Kolumne Frau Doktor

Frau Doktor (1): Can a song save your life?

Teresa Tenbergen hat über das Singen promoviert. Mit ihrer Geschichte beginnen wir unsere neue Kolumne über junge Wissenschaftlerinnen.

Meine Promotion begann – die Wissenschaft möge mir verzeihen – als Verlegenheitslösung. Ich wollte nach meinem Examen nicht gleich ins Vikariat gehen, ein paar andere Möglichkeiten hatten sich zerschlagen und übrig blieb schließlich das mit der Promotion. Zu meiner Verteidigung: Es wurde noch eine Leidenschaft daraus, aber das kam erst später. Am Anfang war da erstmal nur das Thema meiner Examensarbeit: „Die Rolle des kindlichen Singens für die Genese des christlichen Glaubens“, das ich aus dem Interesse eigener Erfahrungen heraus gewählt hatte.

Kurz vor der Examenszeit hatte ich die Aufführung eines Kindermusicals miterlebt, das ich selbst als Kind mitgesungen hatte. Auch nach 16 Jahren konnte ich noch fast alle Texte mitsingen. Das hat mich fasziniert. Ich wollte verstehen, was beim Singen, vor allem im Kindesalter, passiert und was das aus praktisch-theologischer Sicht bedeutet.

Aus heutiger Sicht würde ich sagen: die Examensarbeit war nicht die beste Arbeit, die ich je geschrieben habe. Und ich bin mir nicht sicher, mit welcher Intention der betreuende Professor der Praktischen Theologie äußerte: „Ich würde Ihnen ja eine Promotion anbieten, ginge ich jetzt nicht in den Ruhestand. Aber fragen Sie mal beim Kollegen in der Nachbarstadt an, der hat doch so viel zur Familie gemacht, da wäre Ihr Thema doch anschlussfähig.“ Aber ich habe genau das gemacht. Und es hat sich als großes Glück erwiesen.

Von Vätern und Müttern

Es mag nicht für alle Promotionen gelten, aber für meine ganz sicher: Ohne meinen Doktorvater hätte ich die Arbeit nicht zu Ende geschrieben. Und nicht damit angefangen. Nach meiner ersten, vorsichtig anfragenden Mail hat er mich sofort zum Gespräch eingeladen. Er hat der Thematik Bedeutung eingeräumt. Mir jegliche Unterstützung für mögliche Stipendienanträge zugesagt. Mich wertgeschätzt, ohne mich zu kennen.

Als ich einige Wochen später ein Exposé verfasst und ihm geschickt hatte, erhielt ich wenig später Antwort per Mail: „Sie sind die Richtige für das Thema“, stand da. Während der nächsten Jahre war ich nicht immer überzeugt von diesem Satz. Er schon. Oft habe ich unseren Gesprächen unruhig entgegen gesehen, weil ich nicht weiterkam, weil mir das Ganze zu komplex schien oder weil ich die Fülle der Ansätze und des Materials nicht mehr überblicken konnte. Gegangen bin ich immer mit einem Zettel voller Möglichkeiten und beständiger Ermutigung. Hin und wieder rieb er sich mit sichtlichem Vergnügen die Hände, wenn es gelungen war, einen Gordischen Knoten zu durchschlagen. Wir hatten durchaus auch unterschiedliche Ansichten und ich habe manchmal auch gerungen mit dem Pragmatismus meines Betreuers. Aber ich weiß: Ich hatte Glück. Und ich halte die alte Bezeichnung Doktorvater in meinem Fall für absolut zutreffend.

Meine Arbeit hat allerdings noch mehr Väter und Mütter, mal abgesehen von mir als Verfasserin. Das wurde mir besonders klar, als der schöne Moment gekommen war, da ich das Vorwort für die Veröffentlichung verfassen konnte. Da waren sie alle: Die liebste Freundin – die Allererste, die gesagt hat: „Du kannst das“, und mir ein Notizbuch schenkte „Für die klugen Gedanken“. Der Freund, der sich geduldig alle Wellen des Zweifels anhörte und am Ende stundenlang Korrektur las. Die Familie, die da war. Meine Töchter, die mir kurz vor der Verteidigung ermutigende Bilder für den Schreibtisch malten. Der inzwischen emeritierte Professor für Religionspädagogik meiner Alma Mater, mit dem ich mich hin und wieder traf und der irgendwann sagte: „Seien Sie nicht so skrupulös, schreiben Sie das Ding fertig!“

Netze

Das war mein ganz persönliches Netz. Ich vermute, viele Promovend*innen flechten sich in dieser Weise im Privaten Tragendes, so gut es eben geht. Darüber hinaus gab es für mich aber auch noch andere Netze, die meiner Motivation und fachlichen Weiterentwicklung dienten. Noch sehr zu Anfang meiner Promotionszeit bin ich zu einer Tagung gefahren, bei der es um das Singen im Gottesdienst ging, das in einer empirischen Studie untersucht worden war. Die Zahl der Anwesenden war überschaubar und ich hatte Gelegenheit, mein Promotionsvorhaben kurz zu umreißen und mit Menschen ins Gespräch zu kommen, die – wie ich – das mit dem Singen als sinnvoll und wichtig empfanden.

Ich fuhr mit einer Reihe von Kontakten und dem Auftrag für einen ersten Aufsatz nach Hause, den ich mit einer anderen Nachwuchswissenschaftlerin verfassen sollte. Manche Verbindungen haben sich bis heute erhalten und immer wieder fachlichen Austausch ermöglicht. Die Teilnahme an Tagungen und Kolloquien, besonders an solchen, die eine Beziehung zu meinem Thema hatten, habe ich im Lauf meiner Promotionszeit immer wieder als total bereichernd erlebt. Aus ihnen ergaben sich Möglichkeiten für kleinere Artikel in Fachzeitschriften und vor allem: Gespräche mit Menschen, die ehrlich interessiert waren an den Ergebnissen meiner Arbeit.

Das Thema, der Zweifel und ich

Es gab auch die anderen Gespräche. Die mit dem Hauch von Belustigung im Gesicht meines Gegenübers. Die, in denen nach wenigen Sekunden das Urteil gefällt war über die Relevanz dieses Themas für die ernstzunehmende Theologie: Null. Es gab Menschen, die sich bemüßigt sahen, meine theologische Kompetenz zunächst auf den Prüfstand stellen zu müssen und mich nach dem der Arbeit zugrunde liegenden Religionsbegriff befragten.

Hin und wieder habe ich mich gefragt, ob es einem männlichen Kollegen mit demselben Thema auch so ergangen wäre. Ich selbst habe allerdings auch eine Weile gebraucht, bis ich die Reichweite der Tiefenschichten der Thematik verstanden hatte. Und bis ich die Religionspädagogik lieben und sehr ernst zu nehmen lernte.

Mit Abschluss meines Studiums hatte ich, wenn es hoch kommt, vielleicht vier religionspädagogische Veranstaltungen besucht. Das verpflichtende Minimum. Not my Business. Sondern das der angehenden Lehrerinnen und Lehrer. Im Kanon und im Selbstverständnis der Theologie kommt die Religionspädagogik nur am Rande vor und so auch für mich. Mein Interesse galt immer der Praktischen Theologie. Bis zu jenem Tag, da ich zum ersten Mal im Büro meines Doktorvaters saß, der nun eben Professor für Religionspädagogik ist.

Auf den ersten Blick machte das für die Frage nach dem Singen mit Kindern und Jugendlichen nicht viel Unterschied. Dann würde ich das Ganze eben für den Kontext Schule schreiben. Dachte ich. Aber der Unterschied war riesig und hat mich immer wieder neu herausgefordert. Es ist das Eine, die theologische Dignität des Singens zu entfalten, das kann man innerhalb der Praktischen Theologie in langen Aufsätzen tun. Innerhalb der Religionspädagogik funktionierte das für mich so einfach nicht mehr.

Denn das Singen im Religionsunterricht hat ganz andere Voraussetzungen. Solche, die von der Schule als staatlicher Institution und vom Selbstverständnis und den theoretischen und praktischen Bedingungen des Fachs bestimmt sind. Solche, die in anderer Weise nach dem fragen müssen, was das Singen ist, was beim Singen passiert und welche Rolle es als Form gelebter religiöser Praxis in der Schule spielen darf oder kann. Mit diesen Überlegungen berührte mein Arbeiten immer wieder die Grundfrage nach dem Auftrag und Ziel des Religionsunterrichts.

Dabei hat sich mein eigenes Verständnis immer wieder verändert: Von der Überzeugung, ein Plädoyer für das Singen zu verfassen über die Einschätzung, dass es auf keinen Fall in die Schule gehört bis hin zu dem schlussendlichen Grundtenor, dass Singen im Religionsunterricht möglich und bedeutsam ist, wenn in bewusster didaktischer Verantwortung geschieht. Diese Perspektivwechsel waren gut, weil mich kritische Anfragen nicht automatisch in eine Verteidigungshaltung gebracht haben.

Trotz dieser verstandesgemäßen Überzeugung, an einem sinnvollen Thema zu arbeiten, waren meine Zweifel an Sinn und Notwendigkeit dieses Projekts stete Begleiter. Die Promotion war auch ein Kampf gegen mich selbst. Ich kenne kaum eine*n Doktorand*in, die*der nicht mehrfach ans Aufhören gedacht hat.

Mir haben dann manchmal feste Strukturen geholfen: Arbeitszeit von 8 bis 15.30 Uhr, Menschen, mit denen ich die Pausenzeiten verbrachte und den Bibliothekstisch teilte, um der sozialen Isolation am heimischen Schreibtisch zu entgehen. Manchmal hat all das nicht geholfen und es ist tagelang nichts geworden. Ich denke heute: das war in Ordnung so. Produktivität ist nicht in jedem Fall erzeugbar.

Budgets

Der Zeit beim Zerrinnen zuzusehen, ist allerdings besonders herausfordernd, wenn sie auch für anderes gebraucht würde. Während der Phase, in der ich mich um ein Stipendium bemühte, wurde ich mit dem zweiten Kind schwanger. Also legte ich die Suche vorübergehend auf Eis, weil ich meinte, nicht abschätzen zu können, ob ich das Projekt Promotion mit zwei Kindern noch gut voranbringen kann.

Noch bevor meine kleine Tochter ein Jahr alt wurde, ergab sich die Möglichkeit, zu 50% als Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl meines Doktorvaters zu beginnen. Meiner persönlichen Entwicklung war das absolut dienlich, meinem Konto auch, meinem Zeit-Budget allerdings nicht. Neben den universitären Verpflichtungen (die allesamt neu waren) und der Familienarbeit kam die Promotion meist zu kurz. Und mir war sehr wohl bewusst, dass ich sie neben der Uni-Stelle nicht beenden würde können.

Ich brauchte nach den drei Jahren als Mitarbeiterin noch einige unbezahlte, familienkontobelastende Monate, um die Arbeit fertig zu schreiben. Das habe ich getan bis zum 31. August. Am 1. September begann mein Vikariat. Und ich war fertig. In einem ziemlich weiten Sinn des Worts. Und auch sehr glücklich.

Die abgegebene, irgendwann auch verteidigte und publizierte Arbeit trägt den Titel: „Can a song save your life? Das Singen im Religionsunterricht im Spiegel seiner Perspektiven“ (EVA Leipzig 2017). Ich bin bereit, über die lebensrettende Funktion des Singens zu diskutieren. Nicht aber über sein grundsätzliches Potential für religiös-pädagogische Prozesse. Das gibt es. Unumstößlich. Und diese Überzeugung mag man dann wohl Leidenschaft nennen.

Neue Kolumne: Frau Doktor

In der Serie „Frau Doktor“ berichten Theologinnen von ihrem Weg zum Doktortitel. Im Fokus der Theologie stehen viel zu häufig alte und tote Männer. Wir wollen die Leistungen junger Wissenschaftlerinnen ins rechte Bild rücken. Noch immer trauen sich Mädchen und Frauen eine Wissenschaftskarriere weniger zu als gleichaltrige Jungen und Männer. Wir wollen auch die Herausforderungen für Frauen in der Wissenschaft nicht ausblenden. Deshalb kommen sie hier zu Wort.

Bisher erschienen:

Folge 1: Dr. Teresa Tenbergen – Can a song save your life?
Folge 2: Dr. Andrea Hofmann – Horizont in Sicht
Folge 3: Dr. des. Claudia Kühner-Graßmann – Frauensolidarität darf hier nicht aufhören!
Folge 4: Dr. Christiane Renner – Dr. theol. Christiane