Ist auch Deine Kirche toxisch?

Im Podcast „Toxic Church“ werden die Skandale und Probleme der Hillsong Church durchleuchtet. Der Podcast ist nicht frei von Kirchenklischees, aber hilft, sich an die eigene Nase zu packen.

Und dann klopft es wieder mal von draußen. Immer seltener werden die Kirchen zum Gegenstand nicht-konfessioneller Berichterstattung. Umso besser, wenn die dann kritisch und konstruktiv ist. Der Podcast „Toxic Church“ erschien im März 2023 auf der Plattform Podimo, wodurch ein Teil der Folgen nur über ein Abonnement zugänglich ist. Etwas weniger als sieben Stunden Laufzeit auf acht Folgen nutzt das Team um Sprecherin Kyra Funk, um den deutschsprachigen Ableger der pfingstlerischen Hillsong Church unter die Lupe zu nehmen.

Die Hillsong Church ist vor allem durch ihre Musik bekannt. In ihrer erst fünfzigjährigen Geschichte hat die Kirche weltweit expandiert. Seit dem Frühjahr 2022 steht Hillsong wegen mehrerer Skandale in der Kritik und verzeichnet einen Einbruch bei den Mitgliederzahlen. Dem Gründer Brian Houston wird unter anderem sexuell übergriffiges Verhalten vorgeworfen. Sollten Christ:innen den Hillsong-United-Klassiker „Oceans“ überhaupt noch singen?

In der englischsprachigen Welt wurden die Skandale um Hillsong vielfältig beleuchtet. Neben Artikeln und Podcasts thematisieren auch die Dokumentar-Serien „Hillsong: A Mega Church Exposed“ und „The Secrets of Hillsong“ den Komplex. Über die Dokus hat Philipp Greifenstein hier in der Eule geschrieben. Ist das Thema also schon durch? Wer, außer ein paar Freikirchen-Austeiger:innen, interessiert sich für das Innenleben einer in Deutschland sehr kleinen religiösen Gruppe? Der Worship-Softrock von Hillsong ist stilprägend für eine ganze Generation christlicher Musik und gehört heute zum Repertoire der christlichen Jugendarbeit – weit über die Grenzen der Hillsong Church hinaus. Eine ganze Generation von Christ:innen ist auch in Deutschland, Österreich und der Schweiz mit Hillsong als Soundtrack ihrer christlichen Jugend vertraut. Hillsong ist eben keine „normale“ Freikirche.

Der „Toxic Church“-Podcast nimmt sich vor allem der deutschsprachigen Filialen von Hillsong an und erweitert damit die bekannten medialen Auseinandersetzungen mit den Hillsong-Skandalen um eine weitere Perspektive. Je eine Folge befasst sich dabei mit einem spezifischen Thema, z.B. den Gottesdiensten, und beleuchtet es kritisch. Auch in Deutschland werfen ehemalige Mitglieder und Mitarbeitende von Hillsong der Kirche so einiges vor. Hinter dem gut gepflegten Image kämen die Gemeinden und speziell ihre Leitenden den Ansprüchen nicht nach, die sie in ihrer Verkündigung von Liebe und Opferbereitschaft selbst formulieren.

Wieso aber widmet sich ein großes Team von Investigativjournalist:innen einer kleinen Kirche? Kyra Funk macht als Stimme des Formats ihren eigenen Freikirchenhintergrund transparent. Sie ist Enkelin eines Bielefelder Mennonitenpastors und hat sich als Jugendliche von der Gemeinschaft distanziert. Aus ihrer eigenen Geschichte ergebe sich die biographische Erklärung dafür, so der Disclaimer weiter, dass der Podcast sich nicht scheut, Missstände offensiv als „toxisch“ zu benennen.

Niederschwellig werden Hörende des Podcasts durch den seriellen Aufbau an die Lebenswelt „Freikirche“ herangeführt. Religiös Unbedarfte erhalten einen Eindruck davon, warum Menschen überhaupt bei Gemeinden wie Hillsong landen, was sie begeistert und wie sie zu umfangreichem Engagement und großer Spendenbereitschaft bewegt werden. Warum sind Hillsong-Church-Gottesdienste, die nach Darstellung von „Toxic Church“ franchiseartig auf dem ganzen Planeten deckungsgleich ablaufen, so erfolgreich und beliebt?

Viel Material und ein Kabinettsstück

Da Hillsong konsequent auf keine der Anfragen der Podcastmacher*innen reagiert habe, stammen die O-Töne im Podcast mit einer Ausnahme von ehemaligen Mitglieder, die ihre schlechten Erfahrungen und Vorwürfe in Interviews öffentlich machen. Die Geschichten sind zum Teil erschütternd und zeichnen ein Bild, das einer rabiaten Firma deutlich mehr entspricht als einem Ort des Evangeliums. Aufgegebene Beziehung habe die Kirche zu verantworten, sie rufe zu Diskriminierung homosexueller Menschen auf und trage mit ihrer Forderung nach sexuellem Verzicht bis zur Ehe zu einem konservativen Backlash bei. Durch Einbeziehung theologischer Expertise aus Deutschland und den USA wird Hillsong in den größeren Zusammenhang der purity culture gestellt. Über den vehementen Fokus auf Enthaltsamkeit isolieren sich Mitglieder von der „Welt“, müssen sich zwischen Beziehungen zu Nicht-Mitgliedern und einem gerechten Leben im Sinne ihrer Kirche entscheiden, gegenseitige Kontrolle einbegriffen.

Hinter dem Podcast „Toxic Church“ stehen mehrere redaktionelle Mitarbeiter, die viel Material zu einem sehr bündigen und gut hörbaren Endprodukt zusammengestellt haben. So wurde dem Team bei der Recherche eine Übersicht über die Finanzen der deutschsprachigen Hillsong Church vorgelegt, der zum Gegenstand einer überraschenden Analyse gemacht wird. Nicht, weil hier voyeuristischer Gossip gespillt würde, sondern weil Grundlagen des Spendenwesens gemeinnütziger Vereine sauber mit einer klaren Darstellung und pointierten Kritik verbunden werden, ist das wirklich ein Kabinettsstück.

Nach Erscheinen des Podcast wendeten sich auch andere Medien diesen Unregelmäßigkeiten zu. Durch Recherchen des Konstanzer karla-Magazins fanden sich unter anderem Protokolle der Gründung des Vereins, die in einem kostspieligen Hotel auf Bali stattfand. Wesentlich eindeutiger ist noch der unter anderem von Kyra Funk mitverantwortete Einblick in Textform bei Correctiv, in dem weitere Details den Eindruck eines eher unseriösen Umgangs mit Spendengeldern erhärten.

Nicht frei von Klischees

„Toxic Church“ fällt in seinem Bemühen, genau und transparent zu sein, positiv auf. Spekulationen über etwaiges Fehlverhalten der Hillsong Pastoren werden in der Regel relativiert, wenn bemerkt wird, dass etwa die Rolex des leitenden Geistlichen auch ein Geschenk sein könnte. Leider werden Mitglieder der Gemeinde nicht in gleicher Weise geschützt. Die eingegangenen Spenden werden unnötigerweise ihrer Höhe nach bestimmten Personengruppe zu geordnet: Ist es so wichtig, dass die monatlichen 4 Euro der Zehnt eines minderjährigen Mitglieds mit Taschengeld sein könnte? Müssen unbedingt Gottesdienstbesuchende für ein Interview abgefangen werden, wenn die Kirche sich nicht zu Stellungnahmen bewegen kann?

Frei von Kirchenklischees ist das Skript des Podcasts leider ganz und gar nicht. Die Episoden tragen Titel wie „Wollust“ oder „Habgier“, wodurch die Missstände bei Hillsong wohl pointiert greifbar gemacht werden sollen. Es will nicht so recht zusammenpassen, dass „Toxic Church“ die verkrustet-altertümliche Sexualethik bei Hillsong kritisiert und doch mit den sieben Todsünden in den Episoden-Titeln oder Sätzen wie „Wasser predigen und Wein trinken“ operiert.

Erbsünde ist im Übrigen kein „biblischer Begriff“. Unabhängig davon, wie man zu dieser Lehre steht, scheint mir das Konzept kein passender Kontext zu sein, um über den Prozess des Hillsong-Gründers Brian Houston zu berichten. Er hatte nur den leitenden Männern seiner Gemeinde, nicht aber der Polizei mitgeteilt, dass sein Vater Frank als Pastor in den 1970er Jahren ein Kind sexuell missbraucht hat. Das Opfer Brett Sengstock ging mit dem Vorwurf systematischer Vertuschung an die Öffentlichkeit. Mittlerweile wurde Brian Houston vom Vorwurf der Vertuschung freigesprochen. Das Gericht in Sydney legte ihm unter anderem kritische Worte über seinen Vater in seinen Predigten als generelle Bereitschaft zur Offenheit aus und sieht keine Belege für den Vorwurf, es sei Schweigegeld angeboten worden.

Ist auch meine Kirche toxisch?

„Toxic Church“ bringt die Hörer:in also nicht mehr auf den allerneusten Stand der Skandale rund um die Gründergestalt Brian Houston. Mit dem Schwerpunkt auf den DACH-Raum greift die Serie aber andere Themen und Probleme auf, mit denen sich auch in Zukunft bestimmt befasst werden muss. Das Team zeichnet im Vorbeigehen ein Bild von einer besseren Kirche, die eben nicht toxisch sein soll. Gut aufgenommen wurde dieses Thema etwa vom „Ausgeglaubt“-Podcast des RefLab, einem Online-Projekt der Reformierten Kirche im Kanton Zürich. In der Podcast-Episode werden Christ:innen fünf red flags an die Hand geben, anhand derer sie eine potentiell toxische Glaubensgemeinschaft erkennen können.

„Toxic Church“-Macherin Kyra Funk plädiert dafür, dass auch Nicht-Christ:innen sich mit der Materie befassen müssen und verweist auf die Gefahr der Verbreitung reaktionären Gedankengutes, die von Pfingstgemeinden ausgehe. Darüber ließe sich noch besser diskutieren, wenn auch andere christliche Strömungen und Frömmigkeiten im Blick bleiben. Wenn es also von draußen her klopft, bringt es wenig, mit dem Finger immer nur auf andere zu zeigen. Man muss sich auch an der eigenen Nase packen.


Alle acht Episoden von „Toxic Church“ gibt es exklusiv bei Podimo (Anmeldung erforderlich). Die ersten drei Episoden des Podcasts finden sich auch bei Spotify und auf weiteren Podcast-Plattformen.


#abgehört: Podcast-Kritiken bei der Eule

In unserer Serie „#abgehört“ stellen wir seit 2017 Podcasts vor: Podcasts zu klassischen Kirchenthemen und solche, die Neuland betreten. Podcasts, die von Theolog:innen gemacht werden und sich um Bibel und Predigt drehen, und Podcasts zu (Rand-)Themen, die mehr Aufmerksamkeit verdienen. Seit 2022 schreibt Frederik Ohlenbusch für uns frische Podcast-Kritiken.

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