#digitaleKirche: „Es gibt mehr Amazon-Prime-Kunden als Kirchenmitglieder“

Wie gut ist die neue Digitalstrategie der EKD? Und was ist vom neuen „Effizienzfonds“ zu halten, der die Landeskirchen bei der Zusammenarbeit unterstützen soll?

Eule: Die EKD hat im rasanten Tempo eine Digitalstrategie verabschiedet. Es wird auch viel Geld in die Hand genommen: Der bekannte „Digital-Innovationsfonds“ wird aufgestockt und es gibt einen neuen „Effizienzfonds“. Da kann die #digitaleKirche zufrieden sein, oder?

Terbuyken: Viel Neues hat sich seit dem letzten Jahr in der Digitalstrategie nicht ergeben, aber das liegt auch daran, dass das ganze Thema Digitalisierung so wahnsinnig komplex ist. Dieses Jahr mit der Corona-Pandemie gehört auch irgendwie den Praktiker:innen.

Was den neuen „Effizienzfonds“ angeht, ist es natürlich so, dass die Landeskirchen von der EKD gerne Geld zur Unterstützung ihrer Ideen haben wollen. Das kann der „Effizienzfonds“ mit 4 Millionen Euro natürlich leisten. Unter dem Gesichtspunkt, dass die ganze EKD eigentlich Geld sparen will und dafür Skaleneffekte erzielt werden sollen, wo Budgets auch zusammengelegt und mit dem gleichen Geld mehr Resultate erzielt werden sollen, muss man abwarten, ob das der „Effizienzfonds“ leistet.

Der Fonds sollte nicht dafür genutzt werden, dass einfach noch mehr Geld für noch mehr Projekte ausgegeben wird. Das Kriterium, nur übergreifende Projekte zu fördern, sollte auch wirklich eingehalten werden, damit die unterstützten Projekte wirklich von allen genutzt werden können.

Eule: In den „12 Leitsätzen“ steht explizit, dass Aufgaben nur noch an einem Ort erledigt werden sollen und dafür gut. Darin steckt die alte Forderung von Beobachter:innen der digitalen Kirche nach Konzentration und Qualität. Aber leidet darunter nicht auch die protestantische Vielfalt?

Terbuyken: Das glaube ich nicht. Die protestantische Vielfalt leidet darunter, wenn alle mit dem gleichen Werkzeug auch die gleichen Inhalte machen. Es geht um zwei Leitgedanken: Es muss nicht an vielen Stellen der gleichen Idee nachgegangen werden. Und man muss nicht unbedingt verschiedene Werkzeuge nutzen, um die gleiche Aufgabe zu erledigen. Besser ist es, die gleichen Werkzeuge für unterschiedliche Dinge zu nutzen. Es geht um eine technische Konsolidierung, von der wir die Diskussion um eine inhaltliche Konsolidierung trennen müssen.

Meiner Erfahrung nach sind die Kirchenkreise und Gemeinden sowie sonstigen Werke und Dienste so kreativ und eigenständig, dass sie ihre Vielfalt schon bewahren und immer wieder herstellen werden. Aber diese Vielfalt muss sich eben nicht darin äußern, dass sie das in einer komplett unterschiedlichen äußeren Form tun und mit Werkzeugen, die eigens beschafft oder entwickelt werden.

Eule: Ein schönes Beispiel dafür sind Videokonferenz-Tools. Das EKD-Kirchenamt hat 2020 zum Teil über 2000 Videokonferenzen im Monat durchgeführt. In den Landeskirchen gibt es teilweise andere Lösungen, dann noch mal innerhalb der einzelnen Landeskirchen und Diakonischen Werke. Und sogar innerhalb mancher Kirchenkreise werden unterschiedliche Anbieter nebeneinander genutzt.

Terbuyken: Wobei man dazu sagen muss, dass es bei Videokonferenzen so viele gute Anbieter gibt, dass es fast schon wieder egal ist, solange wir nicht selbst anfangen, unser eigenes Videokonferenz-Tool zu bauen. Das würde dann lange gebaut, getestet, nachgebessert, verpflichtend eingeführt, kaum verstanden. Nutzer:innen würden extra daran geschult, dann soll das weiterentwickelt werden und wieder von vorn.

Eule: Das klingt jetzt aber nur witzig, weil das bei den Videokonferenzen völlig abstrus wäre. Aber bei den Finanzprogrammen der Landeskirchen haben wir zum Beispiel genau dieses Problem. Da werden von den Landeskirchen unterschiedliche Bedürfnisse vorgeschoben.

Terbuyken: Ja, und ich glaube, das ist einfach nicht der Fall. Ich denke, die Standards auf deren Grundlage gearbeitet wird, lassen sich soweit angleichen, dass man auch mit dem gleichen Werkzeug arbeiten kann. Das spart dann am Ende Geld.

Eule: Braucht nicht die Evangelische Kirche, wie es jetzt wieder diskutiert wird, eine stärkere Zentralisierung auch der digitalen Bemühungen?

Terbuyken: Wenn es darum geht, dass das einfach nur in Hannover für alle gemacht werden soll, dann sehe ich keinen Weg dahin. Welche Landeskirche würde denn die Hälfte ihrer IT entlassen und sich von der EKD bedienen lassen? Es gibt stattdessen zwei nebeneinander laufende Prozesse: Einmal geht es um Kooperation und Koordination zwischen den Landeskirchen. Zusätzlich zur IT-Konferenz gibt es jetzt auch eine der Digitalisierungs-Verantwortlichen. Das ist gut.

Eule: Dazu muss man sagen, dass eine vergleichbare Koordination aller Landeskirchen (und Diakonischen Werke) auf dem Feld des nachhaltigen Investments zehn Jahre brauchte, um sehr gute Ergebnisse hervorzubringen (wir berichteten). Also muss man den Digitalisierungs-Expert:innen schon auch ein wenig Zeit einräumen.

Terbuyken: Genau, dieses Gremium gibt es erst seit Einrichtung der Stabsstelle Digitalisierung im Kirchenamt der EKD, wo ja auch versucht wird, Digitalisierung nicht allein auf Verwaltungsvereinfachung abzustellen, sondern den Blick auf alle Vorgänge zu richten.

Der zweite Prozess wird eine stufenförmige Regionalisierung sein, denke ich. Das gibt es bei vielen Themen teilweise schon, wie zum Beispiel im Meldewesen. Ich beobachte, dass das in der Katholischen Kirche schon sehr viel ausgeprägter ist und viele Bistümer viel stärker im regionalen Verbund unterwegs sind.

Eule: Ein großes Thema dieses Jahres ist die „Digitalisierungswelle“, die es auch in andere Berichte vor der Synode geschafft hat. Gibt es die, über die Nutzung von Social Media hinaus, überhaupt?

Terbuyken: Ja, die gibt es definitiv. Und zwar, weil die Menschen, die in der Kirche arbeiten, inzwischen erkannt haben, dass die Menschen in den Gemeinden mit einer ganz anderen Servicehaltung an die Kirche herantreten. Das ist zumindest unsere Erfahrung, wenn wir mit ihnen sprechen. „Digitalisierungswelle“ bezieht sich ja nicht nur auf Kommunikationswerkzeuge, sondern auf die Einstellung, Menschen aktiv und direkt ansprechen zu wollen.

Die Leute, die da draußen sitzen, erwarten, zielgenau angesprochen zu werden. Die wissen, was sie wollen! Meine Lieblingszahl dazu: 63 % der Deutschen haben ein Amazon-Prime-Konto(Quelle). Das sind mehr Menschen als in der evangelischen und katholischen Kirche zusammen Mitglied sind. Diese Menschen erleben eine unfassbar technisch gestützte, aber sehr interessengeleitete, immer aktuelle Kommunikation mit einem 1a-Service. Die Erkenntnis reift in den Gemeinden: Wenn ich den Leuten etwas Passgenaues anbiete und mit ihnen kommuniziere, dann hören die auf einmal zu. In der Digitalität zu leben heißt, sich dieser Regeln bewusst zu sein und den Erwartungen der Menschen zu entsprechen.

Eule: In der EKD-Digitalstrategie werden zwei Argumente stark gemacht: Die Wirtschaftlichkeit und die Ressourcenschonung. Letzteres zum Beispiel beim Zeitgewinn von Hauptamtlichen, die keine weiten Strecken mehr reisen müssen, um miteinander in Kontakt zu stehen.

Wie passt es dazu, dass viele Menschen in der Fläche das Gefühl haben, mit der Digitalisierung käme immer etwas Neues und Zusätzliches auf sie zu? Was muss sich ändern, damit die Entlastung, die da propagiert wird, auch bei den Haupt- und Ehrenamtlichen in den Gemeinden ankommt?

Terbuyken: Die finanzielle Entlastung durch mehr Zusammenarbeit würde tatsächlich nicht in der Fläche spürbar, sondern in den IT-Abteilungen. Wenn nicht jeder neue Entwicklungen macht, dann fällt da natürlich Arbeit weg und der Finanzaufwand reduziert sich.

In den Gemeinden wird es dann gut funktionieren, wenn sie verstehen, warum sie ein digitales Werkzeug eigentlich benutzen sollen. Wir haben also immer noch ein Erklärproblem. Was Digitalisierung nicht leisten kann, ist mit viel weniger Aufwand viel mehr Ergebnis zu realisieren. Was ich schaffen kann, ist mit dem gleichen Aufwand bessere Ergebnisse zu erreichen und mit ein wenig mehr Aufwand, der durch digitale Werkzeuge erleichtert wird, noch bessere.

Konkret: Wenn ich damit beginne, einen Newsletter für die Gemeinde zu machen, dann habe ich damit zunächst mehr Arbeit. Aber ich kann damit mehr Menschen erreichen, als ich es bisher tue. Wenn ich aber anfange, das Ziel “mehr Menschen erreichen” in den Mittelpunkt meiner Arbeit zu stellen, dann kann ich natürlich auch Ressourcen dementsprechend umschichten.

Digitalisierung ist nicht allein ein Zurverfügungstellen von Technik, die etwas leichter macht, sondern ein Prozess der Fokussierung. Der Einsatz digitaler Technologien führt nicht notwendiger Weise zu weniger Arbeit, er führt zu anderer Arbeit. Diese andere Arbeit hat, aus meiner Sicht, einen größeren Effekt als bisher.

Eule: Das wird beim Schlagwort „hybride“ Kirche augenfällig.

Terbuyken: Einen Gottesdienst sowohl offline als auch online per Stream und dann als Video-on-Demand zu machen, ist auf jeden Fall mehr Arbeit als sonst. Aber es lohnt sich.

Eule: Wirklich?

Terbuyken: Die Zahlen zeigen ganz deutlich, dass sich mehr Menschen die Online-Varianten anschauen, als vor Ort dabei sind. Meinen persönlichen Beobachtungen nach ist die erste Welle inzwischen abgeebbt, aber da wo die Angebote kontinuierlich weitergeführt werden, finden sie weiter Anklang. Wir sind ja auch noch mitten in der Pandemie.

Eule: Es geht bei weitem ja nicht nur um Streaming-Gottesdienste, sondern um Audio-Andachten, aktive Website-Nutzung, Newsletter etc.. Vieles davon verursacht keinen so großen Aufwand wie Streaming- oder Videogottesdienste.

Terbuyken: Genau. Die Ausdifferenzierung der Formen hat durch die Corona-Pandemie noch einmal zugenommen. Kurze Text-Andachten, Instagram-Stories, Fotos mit Kurzandachten, Telefon-Andachten, Podcasts, Discord-Server und, und, und. Es gibt so viele Möglichkeiten, unsere Botschaft weiterzutragen, und digitale Technik ist dafür nur ein Hilfsmittel, wenngleich ein wichtiges.

(Das Gespräch führte Philipp Greifenstein.)


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