EKM: Nach der Märchenhochzeit die Mühen der Ehe

Die EKD-Synode ist zu Gast in Magdeburg. Die sachsen-anhaltische Landeshauptstadt ist Bischofssitz der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland. Paul-Philipp Braun stellt die steinreiche Kirche im Zentrum Deutschlands vor.

„Es war einmal…“, so beginnen sie alle: Märchen, Heldensagen, Dramen. Und auch die Geschichte, die hier erzählt werden soll, wird so beginnen. Also: Es war einmal eine Landeskirche, genannt Evangelische-Lutherische Kirche in Thüringen, die sich über fast den ganzen Freistaat Thüringen erstreckte und auch noch einen kleinen Zipfel Sachsen-Anhalts in ihren jurisdinktionalen Anspruch nahm. Sie war nach dem Ende der Monarchie im Jahre 1918 als Thüringer Evangelische Kirche entstanden, hatte den Nationalsozialismus und die DDR-Zeit – mit einigen noch aufzuarbeitenden Verflechtungen – überlebt und war am Ende dennoch dem Tod geweiht.

Denn es war nicht nur die thüringische Kirche, die einmal war, sondern auch die Evangelische Kirche der Kirchenprovinz Sachsen (KPS). Mit 25.000 Quadratkilometern hatte diese zwar einen doppelt so großen Zuständigkeitsbereich wie ihre Schwesterkirche, allerdings auch nur gut eine halbe Million Mitglieder – hier glichen sich die ungleichen Geschwister also. Doch die Verwaltung und auch die geistliche Leitung zweier Landeskirchen frisst Zeit, Kraft und vor allem Geld. Geld, das trotz einer langen Geschichte institutionellen Reichtums der Kirchen schon immer knapp war.

Und so beschlossen einige Weise in den Synoden beider Landeskirchen, selbige zu vereinigen. Dies aber geschah im Jahr 2007 und wurde 2009 mit einem Einigungsvertrag zur Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland, EKM, vollzogen. Mit der Wahl Christoph Kählers zum Landesbischof der neuen Landeskirche stand ihr auch sogleich ein Theologe vor, der schon zuvor die Thüringer Kirche geleitet hatte und damit das Gebiet und seine Menschen kannte.

Und diese Kenntnis war ebenso notwendig, wie das vorhergehende Ringen um Gleichheit durch Einheit. Denn das Vorhaben, aus zwei einst eigenständigen, stolzen Landeskirchen eine zu machen, brachte ganz neue Herausforderungen mit sich: Die Verteilung und Angleichung der Propstsprengel und der kirchlichen Verwaltung war eine; gab es in der KPS ein Konsistorium, bildeten drei Aufsichtsbezirke mit zugehörigen Oberkirchenräten als Visitatoren die Thüringer Landeskirche.

Die Diskussion um den Bischofssitz war eine andere Herausforderung. Entsprechend dem einstigen Landesherrlichen Kirchenregiment hatte die KPS seit Jahrzehnten ihren Hauptsitz in Magdeburg, während Thüringen von Eisenach aus verwaltet wurde. Doch die beiden Bischofssitze trennten nicht nur 150 Luftlinien- und fast 300 Autobahnkilometer, auch die Ansätze unterschieden sich fundamental. Hatte die KPS sich eben entschieden, den Bischofssitz an den Magdeburger Dom und die Landeshauptstadt zu knüpfen, sah die Thüringer Tradition einen unmittelbaren Bezug zur Heimstätte der lutherischen Bibelübersetzung vor – wohl auch in Ermangelung eines brauchbaren Doms auf Thüringer Boden.

Um ein neues gemeinsames Kapitel der Geschichte zu schreiben, bedurfte es, wie so oft, einer gewissen Kompromissbereitschaft. Die EKM setzte einen Bischof auf Reisen ein und schuf so ein Unikum: Der Bischofssitz befindet sich in Magdeburg und das Landeskirchenamt in Erfurt. Oder anders: Kirchenpräsident Jan Lemke und Landesbischof Friedrich Kramer dürfen und müssen Bahncard oder Fahrbereitschaft nutzen, um geistliche und administrative Leitung der EKM in Persona zu vereinen.

Der Abschied vom angestammten LKA-Sitz in „Luthers lieber Stadt“ fiel vielen Thüringer:innen schwer. So schwer, dass zwar das Kirchenamt selbst inzwischen unweit der Erfurter Kneipen- und Fressmeile, der Michaelisstraße, liegt, die landeskirchlichen Erinnerungen in Form von Archivalien aber noch immer in Eisenach gelagert werden. Doch die Evangelische Kirche in Mitteldeutschland ist nicht nur durch diese Trennung besonders.

Mit Bischofskreuz und Fliege

Wie jedes Märchen hat auch die EKM ihre Protagonist:innen, die aus verschiedenen Blickwinkeln eben ganz unterschiedlich wirken und die eine Landeskirche prägen. Da wären die LandesbischöfInnen, die die jeweilige Kirche prägen und ihr auch nach außen hin ein Gesicht verleihen. Die Liste derer, die das junge Gebilde der EKM spürbar anführten, ist jedoch eine Kurze (und kürzer als Wikipedia es glauben machen will). Denn wenngleich im ersten halben Jahr nach der Vereinigung der beiden einstigen Kirchen sowohl Christoph Kähler als auch Axel Noack beide als Bischöfe fungierten, sind es doch nur zwei mehr oder weniger schillernde Figuren, die ihnen im Amt folgten.

Die erste von ihnen war Ilse Junkermann. Als erste Frau mit EKM-Amtskreuz mühte sie sich zehn Jahre lang um die Aufgabe der Landesbischöfin. Die Fränkin kam 2009 ins Amt, sorgte in ihrer Zeit für Wirbel um Äußerungen rund um DDR-Vergangenheiten und wurde auch dafür nicht von allen so geschwisterlich liebgehabt, wie es Christenmenschen eigentlich miteinander tun sollten. Als sie sich wünschte, die ihr verbliebenen vier Jahre bis zum Ruhestand auch nach ihrer Amtszeit noch in Würden zu bleiben, versagte der Landeskirchenrat ihr Selbiges und brachte sie so an die Leipziger Universität. Dort leitet sie seitdem die Forschungsstelle „Kirchliche Praxis in der DDR“ (Interview zum Abschied aus dem Amt der Landesbischöfin hier in der Eule).

Friedrich Kramer, Landesbischof der EKM und Friedensbeauftragter des Rates der EKD, Foto: Paul-Philipp Braun

Die zweite Person, die das EKM-Bischofskreuz – und bevorzugt eine Fliege oder einen Lutherrock – trägt, ist Friedrich Kramer. In Greifswald geboren, führt er seit 2019 die geistlichen Geschicke der EKM an. Die Region ist ihm seit seiner Ordination im KPSlerischen Querfurt vertraut, er hat sich bereits vor Jahren auf dem Gebiet der Landeskirche niedergelassen und ist nicht nur ein Arbeiter im Weinberg des HERRn, sondern auch in seinem eigenen. Doch was wäre eine Märchengeschichte ohne Spannung? Die gab es vor allem, als Kramer kurz nach dem Ausbruch des Ukraine-Krieges als gerade frisch gewählter Friedensbeauftragte der EKD die geplanten deutschen Waffenlieferungen kritisierte. Für seine moderne Auslegung der protestantischen Friedensethik erhielt Kramer viel Kritik (unter anderem vom Publizisten Sascha Lobo und der EKD-Ratsvorsitzenden Annette Kurschus), etwas Rückendeckung (unter anderem von seiner eigenen Landessynode) und vor allem Platz in Feuilletons und Talkshows.

Nicht weniger unterhaltsam ist im Übrigen auch der erste Mann an der administrativen Kirchenspitze der EKM. Jan Lemke promovierte in Rechtswissenschaft, studierte Frisistik – also Sprache und Literatur der Fries:innen – und Japanologie. Seit dem vergangenen Jahr kümmert er sich um die Geschicke der Kirche – nicht mehr der Fries:innen. Zuvor hatte er als Richter in Magdeburg und später als Jurist der Landeskirche Braunschweig gewirkt.

Streit um die evangelische Friedensethik

Seit Beginn des Ukraine-Krieges im Februar 2022 streiten evangelische Akteur:innen intensiv über die Friedensethik. Alle Beiträge zum Thema in der Eule finden sich hier. Eule-Redakteur Philipp Greifenstein fasste die Debatte hier zusammen. Und Michael Haspel, Theologe und Friedensethiker aus Thüringen, erklärt die wichtigen Sachfragen in diesem Eule-Artikel. Die Diskussion um den Ukraine-Krieg und Konsequenzen für die Friedensethik werden sicher auch die Tagung der EKD-Synode in diesem Herbst prägen. Wie gewohnt wird Philipp Greifenstein die Synode mit einem Live-Blog in der Eule begleiten.

Eine steinreiche Kirche

Doch wo viel Licht ist, ist auch ein wenig Schatten – und natürlich gehört auch der zu einer spannenden Geschichte. Die eher tragischen Seiten der EKM sind derzeit wohl nicht viel von denen anderer Landeskirchen zu unterscheiden. Es sind insbesondere Wirtschafts- und Energiekrisen, die an der Kirche nagen, die die vielen oft jahrhundertealten Liegenschaften aus Pfarrhäusern, Gemeindeobjekten und Sakralbauten betreffen. Hinzu kommen die Schwierigkeiten, die nahezu 40 Jahre realexistierender Sozialismus hinterließen: Leere Kirchen und leere Schatullen.

Die EKM ist reich an Kirchen, aber nicht ganz so reich an Mitgliedern. Während in der gesamten EKD durchschnittlich 1.100 Gemeindeglieder auf eine Kirche kommen, sind es in der EKM nur 200. Die rund 4000 Kapellen und Kirchen in der EKM entsprechen 20 % der evangelischen Kirchenbauten in Deutschland, während nur 2 % der evangelischen Christ:innen der EKM angehören. Viele Kirchen stehen in kleinen Orten auf dem Land, in ihnen finden nur noch selten Gottesdienste statt. Mindestens ein Viertel der Kirchen ist das ganze Jahr über geschlossen, da sie von den kleiner gewordenen Kirchengemeinden nicht mehr gebraucht werden. Es braucht darum „einen neuen Typus Kirche“ formulierte schon der Evangelische Kirchenbautag 2019 in Erfurt, „hybride öffentliche Räume“ (mehr Informationen).

Nicht nur beim Thema Kirchenbau ist die EKM ein Studienobjekt, für das sich die anderen EKD-Gliedkirchen stärker interessieren könnten. Zwar gibt es in der noch jungen Ehe zweier einst starker und traditionsreicher Landeskirchen auch Probleme zwischen Norden und Süden, zwischen KPSler:innen und Thüringer Kirchenmitgliedern, aber grundsätzlich kann die Fusion der beiden Kirchen als Erfolg gelten. Die Verwaltung des Landeskirchenamtes ist im Vergleich zu anderen (westdeutschen) Landeskirchen schlank und wird von den Hauptamtlichen „in der Fläche“ nicht selten sogar gelobt.

Auf dieser Grundlage müssen die Held:innen der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland nun kämpfen – immerhin nicht mehr mit Drachen und bösen Zaubern – und doch sind auch diese Hürden nicht gering. Und so gilt an dieser Stelle das, was in allen Märchen gilt, insbesondere aber bei Landeskirchen: Und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute.

Jetzt wird’s kritisch. Die Eule auf der EKD-Synode

Von der Tagung der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) in Magdeburg berichtet Eule-Redakteur Philipp Greifenstein ab Sonntag in einem Live-Blog. In einer Sonderausgabe unseres „WTF?!“-Podcasts hat Michael Greder mit Philipp vor seiner Abreise nach Magdeburg über die wichtigen Themen der Synoden-Tagung geprochen. Außerdem wird es zur Synode weitere Beiträge im Magazin geben. Fragen und Hinweise zur EKD-Synode nehmen wir gerne entgegen (z.B. per Email oder auf Twitter, Instagram & Mastodon).


Mitarbeit: Philipp Greifenstein