Lautere Milch – Die #LaTdH vom 17. Mai
In der Corona-Krise dringt der üble Gestank der Verschwörungsideologen an die Oberfläche der Öffentlichkeit. Außerdem: Kirchenbauten, Gottesdienstkritik und das liebe Geld.
Zumindest das Medienthema der Woche sind ganz sicher die von Verschwörungsideologen angeführten „Hygiene-Proteste“ in vielen deutschen Städten. Dem ZDF-Politbarometer sagten allerdings 81 % der Befragten, dass sie die Proteste nicht gut fänden. Die Befragung zeigt außerdem, dass die Proteste wohl aus der „Mitte der Gesellschaft“ kommen, aber ihre Breite nicht widergeben – vielmehr sind hier (mal wieder) besonders Anhänger einer blau-brauen Politik unterwegs.
The odd one out. Jetzt auch in der Corona-Edition.https://t.co/3lkxRdTHLt pic.twitter.com/EFON9mIYTa
— Thorsten Faas (@wahlforschung) May 16, 2020
Wir haben es als Nachrichtenleser*innen und Bürger*innen selbst in der Hand, wieviel Aufmerksamkeit wir diesen „Rändern“ schenken, und wieviel wir am Ende anstrengender Tage davon für diejenigen übrig haben, die tatsächlich am Rande stehen. Auch wenn Journalist*innen wieder ausschwärmen, um noch jedem Trottel und Demagogen seine 5 Minuten Aufmerksamkeit zu ermöglichen.
Bevor sich die Debatte dieser „Links am Tag des Herrn“ also mit der Verschwörungsreligion unserer Tage befasst, ein Hinweis auf das hervorragende Interview von Raoul Löbbert (@RaoulLoebbert) mit dem Thüringischen Ministerpräsidenten Bodo Ramelow (DIE LINKE) für die Christ & Welt, das hier auch gut Platz unter Predigt hätte finden können.
Debatte
Der Tod gehört wieder den Rechten – Natascha Strobl (Republik)
Die Rechten haben es nun doch geschafft, ihre Propaganda auf die Corona-Krise umzudeuten, analysiert Natascha Strobl (@Natascha_Strobl) in der Republik. Die Politikwissenschaftlerin erklärt außerdem die historischen Hintergründe der Ideologie, die auch hinter den Corona-Protesten steht.
Alle Elemente der rechten Rhetorik, die im Moment sichtbar werden, sind nicht spezifisch für die Corona-Krise. Diese Rhetorik setzt gleichzeitig auf eine Banalisierung des Virus und auf apokalyptische Erzählungen vom Ende der bürgerlich-demokratischen Welt. Sie propagiert einen brutalen Sozialdarwinismus, völkisch und/oder marktradikal unterfüttert, der von einem Hass auf «das Schwache» geprägt ist. In einer unübersichtlichen Phase blühen auch Verschwörungsmythen, die sich verschiedene bekannte Versatzstücke einverleiben und so eine schlüssige, eindimensionale Erklärung der aktuellen Krise bieten. All dies ist nicht neu.
Wer einen Ursache-Wirkung-Zusammenhang zwischen Einschränkungen und Protesten als selbstverständlich annimmt, ignoriert, dass es ideologische Milieus von Hunderttausenden oder mehr Verschwörungsideologen und Fanatikern schon vor der Pandemie gab #illner
— Matthias Quent (@Matthias_Quent) May 14, 2020
Tatsächlich lassen Forschungsergebnisse der letzten Jahre, z.B. die Mitte-Studien, darauf schließen, dass es in der Bevölkerung ein erhebliches Potential für Verschwörungsglauben gibt. Und dass es sich dabei keineswegs um ein „Unterschichten-Phänomen“ handelt. Verschwörungsglaube korreliert z.B. mit der Ablehung von Schulmedizin, der Suche nach alternativen Lebensmodellen und einem individualistischen Selbstbild – das muss man sich auch erst mal leisten können.
Wie auch bei PEGIDA und anderen Protesten ist hier ein Wut-Bürgertum am Geifern, das durch Verlustängste geprägt wird. Henning Hirsch spricht darum bei Die Kolumnisten nicht zu Unrecht von „unseren Wohlstandsverwahrlosten“.
„Uralter Kampf Gut gegen Böse“ – Interview mit Judith Klaiber (DLF)
Im Interview mit dem Deutschlandfunk nimmt Judith Klaiber (@YouDidinVienna) das Thema Verschwörungsglaube theologisch auf. Ist dessen Erfolg darauf zurückzuführen, dass uns „hoffnungsvolle Zukunftsperspektiven verloren“ gegangen sind? Außerdem übt die katholische Theologin Kritik an dem Verschwörungs-Pamphlet von Viganò & Co. (s. #LaTdH von letzter Woche).
Viganò-Geschwurbel
Das Pamphlet sei „Teil einer Strategie“ der innerkirchlichen Gegner von Papst Franziskus, schreibt Ina Rottscheidt für das Domradio. Ihren Ausführungen ist ergänzend nur hinzuzufügen, dass traditionalistische Kreise um die Initiatoren des jüngsten Viganò-Papiers schon seit langem Verschwörungsmythen anhängen. All dies ist eben nicht neu.
Ihnen zu widersprechen ist nicht allein aus kirchenpolitischen Gründen wichtig, sondern auch, weil sonst der Rest Glaubwürdigkeit flöten geht, den sich die Kirchen noch erhalten haben. Darauf weist Andreas Püttmann (@Puettmann_Bonn) in einem „Standpunkt“ auf katholisch.de hin:
Wer aber in wichtigen Fragen des Lebens irrlichtert, wissenschaftliche Erkenntnisse ignoriert und sich zielsicher die falschen Verbündeten aussucht, der braucht heutigen Menschen mit biblischen Wundern, Auferstehung und Dreifaltigkeit gar nicht erst zu kommen. Er wird unglaubwürdig.
Von bösen Mächten wunderbar geborgen – Anselm Neft (ZEITonline)
Als „Glauben“ müsse man das Phänomen der Verschwörungstheorien verstehen, um es zu begreifen, meint Anselm Neft. In seinem ausführlichen Artikel analysiert er nicht nur die Struktur des Verschwörungsglaubens, sondern gibt auch Hinweise darauf, wie er wirkungsvoll bekämpft werden kann. Er richtet damit den Blick nicht auf die Minderheit, sondern darauf „wie vertrauenswürdig, ehrlich, gewaltfrei und ernsthaft solidarisch wird sich der angeblich aufgeklärte Rest verhalten“ wird. Lesens- und nachdenkenswert!
The Prophecies of Q – Adrienne LaFrance (The Atlantic, englisch)
Seit wenigen Jahren gibt es, vor allem in den USA, einen neuen Master-Verschwörungsmythos, „QAnon“. Auch dieser trage religiöse Züge, schreibt Adrienne LaFrance (@AdrienneLaF) im Atlantic. Ihr langer, komplexer in englischer Sprache verfasster Artikel ist vielleicht schon jenseits des Hausgebrauchs, aber für Leser*innen, die sich in Kirche, Wissenschaft und Bildung ausführlich mit dem Thema befassen, unverzichtbar.
nachgefasst
Corona-Krise wirbelt Kirchenfinanzen durcheinander – Franziska Hein (epd, evangelisch.de)
Franziska Hein (@franzi_hein) stellt einen Überblick her über die Gedanken, die sich Bistümer und Landeskirchen angesichts des zu erwartetenden Einbruchs bei den Kirchensteuereinnahmen durch die Corona-Kriese machen. Sie stellen sich mit unterschiedlichen Maßnahmen schon jetzt auf einen Einnahmenrückgang von 10 – 25 % ein. Mitarbeiter*innen von kirchlichen Einrichtungen und Werken sind in Kurzarbeit geschickt worden.
Die sieben bayerischen Bistümer und das Bistum Speyer rechnen jeweils mit Einnahmerückgängen bei der Kirchensteuer im zweistelligen Millionenbereich. In aktuellen Schätzungen geht die größte evangelische Landeskirche Hannover sogar von Einnahmeverlusten bis zu 105 Millionen Euro aus. Das wäre doppelt so viel wie in der Finanzkrise 2008/2009.
Der leitende Geistliche der Evangelischen Kirche im Rheinland rechnet mit einem Minus von zehn bis 15 Prozent EKD-weit, […]. Doch die Angaben basieren auf Schätzungen. Weder die Bischofskonferenz noch die EKD legen öffentlich auf Anfrage konkrete Zahlen vor.
Die Krise beschleunigt die ohnehin anstehenden schwierigen Kürzungungen, die in beiden großen Kirchen aufgrund des stetigen Rückgangs der Mitgliedschaftszahlen bis zur Mitte des Jahrhunderts unternommen werden. Bisher wurden die Effekte des Mitgliederschwunds auf die Kirchenfinanzen durch die sehr gute Konjuktur über-kompensioniert: Obwohl immer weniger Menschen Mitglied in den Kirchen sind, stiegen die Kirchensteuereinnahmen in Rekordhöhen.
Genauere Schätzungen der Kirchen für das kommende Jahr ergeben sich aus der Steuerschätzung, die das Bundesministerium der Finanzen diese Woche vorgelegt hat. Sie sollen im Juli vorliegen.
Die Zukunft der Kirchenfinanzen
Im Erzbistum Dublin wurden als Reaktion auf die Krise die Priestergehälter um 25 % gekürzt, in Deutschland betonen Bistümer und Landeskirchen, die laufenden Kosten, insbs. für das Personal, seien gesichert. Wenn die Corona-Krise der Auftakt zu einer weltweiten Rezession ist – wie Wirtschaftswissenschaftler*innen warnen -, dann wird auch hierzulande darüber nachzudenken sein, wie Mitarbeiter*innen mit großer Arbeitsplatzsicherheit und hohem Lohn die Lasten in ihren Kirchen solidarisch mittragen können.
Sollte sich die Finanzierung der Kirchen in den kommenden Jahren durch die Auswirkungen der Krise besonders prekär gestalten, könnte es allerdings an anderer Stelle zu einer Beschleunigung kommen: Ein Gesetzvorschlag, der die Ablösung der kompensatorischen Staatsleistungen regeln will, die die beiden großen Kirchen nach wie vor aus den Haushalten der Länder erhalten, wurde erst im März in den Bundestag eingebracht. Die darin vorgesehene Ablösung soll parallel zu den ohnehin vorgesehenen Staatsleistungen ausgezahlt werden und könnte einen Teil der Ausfälle kompensieren – wenn man sich denn nach über 100 Jahren Verfassungsauftrag einigte.
All das enthebt die Kirchen nicht der Diskussion darüber, was mit dem immer noch reichlich vorhandenem Geld in Richtung Zukunft denn am besten anzufangen ist. Die Corona-Krise führt vor Augen, dass sich Vorhersagen schnell in Luft auflösen können, auf denen man sich noch gestern ausgeruht hat („Da bin ich längst in Pension!“).
Wieder „normaler“ Gottesdienst „wie früher“? Ist das erstrebenswert? – Thomas Hirsch-Hüffell (Spiritus, evangelisch.de)
Im „Spiritus“-Blog bei evangelisch.de beschreibt der Gottesdienst-Pionier Thomas Hirsch-Hüffell ein wenig umständlich, aber lesenswert Wege zu einer neuen Gottesdienst-Praxis. Die spirituellen Krisenerfahrungen mit digitalen Gottesdiensten oder Gottesdienst-Abstinenz können tatsächlich fruchtbar gemacht werden. Vor allem, da die „neuen“ Gottesdienste keineswegs „normal“ sind, wie ich schon am 18. April schrub. Sie schließen gefährdete Personen, Familien und Kinder systematisch aus.
Das ist auch ein theologisches Problem, wenn man tatsächlich vom Sonntagsgottesdienst als Zentrum der Gemeinde spricht. Dass ausgerechnet die realpräsentischen Gottesdienste der Formkritik entzogen wären, die sich über ihre digitalen Geschwister ergießt, ist auch so ein Träumchen, aus dem es ein schnelles Erwachen geben sollte. Manchenorts vielleicht schon dieser Tage, da die Ströme der irdischen Heerschare der Rückkehrer*innen in die Kirchenbauten eher Rinnsalen gleichen. Oder wie es Hanno Terbuyken (@dailybug) im Interview in dieser Woche hier in der Eule treffsicher formuliert:
Diese Qualitätsdiskussion brauchen wir doch für den analogen Gottesdienst genauso. Die Frage nach der Qualität kirchlichen Handelns müssen wir uns immer stellen.
Buntes
„Ein Zuhause für alle“ – Interview mit Michael Rubinstein (Jüdische Allgemeine)
Heide Sobatka interviewt den neuen Direktor der Jüdischen Gemeinde Düsseldorf Michael Rubinstein. In ihrem Gespräch geht es auch darum, wie jüdische Gemeinden durch die Corona-Krise finden:
In einer Woche ist Schawuot, und in vier Monaten stehen die Hohen Feiertage an. Wie werden Sie die gestalten können?
Wir gehen davon aus, dass es auch im September noch strenge Hygienemaßnahmen geben wird. Und so denken wir, in Abstimmung mit dem Rabbinat, über alternative Standorte nach, wie etwa die Stadthalle oder ein großes Hotel. Rosch Haschana mit nur 100 Leuten in einer Großgemeinde wie Düsseldorf zu feiern, kann aus unserer Sicht nur die schlechtere Lösung sein.
Das Schweigen der Bischöfe – Hartmut Löwe (FAZ)
Hartmut Löwe, u.a. ehemaliger evangelischer Militärbischof und Vize-Präsident im Kirchenamt der EKD, meldet sich in der Frankfurter Allgemeinen mit einer recht breit gefächerten Kritik an seiner Kirche und ihren Bischöf*innen zu Wort. Weil man von der Strafe Gottes nicht mehr spreche, würde die Rede von seiner Liebe schal, meint Löwe. Sein Beitrag ist auch als Kritik an der „öffentlichen Theologie“ zu werten („diejenigen, die sich sonst an Stellungnahmen zu allem und jedem überbieten, finden kein geistliches Wort“).
Inspiration findet Löwe in Luthers Seuchen-Schrift. Hier in der Eule hat Jonathan Reinert diese bereits umfassend aufgeschlüsselt und nach Erkenntnissen für die Corona-Krise befragt. Es gibt überhaupt eine Menge an theologisch wertvollen Worten in diesen Wochen, die Löwe aber anscheinend entgangen sind. Aber wie so häufig bei den Debattenbeiträgen der Altvorderen, enthält auch dieser Beitrag Anfragen, die bedenkenswert sind:
Was sagt uns in diesem Horizont die schreckliche Pandemie über unseren so häufig trivial und belanglos gewordenen Glauben? Es ist ja nicht verkehrt, sich für die Öffnung der Kirchen für Gottesdienste einzusetzen. Aber wenn man dort nur zu hören bekommt, was immer ohnehin schon alle sagen, können wir sie entbehren. Viel bedrückender ist doch, dass landauf, landab, von wenigen Ausnahmen abgesehen, das jetzt geforderte Abstandsgebot in Kirchenräumen längst schon beklagenswert selbstverständlich ist.
Disziplinarverfahren gegen Pastor Latzel – Ralf Michel (Weserkurier)
Die Bremische Evangelische Kirche (BEK) hat nun offiziell ein Disziplinarverfahren gegen Olaf Latzel eingeleitet, allerdings wird dieses bis zum Abschluss des Strafverfahrens ausgetzt – wie üblich. Gegen Latzel liegt eine Anzeige wegen Volksverhetzung vor, weil der Homosexuelle u.a. als „Verbrecher“ bezeichnet. Sein Kirchenvorstand steht hinter ihm und lobt seine „biblischen“ Predigten (1. Petrus 2,1)
Derzeit prüft die Staatsanwaltschaft noch, ob überhaupt ein Anfangsverdacht für eine Straftat besteht. Das Disziplinarverfahren sieht einen Katalog möglicher Maßnahmen vor, vom dienstlichen Verweis bis zur Entfernung aus dem Dienst. Doch das ist – vergleichbar mit dem öffentlichen Dienst – nur bei Dienstvergehen, insbesondere Straftaten möglich. Und nur bei schweren Straftaten kommt als Folge die Entfernung aus dem Dienst in Betracht.
Großen Respekt für Pastor #Kossen, der im übrigen Missstände bei #Westfleisch anprangerte, als sie Politik und überregionalen Medien noch meist egal waren. https://t.co/GFJDD4ayLj
— Christoph Strack (@Strack_C) May 13, 2020
Kirchliche Siedlungswerke – cashcows der Diözesen oder Beitrag der Kirche zur Verringerung der Wohnungsnot? – Bernhard Emunds (feinschwarz.net)
Zum Schluss geht es noch einmal ums Geld: Bernhard Emunds ist Professor an der katholischen Hochschule Sankt Georgen in Frankfurt a.M. und leitet dort das Nell-Breuning-Institut. Bei feinschwarz.net erschien nun sein Betrag zum großen Thema ethisches Investment: Ihm geht es darum, dass sich kirchliches Immobilieninvestment für alle und besonders die Schwachen auszahlt.
[S]olange sie die kirchlichen Wohnungsunternehmen nicht, wie in deren Gründungsphase, konsequent auf das soziale Anliegen, bezahlbaren angemessenen Wohnraum zu schaffen, verpflichten, werden diese weiterhin vor allem als cashcows der Diözesen fungieren – was einzelne Projekte mit einer beeindruckenden sozialen Komponente bekanntlich nicht ausschließt.
Ein guter Satz
„Auf diese Steine können Sie bauen“
– Werbeslogan mit biblischem Bezug auf 1. Petrus 2