seid ihr gefragt! Neben den thematischen Ausgaben des „Eule-Podcasts“ und dem Monatsrückblick „Eule-Podcast RE:“ erproben wir eine weitere Variante unseres Podcasts. Als erste Gesprächspartnerin wird Eule-Kolumnistin Carlotta Israel im „Eule-Podcast Q & R“ zu Gast sein.
Carlotta schreibt seit 2021 die Eule-Kolumne „Sektion F“ und ist vielfältig engagiert für einen intersektionalen Feminismus in Theologie und Kirche. In diesem Jahr wird sie mit dem Dorothee-Sölle-Preis des Ökumenischen Netzwerks Initiative Kirche von unten (IKvu) ausgezeichnet.
Her mit Euren Fragen!
Im „Eule-Podcast Q & R“ stellen sich Eule-Autor:innen den Fragen der Leser:innen und Hörer:innen. Q & R steht dabei für „Question & Response“, also etwa „Frage und Entgegnung“. Wir wollen natürlich die drängenden Fragen unserer Community beantworten, aber keineswegs mit dem Anspruch auf abschließende Vollständigkeit. Auf schwierige Fragen gibt es keine einfachen Antworten, doch hoffentlich interessante und vertiefende Erwiderungen.
Fragen an Carlotta nehmen wir auf allen Kommunikationskanälen der Eule entgegen: Per E-Mail, als Direktnachricht auf Instagram und Bluesky oder auch öffentlich als Kommentar im Magazin und auf unseren Social-Media-Kanälen. Fragen an Carlotta können bis zum 10. August eingereicht werden.
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