Die Kirchen und Corona: Heiligabend ist Murmeltiertag!

Die Kirchen bereiten sich auf das 2. Corona-Weihnachten vor: Zwischen Vorsicht, Ernüchterung und Hoffnung versuchen Haupt- und Ehrenamtliche Wege zur Krippe zu finden.

Überall im Land rauchen die Köpfe: Ehren- und Hauptamtliche in den Gemeindekirchenräten, Pfarrkonventen und Synoden beschäftigt die Frage, ob und wie Weihnachten in diesem 2. Corona-Winter gefeiert werden kann. Gestritten wird außerdem über 2G, 2G+ und 3G für Gottesdienste. Geht das? Ausgerechnet zu Weihnachten? „Weihnachten fällt nicht aus“, stellt der evangelische Pfarrer Johannes Böttner klar, und Eule-Redakteur Philipp Greifenstein ärgert sich, dass wir auch im 2. Corona-Winter wieder die gleichen Fragen stellen.


Weihnachten 2020 ist nicht ausgefallen … und 2021 fällt es auch nicht aus

Johannes Böttner, Pfarrer in Niedenstein-Wichdorf


„Alle Jahre wieder“! Die Frage „Wie feiern wir eigentlich dieses Jahr Weihnachten?“ klingt im zweiten Jahr der Pandemie für mich weit weniger dramatisch als noch im letzten Jahr.

Klar, die äußere Lage ist dramatischer denn je. Die Infektionszahlen schießen durch die Decke, die Krankenhäuser sind überlastet und die gesellschaftlichen Diskussionen um die Impfung nehmen an Schärfe zu. An vielen Orten wird heiß diskutiert, ob Zugangsbeschränkungen mit 2G oder 2G+ christlich sind, oder in Widerspruch geraten zur Botschaft, dass Jesus auch mit Aussätzigen bei Tisch saß. Es ist für mich zwar eine christliche Pflicht, sich aus Sorge um den Nächsten impfen zu lassen, aber bis Weihnachten werden selbst die bisherigen Zweifler:innen nicht den vollständigen Schutz haben. Und bis dahin werden auch die Kinder nicht geimpft sein, die im Krippenspiel gerne Engel und Hirte spielen. Einige Eltern wollen deshalb nicht, dass ihre Kinder in einer vollen Kirche als Maria und Joseph sitzen.

Viele Kirchengemeinden kennen die leidige Aufgabe einen Türsteher abzustellen, der oder die dann kontrolliert, wer sich zuvor registriert hat oder wer keinen Impfnachweis dabei hat. „Du kommst hier nicht rein!“ – das ist schon hart am Heiligen Abend. Niemand will am 24. Dezemeber mit ungeimpften Menschen, die es auch in Reihen der Kirchengemeinde leider zuhauf gibt, über den Sinn der Impfung und ihre prekäre Entscheidung diskutieren.

Doch die Kirchengemeinden haben inzwischen gelernt, sich auf die Ausnahmesituation einzustellen und an vielen Orten hat die Kirche eine große Innovationskraft bewiesen. In diesem Jahr wird hoffentlich niemand mehr staatstragenden verkünden: „Der Kirchenvorstand hat aus Rücksicht auf die Gesundheit der Menschen beschlossen Weihnachten ausfallen zu lassen … .“ Das wäre fatal! Denn Weihnachten fällt nicht aus! Dietrich Bonhoeffer hat einmal gesagt: „Es wird Weihnachten, ob mit uns oder ohne uns“. Anders als er es fortgesetzt hat, würde ich sagen: Es liegt nicht an jedem Einzelnen, sondern daran ob wir in der Gemeinschaft der Menschen vor Ort und in der Region Weihnachten zulassen, damit wir das Kind auch in der provisorischen Krippe entdecken. Gott geht an Weihnachten neue, oft unbekannte Wege mit den Menschen.

Ich bin sehr stark dafür, die tradierten Bilder vom Krippenspiel, der Christvesper und der Christnacht in vollen Kirche zu überdenken und sich auf den Kern zu besinnen: Der Friede auf Erden beginnt in einem zugigen Stall. Hier kommen unterschiedliche Menschen zusammen, mit ihren Begabungen und Talenten, mit ihren Zweifeln und Sorgen.

Und wie viel war 2020 möglich! Digitale Krippenspiele als Spielfilm mit fantastischen Zuschauerzahlen, Weihnachtsgottesdienste im Autokino, gedruckte Grüße an alle Menschen in einer Region, Glockengeläut und Balkongesänge, nicht zu vergessen: die großen Fernsehgottesdienste. Und nicht nur das: Wenn Corona der Kirche eins gelehrt hat, dann doch die Wertschätzung der kleinen Formate. In so vielen kleinen Dörfer wurde vor der Kirche schlicht und einfach die Weihnachtsgeschichte aus Lukas 2 gelesen, dazu spielte jemand zwei Weihnachtslieder und der Tannenbaum leuchtete. Die Menschen standen mit Maske und Abstand im großen Rund. Das war meist gar nicht viel Aufwand und die Tränen flossen vor Rührung. Das wird 2021 auch verantwortbar sein.

Kein Ehrenamtlicher im Kirchenvorstand möchte am Heiligen Abend stundenlang Bänke schleppen und Mikrofonanlagen aufbauen. Es muss einfach, kurz und auf das Wesentliche reduziert sein. Wenn so vieles ins Wanken gerät und wegbricht, dann bleibt wenigstens eins: Euch ist heute, jetzt und hier, am Heiligen Abend 2021 der Heiland geboren, welcher ist Christus, der Herr!

Die Botschaft kann von einem Schlepper verkündigt werden, aus einem Golf-Car oder in einer kleinen Stehandacht vor der Kirche. Sie kann in einem digitalen Video- oder Audiogruß verkündigt werden, oder in einer gemeinsamen Feier via Zoom geteilt werden. Nicht jede Gemeinde muss alles machen, sondern jetzt ist die Zeit, Absprachen in der Region zu treffen und ein gemeinsames Konzept zu verabreden. Dabei sind digitale Angebote, Gottesdienste draußen und auch Gottesdienste im Innenraum nicht in Konkurrenz zueinander zu bringen, sondern als sinnvolle Ergänzung und Erweiterung zu sehen, deren Koordination nicht nur in Pandemiezeiten wichtig ist.

Für viele Menschen haben gerade die digitalen Gottesdienste neue Möglichkeiten der anonymen Teilnahme eröffnet. Andere wiederum freuen sich daran, die „vertrauten Gesichter“ am Heiligabend von Angesicht zu Angesicht zu sehen – dieses Jahr eben nochmal mit Maske. So will die Weihnachtsbotschaft geteilt werden … und auf keinen Fall staatstragend abgesagt werden.

Pfarrer Johannes Böttner (@house_des_herrn) hat als Kind alle Krippenspielfiguren einmal gespielt. Im letzten Jahr hat er mit seiner Frau Johanna Böttner zum ersten Mal einen Krippenspielfilm mit den Kindern der Ev. Kirchengemeinde Niedenstein-Wichdorf (EKKW) gedreht, seine drei Mädchen waren alle dabei. Gerade laufen die Dreharbeiten für das Krippenspiel 2021 und die Frage: „Wer ist eigentlich dieses Jahr Maria?“ wurde schon friedlich gelöst.

Ein Plan B braucht einen Plan A

Philipp Greifenstein, Eule-Redakteur


Akteur:innen in den Kirchen fallen zurzeit nicht selten in Muster zurück, die aus dem ersten Corona-Winter schon bekannt sind: Heiligabend als Murmeltiertag! Dabei ist doch klar: „Die“ Kirche und erst recht die Gemeinde vor Ort haben die Regeln nicht gemacht. Ja, Ehren- und Hauptamtliche der Kirchen tragen seit Beginn der Corona-Pandemie die Last, die häufig widersprüchlichen, sich stetig ändernden und selbstverständlich auch fordernden Sicherheitsregeln zu erklären. Nicht selten fangen insbesondere Pfarrer:innen in persönlichen Gesprächen den gesellschaftlichen Unmut ab, der sich in fast zwei Jahren Pandemie natürlich auch gebildet hat.

Doch vernünftige Menschen wissen, dass ihr:e Pfarrer:in und ihre Kirchgemeinde für die anhaltende Pandemie und einzelne Regeln nichts können. Die großen Kirchen tun gut daran, sich in diesem zweiten Corona-Winter nicht abermals in die Position hinein zu manövrieren, staatliche Verordnungen nicht nur getreulich umzusetzen, sondern sie z.T. zu verschärfen oder umfangreich apologetisch zu thematisieren. Die Corona-Hygienevorschriften gehören auch zu diesem Fest wieder dazu. Fertig, aus.

Besonders in der katholischen Kirche wird dieser Tage über die 2G-Regel für Gottesdienste diskutiert. Klar, wenn ein Bischof für sein Bistum ohne Konsultation der Gläubigen solche Regeln erlässt, ist der Kummer groß. Und man darf sich fragen, inwieweit die Regeln dann auch umgesetzt werden. Demgegenüber erscheint die evangelische Landschaft zwischen 2G (z.B Hannoversche Landeskirche), 2G+ und 3G wie üblich unübersichtlich. Auch gibt es erneut zahlreiche Konflikte in den Gemeinden, die vor Ort irgendetwas Sinnvolles aus den vagen Empfehlungen der Kirchenkreise und Krisenstäbe der Landeskirchen machen müssen. Doch die Verantwortung vor Ort – wir haben es in den vergangenen zwei Jahren reichlich thematisiert – sorgt auch für verbindliches Vorgehen, das auf hohe Compliance hoffen darf.

Was mir in der Diskussion um 2G, 2G+ und 3G zu häufig untergeht: Es geht doch nicht allein darum, Ungeimpften den Zugang zum Gottesdienst, zur Eucharistie, zum Tisch des HERRn nicht zu verweigern! Es geht auch um die Rechte derjenigen, die das Impfangebot längst angenommen haben. Denn die vielgescholtene alte Bundesregierung hat ja Wort gehalten: Bis zum Herbstanfang hat jede:r ein Impfangebot erhalten! Viele Menschen haben wie ich davon Gebrauch gemacht, um sich selbst, ihre Kinder und Verwandten und eben auch vulnerable Menschen in den Gemeinden zu schützen. Wir haben uns doch nicht umsonst impfen lassen!

Ja, auch Geimpfte können erkranken und das Virus weiterverbreiten. Ein gutes Argument dafür, sich auch geeimpft vor Gottesdiensten testen zu lassen. In der Debatte aber entgleitet, dass es viele, viele Menschen gibt, die sich seit Jahr und Tag an die Regeln halten, Hygienevorschriften auch in den Gottesdiensten einhalten, Maske tragen (warum auch nicht!), auf den Gemeindegesang verzichten und sich haben impfen lassen, auch weil sie eben an dem trotz alldem lebendigen analogen Gemeindeleben teilnehmen wollen.

Für sie sollten auch in diesem Jahr Weihnachtsgottesdienste stattfinden. Die Zeit wird knapp, digitale und analoge Alternativ- und Zusatzangebote zu organisieren. Zum Glück haben die findigen unter den Haupt- und Ehrenamtlichen damit bereits vor Wochen (gar Monaten) begonnen! Wir können uns auf eine bunte Palette kirchlicher Angebote im Advent und zu Weihnachten freuen. Dazu gehört für mich auch die analoge Christvesper, mit allen Sicherheitsvorkehrungen, aber auch mit Krippe, Baum, Orgel und Chormusik. Vielleicht sogar mit einem „O du Fröhliche!“ vor der Kirchentür.

Einen guten Plan B zu haben, ist eine feine Sache. Weiter kommt man, wenn man analog und digital nicht gegeneinander ausspielt, so wie es Johannes Böttner richtig empfiehlt (s.o.). Vor allem bedeutet die Vielfalt der unterschiedlichen Verkündigungsformate nicht, dass man vom Plan A lässt. Zumindest nicht, solange man nicht muss. Man kann und muss eventuell kurzfristig absagen. Aber es ist nicht Aufgabe der Kirche, sich schon Wochen im Voraus zurückzuziehen. Das sage ich als doppelt (und zu Weihnachten dreifach) geimpfter bekennender Weihnachtschrist.

Wer sich um sein eigenes spirituelles Gemeinschaftsleben und vor allem auch um das spirituelle Leben der Kinder sorgt, der ist geimpft oder muss sich impfen lassen! Erneut haben die Kinder durch Absagen und Einschränkungen von Martinsumzügen, Adventssingen und Bastelrunden, Weihnachtsfeiern in Kindergärten und Schulen und leider auch durch das analoge Mager-Programm in einigen Kirchgemeinden das Nachsehen. Als ob deren spirituelle Freiheit und geistliche Entwicklung keine Rolle spielen würde! Die Verantwortung dafür tragen die Erwachsenen, die sich nicht impfen lassen, obwohl sie es können, und auch diejenigen Hauptamtlichen, deren Fokus allein auf dem Erwachsenen-Gottesdienst liegt.

Weihnachten ist ein Heidenspaß und ein Kinderfest, nicht das Fest der festgefügten „Kerngemeinde“. Daran sollten sich die Entscheidungen und auch die Kommunikation in den Kirchen des Landes orientieren.

Philipp Greifenstein ist Redakteur und Mit-Gründer der Eule.

Thema: Streit um Feiertage während der Corona-Pandemie

Advent/Weihnachten 2020:


Ostern 2021:


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