Kolumne Sektion F

Ins gelobte KlieMANNsland?

Der Influencer, Musiker, Unternehmer Fynn Kliemann steht gleich wegen mehrerer Betrugsenthüllungen in der Kritik. Carlotta Israel hat sich seinen Garten Eden aus feministisch-theologischer Perspektive angeschaut.

Fynn Kliemann. Die „Zerstörung“ von Fynn Kliemann. Das „Kliemannsland“.

Auch wer es vorher geschafft hatte, sich diesem YouTuber, Unternehmer und vielleicht sowas wie Entrepreneur-Lebenskünstler oder Lebenskunst-Entrepreneur zu entziehen und nichts von ihm wusste, ist durch die Enthüllungen des „ZDF Magazin Royale“ und die anschließende Berichterstattung (z. B. DER SPIEGEL (€) oder ARD) auf diese Person aufmerksam geworden. In der YouTuber*innen/Influencer*innen/Medien-Szene kam es zu vielen Reaktionen, Einordnungen, Distanzierungen (z. B. von Hazel Brugger und Thomas Spitzer, einen guten, aber auch wertenden Überblick zur Lage bietet Rezo).

Neben Kliemanns Kritik an der „woken“ linken Szene oder Bubble in einer Instagram-Story vom 19. Juni 2022 wurde an diesem Tag auch ein Video auf dem Kanal des „Kliemannsland“ veröffentlicht. Auf Twitter haben – soweit erkennbar – religionsnahe und -ferne Nutzer*innen verschiedene Überschneidungen in der Stilisierung und Selbstdarstellung Kliemanns, auch bezüglich des „Kliemannslandes“, mit Sekten oder neuen religiösen Führer*innen benannt. Unbewusst oder bewusst nahmen sie damit eine der ersten Einordnungen in der ZEIT bzw. bei zett auf: „Fast wie eine Religion“.

Eigentlich müsste das, was da als „Religion“ verstanden wird, jetzt erstmal durchleuchtet werden. Aber ich werde nicht – das kann ich gar nicht – religionswissenschaftlich akkurat bezeichnen, was Fynn Kliemann und das „Kliemannsland“ eventuell religiös macht – oder sein zugleich antikapitalistisches, aber sehr gewinnbringendes Auftreten einordnen. Ich bin für diese Kolumne auch nicht an den juristischen Vorgängen interessiert. Ich möchte ausgehend davon, dass es sich bereits um eine gewisse Verkultung handelt, das Video des „Kliemannsland“-Kanals aus meiner Perspektive betrachten.

Leider weiß ich nicht, wie genau mensch sowas nachverfolgt, aber in meiner Erinnerung war der Titel des YouTube-Videos zunächst „Das Kliemannsland hat sich von Fynn distanziert…“, wie es immer noch in der Beschreibung des Videos steht, und nicht wie jetzt „Das Kliemannsland hat sich schon längst von Fynn Kliemann distanziert“. Ich habe nicht beobachtet, wann der Titelwechsel vollzogen wurde, aber nehme an, dass er eine Reaktion darauf ist, dass das Video selbst wenig Distanzierung von Fynn Kliemann enthält, dieser Ausspruch sich als Zitat aber auf eine Entwicklung in der letzten Zeit (auch schon vor den Enthüllungen) bezieht.

Also gleich zu den ersten vier Sekunden, in denen Brian, quasi der Sidekick Kliemanns, das gemeinsam mit Waldo und Joël auf einem Sofa im Hof des „Kliemannsland“ sitzend sagt und damit einer ersten Auffälligkeit, die das KlieMANNsland einfach mit sich bringt: Ja, im Video und vor Ort kommen auch weiblich gelesene Personen vor, aber das Gros der Personen wird männlich gelesen. Auch wegen Aktionen wie den ins Feld gesprengten Penis an Silvester 2017 und zwischenmenschliche Gesten in anderen Videos, in denen Schmerz an männlichen Genitalien durch Schläge o. ä. dargestellt wird, müssen sich die Macher*innen der Kritik aussetzen, es handele sich um ein vor allem von weißen cis hetero Männern um die 30 geprägtes Umfeld.

Das gelobte „KlieMANNsland“

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Noch in der ersten halben Minute des Videos erklärt Fynn teilweise als voice over, teilweise mit actionreichen Videoausschnitten, was das „Kliemannsland“ ist: „Das Kliemannsland ist im Grunde eine Spielwiese […].“ Es sei chaotisch, „jeder Mensch ist willkommen“ und vor allem: Spaß.

Als erste weiblich gelesene Person ist Peggy bei Sekunde 0:39 zu sehen. Im weiteren Verlauf des Videos ist sie diejenige, die im Kontakt mit den nach und nach absagenden Sponsoren und bei ihrer Schreibtischtätigkeit zu sehen ist (ab 12:35). Sie erzählt davon, dass sie nicht mehr in einer Agentur arbeiten möchte, wenn das „Kliemannsland“ untergehen würde. Es sei nicht nur die „Truppe“, sondern auch das „Konstrukt“, dass „Bock“ bringe, den „Scheiß hier einfach weiter voranzutreiben“ (ab 13:30.

Brian und Fee blicken später gemeinsam auf Fees Start und ihre Arbeit im „Kliemannsland“ (ab 19:12). Fee organisiert insbesondere Events. Diese beiden im Video prominent vorkommenden Frauen zeigen, wie in diesem (und den anderen Videos) mit „Spaß am Spiel“ Männer und mit „Spaß an der Arbeit“ Frauen assoziiert werden.

Mal ganz grundsätzlich: Warum gibt es „das Kind im Mann“, aber nicht „das Kind in der Frau“? [pullquote-big]Warum „müssen Männer auch mal Kind sein dürfen“?[/pullquote-big] Und wieso werden „verständnisvolle“ Personen dann zu Müttern ihrer männlichen Partner, Brüder, Freunde? „Spielen“ ist über weite Teile männlich konnotiert und insbesondere in den Dimensionen, wie sie das „Kliemannsland“ erlaubt, Magnet für männliche Personen.

Ein Ort für „Gestrandete“

Peggy erzählt auch von Franzi, Kliemanns Partnerin seit Schulzeiten, die mit Obst ins Büro kommt und sich dem „Kliemannsland“-Team als Gesprächspartnerin anbietet. Darauf angesprochen, wie es ihr ginge, sagt Franzi: „Es ist ein bisschen zu vergleichen wie wenn jemand stirbt.“ (ab 13:04) Franzi wird, wie in den meisten Videos, nicht gezeigt, dafür spricht aber Fynns Mutter. Zunächst erwähnt Fee sie, als es um die beleidigenden Kommentare unter „Kliemannsland“-Videos nach den Enthüllungen geht (ab 5:02). Fee tut Fynns Mutter leid, die „so’n guten Platz in all unseren Herzen irgendwie hat“ und jetzt alles miterleben müsse.

Es fällt auf: Während die anderen „Kliemannsland“-Protagonist*innen meist in Gruppen von zwei oder drei Personen interviewt oder dargestellt werden, sitzt Antje, Fynns Mutter, allein. Sie lese die Kommentare aus Selbstschutz nicht mehr, aber sorge sich darum, dass sie selbst mit ausgestoßen würde, durch das, was über ihren Sohn berichtet werde. Eine weiterer kurzer Kommentar von ihr – deutlich später im Video (bei 17:00) – ordnet ein, dass Leute ins „Kliemannsland“ kämen, die „‚gestrandet‘“ sind; dass das „Kliemannsland“ ein Ort sei, an dem Leute sich ausprobieren könnten (ab 19:04).

Noch später, als es um die Zukunft des „Kliemannslandes“ und die Absagen von Sponsor*innen geht, beschreibt Kliemanns Mutter das „Kliemannsland“ als etwas, „das es sonst so nicht mehr gibt. […] Ein Ort, an dem man sein kann, wie man ist“ (ab 22:00.

To be honest: Da muss ich jetzt einfach mal unterbrechen und doch zu etwas Grundsätzlichem kommen. Nicht mehr gibt, sagt sie? So etwas wie Weltflucht gab es schon immer und hat stets Räume gefunden. Ich erinnere zum Beispiel an Eremit*innen oder (Schweige-)Klöster. Irgendeine Form von Gegenwelt haben schon so viele Communities hergestellt und auch jetzt gibt es immer wieder Versuche von gemeinsamem Leben, das z. B. ressourcenschonender und weniger eigentumsbasiert, aber genossenschaftlich organisiert wird. Auch Orte wie Abenteuerspielplätze oder Bauspielplätze gibt es bereits seit Mitte des 20. Jahrhunderts.

[pullquote-big]Die Besonderheit des „Kliemannslandes“ liegt in der Form, wie das Gegenweltsein durch Quatschmachen medial verbreitet wurde[/pullquote-big] und so zum Unterhaltungsformat und zu einer Marke wurde. Dass Leute sich dort wohlfühlen: Super, why not? Dass dieses Wohlfühlen auf Voraussetzungslosigkeit beruht, kaufe ich den Protagonist*innen nicht ab. „Keine Erwartungen erfüllen“: Das glaube ich nicht, dass das stimmt. Im Grunde wurde ein gelobtes Land verkündigt. Kehren wir also zurück zu dieser Verkündigung:

Die Mutter des initiierenden Schöpfers, Erhalters, Menschenfischers, Sämanns und Verkünders des „Kliemannslandes“ unterstreicht so die von ihm ausgehende Wirkung:

„Der Mut, Dinge auszuprobieren, das ist, glaube ich, Fynn in der Geschichte. […] Fynn hat vielleicht den Samen dahin geschmissen, das ist aber auf fruchtbaren Boden gefallen […]. Und die Gärtner, die da jetzt dran rumgärtnern, die schmeißen ihre Samen da noch drauf.“

Da kann ich mir ein Lachen kaum verkneifen, angesichts der in den Boden gesprengten phallischen Maskulinität an anderer Stelle. Aber Kliemanns Mutter betont hier ja eigentlich den Gemeinschaftssinn und die von anderen weitergeführte Idee: „Wir mussten uns halt auch viel anhören, warum wir uns von ihm nicht distanzieren“, erklärt Peggy (bei 24:05).

Ein bedrohter Garten Eden

Drängt sich jetzt nicht massiv das Bild des getöteten Erlösers auf? Was ist mit der Ablehnung gegenüber Jünger*innen, die schon „ausgesendet“ waren, die ohne Jesus, äh Fynn, vom gelobten Land Videos gemacht haben? Ist das nicht eine Inszenierung der Passionsgeschichte, die noch aktueller ist, als diejenige, die RTL in der Passionswoche in Essen aufgeführt hat? Ist die Person, die die belastenden Daten ans „ZDF Magazin Royale“ geleakt hat, nicht Judas? Findet sich Böhmermann selbst in der Rolle Pilatus gecastet? Und unten am Kreuz weint noch die Mutter? Hat Fynn seiner Mutter noch andere Söhne beiseitegestellt wie es der johanneische Christus am Kreuz tat? Franzi als der*die geliebte Jünger*in?

Ok, jetzt mögen die Passionspferde ein wenig mit mir durchgehen, aber vielleicht ist das tatsächlich die beste dramatische Darstellung für einen, der eben nicht unschuldig war. In jedem Fall wird hier die frohe Botschaft einer besseren Welt promotet, ohne sie eigentlich zu ändern. Das gelobte „Kliemannsland“ ist ein eng begrenzter selbstgebauter Garten Eden mit motorisiertem Spielzeug und geilen Events. Sorry, in so ein gelobtes KlieMANNsland, da möchte ich dann auch einfach nicht hin.